Ein gemächlicher Start ins neue Jahr? Nicht für Joya Marleen. Die St. Galler Überfliegerin präsentiert ihr erstes Album «The Wind Is Picking Up», um anschliessend sogleich auf Tour zu gehen. Im Interview erzählt sie von der Entstehungsgeschichte des Albums, was es mit dem Papierflieger auf dem Cover auf sich hat und zitiert Ed Sheeran.
Joya Marleen, Sie hatten kurz vor der Veröffentlichung Ihres Debütalbums «The Wind Is Picking Up» zu einem Fan-Event geladen. Wie war es?
Einfach nur wunderschön. Zu Beginn war ich etwas nervös, weil doch viele Menschen da waren und es mir sehr am Herzen lag, für einen angenehmen Event in heimeliger Atmosphäre zu sorgen. Zum Glück gelang dies dann auch.
Sie standen bereits auf grossen Bühnen, waren im Ausland auf Tour. Fühlt sich das Debütalbum mit der anschliessenden «falling in love»-Tour nun trotzdem wie die nächste Stufe auf der Karriereleiter an?
Die aktuelle Zeit ist tatsächlich etwas Besonderes, ich bewege mich nun seit vier Jahren in der Musikbranche und habe in dieser Zeit vieles schnell gelernt. Gleichzeitig habe ich mir die Zeit genommen, bis es gepasst hat für ein Album und freue mich, die neuen Songs anschliessend sogleich dem Publikum live präsentieren zu können, um zu sehen, wie sie in diesem Setting ankommen.
Es kommt nun entsprechend eine intensive Zeit auf Sie zu. Fühlt es sich obgleich richtig und stimmig für Sie an, da es einem natürlichen, progressiven Wachstum mit logischen Schritten entspricht?
Ja, denn mir ist ein organisches Wachstum tatsächlich wichtig. Ich bin mit grosser Leidenschaft dabei, liebe, was ich tue und befinde mich auf einer Reise, auf der ich nun einen nächsten Abschnitt in Angriff nehme. Für das Album habe ich alles, was ich bislang gelernt habe, in einen Rucksack gepackt und fühle mich gerüstet für den weiteren Weg.
Als Hörer denkt man bei MusikerInnen inzwischen vor allem an einzelne Songs und weniger an Alben. Wie verhält es sich als Musikerin selbst? Sieht man da das Album als Gesamtwerk oder auch eher die einzelnen Stücke?
Ich schrieb ursprünglich nicht aktiv an einem Album, sondern ist es bei mir so, dass ich beim Schreiben Filmszenen im Kopf habe und diese quasi vertonen möchte. Ich hatte einfach Freude am Songwriting und spürte irgendwann, dass es nun passt, den kreativen Prozess in einem Album zu bündeln.
Fühlt es sich nach zwei EPs überhaupt noch nach einer Feuertaufe an, nun dem Publikum das erste Album präsentieren zu können?
Ich hörte von verschiedenen Seiten, dass man erst mit einem Album eine richtige Künstlerin ist. Und das hat schon was, denn eine EP ist sozusagen ein Halbum, eine Kurzgeschichte. Nun tobte ich mich auf einem musikalischen Spielplatz aus, probierte aus und wollte meine Kreativität möglichst ungebremst lassen.
Wie wichtig war es Ihnen, ein musikalisch breites Debütalbum zu schaffen, das Sie als Künstlerin entsprechend repräsentiert, wenn man zum Beispiel an «theremin» oder an das akustische Stück «oxygen» denkt?
Ich habe mich lange mit der Frage beschäftigt, wie ausgeprägt der rote Faden sein soll, der sich durch «The Wind Is Picking Up» zieht, setzte mich deswegen zu Beginn sogar selbst unter Druck. Meiner Meinung nach charakterisieren vor allem die Stimme und das Songwriting einen Sänger oder eine Sängerin. Musikalisch ist hingegen mehr Freiheit geboten. Gerade aktuell wird in der Popmusik in zahlreiche verschiedene Richtungen gegangen, ob nun jazzig, funky oder anders angehaucht. Deswegen geniesse ich es auch so sehr, in der jetzigen Zeit Popmusikerin zu sein, da ich sehr gerne ausprobiere. Mit meinen 21 Jahren habe ich natürlich auch noch nicht zu 100 Prozent meinen Sound gefunden. Im Moment ist mir wichtig, ein schönes audiovisuelles Gesamtwerk zu schaffen, das auch Elemente wie das Styling und Video beinhaltet.
