Wo sich Eltern eine Auszeit nehmen können

«Hauszeit mit Herz»

Eine Mutter mit zwei kleinen Kindern, die innert kürzester Zeit ihren Mann an Krebs verloren hat, ein alleinerziehender Vater, der überfordert ist mit seinen drei Kindern oder eine junge Mutter, die droht, den Boden unter den Füssen zu verlieren – so unterschiedlich die Lebensgeschichten dieser Menschen sind, bei «Hauszeit mit Herz» finden sie einen Platz, an dem sie zur Ruhe kommen und neue Kraft tanken können.

Beim Wort Burnout denken wohl die meisten an eines aufgrund des Jobs. Doch es gibt viele Gründe, an einem Burnout zu erkranken. Es handelt sich dabei um einen Zustand chronischer Erschöpfung, der durch übermässigen Stress und hohe Anforderungen im beruflichen oder persönlichen Leben verursacht wird. Es ist eine ernsthafte gesundheitliche Herausforderung, die nicht nur Arbeitnehmer betrifft, sondern auch Eltern.

Eltern stehen oft unter enormem Druck, den Anforderungen des Familienlebens gerecht zu werden. Sie müssen sich um ihre Kinder kümmern, den Haushalt organisieren, möglicherweise einer Berufstätigkeit nachgehen und gleichzeitig Zeit für sich selbst finden. Diese ständige Belastung kann zu einem Burnout führen.

Es gibt verschiedene Faktoren, die zur Entwicklung eines Burnouts bei Eltern beitragen können. Dazu gehören hohe Erwartungen an sich selbst, das Gefühl, immer alles perfekt machen zu müssen, ein Mangel an Unterstützung oder Ressourcen, soziale Isolation, finanzielle Belastungen und das Fehlen von Ausgleich und Entspannung.

Selbstfürsorge ist wichtig

Ein Burnout bei Eltern kann sich auf verschiedene Weise äussern. Sie können physische Symptome wie Müdigkeit, Schlafstörungen und körperliche Beschwerden erleben. Emotionale Anzeichen können sich in Form von Reizbarkeit, Stimmungsschwankungen, Ängsten oder depressiven Verstimmungen zeigen. Auch der Umgang mit den eigenen Kindern kann beeinträchtigt sein, da die Eltern möglicherweise weniger Energie und Geduld haben. Dabei ist wichtig, dass Eltern auf ihre eigenen Bedürfnisse achten und sich selbst pflegen.

Esszimmer, Schlafzimmer, «Hauszeit mit Herz»

Im Aufenthaltsraum können sich die Eltern untereinander austauschen. Bild: zVg

Selbstfürsorge ist entscheidend, um einem Burnout vorzubeugen oder sich davon zu erholen. Dazu gehört, sich Zeit für Entspannung und Hobbys zu nehmen, Unterstützung von anderen Menschen anzunehmen, Grenzen zu setzen und realistische Erwartungen an sich selbst zu haben. Durch Selbstfürsorge können Eltern ihre körperliche, emotionale und geistige Energie wieder steigern. Indem sie sich Zeit für Ruhe und Entspannung nehmen, können sie die Batterien aufladen und ihre Belastbarkeit erhöhen. Dadurch sind sie besser in der Lage, den Anforderungen des Alltags standzuhalten und Stress abzubauen.

Ein Platz für eine Auszeit

Doch auch wenn sich das alles so einfach anhört, für viele Eltern ist es durch die Lebensumstände schlichtweg nicht möglich, Selbstfürsorge zu tragen. Der Alltag überfordert sie, sie wissen nicht mehr, wo oben und unten ist. «Für diese Eltern sind wir da», sagt Sévérine Bächtold Sidler. Sie ist selbst Mutter von vier eigenen Kindern und einem Pflegekind. «Auch ich habe Situationen erlebt, die mich als Familienfrau an meine Grenzen brachten, z.B. den plötzlichen, frühen Tod meines Vaters. Da habe ich gemerkt, wie wichtig es ist, auch als Mutter Freiräume und Zeit für sich zu haben», erzählt sie. So kam sie auf die Idee, mit «Hauszeit mit Herz» ein entsprechendes Angebot für Eltern zu schaffen.

Das Konzept dafür stand schon seit einigen Jahren, jedoch durfte es noch einige Zeit in der Schublade von Bächtold Sidler reifen. Die fünffache Mutter ist gelernte Kindergärtnerin, Osteopathin, Mal- und Gestaltungspädagogin, Yogalehrerin sowie Traumatherapeutin. In ihrer Praxis stiess sie immer mehr auf sehr müde und erschöpfte Mütter. «Ich fand, es braucht einen Ort, an dem sich diese Frauen und auch Männer erholen können.» Trotzdem war es noch nicht der richtige Zeitpunkt, da sie selbst kleine Kinder hatte. Vor drei Jahren kam dann der Wendepunkt: Eine Begegnung mit einem sehr müden Vater in der Praxis liess Sévérine Bächtold Sidler nicht mehr los und so kramte sie ihr altes Konzept des Hauszeit-Hauses hervor, arbeitete es aus, sammelte u.a. durch Crowdfunding Gelder und begann, es in die Tat umzusetzen. «Hauszeit mit Herz» entstand.

