Nina Burri die Schlangenfrau im Interview

«An neuen Ideen mangelt es mir nie»

Nina Burri ist die älteste Schlangenfrau der Welt. Ans Aufhören denkt die 44-Jährige aber noch nicht. Vielmehr will die Bernerin mit neuen Projekten und einer Ausbildung zur Bewegungspädagogin jetzt wieder Vollgas geben.

Kinn und Schultern sind auf den Boden gepresst, der Blick starr geradeaus gerichtet. Der Rumpf ist derweil in die Höhe gereckt mit den Beinen vom Körper gespreizt. Was nach einer Körperposition klingt, die mit höllischen Schmerzen und schweren Bänder- und Gelenkverletzungen verbunden ist, ist für Nina Burri Alltag. Die älteste Kontorsionistin, oder Schlangenfrau, der Welt trainiert täglich vier Stunden, um elastisch zu bleiben.

Die Bernerin freut sich aktuell, dass sich ihre Agenda wieder mit Auftritten füllt. Doch auch sonst würde es ihr aktuell nicht langweilig werden, absolviert sie doch eine Ausbildung zur Bewegungspädagogin und wird sie immer wieder für Workshops und Events gebucht. Plus: Sie hat im vergangenen Jahr Footarchery für sich entdeckt: Pfeilbogenschiessen mit den Füssen!

Nina Burri, Mitte Februar wurde ein grosser Teil der Massnahmen vom Bundesrat aufgehoben, was natürlich auch der Kulturszene wieder mehr Möglichkeiten bietet. Jedoch dürfte es noch etwas dauern, bis die Branche wieder vollständig erwacht. Bedeutet dies für Sie, dass bei Ihnen aktuell vor allem Shootings auf der Agenda stehen?

Seit dem Beschluss der Lockerungen sind tatsächlich gleich wieder bedeutend mehr Anfragen reingekommen, nicht nur für Shootings, sondern auch für Galas und Events. Wie voll meine Agenda ist, ist in den letzten Monaten extrem stark von der Pandemie und den beschlossenen Massnahmen beeinflusst worden.

Bestes Beispiel für das Vor und Zurück ist das Musical «Der Löwe, der nicht schreiben konnte» im Bernhard-Theater in Zürich, in dem Sie mitgewirkt haben.

Das Löwenmusical ist wortwörtlich eine Coronaproduktion. Nach drei Aufführungen Anfang 2020 kam die erste Coronawelle und wir mussten eine Pause einlegen. Als Events wieder möglich wurden, waren die nächsten Aufführungen bereits geplant und wir bereit zum Proben, doch gab es den nächsten Unterbruch.

Vergangenen Dezember und Januar konnten wir dann wiederum einige Shows spielen – doch nicht bis zum Schluss, da einige TeammitgliederInnen positiv getestet wurden. Immerhin können wir nun im September und Oktober noch einen Teil der abgesagten Shows nachholen.

Als freischaffende Künstlerin wie Sie muss man sich immer irgendwie im Gespräch halten, um regelmässig an Aufträge zu kommen. Normalerweise kann man dies vor allem über Auftritte tun, was während der Pandemie jedoch schwierig war. Haben Sie versucht, dies irgendwie zu kompensieren?

Nina Burri – Überhaupt nicht. Es kamen immer mal wieder Anfragen von Medien, womit ich nicht krampfhaft versuchen musste, mich im Gespräch zu halten. Zudem wäre es mir nicht korrekt erschienen, mich in den Vordergrund zu stellen, obwohl ich genauso wenig bieten kann wie die anderen Kunstschaffenden auch. Ich bevorzuge es, dass über mich berichtet wird, wenn etwas Aktuelles ansteht oder es mit meiner Kunst zu tun hat.

nina burri schlangen frau auf küchentisch

Auch im Alltag muss Nina Burri nicht auf Kontorsion verzichten. Bild: David Meyer

Hat Ihnen die erzwungene Auszeit zu Beginn auch geholfen, etwas durchzuatmen?

Zu Beginn der Coronapandemie war ich nach langen und arbeitsintensiven Monaten sehr müde und spätestens im Juni 2020 hätte ich sowieso eine Pause eingelegt. Richtige Erholung war jedoch nicht möglich, da die Ungewissheit, wann es weitergeht, allgegenwärtig war und ich mich entsprechend fit halten musste. Trotzdem tat es gut, nicht ständig reisen zu müssen und Zeit zu haben, meine kreativen Sachen zu überdenken und kleine Verletzungen vollständig auszukurieren. Zu Beginn genoss ich es, doch irgendwann hätte ich gerne meine «Auszeit» beendet.