Was hat es mit dem Albumtitel «The Wind Is Picking Up» auf sich?
Dies ist eine Textzeile aus dem Song «fire». Eine der erwähnten Filmszenen, von denen ich mich inspirieren lasse, enthielt einen Papierflieger, der nun auch auf dem Cover zu sehen ist. Ich stellte mir vor, mich von diesem irgendwohin treiben zu lassen und mich so in ein Abenteuer zu stürzen. Allerdings braucht es Wind, damit der Flieger ins Fliegen kommt, womit wir beim Albumtitel wären.
Sie sind in einer musikbegeisterten Familie aufgewachsen. Trotzdem ist es alles andere als selbstverständlich, selbst Lieder zu schreiben. Was hat Sie damals im frühen Jugendalter zum Songwriting bewogen?
Bei uns lief früher immer Musik zuhause und wenn beispielsweise jemand Geburtstag hatte, gehörte es dazu, etwas zu singen. Ich hatte Musik also immer mit Festen und einer guten Zeit assoziiert. Ich schrieb damals eher Kurzgeschichten, die ich vertonte und es waren viele schlechte Songs dabei. Wie es Ed Sheeran mit einer Metapher in Bezug auf das Songwriting einst sehr treffend beschrieb: Manchmal muss man erst das dreckige Wasser rausfliessen lassen, bevor dann das gute, saubere Wasser kommt.
Das Songwriting verändert sich bei MusikerInnen mit der Zeit. Spüren Sie auch, dass Ihre Texte respektive der Songwriting-Prozess anders ist im Vergleich zu vor fünf oder sechs Jahren?
Damals war mein Songwriting noch etwas chaotischer, die Lieder hatten mehr verschiedene Teile und waren weniger strukturiert. Heute schreibe ich organischer, flüssiger. Aber es ist auch nicht so, dass die Unterschiede wahnsinnig gross wären.
Trennen Sie das Touren und Songwriting jeweils oder kommt es auch vor, dass Sie unterwegs an Liedern schreiben?
Sehr gerne sogar! Auf Tour bin ich mit meiner Band unterwegs, die mich inspiriert. Ich bewege mich dann in einem Umfeld, in dem ich kreativ sein kann. Auch kleine Songideen schreibe ich jeweils auf, damit sie nicht vergessen gehen. Der Alltag wirkt im Vergleich dazu weniger inspirierend.
Sie erwähnten einmal, dass Sie beim Songwriting gerne mit sich und Ihren Gedanken seien. Wären Songwriting-Camps, wo gemeinsam an Liedern geschrieben wird, entsprechend nichts für Sie?
Ich habe dies noch nie ausprobiert, kenne allerdings mittlerweile zahlreiche MusikerInnen, die schon in Songwriting-Camps waren und mittlerweile würde es mich wirklich reizen, dies auch mal zu wagen. Wenn es ums Texten geht, bin ich gerne für mich, doch anschliessend mag ich das Miteinander, denn im Kollektiv ist eine gegenseitige kreative Befruchtung möglich, was Songs teilweise auf ein nächstes Level bringen kann.
Brauchte es zu Beginn Mut, persönliche Stücke vor Publikum vorzutragen, da diese mit einer gewissen Intimität verbunden sind?
Während des Songwritings denke ich nicht zu viel daran und es fällt mir dann erst später, beispielsweise während Interviews, auf, wie viel ich da preisgebe. Dies ist jedoch kein Problem für mich, denn ich zeige gerne Emotionen. Es ist mir generell wichtig, nicht nur davon zu sprechen – es ist wie mit der Liebe: Jemandem seine Liebe zu zeigen, geht noch tiefer, als jemandem zu sagen, dass man ihn oder sie liebt. Während den Konzerten fühle ich mich mit dem Publikum sehr verbunden und es gibt nichts Schöneres, als wenn sich die Menschen mit deiner Musik identifizieren können, teilweise ihre eigene Geschichte und Erlebnisse auf die Songs projizieren.
