Thomas Bräm hörte von Personen mit Handicap immer wieder, dass sie sich eine Stelle im ersten Arbeitsmarkt wünschten. So gründete der Schaffhauser einen Personalverleih für Menschen mit Beeinträchtigung. Durch sein Engagement kann nicht nur deren Selbstwert gestärkt werden, sondern profitieren auch die beteiligten Unternehmen.
Menschen mit Beeinträchtigung gehen in einer geschützten Werkstatt einer Tätigkeit nach, dazu sind sie auch im Wohnheim und in der Pfadi Trotz Allem unter sich und das möchten sie auch so. Dieses Bild ist vielerorts vorherrschend, doch wird es ihnen teilweise nicht gerecht. Dies realisierte vor rund zehn Jahren auch Thomas Bräm. Der Schaffhauser leitete 13 Jahre lang eine Behinderteninstitution und vernahm von den Bewohnerinnen regelmässig den Wunsch, aus diesem kleinen Kosmos auszubrechen, andere Menschen kennenzulernen und damit verbunden eine Stelle im ersten Arbeitsmarkt anstrebten.
Bräm realisierte, dass er diesem Bedürfnis mit seiner Institution nicht gerecht werden konnte und gründete deswegen vor neun Jahren das Unternehmen mitschaffe.ch: einen Personalverleih für Menschen mit Handicap. Mit null Unternehmen und Arbeitnehmern gestartet, arbeiten mittlerweile 120 Personen, die über mitschaffe.ch zu ihrer Stelle gekommen sind. Nach wie vor ist ein Grossteil der Firmen im Kanton Schaffhausen zuhause, wo Bräm das Projekt lancierte, doch arbeitet mitschaffe.ch mittlerweile mit Unternehmen aus fast der ganzen Deutschschweiz zusammen, darunter auch Grosskonzerne – keine Selbstverständlichkeit für Bräm. «Ich betonte jahrelang, KMU seien unsere Partner oder jemand aus der Chefetage, der dies eine gute Sache findet. Grosse, internationale Unternehmen waren für uns sehr schwierig zu erreichen.»
Dies wandle sich, auch grosse Firmen kommen mittlerweile auf Bräm zu. Inklusion aus dem internen Leitbild soll nicht nur eine leere Worthülse bleiben. Auf der anderen Seite habe auch auf der Seite der Menschen mit Handicap ein Umdenken stattgefunden. Dazu beigetragen hat auch die UNO-Behindertenrechtskonvention, welche die Schweiz 2014 ratifizierte und die unter anderem eine freie Wohn- und Arbeitswahl von Menschen mit Beeinträchtigung in den Vordergrund stellt. «Entsprechend wurde dies an den Kursorten in den letzten Jahren verstärkt geschult, was wiederum das Bewusstsein dafür bei den Menschen mit Handicap geschärft hat», erklärt Bräm. Ausserdem gebe es immer mehr Beispiele aus der Praxis, die zeigen, dass genau dies möglich ist.
Keine Einbahnstrasse
Sowohl als interessiertes Unternehmen als auch als Arbeitnehmerin mit Handicap kann auf mitschaffe.ch zugegangen werden, wobei Bräm und sein Team die Person zu einem Kennenlerngespräch einladen, um zu sehen, was sie gerne tut und sich beruflich wünscht. Bei der anschliessenden Suche nach einer Firma mit einer passenden Stelle gibt es zwei Varianten. «Entweder gehen wir gezielt auf Unternehmen aus unserem Netzwerk zu oder wir versuchen ein Match herzustellen mit den Stellenanfragen, die wir haben.» Wenn von beiden Parteien Interesse bekundet wird, folgt ein gemeinsamer Besuch beim Unternehmen für ein Vorstellungsgespräch. Der restliche Ablauf bis zum Arbeitsbeginn unterscheidet sich dann kaum von einem klassischen Personalverleih.
Ist die Person mit Handicap im Betrieb tätig, übernimmt ein Jobcoach die weitere Begleitung respektive erkundigt sich, wie die Zusammenarbeit läuft. Wie oft dies passiert, ist dabei sehr individuell. «In der Regel werden die Personen zu Beginn während der Probezeit enger begleitet und dann schauen wir gemeinsam, in welcher Art und Weise die Unterstützung aussehen soll», erklärt Bräm. Manche Betriebe seien froh, wenn regelmässig nachgefragt wird, wie es läuft; andere möchten sich nur bei Bedarf melden. «Wichtig ist, dass sie sich wenn nötig jederzeit bei uns melden können.»
Während die Jobcoachs auf Mandatsbasis für mitschaffe.ch arbeiten, wartet das Unternehmen zusätzlich mit einem Backoffice in Schaffhausen mit insgesamt 220 Stellenprozent auf. Dort kümmert sich das fünfköpfige Team unter anderem um die administrativen Aufgaben, die für die Betriebe anfallen mit IV, GAV oder Krankentaggeld. Die bürokratischen Hürden seien einer der meistgenannten Punkte von interessierten Betrieben, wenn es um ihre Bedenken rund um eine Anstellung einer Person mit Beeinträchtigung geht.
