Nach wie vor leiden Millionen von Menschen nicht nur unter Verfolgung und Unterdrückung, sondern auch darunter, dass ihre Hilferufe gar nicht erst gehört werden. Der Küsnachter Fotograf Manuel Bauer will dem nicht tatenlos zusehen und widmet sich in seinen Projekten immer wieder denjenigen, die Unterstützung am dringendsten benötigen. Nicht nur mit der Kamera und teilweise bis an die eigenen Grenzen gehend.
Manuel Bauer lernte sein Handwerk einst in der Werbefotografie, zwölfstündige Arbeitstage während der Lehrzeit waren dabei keine Seltenheit. Der gebürtige Küsnachter war arbeitsam und verstand sein Handwerk. Er hätte sich in dem Berufsfeld einen vergleichsweise bequemen Arbeitsalltag einrichten, nach Feierabend den Kopf abschalten und zuhause die Beine hochlegen können.
Doch er wusste: «Den ganzen Tag Gegenstände ins beste Licht rücken, damit die Leute diese kaufen – damit kann ich mich nicht identifizieren. Ausserdem geht es hier um Produkte, die ich selbst nie kaufen würde, das ist doch verlogen.» Als Reaktion darauf verteilte Manuel Bauer am Abend auf dem Zürcher Paradeplatz Flugblätter, animierte dabei zu Konsumverzicht und gesteigerter sozialer Verantwortung. Doch als Kompensation für seine tägliche Arbeit reichte dies nicht. Ihm wurde bewusst: Ein beruflicher Paradigmenwechsel ist notwendig. So wechselte er in den Fotojournalismus.
Dieser führte den 56-Jährigen bis an seine körperlichen wie mentalen Grenzen, manch ein Projekt brachte ihn dazu, über die grossen Fragen des Lebens nachzudenken und wie wir unsere privilegierte Position dazu nutzen können, um anderen zu helfen. «Ich als Fotograf habe die Möglichkeit, durch Bilder auf eine Situation aufmerksam zu machen, Menschen eine Stimme zu geben, die sonst nicht gehört werden», erklärt er.
Teil einer riskanten Flucht
Dieser Anspruch widerspiegelt sich in zahlreichen von Bauers Arbeiten, wobei er auf Langzeitprojekte spezialisiert ist. International bekannt wurde er 1995 aufgrund seiner Reportage «Flucht aus Tibet». Im Rahmen dieser begleitete er fast einen Monat lang einen Vater mit dessen sechsjähriger Tochter über den 5716 Meter hohen Nangpa La, um vom besetzten Tibet nach Indien zu fliehen. Für das Trio bestand nicht nur wegen der Kälte akute Lebensgefahr, sondern auch aufgrund möglicher chinesischer Scharfschützen. Bauer betont: «Ich bildete mit den beiden eine Schicksalsgemeinschaft. Der Vater wählte den Weg, entsprechend war ich ihm ausgeliefert. Auf der anderen Seite hätten sie es vielleicht nicht geschafft, hätten sie nicht in meinen Biwaksack kriechen können.»
Manuel Bauer erntete Bewunderung für das Projekt, wobei er dafür nur begrenzt Verständnis aufbringen kann. Vielmehr verstehe er nicht ganz, weshalb dies niemand vor ihm getan hat. «Ich geniesse das Privileg, aus Überzeugung und einer altruistischen Idee heraus mein Leben aufs Spiel zu setzen. Diese Entscheidung treffen zu können, ist ein riesiger Luxus. Den Flüchtenden bleibt keine Wahl, sie müssen sich der Gefahr aussetzen.» Natürlich spielten bei einem Projekt immer auch Eigeninteressen rein. «Doch wenn die Empathie nicht da wäre, würde man es nicht umsetzen.»
Haltung zeigen und vermitteln
Empathie ist generell ein Schlüsselbegriff in Bauers Wirken. Sie helfe, im Angesicht von Elend und Armut sich nicht dem Zynismus hinzugeben. «Natürlich muss man sich auch schützen, doch finde ich Zynismus den falschen Weg dafür. Stattdessen erlaube ich mir, auch mal traurig zu sein, zu weinen, mich von etwas beeindrucken zu lassen.» Um die nötige Distanz trotzdem wahren zu können, geschehe dies eher im Hotelzimmer, um draussen funktionieren zu können.
Dies schliesse freilich nicht aus, auch einmal hinzustehen und einzugreifen. «Nach wie vor gibt es Menschen, die auf ein Medium als Brückenbauer und Vermittler zwischen ihnen und der Öffentlichkeit angewiesen sind», ist er überzeugt. «Als ‹concerned photographer› darf ich einen Standpunkt einnehmen und gerade wenn ich auf der Seite einer Minorität stehe, die am kürzeren Hebel sitzt, ist das auch ok.»