Bedeuten die Verschiebungen, dass es für Sie in einigen Wochen und Monaten umso intensiver werden wird?

Vermutlich schon. Es kam in letzter Zeit mehrfach vor, dass OrganisatorInnen auf mich zukamen und erwähnten, sie wollten mich bereits vor zwei Jahren engagieren, doch wurde daraus nichts. Vor allem der Mai und Juni werden auf jeden Fall äusserst intensiv werden.

Nina Burri spüren Sie, dass Sie die Unregelmässigkeiten und verschieden intensiven Phasen früher einfacher weggesteckt haben?

Nicht zwingend. Mir hat eher zu schaffen gemacht, dass ich meine Agenda nicht durchplanen konnte aufgrund der Ungewissheiten und kurzfristigen Verschiebungen und Absagen. Zudem tut es weh, wenn man neue technische Kontorsionselemente nicht auf ihre Bühnentauglichkeit testen kann und so mehr oder weniger immer wieder von vorne anfangen muss, denn die Intensität ist im Training nie gleich hoch. Die «Bühnenhärte» muss man sich erst wieder erarbeiten.

Sie sind normalerweise viel und oft unterwegs. Als angenehmen Nebeneffekt der ausgedünnten Agenda fiel für Sie so zumindest ein Teil der Schreibtischarbeit mit dem Buchen von Hotels und Flügen etc. weg.

Das Buchen fiel fast gänzlich weg, denn wenn ich einen Auftrag hatte, übernahmen die KundInnen die Buchungen. Normalerweise erledige ich dies selbst, doch in diesen Zeiten ist das Reisen ins Ausland um einiges komplizierter geworden. Meine Reiselust zu Pandemiezeiten hat sich jedoch auch in Grenzen gehalten.

Wie viel Zeit investieren Sie in «normalen» Zeiten in die Schreibtischarbeit?

In der Regel habe ich Acht-Stunden-Tage: Vier Stunden Training und vier Stunden am Rechner. Hinzu kommen Proben, Auftritte und Shootings.

Nina Burri Sclangenfrau mit pistole

Die Konrosionistin wuchs in Wabern BE auf. Bild: Joe Sciacca

Vier Stunden Training pro Tag. Wie muss man sich dieses vorstellen?

Zu Beginn geht es darum, locker und warm zu werden sowie den Kreislauf zu aktivieren. Dazu gehören Handstände, Kraft- und Gelenkübungen. Anschliessend folgen einige Fitnesselemente wie Squats. Daraufhin geht es erst an Yoga-, dann an die Kontorsionsübungen. Die Überdehnungen werden entsprechend immer heftiger. Die extremsten Verbiegungen folgen in den letzten 30 bis 60 Minuten.

Arbeiten Sie mit verschiedenen Trainingsblöcken oder sieht das Training jeden Tag mehr oder weniger identisch aus?

Grosse Unterschiede gibt es nicht, doch versuche ich, etwas Abwechslung reinzubringen. Wichtig ist, während des Trainings fokussiert zu sein, da ansonsten die Produktivität leidet.

Ich absolviere aktuell eine Ausbildung zur Bewegungspädagogin HF, in Rahmen derer ich viele verschiedene Bewegungsansätze nutze. Dadurch werden wiederum andere Muskeln beansprucht, was mir auch bei der Kontorsion hilft. Andere KontorsionistInnen besuchen als Ausgleich ein Fitnesscenter.

Spüren Sie es am nächsten Tag im Training bereits, wenn Sie am Tag davor nicht trainiert haben?

Nach intensiven Shows oder wenn ich angespannt bin, kann eine kurze Pause sogar helfen. Besser als gar nichts zu tun, ist aber die aktive Regeneration, beispielsweise wenn man dann nur eine kurze Yogasession einlegt, spazieren geht oder sich auf der Black Roll «ausrollt». Generell nehme ich mir meist einen Tag pro Woche frei.

Inwiefern haben Sie Ihr Training über die Jahre weiterentwickelt?