Sévérine Bächtold, Bewerbungsfoto

Sévérine Bächtold Sidler ist der Kopf hinter dem Projekt. Bild: zVg

In Sursee fand Bächtold Sidler das perfekte Haus für ihr Projekt und im November 2022 feierte sie Eröffnung. «Wir haben ein einzigartiges Angebot für überlastete Mütter und Väter ab 18 Jahren geschaffen, um sie vor einem Burnout zu bewahren.» Bei «Hauszeit mit Herz» stehen die Türen für alle erschöpften Eltern aus der ganzen Schweiz sowie Liechtenstein offen. Sévérine Bächtold Sidler stellt allerdings klar: «Wir sind keine Klinik, sondern ein Auszeit-Haus.» Das heisst, hier finden die Mütter und Väter Ruhe, können sich zurückziehen, an verschiedenen Angeboten teilnehmen und sich mit anderen Eltern in gleichen oder ähnlichen Situationen austauschen.

Lieber früher als zu spät

Rund 40 ehrenamtliche HelferInnen sind Teil des Projekts. «Ohne sie wäre es absolut nicht möglich.» Bei «Hauszeit mit Herz» handelt es sich um ein vorübergehendes Angebot als Hilfe zur Selbsthilfe. Die Aufenthaltsdauer beträgt mindestens drei Tage und maximal sechs Wochen oder erfolgt nach Absprache. Laut der Initiantin und Geschäftsleiterin sind die Mütter und Väter im Durchschnitt zwischen zehn und 16 Tage im Haus zu Gast. Im ersten Jahr verzeichneten die Verantwortlichen mehr als 700 Übernachtungen. Bächtold Sidler bekam seit der Gründung von «Hauszeit mit Herz» vermehrt Anfragen nach einem Eltern-Kind-Angebot. Zum Beispiel von einer zweifachen Mutter, die ihren Mann an Krebs verloren hatte und zwar Erholung brauchte, sich aber auch nicht von den Kindern trennen wollte. «Solche Fälle berühren uns, deshalb haben wir unser Angebot ausgebaut und gleich in der Nachbarschaft ein paar Plätze für einen Elternteil mit Kindern geschaffen», erzählt sie. Die Kinder werden betreut, während die Mutter oder der Vater am Hauszeit-Programm teilnehmen kann. «Wir bieten eine helfende Hand, vermitteln auch Fachleute und bieten verschiedene Therapien», konkretisiert Bächtold Sidler. Und sie fordert Eltern auf: «Wir sollten lernen, umzudenken. Hilfe anzunehmen ist eine Stärke und keine Schwäche. Kommt lieber früher als zu spät.»

Schlafzimmer, «Hauszeit mit Herz»

Das Zimmer dient auch als Rückzugsort. Bild: zVg

Sévérine Bächtold Sidler, welche konkreten Unterstützungsmöglichkeiten bieten Sie Eltern, die von einem Burnout betroffen sind oder kurz davorstehen?

Unser Ziel ist es, die Mütter und Väter abzuholen, bevor sie ein Burnout haben. In unserer Gesellschaft ist es oft immer noch ein Tabu, dass Eltern über Erschöpfung oder Müdigkeit sprechen. Viele Eltern denken selbst lange, dass sie das schon irgendwie schaffen. Bis es dann nicht mehr geht. Dem wollen wir vorbeugen und bieten Müttern und Vätern einen Auszeitplatz. Wir gehen gemeinsam spazieren, führen Gespräche, wir haben Massage, Kunsttherapie, Kinesiologie und vieles mehr. Eine ganze Palette an Angeboten, an denen unsere Gäste teilnehmen können, aber nicht müssen. Auch bieten wir drei ausgewogene Mahlzeiten pro Tag.

Gibt es spezifische Risikogruppen von Eltern, die anfälliger für ein Burnout sind?

Wir haben bei uns genauso Ärzte wie Hausfrauen und -männer zu Gast. Niemand ist davor gefeit, wir sind für alle da. Wobei man doch sagen kann, dass Alleinerziehende gefährdeter sein können. Sie schultern noch mehr. Ebenso Eltern eines Kindes mit Beeinträchtigungen.

Wer schaut während der Erholungszeit von Mutter oder Vater nach den Kindern?

Oft sorgt sich das Umfeld, Partner, Grosseltern, Nachbarn um die Kinder. Das müssen die Gäste selbst organisieren, wir unterstützen sie dabei aber. Oder wir arbeiten mit dem Schweizerischen Roten Kreuz zusammen, das bei der Betreuung Hilfe leistet. Im Beruf müssen die Eltern entweder Ferien nehmen oder sich krankschreiben lassen.

Wie finanziert sich «Hauszeit mit Herz»?

Durch Spenden und unsere Gäste müssen auch einen Beitrag leisten, ohne geht’s nicht. Der Beitrag ist mindestens 350 Franken pro Woche, aber abhängig vom Einkommen. Wenn wir nur das Finanzielle anschauen würden, müssten wir ehrlich gesagt dichtmachen. Die Selbstkosten sind nicht tragend, wir können nur dank zahlreicher Spenden weitermachen. Und das freut uns: Denn «Hauszeit mit Herz» ist eine Herzensangelegenheit für mich und viele andere HelferInnen. Wir alle spüren, wie wichtig es ist, dass es dieses Angebot gibt. Die vielen positiven Feedbacks von unseren Gästen tragen und motivieren uns.

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