Rosa Kolm ist als Initiantin von «Zuger helfen Zugern» mittlerweile im ganzen Kanton bekannt. Immer mit dem Ziel, Menschen in einer Notlage zu helfen, verrät sie, wie sich die Situation in Zug durch die Coronapandemie verschärft hat.
2013 startete Rosa Kolm mit der Vision, Nächstenhilfe zu fördern und Menschen in Not zu helfen, die Facebook-Gruppe «Zuger helfen Zugern», kurz «ZhZ. Die Idee: Über diese Plattform sollen sich die Menschen gegenseitig helfen und sie soll als Umschlagplatz dienen. So können nicht mehr gebrauchte Gegenstände kostenfrei ausgeschrieben werden. Sieben Jahre später zählt die Facebook-Gruppe über 25’000 Mitglieder.
Seit 2018 als Verein organisiert, ist «ZhZ» auch sonst immer weiter gewachsen. Einerseits sind weitere Facebook-Gruppen in den Kantonen Schwyz, Luzern, Uri, Aargau sowie Ob- und Nidwalden hinzugekommen. Ausserdem wurde der Tätigkeitsbereich von «ZhZ» stetig ausgeweitet.
So bietet der Verein seit Januar 2014 Soforthilfe an. Diese richtet sich an Menschen, die nicht genügend Geld haben, um den Lebensbedarf zu decken. Die Soforthilfe besteht aus einem Gutschein für Lebensmittel oder einer Lieferung nach Hause. Ausserdem führt «ZhZ» einen Verkaufsstand an den Zuger Märkten und führt jeweils eine von Kiwanis unterstützte Weihnachtsaktion durch, bei der Geschenke für Kinder gesammelt werden. Und: Der Verein ist daran, das Angebot «Helping Hand» aufzuziehen. Dabei wird Menschen unter die Arme gegriffen, die sich notwendige Reparaturen nicht leisten können. «ZhZ» vermittelt in diesem Falle Dienstleistungen in diversen Berufen und übernimmt die Kosten – finanziert wird «ZhZ» mittels Spenden.
Längst kann Rosa Kolm nicht mehr alles alleine stemmen. Die Zugerin hat mittlerweile zwölf freiwillige Helferinnen an ihrer Seite. Ausserdem bezog der Verein im Juni ein Büro in Cham. Dort können sich einerseits Leute vorstellen und erklären, weshalb sie auf Soforthilfe angewiesen sind. Auf der anderen Seite dienen die Räumlichkeiten der Lagerung von Lebensmitteln. Zuvor erledigte Kolm alles von zuhause aus. Wir haben die 54-Jährige zum Gespräch getroffen, wollten wissen, ob durch die Coronapandemie mehr Zugerinnen und Zuger in eine finanzielle Notlage geraten sind und ob die Solidarität der Leute seit der ersten Welle bereits wieder abgenommen hat.
Frau Kolm, wurde die Arbeit für euch seit Ausbruch der Coronapandemie nochmals intensiver?
Die Zahl der Facebook-Posts und damit der Aufwand hat dieses Jahr extrem zugenommen. Die steigende Mitgliederzahl ist sicherlich ein Grund dafür. Der zweite Einflussfaktor bildet in der Tat die Coronapandemie. Die Leute verbringen mehr Zeit zuhause und investieren entsprechend mehr Zeit, Gegenstände online auszuschreiben, die sie nicht mehr brauchen. Die Zahl der Anfragen nach Soforthilfe ist zudem in ganze neue Dimensionen vorgestossen. Es kommt vor, dass an einem Tag fünf oder sechs Personen deswegen vorbeikommen. So etwas gab es prä-Corona nie.
Könnt ihr die gesamte Arbeit mit der aktuellen Teamgrösse noch bewältigen?
Ja, eigentlich sind wir genügend Leute. Mein Problem ist, dass ich daneben in einem 80-Prozent-Pensum arbeite. Entsprechend begrenzt ist die Zeit, in der ich präsent sein kann. Im Moment ist eine Aufstockung des Teams aber definitiv nicht geplant, denn die Hintergrundarbeiten laufen. Einzig der administrative Aufwand wie die Ausgabe von Soforthilfe oder das Beantworten privater Nachrichten bleibt an mir hängen – aber dieser kann mir auch niemand wirklich abnehmen. Die Zeit dafür muss ich anderswo abzwacken, beispielsweise beim Schlaf (lacht) – ich arbeite als Nachtwache in einem Pflegeheim.
Wie viel Zeit investieren Sie in «ZhZ»?
Vergangenes Jahr waren es rund 1350 Stunden, was theoretisch knapp einem 70-Prozent-Pensum entspricht. Dieses Jahr werden es definitiv nochmals mehr Stunden sein.
Wie viele neue Posts zählt «Zuger helfen Zugern» täglich?
Im Schnitt sind es rund 100 Posts pro Tag. Jeder Post wird vor der Veröffentlichung gecheckt, ob er unseren Richtlinien entspricht. Manchmal müssen wir auch die Kommentarfunktion deaktivieren, wenn beispielsweise Fragen zu bestimmten Ärzten auftauchen oder welcher Coiffeur der beste der Region ist. Auf diese Weise können wir auch Konflikte vorbeugen – oder sie müssen via Privatnachrichten ausgetragen werden.