Bevorzugen Sie möglichst imposante Bühnen und ein grosses Publikum oder eher den intimen Rahmen, wenn es vielleicht mehr Raum gibt für ruhigere Songs?
Hin und wieder Solokonzerte, wenn ich nur mit meiner Gitarre auf der Bühne stehe, schätze ich sehr. Aber wenn ich mich entscheiden müsste, würde ich den grossen Rahmen wählen, denn ich liebe es, wenn es richtig «fägt».
Trotz Ihres jungen Alters sind Sie schon sehr konzerterprobt. Hilft diese Routine, wenn es auf immer grössere Bühnen geht oder wenn man an grossen Festivals spielt, bei denen die Leute wegen ganz anderer KünstlerInnen gekommen sind?
Ja, sehr sogar. Bei Live-Auftritten kannst du nichts kaschieren – entsprechend wichtig ist hierbei ein gewisser Erfahrungsschatz. Ich musste anfänglich erst lernen, was es bedeutet, auf der Bühne zu stehen und was in welcher Situation zu tun ist.
Kommen in unterschiedlichen Regionen unterschiedliche Songs von Ihnen am besten an?
Nicht wirklich, wobei es tatsächlich einen Röstigraben gibt. Romands scheinen ein Faible für eher «strangen» Sound zu haben, weswegen das Stück «driver» dort sehr gut ankam. In der Deutschschweiz scheint man für solche Musik zwar auch offen zu sein, doch ist es etwas weniger ausgeprägt als im Welschland.
Sie werden auf Ihrer «falling in love»-Tour von fünf verschiedenen Musikerinnen als Support unterstützt: Eileen Alister, Emilia Anastazja, Kings Elliot, Lily Claire und Louise Holzer. Was ist die Idee dahinter?
Ich hatte einfach Lust darauf, mit all diesen Künstlerinnen, die ich gut kenne und sehr schätze, auf Tour zu gehen, so hat sich dies ergeben.
Sie haben ein imposantes und tourintensives 2024 hinter sich. Will man möglichst gleich daran anknüpfen, um gar nicht erst eine Leere entstehen zu lassen?
Eine Pause gibt es nun jedenfalls nicht, denn heuer steht im Januar und Februar wiederum eine lange Tour an. Im Anschluss folgt eine USA-Reise, auf der ich Aufnahmesessions mit dem Sammeln von neuen Erfahrungen verbinde – Workation, wie man es so schön nennt. Gewisse Pausen sind notwendig, um sich neu inspirieren zu lassen und 2026 werde ich eher nicht auf Tour gehen. Ich schaue also, dass das Gleichgewicht gewahrt bleibt.
Sie fassen insbesondere im deutschsprachigen Ausland immer mehr Fuss und irgendwann soll es bestimmt noch verstärkt über den deutschsprachigen Raum hinausgehen. Wie sehr lässt sich dies planen und wie viel Glück spielt dabei mit, dass zum Beispiel ein Stück in der richtigen Spotify-Playlist landet?
Dies frage ich mich auch ständig (lacht). Auf jeden Fall ist es wichtig, authentisch zu bleiben und sich nicht zu verstellen, nur um irgendwo erfolgreich zu sein, denn die Leute durchschauen dies. Erfolg ist tatsächlich nur begrenzt planbar und umso dankbarer muss man sein, wenn es funktioniert.
Gab es einen Moment in Ihrer bisherigen Karriere, als Sie dachten, nun hab ich wohl wirklich etwas erreicht, das nicht jeder schafft?
Dies war während meiner ersten Festivaltour, als ich bei einem Konzert das Publikum dazu aufforderte, bei «nightmare» mitzusingen und realisierte dann, dass alle den Text auswendig kennen. Dies überwältigte mich echt. Ausserdem war ich als junger Teenie am Openair St. Gallen, stand vor der Sternenbühne und träumte davon, irgendwann mal auf dieser stehen zu können. Einige Jahre später ging dieser Traum tatsächlich in Erfüllung, das fühlte sich absolut surreal an.
