Schöne neue Arbeitswelt

Trend Work-Life-Blending

Die Coronapandemie war ein Brandbeschleuniger für die Digitalisierung der Arbeitswelt. Neue Möglichkeiten erlauben auch neue Arbeitsweisen. Einer der Trends nennt sich Work-Life-Blending und propagiert die Verschmelzung von Arbeitswelt und Privatleben.

Vier-Tage-Woche, Homeoffice oder gleich ein Workation am anderen Ende der Welt? Nicht erst seit der Coronapandemie ist die Arbeitswelt im Wandel. Vor allem bei Bürojobs wird das Verständnis, wo denn die Lohnarbeit nun erledigt werden soll, stark infrage gestellt. Dort, wo es die Aufgaben zulassen, werden alternative Lösungen beim Zeitmanagement immer häufiger wahrgenommen. Aber auch in anderen Berufssektoren steht hinter der klassischen 42-, 43- oder 44-Stundenwoche ein grosses Fragezeichen.

Ob Work-Life-Balance, Arbeitswelt 4.0 oder der etwas neuere Begriff Work-Life-Blending – alles Schlagworte der aktuellen Debatte, wie viel wir noch arbeiten möchten oder sollten, beziehen auch das Privatleben mit ein. Es scheint, als könnte es keinen reinen Gewinn für die Arbeitnehmenden geben, auch hier muss ein Tausch stattfinden. Müssen wir also bald ständig überall erreichbar für den Job sein, nur weil wir am Mittwoch lieber nicht ins Büro kommen wollten?

E-Mail für dich

In Fachartikeln wird das Work-Life-Blending als Steigerung der Work-Life-Balance beschrieben – es braucht schliesslich immer eine Verbesserung. Der Begriff leitet sich dabei vom englischen Wort «blend» ab, was für ein Vermischen, aber auch für ein Einfügen stehen kann. Der Ansatz zielt also darauf ab, die beiden Lebensbereiche nahtlos ineinander übergehen zu lassen. Doch wenn die Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben zunehmend verschwimmen, tauchen damit für beide Parteien neue Probleme auf. Die Erfassung der Arbeitszeit kommt einem dabei zuerst in den Sinn. Wer schon einmal eine berufliche E-Mail nach 22 Uhr versendet hat, kennt das Problem. Ebenso Personen, die eine der zahlreichen Kommunikationsapps auf ihrem privaten Handy installiert haben. So können Outlook, Teams oder Slack einem schnell den verdienten Feierabend ruinieren.

Mann am grossen Tisch mit Handy und Laptop

Auch daheim braucht es einen gut eingerichteten Arbeitsplatz. Bild: GaudiLab / Depositphotos

Eigenverantwortung und Selbstbestimmung sind neben der Digitalisierung die wichtigen Faktoren für eine erfolgreiche Umsetzung des Work-Life-Blending. Die Argumente der Manager, Coachinnen und Digitalisierungsexperten für diese Art von neuer Arbeitswelt beschwören die gewonnene Flexibilität im Job. Ein Zahnarzttermin am Dienstag um 11 Uhr, die eigene Tochter am Mittwochnachmittag zum Klavierunterricht begleiten oder einfach kurzfristig das Auto in die Garage bringen. Möglichkeiten, die sich natürlich auch im reinen Homeoffice oder bei einer Stelle mit weniger Prozenten ergeben.

KMU trifft HO

Eine Studie des Online-Marktplatzes Capterra wollte es genau wissen, wie sich das Homeoffice in der Anfangszeit der Coronapandemie auf die Arbeitsweise der MitarbeiterInnen von KMU in acht Industrieländern sowie in Brasilien ausgewirkt hat. Interessant für die Schweiz ist dabei vor allem der Blick nach Deutschland, aufgrund der geringeren Unterschiede der beiden Standorte.

Dabei gaben 65 Prozent der befragten Personen an, dass sie im Homeoffice vor oder nach der regulären Arbeitszeit noch arbeiten würden. Im Büro dagegen war nur knapp jeder Zweite bereit, zusätzliche Arbeit zu leisten. Ebenfalls grosse Unterschiede gab es bei der Beantwortung von E-Mails am Wochenende – 44 Prozent im Homeoffice zu 32 Prozent im Büro – sowie bei der Nutzung von persönlichen Geräten für die Arbeit. Zuhause nutzten laut der Studie 63 Prozent ihr eigenes Smartphone, Tablet oder Bürozubehör, während es im Büro nur 41 Prozent waren. Und auch die Bereitschaft, am Wochenende zu arbeiten, war im Homeoffice 10 Prozent höher.