Kleine Anpassungen gibt es immer wieder und bei kleinen Verletzungen frage ich mich jeweils, was ich ändern kann, um dies in Zukunft zu verhindern. Auch PhysiotherapeutInnen oder KollegInnen können hierbei wichtige Inputs liefern. Plus kann man sich auf Social Media inspirieren lassen.

Wie verletzungsanfällig ist Kontorsion generell?

In der Regel nicht sehr. Aber es kommt in gewissen Schulen immer wieder vor, dass Kinder von den LehrerInnen unter Schmerzen immer weiter in die Posen gedrückt werden, was zu Verletzungen führen kann. Ich hatte nur einmal einen solchen Fall, als eine Lehrerin mein Becken immer weiter nach vorne drückte und ich anschliessend ziemlich lange Problem mit meiner Hüfte hatte. Gewisse Umstände wie kalte Böden oder zu wenig aufgewärmte Muskeln fördern das Verletzungsrisiko.

Wie regelmässig müssen Sie sich Regenerationsphasen gönnen, gerade wenn mehrere Auftritte hintereinander anstanden?

Dann reduziere ich die Trainingseinheiten jeweils signifikant. Plus versuche ich die Regeneration mit einer Massage oder einem heissen Bad zusätzlich zu beschleunigen und ich passe die Ernährung inklusive Nahrungsergänzungsmittel an. Guter Schlaf ist ebenfalls essentiell.

Wie stark achten Sie generell auf die Ernährung?

Sehr. Mit der Zeit hatte ich herausgetüftelt, was mir gut tut und was nicht. Zuckerzusätze beispielsweise wirken sich negativ auf die Gelenke aus. Ich weiss mittlerweile auch, wann ich mir eher etwas können kann.

Sie treten auch bei Galas und privaten Feiern auf. Haben Sie dabei ein fixes Programm oder passen Sie dieses dem Event an? Gerade auch, wenn ein Vortrag Ihrerseits Teil davon ist.

Zweiteres. Bei KundInnen, die mir keine Vorgaben machen, erkundige ich mich nach dem Zielpublikum, um die passenden Showacts auszusuchen. Mit einem Vortrag kombiniert, halte ich die Nummer davor meist etwas kürzer, mache diese aber, damit das Publikum eine Ahnung davon bekommt, wovon ich im Anschluss rede.

Sie geben ausserdem Workshops. Was sind die wichtigsten Basics, die Sie dabei vermitteln?

Es geht in erster Linie ums beweglich werden und bleiben. Je nach TeilnehmerInnen können die Übungen sogar Kontorsionselemente enthalten. In den meisten Fällen geht es hingegen um die Grundlagen, beispielsweise wie man zu einem Spagat kommt oder was es bei einer Brücke zu beachten gilt.

Manche wissen auch nicht, wie man korrekt stretcht. Bei Kindern ist es oftmals so, dass sie Talent dafür haben, jedoch viele Bewegungen und die Ausführung korrigiert werden müssen.

Geben Sie den Kindern auch eine Botschaft mit? Dass es wichtig ist, sich zu bewegen anstatt immer nur mit gekrümmtem Rücken in den Bildschirm zu starren.

Ja. Ich versuche ihnen dabei zu erklären, dass es nicht jeden Tag ein Gesamtprogramm sein muss, aber man sich zumindest 15 bis 30 Minuten pro Tag einem Teil seines Körpers widmen und ihn bewegen sollte. Meine Botschaften sind zudem immer an sich zu glauben, nie aufzugeben und immer dranzubleiben. Viele wollen alles auf einmal können und hören dann nach zwei Wochen auf, weil sie die Lust verloren haben. Fängt man hingegen klein an, stellen sich rasch erste Fortschritte ein, was sich umgehend positiv auf die Motivation auswirkt.

Sie haben die neuen Elemente vorher angesprochen. Wie ist es möglich, nach 14 Jahren als Kontorsionistin immer wieder neue Bausteine in die Shows zu integrieren?

Die Inputs für die Bühnenelemente kommen aus verschiedenen Richtungen. So brachte mich ein Choreograf vor zwei Jahren auf die Idee einer Maskennummer. Anschliessend beginnt jeweils das Tüfteln, was mit dem neuen Element alles möglich ist. Ein anderes Mal war eine Shootinganfrage mit der Frage verbunden, ob ich in Kontorsionspose mit meinen Füssen mit einem Pfeilbogen schiessen könne. Ich hatte es noch nie ausprobiert und mein Ehrgeiz war sogleich geweckt. Ich engagierte eine Trainerin dafür und schon entstand eine neue Bühnennummer.

