Seit über 25 Jahren gehören Rammstein zu den erfolgreichsten deutschen Musikgruppen. Passend zum neuen Album erschien mit «Zeit» ein aufwendiges Musikvideo. Mitverantwortlich dafür ist der preisgekrönte Schweizer Kameramann Fabian Gamper.
«Zeit, bitte bleib steh’n, bleib steh’n», singt Rammstein-Frontmann Till Lindemann im neuen Song der deutschen Rockband. Es sind eher sanfte Töne für die international erfolgreiche Truppe, die sich selbst zum Genre der Neuen Deutschen Härte zählt. «Zeit» heisst die erste Singleauskopplung aus dem neuen, gleichnamigen Studioalbum, das am 29. April erschien. Das zum Song aufwendig produzierte Musikvideo von Regisseur Robert Gwisdek sammelte seit Anfang März bereits über 22 Millionen Klicks auf Youtube. An der Seite von Gwisdek am Set stand auch der Schweizer Kameramann Fabian Gamper.
Für den gebürtigen Aarauer bringt die Zusammenarbeit mit Rammstein eine neue Form der Aufmerksamkeit mit sich. «Es ist etwas ganz Besonderes, wenn so viele Menschen meine Arbeit sehen», erzählt der 37-jährige Filmemacher. Zustande gekommen ist die Kooperation auch durch den deutschen Schauspieler und Regisseur Robert Gwisdek. Mit ihm hat Gamper bereits einige Projekte realisiert und geplant. Als die Zusammenarbeit zwischen Gwisdek und Rammstein beschlossen war, sei alles sehr schnell gegangen, so Gamper.
Durch den immensen Erfolg bei Youtube hat Gamper zudem das Genre der Reaction-Videos für sich entdeckt. Dabei filmen sich Menschen, wie sie sich zum ersten Mal ein bestimmtes Video ansehen – wie in diesem Fall zum Musikvideo von «Zeit». «Diese Reaktionen sind ein schönes Feedback und die Leute machen das auch authentisch. Beim Spielfilm bekommt man hingegen erst bei der Premiere mit, wie die Leute auf das eigene Werk reagieren.»
Im Kampf gegen die Zeit
Im Video sieht man die sechs Musiker von Rammstein in archetypischen Szenarien. Als Seeleute, Soldaten und Bauern kämpfen sie gegen den Fortschritt der Zeit, während die Bilder rückwärtslaufen. Aus Männern werden so Kinder, bevor es am Ende um die Geburt geht. Frauen in Leinen gebären auf einem Berg von Sand, während dieser nach oben fliesst. Immer dabei ist eine schwarze gesichtslose Gestalt, die den Tod symbolisiert.
Während Rammstein selbst bei seinen Konzerten für aufwendige Shows mit vielen Spezialeffekten berühmt ist, wurde am Set von «Zeit» vieles mit praktischen Effekten inszeniert. Besonders auf den Einsatz des Sandes ist Gamper stolz, da gerade hier oft Computertechnik vermutet wurde. «Man sucht nach etwas, was nicht einfach nur nach fallendem Sand aussieht, sondern etwas Surreales hat», erklärt der Kameramann.
Gedreht wurde das Musikvideo Ende 2021 und «es war auch eine Produktion mit einem hohen Tempo», erzählt er. «Und natürlich sind da Rockstars am Set, aber es war eine sehr tolle, organische Zusammenarbeit», so Gamper weiter. Als Kameramann sei er aber auch nach dem Dreh stark in die Postproduktion eingebunden gewesen. Dort geht es dann darum, dass die Bilder am Ende auch so aussehen, wie die Filmemacher es sich vorgestellt haben.
Herausforderungen am Set
Die kontinuierliche Zusammenarbeit zwischen einem Regisseur und einem Kameramann, wie zwischen Gwisdek und Gamper, ist dabei in der Filmbranche keine Seltenheit. Für Gamper wirkt sich diese Kontinuität positiv auf die Qualität der Arbeit aus: «Man führt Diskurse über Ästhetik, wie sich der Film anfühlen soll und entwickelt sich so über die Projekte auch weiter.» Auf die Position des Regisseurs schielt Gamper dabei nicht, auch wenn er während des Studiums an der Zürcher Hochschule der Künste auch andere Funktionen am Set ausgeübt hatte. «Mir war immer klar, dass ich die Rolle des Kameramanns haben wollte», erzählt er.
Bei Arbeit mit der Kamera ist man dabei zugleich Künstler und Handwerker. «Für mich ist wichtig, dass die künstlerische Frage immer zuerst kommt: Die Vision des Regisseurs und was er mit dem Film erzählen möchte», sagt der Filmschaffende. Dabei sei zugleich wichtig, das eigene Handwerk und die Technik zu beherrschen. Gerade die Problemstellungen am Set zu lösen, ist für ihn eine grosse Freude. Seien es nun experimentelle Kamerabewegungen oder die Arbeit mit natürlichem Licht. Denn letztendlich besteht seine Arbeit nicht nur aus Schwenks und Zooms.
Erfolgreich durch die Award-Saison
Nach seinem Bachelorstudium in Zürich zog es Gamper weiter nach Deutschland an die Filmakademie Baden-Württemberg. Zusammen mit Mascha Schilinski drehte er seinen ersten Spielfilm, der 2017 an der Berlinale seine Premiere feierte. Im Drama «Die Tochter» geht es um einen Familienurlaub mit Trennung und Eifersucht – inklusive des deutschen Nachwuchsstars Helena Zengel in der Titelrolle.
Im folgenden Jahr gewann Gamper dann den Deutschen Kamerapreis für den Kurzfilm «Freibadsinfonie» von Sinje Köhler. Der Schwarz-Weiss-Film erzählt von Teenagern, Liebe und Sommer in einer Badeanstalt. Für die Arbeit ohne Farben hat Gamper ein Faible, wie wahrscheinlich viele Filmschaffende. «Schwarz-Weiss bringt noch einmal eine stärkere Abstraktion mit sich. Der Kontrast zwischen Hell und Dunkel wird essenzieller und es fühlt sich purer an», schwärmt er. Natürlich sei es auch ein extremer Look, der ein potenzielles Mainstreampublikum zunächst einmal abschreckt. Aber als dramaturgisches Element könne es viel zur Stimmung beitragen.
Heute lebt Gamper in Berlin. Es war allerdings nicht der Beruf, sondern die Liebe, die ihn in die deutsche Hauptstadt führte. Zusammen mit der Regisseurin Mascha Schilinski bildet er auch privat ein Duo. «Aber Berlin hat als Stadt einen Reiz an sich. Nicht nur für Filmschaffende, sondern für alle künstlerisch Tätigen», erklärt Gamper.
Die Kamera als Schild
In Berlin entstand auch der Dokumentarfilm «Insel 36», der von Asylsuchenden erzählt, die mitten in der Stadt in einem Camp lebten. Diese Art von politischem Film, welcher ein Herz für die Situation der Menschen hat, ist Gamper wichtig. Und er zeigt einen Einblick in die Arbeit eines Kameramanns: das berufliche Eintauchen in fremde Welten. «Durch die Kamera hat man die Freiheit, sich in anderen Kreisen zu bewegen», sagt er und beschreibt die Einblicke in die fremden Lebenssituationen. Dabei funktioniert die Kamera selbst nicht nur als Schutz, sondern auch als Ablenkung: «Man hat diesen Effekt, dass man nur in diesem Moment drin ist.» Ob es nun «echte» Menschen, Schauspieler oder Rockstars sind, der Kamera entgeht nichts.