Von grünen Absichten zur Green Fatigue

Von falschem Marketing und Frustration

Umweltbewusste Käuferinnen setzen bevorzugt auf grün vermarktete Produkte, doch nicht alle davon sind auch wirklich umweltschonend. Angesichts der Tatsache, dass Nachhaltigkeit oft für Marketingzwecke missbraucht und der grüne Lebensstil in manchen Kreisen gerne kritisiert wird, macht sich bei umweltbewussten Konsumenten immer häufiger Frustration breit.

Einst galt es als Nischenthema, doch heute ist Nachhaltigkeit in aller Munde. KMU wie Grosskonzerne verwenden Nachhaltigkeit als Marketingstrategie und holen sich so Sympathiepunkte bei ihrer Kundschaft. Mit diesem Schlagwort identifizieren sich viele Verbraucherinnen und rechtfertigen teilweise ihren Konsum, denn wenn das Produkt grün ist, kann dessen Auswirkung auf die Umwelt wohl nicht so schlimm sein, wie die seiner Konkurrenz mit einem weniger intensiven Grünanstrich.

Doch klingt das zu simpel, um wahr zu sein. Mittels Werbung, Verpackung und Präsentation streifen viele Unternehmen ihren Produkten ein grünes Mäntelchen über. So sollen umweltbewusste Konsumenten angesprochen werden – wer sich das grün verpackte, aus wiederverwerteten Stoffen hergestellte, nachhaltig angebaute Produkt holt, zeigt damit seine Solidarität gegenüber unserem Planeten und kann sich seiner Moralität bestätigt fühlen.

Das Einschätzen des Nachhaltigkeitsfaktors anhand von Marketing stellt sich immer wieder als irreführend heraus: «Eine 2020 durchgeführte Studie hat gezeigt, dass sich europaweit 42 Prozent aller grüner Marketingbotschaften als Greenwashing klassifizieren lassen», erklärt Urs Müller dazu, «was bedeutet, dass die Produzenten mit Marketing behaupten, mehr für die Umwelt zu tun, als wahr ist.» Müller ist Professor am Institut für Umwelt und natürliche Ressourcen an der ZHAW und beschäftigt sich eingehend mit Nachhaltigkeitstransformation. «Parallel zu Greenwashing gibt es Produkte, die zwar sehr umweltschonend hergestellt werden, auf ihrer Verpackung jedoch nicht darauf hinweisen», fügt er hinzu. Teilweise sparen Produzenten, indem sie auf Labels wie zum Beispiel eine Bio-Zertifizierung verzichten, obwohl ihr Produkt die entsprechenden Anforderungen erfüllt.

Die Qual der Wahl

Wer die Käuferinnen von grün vermarkteten Produkten genauer analysiert, wird eine konkrete Zielgruppe ausmachen. «Die umweltaffine Gruppe von Konsumenten wird LOHAS genannt», erklärt Müller. Das Akronym steht für «Lifestyle of Health and Sustainability», was so viel bedeutet wie ein Lebensstil, bei dem Gesundheit und Umweltverträglichkeit zentral sind. Hier spricht man von etwa 15 Prozent der Bevölkerung – so viele Personen setzen auch regelmässig auf biozertifizierte Produkte. Diese Zielgruppe ist für Unternehmen sehr interessant, da sie einen überdurchschnittlichen Bildungsgrad hat und ein überdurchschnittliches Einkommen geniesst. «Somit sind LOHAS aus Marketingsicht sehr wichtig, denn nicht nur finden sie Nachhaltigkeit sehr relevant, auch haben sie die Mittel, um solche Produkte zu konsumieren», führt der Professor aus.

Ein Portrait von Urs Müller, Professor am Institut für Umwelt und natürliche Ressourcen an der ZHAW.

Urs Müller ist Professor am Institut für Umwelt und natürliche Ressourcen an der ZHAW. Bild: zVg

Während dieser Teil der Kundschaft teilweise Gewissensbisse verspürt, wenn er sich gegen ein grün vermarktetes Produkt entscheidet, trifft das auf die restlichen Konsumenten nicht zu. «Insbesondere die preissensitive Käufergruppe achtet nicht auf Nachhaltigkeit, sondern setzt auf das günstigste Angebot», sagt Müller. Eine weitere Zielgruppe zeichnet sich dadurch aus, dass sie besonderen Wert auf Design legt und in Statussymbole investiert, die beides sein können – umweltschonend oder überhaupt nicht. Diese Zielgruppen stehen im Kontrast zu den LOHAS: «Die LOHAS werden von ihrer intrinsischen Wertehaltung angetrieben, grün vermarktete Produkte zu wählen, auch weil sie es sich aufgrund ihres Einkommens leisten können», sagt Müller.