Wenn es mit der Karriere immer weiter aufwärts geht, man in immer grösseren Clubs und bei immer prestigeträchtigeren Festivals auftreten kann. Droht man da irgendwann gierig zu werden – dass die Tour jedes Jahr noch grösser werden soll und auch die Streaming-Zahlen stetig wachsen sollen?
In diesem Zusammenhang ist es zentral, auf ein gutes Umfeld zählen zu können. Ich habe zum Glück tolle Leute um mich herum, die mich gar nicht erst abheben lassen würden. Aber ja, ambitioniert und teilweise auch ungeduldig bin ich manchmal schon. Wichtig ist, dass der Spass im Vordergrund steht, denn ansonsten droht Frust aufzukommen, wenn es einmal nicht nach Wunsch läuft, was sich wiederum negativ auf den kreativen Prozess auswirkt.
Wie schwierig ist es, manchmal Nein sagen zu müssen zu Angeboten?
Im Nein-Sagen bin ich wirklich schlecht, allerdings bereits besser geworden. Gutes Zeitmanagement ist auf jeden Fall deutlich schwieriger, als es sich anhören mag.
Sie waren bei der vierten Staffel von «Sing meinen Song – das Schweizer Tauschkonzert» mit dabei. So wie es charakteristisch für die Sendung ist, wart ihr eine Runde von MusikerInnen, die aus sehr unterschiedlichen Sparten kommen. Trotzdem habt ihr sehr schnell eine Verbindung zueinander gehabt. War dies aufgrund der Musik, die eine universelle Sprache erlaubt und verbindet?
Ja, die Musik bringt eine unglaubliche verbindende Kraft mit sich. Ein guter Song ist einfach ein guter Song, unabhängig des Genres. Ich blicke auf eine äusserst spannende Erfahrung und eine Zeit zurück, in der ich enorm viel lernen und mitnehmen konnte. Teilweise habe ich von den anderen MusikerInnen auch unbewusst gewisse Dinge abgeschaut. Anna Rossinelli zum Beispiel hat mich sehr inspiriert. Ich erinnere mich auch daran, dass ich zu Beginn ziemlich nervös war, aber sobald wir auf dem Sofa Platz nahmen, war die Nervosität verflogen und ich fühlte mich in der Runde extrem wohl.
Was haben Sie für die kommenden Jahre ausserhalb der Musik für Ziele?
Mein grosser Traum ist, international zu touren, aber grundsätzlich schaue ich nicht zu weit voraus. Der Fokus liegt nun auf der Tour, der anschliessenden USA-Reise sowie den Sommerfestivals. Und an neuer Musik arbeite ich natürlich ebenfalls. Abgesehen davon schauen wir, was die Zukunft bringen wird.
Zur Person Joya Marleen, bürgerlich Joya Schedler, wuchs in St. Gallen in einer musikalischen Familie auf. So spielt ihr Vater Kuno Schedler in einer Mundart-Country-Band und Ihr älterer Bruder Maurus ist Gitarrist bei der Rockband Unlsh. Joya Marleen stand schon als Kind gerne auf der Bühne und bald lernte sie Gitarre, nahm Gesangsunterricht und schrieb erste eigene Songs. 2016 trat sie im Alter von gerade einmal 13 Jahren zum ersten Mal öffentlich auf, präsentierte dabei unter anderem selbstgeschriebene Stücke. Der Durchbruch gelang ihr 2020 sogleich mit ihrer Debütsingle «nightmare», die dafür sorgte, dass sich die Ostschweizerin als erste weibliche Solo-Künstlerin an die Spitze der Schweizer Airplay-Charts setzte. Ihre erste EP «Joya Marleen» erschien 2021 und zwei Jahre später präsentierte sie ihre Nachfolge-EP «Fish In Your Glass». Trotz ihrer noch jungen Karriere hat die 21-Jährige bereits vier Swiss Music Awards gewonnen, 2022 räumte sie dabei gleich in drei Kategorien ab: «Best Female Act», «SRF 3 Best Talent» und «Best Hit». 2023 war Joya Marleen Teil der vierten Staffel von «Sing meinen Song – Das Schweizer Tauschkonzert». Am 17. Januar erschien nun ihr Debütalbum «The Wind Is Picking Up», gefolgt von der «falling in love»-Tour, die sie durch die Schweiz, Deutschland und Österreich führt.