Zürcher Shrimpproduktion ohne Haken

Start-up Catchfree entwickelt pflanzenbasierte Garnele

Zukünftig soll es auch authentische Alternativen für Meeresfrüchte geben – made in Switzerland. Das Start-up Catchfree arbeitet an der ETH Zürich an einer Garnele auf Algenbasis und möchte so nicht nur die Umwelt entlasten.

Vegane Fleischalternativen sind längst in der Küche angekommen. So konnte sich der Umsatz zwischen 2018 und 2021 auf dem Schweizer Markt verdoppeln, auch wenn es im Vergleich zu den tierischen Fleischprodukten immer noch eine Nische ist. Dabei bestehen die Optionen zu Huhn oder Rind längst nicht mehr nur aus Tofu und Soja. Unternehmen arbeiten an der Züchtung von künstlichem Fleisch, wie zum Beispiel ein Start-up in Wädenswil. Und zuletzt erlaubte eine EU-Verordnung auch zwei neue Formen von Insektenprodukten in gewissen Lebensmitteln. Die Suche nach alternativen Proteinquellen wird uns in den kommenden Jahren immer stärker beschäftigen. Nicht unbedingt nur für das gute Gewissen, sondern im Kampf gegen die Klimakatastrophe.

Doch es ist nicht nur die Kuhweide, die aktuell kritisch beäugt wird. Die weltweit steigende Nachfrage nach Fisch und Meeresfrüchten bedroht ganze Ökosysteme. Dank steigendem Konsum landen bei jedem Schweizer und jeder Schweizerin mittlerweile pro Jahr neun Kilogramm Fisch und Meeresfrüchte auf dem Teller – insgesamt über 75’000 Tonnen, die fast ausschliesslich importiert werden. Zu den Favoriten zählen dabei Thunfisch, Krevetten und Pangasius. Allein die beliebten Garnelen kommen auf 8’500 Tonnen im Jahr.

Algen als Alternative

An der ETH Zürich arbeiten der Lebensmitteltechnologe Lukas Böcker und der Lebensmittelchemiker Severin Eder derzeit an einer nachhaltigen Lösung für die steigende Nachfrage nach Meeresfrüchten. Mit ihrem Start-up Catchfree möchten sie eine pflanzenbasierte Alternative entwickeln, welche sich nicht von den tierischen Garnelen unterscheiden soll. «Wir haben gesehen, dass sich der Bedarf an Meeresfrüchten bis ins Jahr 2050 weltweit verdoppeln wird. Und gleichzeitig mangelt es beim Wildfang und bei der Zucht enorm an Nachhaltigkeit», erklärt Eder eine der Motivationen für das Vorhaben. Die Abholzung von Mangrovenwäldern zu Gunsten von Aquakulturen wie zum Beispiel in Ecuador lassen ganze Ökosysteme sterben, während die CO2-Bilanz der importierten Meeresfrüchte ebenfalls stark zu wünschen übrig lässt.

Lukas Böcker und Severin Eder vor ETH Zürich

Lukas Böcker (33) und Severin Eder (30) arbeiten am ganz grossen Fang. Bild: zVg

«Wir wollten eine authentische Alternative schaffen, die so aussieht, so schmeckt und sich so anfühlt und in der Pfanne verhält wie der tierische Shrimp – und dabei die gleichen Nährwerte liefert», sagt Böcker. Für die beiden Wissenschaftler bilden die Garnelen aus Pflanzen auch eine Marktlücke. Aktuell arbeitet das Zwei-Mann-Unternehmen Catchfree noch an der ETH in der Gruppe der nachhaltigen Lebensmittelverarbeitung von Alexander Mathys. Dank ihrer Erfolge bei dem Projekt konnten sie bereits zwei Stipendien an Land ziehen und so vorerst die Finanzierung sichern. «Das Schweizer Startup-Ecosystem bietet viele Möglichkeiten und Unterstützung. Stipendien sind ein attraktiver Weg für unsere Finanzierung. Gleichzeitig sind wir aber auch in Gesprächen mit Investoren», so Eder. Offiziell gegründet ist das Start-up zwar noch nicht, aber auch jener Schritt soll in diesem Frühling erfolgen.