Bei näherer Betrachtung zeigt sich aber, dass die LOHAS doch nicht so nachhaltig leben, wie sie gerne würden. «Gerade weil sie ein höheres Einkommen haben, ist ihr ökologischer Fussabdruck nicht besonders klein», sagt Müller. Seien es mehrere Autos, grössere Wohnungen oder häufigere Flüge in die Ferien – die vermeintlich umweltbewusste Zielgruppe tendiert zu einem opulenteren Lebensstil. «Da schneiden konsumorientierte Käufer, die sich keine ökologischen Produkte leisten können, oft deutlich besser ab.» Belegt durch zahlreiche Studien stellt er fest: «Letztlich bestimmt das Einkommen, wie der ökologische Fussabdruck ausfällt.» Es müsse aber auch bedacht werden, dass die LOHAS sich in der Regel politisch für nachhaltigere Rahmenbedingungen einsetzen, indem sie beispielsweise für Umweltinitiativen stimmen oder grüne Politikerinnen wählen. Deswegen lässt sich argumentieren, dass sie mittels ihres politischen Engagements ihren ökologischen Fussabdruck kompensieren.

Ein frustrierendes Vorhaben

«Will man wirklich nachhaltig leben, dann muss man mit komplizierten Entscheidungen zurechtkommen», sagt Müller. Nur sehr wenige seien bereit, die nötige Zeit und Energie zu investieren, um ihr Leben konsequent ökologisch zu gestalten. Dass man bereits beim Einkaufen von Lebensmitteln der grünen Vermarktung nicht immer trauen kann, führt bei vielen Kundinnen zu Frustration und manchmal sogar dazu, dass Nachhaltigkeit auf ihrer Prioritätenliste nach unten sinkt. Entsprechend seien Appelle an einen umweltbewussten Lebensstil anmassend und ihre Wirksamkeit zum Teil widerlegt, so Müller: «Teilweise kann beobachtet werden, dass Verbraucher bei einem Kauf zwar auf Nachhaltigkeit setzen, diesen jedoch durch umweltschädliche Tätigkeiten in anderen Bereichen überkompensieren und so der Umwelt mehr Schaden als Nutzen zufügen.»

Fenster am Flughafen

Dieselben Konsumenten, die zu umweltschonenden Produkten greifen, tendieren auch dazu, öfter zu fliegen. Bild: kasto / Depositphotos

Diese frustrierende Überforderung der Konsumenten bezüglich dessen, in welche Produkte man am besten investieren soll, sieht Müller als den Produzenten und Anbietern gelegen. Der Professor bringt das Beispiel des ökologischen Fussabdrucks – ein von der Ölindustrie adaptiertes Konzept, das die Verantwortung für die Umwelt von Staat und Unternehmen auf die Individuen und deren Konsumverhalten abschiebt. Dabei wäre es einfacher, wenn die Hersteller von der Produktion bis zur Verpackung auf Nachhaltigkeit achten und so ihre Kundinnen entlasten würden. Eine Lösung sieht Müller in politischen Regulierungen wie Verboten auf geplante Obsoleszenz von elektronischen Geräten oder dem Schaffen von günstigeren Zugverbindungen, die frequentes Kurzstreckenfliegen unattraktiv machen würden.

«Transformation by Design»

Die Frustration der umweltbewussten Konsumenten findet der Professor nicht weiter verwunderlich: «Es liegt im Interesse einiger Wirtschaftsvertreter, diese Frustration zu fördern und das nachhaltige Engagement zu lähmen, zum Beispiel durch die Behauptung, dass grüner Konsum ein blosses ‚Theater mit grünen Mäntelchen‘ sei und eh nichts bringe.» Die Verbreitung dieser Frustration, auch Green Fatigue genannt, sieht Müller als vorteilhaft für die Durchsetzung kurzfristiger ökonomischer Interessen. «Solche Behauptungen verbreiten Misstrauen gegenüber den Erkenntnissen der Umwelt- und Klimawissenschaften, was zu einem unkritischen Konsum anregt und Konsumenten davon abhalten soll, sich umwelt- oder klimafreundlich politisch zu engagieren.»

Eine Frau mit Einkaufswagen im Supermarkt.

Wer möglichst umweltschonend einkaufen möchte, muss auf zahlreiche Faktoren wie Produktion, Lieferkette und Verpackung achten. Bild: seb_ra / Depositphotos

Die Lösung sieht Urs Müller klar in einem politischen Ansatz und erinnert an das Motto «transformation by design, not by disaster». Unter diesem Slogan der ökologischen Bewegung ist zu verstehen, dass die Gesellschaft einen umweltschonenden Konsum aus eigenem Willen zur Norm macht, statt durch klimabedingte Katastrophen und Krisen dazu gezwungen zu werden. Denn «transformation by design», das vorausschauende Gestalten mit dem Ziel, Katastrophen wie Stürme und Überschwemmungen zu vermeiden, komme der Menschheit letztlich ökonomisch günstiger, als wenn sie erst reagiert, wenn die Katastrophen eingetreten sind. «Optimal für unseren alltäglichen Konsum wäre, die Entscheidung für die tatsächlich ökologisch sinnvollste Alternative so einfach wie möglich und den umweltgerechten Konsum durch Regulierungen zur Norm zu machen», so Müller. Die Herausforderung liegt hierbei darin, die Interessengruppen aus der Politik, der Gesellschaft und der Ökonomie zufriedenzustellen und für eine nachhaltige Zukunft konsensorientiert zu agieren.

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