Ein beidseitiger Wunsch
Entsprechend wird mitschaffe.ch für genau diesen Service und die Einfachheit von den beteiligten Firmen gelobt. Dazu gehört auch Active Communication mit Sitz in Steinhausen. Das Unternehmen sorgt für mehr Selbstbestimmung und Partizipation und leistet damit einen Beitrag für die Inklusion von Menschen mit Behinderungen. Seit Mai 2020 arbeitet mit Daniel Rickenbacher eine Person in einem 20-Prozent-Pensum, die über mitschaffe.ch zu Active Communication kam. Rickenbacher lebt mit einer Cerebralparese und arbeitet in zwei Teilbereichen. Einerseits als Blogger im Marketing und zum anderem als Referent für unterstützte Kommunikation, leistet an Hochschulen, Universitäten und Institutionen Aufklärungsarbeit.
Stefanie Eicher ist Teil des Marketingteams von Active Communication und erklärt, wie die Zusammenarbeit zustande kam: «Daniel Rickenbacher ist Kunde von uns und kam mit dem Wunsch auf uns zu, für uns zu arbeiten. Wir hegten schon länger den Plan, jemanden mit Handicap bei uns anzustellen, daher passte es gleich für alle Seiten.» Man sei dann auf mitschaffe.ch aufmerksam geworden und auf Thomas Bräm zugegangen. «Er ging im Gespräch eingehend auf unsere Fragen und Vorbehalte ein, dies gab uns ein gutes Gefühl», erinnert sich Eicher. Auch sie lobt die grosse Unterstützung im Bereich Administration, welche vieles vereinfache. Sie könne nur Positives von der Zusammenarbeit berichten, der regelmässige Austausch werde zudem nach wie vor sehr geschätzt.
Immer da, wenn nötig
Ähnlich klingt es bei Swiss Medi Kids mit Standorten in Zürich, Winterthur und Luzern. Das Unternehmen setzt sich dafür ein, «Eltern zeitnahen Zugang zur Kindermedizin zu geben». Hier zu helfen sei aufgrund der Pensionierung vieler Kinderärzte, dem mangelnden Nachwuchs und dem Wunsch nach Teilzeitarbeit nötig, da es so für Eltern immer schwieriger werde, Kinderärzte zu finden.
Aktuell arbeiten zwei Personen bei Swiss Medi Kids, die über mitschaffe.ch den Weg ins Unternehmen gefunden haben, eine davon ist in einem Vollzeitpensum tätig. Beide arbeiten als Pflegehilfe, wobei die erste Person im Mai 2020 zu Swiss Medi Kids kam. Sandra Faccin ist HR-Verantwortliche im Unternehmen. Sie sagt: «Wir waren anschliessend so zufrieden mit der Zusammenarbeit, dass wir mit mitschaffe.ch schauten, wo wir eine weitere Stelle für jemanden mit Handicap schaffen können.»
Sie spricht von einer Win-Win-Situation. So schätze man insbesondere, dass mitschaffe.ch einen Grossteil des administrativen Aufwands übernimmt. «Für uns war diese Art der Behördenarbeit teils Neuland, umso mehr wissen wir die Unterstützung von Thomas Bräm und seinem Team zu schätzen», so Faccin. Dasselbe gilt für den regelmässigen Austausch und dass man sich bei Bedarf jederzeit an mitschaffe.ch wenden könne.
Stärken sollen gefördert werden
Thomas Bräm stimmt derweil auch der Blick in die Zukunft positiv. Nicht nur weil mitschaffe.ch immer mehr Menschen mit Beeinträchtigung vermitteln kann, sondern weil vermehrt auch deren Stärken gefördert werden. Er nennt ein Beispiel: «Leute mit Autismus oder Asperger-Syndrom leisten in der Softwareentwicklung hervorragende Arbeit, können dort ihr Potenzial voll ausschöpfen. Müssten sie hingegen in einer IT-Firma am Telefon First-Level-Support leisten, würde dies nicht funktionieren. So fallen im normalen Stellenmarkt diese Bewerbungen in der Regel durch das Raster.»
Bei mitschaffe.ch wird insofern auf die Stärken gesetzt, als dass die Firma festlegen kann, was für Voraussetzungen jemand für die Stelle mitbringen soll, an denen sich mitschaffe.ch bei der Suche nach einer passenden Person orientiert. «So kann die Sorge um einen erhöhten Betreuungsaufwand bereits abgefedert werden. Können die Personen mit Handicap ihre Fähigkeiten ausspielen, bilden sie einen Gewinn für das Unternehmen. Plus stärkt dies ihren Selbstwert», erklärt Bräm.