Garnelen ohne Haken

Nachdem Catchfree erstmals im März 2022 den Anker lichtete, hatte man im Spätsommer bereits den ersten Testshrimp auf dem Teller. «Eine der grössten Herausforderungen war die richtige Konsistenz. Damit man den KonsumentInnen schon beim ersten Bissen das authentische Gefühl im Mund bieten kann», erzählt Eder. Denn anders als etwa beim Hühnerfleisch muss man bei der künstlichen Garnele eine gelartige Muskelstruktur herstellen, damit sich das Endprodukt genauso knackig anfühlt wie der Fangshrimp. Parallel dazu mussten alle weiteren Attribute wie Geschmack, Form und Textur überzeugend imitiert und anschliessend miteinander vereint werden, um ein authentisches Analogprodukt herzustellen. «Wichtig ist, dass man die gleichen Nährwerte, Proteine und Omega-3-Fettsäuren wie beim tierischen Produkt bekommt», sagt Böcker.

Catchfree Shrimp

Auch zum Shrimp von Catchfree empfehlen wir Cocktailsauce. Bild: zVg

Warum der Formungsprozess bei der Herstellung so wichtig ist, hat auch mit dem Kaufverhalten der KonsumentInnen zu tun. «Lebensmittel im Supermarkt werden oft damit assoziiert, wie sie zubereitet werden können», erklärt Eder. Ein quasi neues Nahrungsmittel mit Garnelengeschmack wäre also aus Marketingsicht eine Herkulesaufgabe gewesen. «Es ist wichtig, dass man die KonsumentInnen abholt», so Eder weiter. Und bei der Überzeugung spielen Form und Geschmack eine extrem wichtige Rolle. «Die KundInnen sollen unser Produkt mit dem geringsten Aufwand in bestehende Rezepte und Essgewohnheiten aufnehmen können», ergänzt Böcker.

Die Nachfrage für die Garnelen ohne Haken scheint jedenfalls gegeben. So kauft jede vierte Person in der Schweiz bereits regelmässig Alternativprodukte ein. Und auch eine grosse Studie der Organisation ProVeg in neun EU-Ländern zeigte, dass Alternativen für Fisch und Meeresfrüchte weit oben auf der Wunschliste von FlexitarierInnen steht.

Der Shrimpkutter ETH

Die Produktion von Catchfree findet derzeit noch in den Pilotanlagen der ETH Zürich statt. Die beiden Lebensmittelforscher schwärmen von der einzigartigen Infrastruktur und auch mittelfristig sei die Skalierbarkeit des Start-ups hier gegeben. Auf Basis von Mikroalgen entsteht vor Ort unter Beimischung von Pflanzen wie Soja und Erbsen die Masse, aus der dann die Garnelen geformt werden. Mikroalgen gelten als eine der aufkommenden Superfood-Arten, da sie essenzielle Aminosäuren, Fettsäuren und auch sonst alles enthalten, was den Fisch so gesund als Nahrungsquelle macht.

Mikroalgen

Mikroalgen sind mikroskopisch klein und werden beim Prozess in eine pulverartige Substanz umgewandelt. Bild: Facebook Urban Earth Studios

Ausserdem muss man sich bei den künstlichen Garnelen keine Sorgen um Antibiotikareste oder Schwermetalle im Fang machen, welche in der Zucht vorkommen können. Bisher verhinderte vor allem die grüne Farbe der Algen, welche mit einem unangenehmen Beigeschmack verbunden war, den ganz grossen Durchbruch. Heute kann man allerdings weissliche Algen zur Nahrungsmittelproduktion verwenden.

Vom Labor auf den Teller

Als nächsten Schritt möchten Böcker und Eder ihre Shrimps auf den Tellern von Zürcher Restaurants sehen. Bereits in den kommenden Wochen sollen erste Partner beliefert werden. Dafür ist man im Austausch mit Spezialitätenrestaurants, die vermehrt auf vegane und vegetarische Küche setzen, da diese nicht nur eine interessierte Kundschaft haben, sondern auch wichtiges Feedback geben können. Anschliessend möchte man die Zahl der Restaurants kontinuierlich steigern, bevor man für 2024 an den Grosshandel denkt. «Wir wollen unser Produkt auf einem ähnlichen preislichen Niveau wie hochwertige Shrimps anbieten», erklärt Eder. Dazu zählen dann auch frittierte Shrimps und verschiedene Marinaden, an denen man ebenfalls arbeitet. Langfristig möchte man natürlich auch in den Supermarkt.

«Unser Ziel ist definitiv, auf die Stärken des lokalen Ökosystems zurückzugreifen», sagt Eder. Damit sei auch eine Produktion vor Ort mit Schweizer Rohstoffen verbunden. Mit dem Know-how, welches man sich durch die Forschung erarbeitet hat, möchte man auch eine technische Vorreiterrolle spielen. Und mit Calamari und Jakobsmuscheln sind bereits zwei weitere Meeresfrüchte in der Pipeline von Catchfree.

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