Diverse Gruppe an grossem Konferenztisch

Das Meeting vor Ort lässt sich aus sozialer Sicht nur schwer ersetzen. Bild: monkeybusiness / Depositphotos

Die Studie führt allerdings dazu auch die Nachteile der neu gewonnenen Flexibilität und Bereitschaft der Arbeitnehmenden auf: «Der Leistungsdruck bei der Arbeit von zu Hause ist häufig deutlich höher, da die Sichtbarkeit der Arbeit leidet.» Der klassische Chef vertraut seinen Untergebenen bekanntlich nur so weit, wie er sie sieht. Wer zehn Stunden im Büro anwesend ist, ist erst einmal zehn Stunden im Büro. Wie produktiv diese zehn Arbeitsstunden waren, lässt sich für den Vorgesetzten schon schwieriger bewerten.

Dementsprechend gaben 37 Prozent an, dass die Sichtbarkeit ihrer Arbeit im Büro besser ist, während nur 15 Prozent der Auffassung waren, dass die Sichtbarkeit im Homeoffice besser ist. Noch grösser waren die Unterschiede zwischen Büro und Homeoffice bei der Selbsteinschätzung bezüglich der Beziehung zum Management, Karriereentwicklung und der Zusammenarbeit mit Kollegen. Die Jobzufriedenheit war überraschenderweise fast identisch. Hier hatte das Büro mit 38 zu 36 Prozent nur leicht die Nase vorne, während ein Viertel der Befragten keine Präferenz hatte.

Immer verfügbar

Als potenzielle Probleme, die bei einer Verschmelzung von Arbeitswelt und Freizeit entstehen, werden zudem Überstunden durch Terminvereinbarungen in der Freizeit und die soziale Komponente genannt. Wenn keine räumliche Trennung zwischen Arbeits- und Wohnort mehr vorhanden ist, fällt vielen das Abschalten schwerer. Auch der Stress spielt in der Studie eine wichtige Rolle. 48 Prozent der Befragten gaben an, dass sie zu Hause etwas oder deutlich weniger gestresst wie zuvor sind. Dem gegenüber stehen 26 Prozent, die im Homeoffice etwas oder deutlich mehr gestresst sind.

Junge Frau zuhause am Laptop, Baby vor der Brust in Tragetuch

Die Vereinbarkeit von Familie und Arbeit spielt eine wichtige Rolle beim Homeoffice. Bild: Bild: Wavebreakmedia / Depositphotos

Die fehlende Trennung zwischen Arbeit und Privatleben, Schwierigkeiten beim Zeitmanagement beider Bereiche und das Gefühl, immer online sein zu müssen, werden als Hauptgründe für den zusätzlichen Stress genannt. Dabei definiert uns der Zwang, dank Smartphone immer verfügbar zu sein, nicht nur in der Arbeitswelt. Der negative Effekt, den Push-Mitteilungen und Social-Media-Plattformen auf uns haben, ist längst bewiesen. Nicht umsonst nutzen viele Erwachsene heutzutage die Funktion der Bildschirmzeit, die eigentlich für Kinder gedacht war, als Hilfsmittel, um nicht die halbe Nacht auf Instagram und TikTok zu verbringen.

«Hier existieren beträchtliche Gefährdungspotenziale, vor allem im Sinne eines höheren Stressempfindens und möglicher gesundheitlicher Gefahren», zitiert die Studie den Wirtschaftsprofessor Peter Wald. Isolation, Kopfschmerzen und Schlafprobleme sind dabei die Symptome, die am Ende sogar zu einer Burnout-Erkrankung führen können.

Klare Regeln bei der Flexibilität

Das Fazit der Studie scheint zunächst widersprüchlich gegenüber der Definition des Work-Life-Blending. Aufseiten der Arbeitnehmenden wird eine ausgeprägte Selbstorganisation gefordert, um Prioritäten zu managen und Termine einzuhalten. Was es aber ebenso braucht, sind klare Regeln. Auch flexible Arbeitszeiten müssen konkret erfasst werden und im Idealfall eine maximale Erreichbarkeit ermöglichen. Wenn alle wissen, wann gearbeitet wird, wartet niemand am Freitagabend auf eine rasche Antwort per E-Mail.

Mann liegt auf Couch, Laptop auf dem Schoss

Nur noch schnell zwei E-Mails schreiben, Netflix wartet. Bild: TarasMalyarevich / Depositphotos

Dazu gehört auch, dass die Kommunikationswege klar definiert werden – offizielle Arbeitsapp statt privater Whatsapp-Nachrichten. Zur Verbesserung der Kommunikation können aber auch virtuelle Kaffeerunden oder Chats nach der Arbeit zählen. Denn wer nicht auf die persönlichen Bedürfnisse und Probleme der Mitarbeitenden eingeht, dem kann auch der neuste Begriff aus der HR-Welt nicht helfen, ein Unternehmen erfolgreich zu führen.

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