Opfer des Klimawandels
Dabei ist es schon oft vorgekommen, dass er zu weit mehr als einem Fotografen avancierte, als er realisierte, dass es nicht mehr reicht, nur zu publizieren. Dies, da weder von der Politik noch der Zivilgesellschaft Hilfe bei den Betroffenen ankommt. Bestes Beispiel dafür ist das Dorf Sam Dzong im Gebiet des ehemaligen Königreichs Mustang im heutigen Nepal. Bauer nahm aus der Schweiz ein Dutzend Mal eine zehntägige Anreise in Angriff, denn er realisierte: Wenn er den BewohnerInnen nicht hilft, tut es niemand. Konkret mussten diese umziehen, da es aufgrund des Klimawandels nicht mehr genügend Schmelzwasser gab, um die Felder zu bewässern. Bauer konnte über die Fotografie Spendengelder generieren, die dem Dorf den Umzug in den drei Stunden Fussmarsch entfernten neuen Ort ermöglichten.
Knapp acht Jahre ist der Umzug nun her. Manuel Bauer macht keinen Hehl daraus, dass er die 85 EinwohnerInnen Sam Dzongs gerne wieder einmal besuchen würde. Auch eine abschliessende Publikation fände er schön. «In diesem Falle wäre dies wertvoll, um zu dokumentieren, weshalb es funktioniert hat und so könnte das Projekt auch einen Vorbildcharakter einnehmen. Gerade weil die Thematik im Angesicht der Klimakrise nicht an Aktualität einbüssen wird.»
Vertrauter Seiner Heiligkeit
Es sind nicht nur Projekte, die Manuel Bauer über einen langen Zeitraum begleiten, sondern auch Menschen. Dazu gehört niemand Geringeres als der 14. Dalai Lama. 1990 begegnete Manuel Bauer Seiner Heiligkeit ein erstes Mal, zwischen 2001 und 2005 war er eine Art Hoffotograf des geistlichen Oberhaupts Tibets. «Ich durfte nur schon durchs Dabeisein von ihm lernen, was echter Altruismus bedeutet. Seine Präsenz und sein feiner Humor haben mich zudem tief beeindruckt.» Wobei die Wertschätzung auf Gegenseitigkeit basiert, fand der Dalai Lama doch sehr nette Wort über Manuel Bauer. So schätze er diesen nicht nur als Fotografen sehr, sondern auch als Menschen.
Wenn Bauer jeweils in die Schweiz zurückkehrt, spüre er den Einfluss des Dalai Lama. «Allerdings nimmt die Wirkung mit der Zeit auch wieder ab. Es ist eine schwierige Aufgabe, in unserer westlichen Gesellschaft ein achtsames Leben zu führen, da wir vielen Versuchungen, Reizen, Hektik und Druck ausgesetzt sind.»
Die Gefahr des Perfektionismus
Wozu dies führen kann, hat der Küsnachter auch schon am eigenen Leib erfahren müssen. «Jeder Auftrag ist mit Druck verbunden, es gut machen zu wollen. Dann bin ich gestresst und ein Workaholic, was mich selbst nervt. Mehr Gelassenheit würde mir guttun.» Ausserdem sei er sehr loyal gegenüber einem Auftrag(geber). «Ich gehe immer ans Limit, was ungesund ist.»
So erlitt er, vermutlich aus der Erschöpfung heraus, einen ziemlich heftigen medizinischen Vorfall. Eigentlich sei es eher peinlich, dass es einen solchen «Knall» braucht, bis man sich eingesteht, dass man etwas ändern muss. «Es wurden irgendwann zu viele Engagements. So kam ich nicht darum herum, mein Berufsleben aufzuräumen.» Es sei sehr befreiend, wenn man sich eingestehen kann, dass gewisse Dinge nicht mehr passen, weil sie einen ärgern oder zu viel Energie kosten. «Aber der Schritt brauchte Mut, strich ich doch sämtliche Mandate, die mir ein fixes Einkommen garantierten. Ich wollte nur noch meine eigenen Projekte verfolgen.»
An solchen mangelt es ihm auch aktuell nicht. So arbeitet er seit rund viereinhalb Jahren als Kameramann an einem Film über den 14. Dalai Lama, wobei er auch inhaltliche Inputs beisteuert. Dieses oder spätestens nächstes Jahr soll der Film erscheinen. Hinzu kommen mehrere kleinere Vernissagen und das Projekt «Mittwochsgruss» mit einem befreundeten Künstler und Gestalter, bei dem sich die beiden jeweils mittwochs ein Bild hin- und hersenden. Dieser Dienst kann mittlerweile von jedermann abonniert werden. Bauers Hauptaugenmerk liegt aktuell jedoch auf True Picture, einem Förder- und Mentoringprogramm für junge FotografInnen.
Alles darüber sowie wie Manuel Bauer die Veränderungen des Fotojournalismus erlebt, liest du in unserer kommenden Aprilausgabe.