Können Sie zwischendurch überhaupt noch abschalten oder sind Sie gedanklich konstant bei «Zuger helfen Zugern»?
Genau das ist mein Problem. Wenn ich eigentlich schlafen sollte, nochmals kurz aufs Handy blicke und irgendwelche Nachrichten oder neue Posts erspähe, will ich diese jeweils kurz bearbeiten. Natürlich beginne ich dabei auch gleich nachzudenken, wie man dieser Person helfen könnte. Und schon bin ich hellwach und der Schlaf kommt zu kurz.
Hinweis: Wir unterstützen «Zuger helfen Zugern» mit unserer Aktion «Jeder Follower und jedes ‹Gefällt mir› zählt». Pro Like unserer Facebook-Seite und pro neuem Instagram-Follower spenden wir einen Franken an Zuger helfen Zugern». Mehr Infos dazu gibt es hier.
Wie nahe gehen Ihnen die Schicksale der Leute?
Zu nahe. Da ich selbst betroffen war, ist es für mich eine sehr emotionale Angelegenheit. Deswegen weiss ich genau, wie sich diese Leute fühlen. Wenn sie mir ihre Situation schildern und zu weinen beginnen, heule ich jedes Mal mit.
Ist ein Grund, weshalb «ZhZ» eine solche Eigendynamik entwickeln konnte, dass Armut im Kanton Zug ein grösseres Tabuthema ist als anderswo und entsprechend den Leuten eine regionale Plattform gefehlt hat?
Schwierige Frage. Armut ist weniger ein Tabuthema als vielmehr eines, das in Zug nicht bekannt ist. Viele Leute denken, die sozialen Netze würden sowieso auffangen. Doch kann man leicht in eine Negativspirale geraten, aus der es so leicht kein Entkommen gibt. Wenn die Nachbarin mit ihren Kindern am Wochenende jeweils zuhause bleibt, hat dies unter Umständen nichts mit Faulheit zu tun, sondern einen finanziellen Hintergrund.
Was ist Ihrer Meinung nach der Vorteil von «Zuger helfen Zugern» gegenüber Institutionen wie dem Sozialamt oder der Frauenzentrale?
Dass die bürokratische Hürde bei uns weniger hoch ist. Dadurch können wir viel rascher reagieren und helfen. Handelt es sich um einen finanziellen Notfall, kann man mir schreiben und ich kann noch am selben oder spätestens am nächsten Tag helfen. Bei uns handelt es sich effektiv um eine Soforthilfe, die jedoch nicht monatelang reicht, sondern der Überbrückung dienen soll. Es geht darum, den Leuten Luft zu verschaffen. Entweder bis zur nächsten (Lohn)zahlung, oder bis Geld des entsprechenden Amts fliesst.
Hat Ihrer Meinung nach die Solidarität der Menschen seit dem Lockdown eher zu- oder abgenommen?
Im Frühling war das Ausmass der Nachbarschaftshilfe überwältigend – man konnte und kann sich diesbezüglich auch bei mir melden. Dies ist nun praktisch weg. Was mir aufgefallen ist: Die eher gut betuchten sind bereit, einen Obolus zu entrichten. Trotz eines Anstiegs diesbezüglich ist es beileibe nicht so, dass wir mit Spenden überschwemmt würden.
Kommt es auch vor, dass Ihre Angebote missbraucht werden?
Ja, das gibt es. Es beginnt damit, dass geschenkte Gegenstände weiterkauft werden. Zudem gibt es bestimmt Fälle, dass Personen Soforthilfe beantragen, die es nicht unmittelbar nötig hätten. Wenn dies einmal in 200 Fällen vorkommt, kann ich dies verkraften. Ausserdem wird ihn oder sie das Karma irgendwann einholen. Verhindern lässt sich dies nicht, da ich beispielsweise keine Kontoauszüge oder Zahlen des Sozialamts verlangen darf. Ich vertraue den Menschen und erwarte auf der anderen Seite Ehrlichkeit.
Sie wurden im Oktober mit dem Kiwanis-Preis 2020 ausgezeichnet. Welchen Stellenwert hat dieser Preis für Sie?
Die Auszeichnung ist eine Ehre für mich und zeigt, dass ich auf das ganze Projekt «Zuger helfen Zugern» inklusive Mitarbeiterinnen und Mitgliedern stolz sein kann. Es beweist mir auch, dass mein Engagement einen Sinn hat und keine investierte Minute verlorene Zeit wäre. Aus diesem Grund engagiere ich mich immer mit Freude – egal, wie stressig es teilweise sein kann.
Zuger helfen Zugern haben auch einen Marktplatz
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Spenden an Zuger helfen Zugern
Der Verein «Zuger helfen Zugern» ist für jede Spende dankbar. Für den Kanton Zug gilt folgendes Spendenkonto: Zuger Kantonalbank CH66 0078 7785 5016 0267 6