Menschen, die nicht gängigen Normen entsprechen, werden oftmals durch bestimmte Designs diskriminiert und ausgeschlossen. Eine neue Ausstellung im Museum für Gestaltung Zürich zeigt nun, wie inklusives Design gehen kann.
Das Museum für Gestaltung in Zürich widmet sich in seiner neuen Ausstellung der Frage, für wen unsere Welt tatsächlich gestaltet ist. Dafür setzt es für «Design für alle?» auf dem Toni-Areal auf zeitgenössisches, inklusives Design und Architektur. Die Vernissage findet am Donnerstag, 30. Mai, um 19 Uhr statt und die Ausstellung dauert anschliessend bis am 20. Oktober. Die BesucherInnen können in dieser Zeit erfahren, warum Menschen, die nicht den gängigen Normen entsprechen, besonders von Diskriminierung betroffen sind. Denn: Die gestaltete Umwelt entspricht selten den Anforderungen aller. Menschen ausserhalb von bestimmten Normen sind damit konfrontiert, Gegenstände, Räume oder Transportmittel aufgrund von Behinderungen, Grösse, Alter, Geschlecht, finanziellen Ressourcen oder Sprachbarrieren nicht oder nur eingeschränkt nutzen zu können.
Trotz vieler Fortschritte gibt es in unserer Gesellschaft noch viel Potenzial, das Bewusstsein für Inklusion zu schärfen und stärker in die Gestaltung zu integrieren. Hier setzt die Ausstellung «Design für alle?» denn auch an. Neben spekulativen Auseinandersetzungen von Designschaffenden wird ein breites Spektrum inklusiven Designs gezeigt; von Apps, Spielzeug und Kleidung über Do-it-yourself-Projekte bis hin zur Gestaltung des öffentlichen Raums.
Mehr als Barrierefreiheit
Seit den 1980er-Jahren nehmen die Debatten um Inklusion und Partizipation einen wichtigen Platz im Designdiskurs ein. Dabei geht es darum, die gestaltete Umwelt für alle Menschen unabhängig von ihren Fähigkeiten, ihrem Alter oder ihrer Lebenslage zugänglicher zu machen. Hilfsmittel wie Rampen und Rollstühle spielen dabei eine wichtige Rolle. Aus heutiger Sicht sind sie jedoch nur ein Teil des breiten Spektrums an inklusiver Gestaltung. Leitmotive wie Dialog, Partizipation und Vielstimmigkeit waren zentral für die Konzeption von «Design für alle?». So versteht sich die Schau als Forum, das aktuelle Positionen, Stimmen und Diskussionen zum Thema zusammenführt. Fünf ausgewählte Kreativschaffende aus den Bereichen Architektur und Design haben jeweils ein räumliches Statement für die Ausstellung konzipiert.
Darunter befindet sich das Architekturstudio MIXdesign, welches ein spekulatives Projekt für eine Toilettenanlage mit Räumen für vielfältige Bedürfnisse zeigt. Die Designpionierin und Aktivistin Sara Hendren hat derweil einen dokumentarischen Filmbeitrag zum Thema Hacking gedreht. Darin gibt ein handwerklich versierter Architekt mit amputiertem Unterarm gibt Einblicke in seine Welt des Do-it-yourself-Designs. Dis ist ein Londoner Recherchekollektiv, bestehend aus dem Autor James Zatka-Haas und dem Architekten Jordan Whitewood-Neal. Das Duo realisierte eine poetische audiovisuelle Rauminstallation zum Thema Behinderung und Nacht. Das österreichische Modeunternehmen MOB, das mit inklusiver Mode für Furore sorgt, zeigt den Designprozess rund um ihr Kernprodukt: einen Herrenanzug für RollstuhlnutzerInnen. Und das Berliner Kollektiv Fem_arc lädt dazu ein, Räume aus eigener und fremder Perspektive zu erleben und Erfahrungen in der Ausstellung auszutauschen.
Der erste weibliche Crashtest-Dummy
Weiter wartet auf die BesucherInnen eine 22 Meter lange Rampe. Diese bildet eine szenografische Auseinandersetzung der Ausstellungsarchitekten TEN Studio mit Normen und unterschiedlichen Höhen. Auf der Rampe beziehen rund 80 Objekte und Projekte Position zum Thema: Neu interpretierte Gehhilfen, ergonomisches Essgeschirr, Ballettschuhe in verschiedenen Hautfarben, innovative Hilfsmittel für die Palliativpflege oder loten den Begriff Inklusion in seiner Breite aus und schaffen überraschende Bezüge. Viele der gezeigten Objekte sind von Designschaffenden aus ihrem eigenen Erleben von Barrieren heraus oder gemeinsam im Co-Design mit den vorgesehenen NutzerInnen entstanden. Sie sollen den Bogen spannen zwischen «für alle» und spezifischen Lösungen, zwischen Massenproduktion und Hacks. Sechs Interviews mit internationalen ExpertInnen, wie unter anderem Quemuel Arroyo, Chief Accessibility Officer der öffentlichen Verkehrsbetriebe des Bundesstaates New York, erweitern das Spektrum.
Kuratiert wird die Ausstellung von Evelyn Steiner und Sara Zeller. Sie sagen: «‹Design für alle?› ist eine Einladung, den Ursprüngen und Auswirkungen der normierten Umwelt nachzuspüren und über mögliche Lösungsansätze nachzudenken. Mit dieser spekulativen Ausstellung möchte das Museum einen Beitrag zum Diskurs über Vielfalt und Normen leisten und die eigenen Mechanismen, Barrieren und auch die Grenzen der Umsetzung genauer beleuchten.»
Inklusion und Barrierefreiheit sind nicht nur Themen der Ausstellung, sondern waren auch bei deren Entwicklung zentral. Um eine optimale Zugänglichkeit zu gewährleisten, beriet ein eigens für die Ausstellung zusammengestelltes Advisoryboard das Kuratorinnen-Team. Viele Exponate sind multisensorisch, sprich über mindestens zwei Sinne, erfahrbar und der Ausstellungsraum ist rollstuhlgängig gestaltet. Sitzgelegenheiten und eine Rückzugszone bieten die Möglichkeit einer Pause. Kurze Texte und ein Saalblatt in einfacher Sprache erleichtern den Zugang zu den Inhalten. Die Ausstellungsgrafik setzt auf gute Kontraste und gut lesbare Schriften, die auch für Screenreader funktionieren. Auf Anmeldung assistiert ausserdem der Besucherservice des Museums beim Ausstellungsbesuch.
Die Öffnungszeiten sind von Dienstag bis Sonntag von 10 bis 17 Uhr sowie am Donnerstag von 10 bis 20 Uhr. Der Eintrittspreis beträgt 12 Franken respektive ermässigt 8 Franken.