An neuen Ideen mangelt es mir eigentlich nie. Ob es nun in die theatralische, technische oder tänzerische Richtung geht. Aktuell arbeiten wir an einer «Quick Change»-Nummer mit vielen sehr schnellen Kleiderwechseln auf der Bühne.

Nina Burri Schlangenfrau mit Pfeil und bogen

Es gibt nicht viele Menschen, die Footarchery beherrschen. Bild: Jürg Streun

Das Umgehen mit Pfeil und Bogen mit den Füssen, Footarchery genannt, haben Sie erst im letzten Jahr für sich entdeckt. Wie lange hat es gedauert, bis Sie diese Disziplin einigermassen beherrscht haben, denn es ist koordinativ ja doch noch einmal eine ganz neue Herausforderung.

Gar nicht so lange. Der schwierigste Aspekt daran ist das genaue Zielen. Auf der Bühne umso mehr, wenn das Adrenalin noch mitspielt. Die Stabilität im Handstand und das Halten des Bogens waren hingegen kein grosses Problem.

Wissen Sie, wie viele das weltweit ausüben?

Ich weiss von rund einem Dutzend, die es machen, doch daneben gibt es bestimmt noch eine Dunkelziffer. Es gibt zwei bis drei bekannte Personen, die sich in erster Linie auf Footarchery konzentrieren. In der Schweiz ist mir eine weitere Frau bekannt, die Footarchery betreibt.

Sie haben Ihren Lebensmittelpunkt mittlerweile wieder fix in der Schweiz, sind kürzlich nach Lachen SZ gezogen. Sie haben aber auch schon in Miami, Tokio, Peking, Berlin und Paris gelebt. Wo würden Sie es geniessen, immer noch dort zu wohnen?

Berlin ist mittlerweile zu meiner zweiten Heimat avanciert. Seit 1995 habe ich immer wieder und insgesamt über acht Jahre dort gewohnt. Ich liebe diese Stadt mit ihrer Kreativität und Kulturszene. In Zukunft möchte ich mich dort auch wieder vermehrt Projekten widmen.

Die Zeit in Miami war ebenfalls schön, doch konnte ich das Ferienfeeling nie ganz abstreifen, während ich dort wohnte. In New York fühlte ich mich mehr zuhause, da die Metropole ein europäischeres Flair mit sich bringt.

Wo ausserhalb der Schweiz haben Sie die meisten Fans?

Das weiss ich nicht. Ich wurde jedoch mal informiert, dass mich in einer Region im Iran sehr viele Menschen kennen, obwohl noch nie dort war. Das liege anscheinend daran, dass mein Nachname persisch klingt. Jedenfalls glaubten viele, mein Vater sei aus Persien und ich sei eine Landsfrau.

Nina Burri was motiviert Sie, nach wie vor so viel Zeit in die Kontorsion zu investieren?

Es macht mir sehr viel Spass. Plus lief in den letzten zwei Jahren sehr wenig und nach einer so langen Karriere während einer Krise aufzuhören, war keine Option für mich. Ich will noch einmal Vollgas geben und mindestens noch zwei Jahre als Kontorsionistin arbeiten.

Und wenn Sie Kontorsion nicht mehr professionell machen, lassen Sie es gleich komplett sein?

Auf keinen Fall. Dafür liebe ich das Training viel zu sehr und ich brauche es als Ausgleich. Meine Ausbildung zur Bewegungspädagogin dauert noch dreieinhalb Jahre. Dann bietet sich wieder eine Vielzahl an Möglichkeiten, beispielsweise kann ich Gruppen von Jung bis Alt sowie eine Mischform zwischen Therapie und Fitness anbieten oder auch in die psychiatrische Richtung gehen. Entsprechend werde ich körperlich sowieso sehr aktiv bleiben.

Wären Sie heute noch Kontorsionistin, wenn Sie nicht erst mit 30 damit angefangen hätten?

Das weiss ich nicht. Als Kontorsionistin existiert man ähnlich wie als Tänzerin bis maximal Mitte 30. Es gibt weltweit auch nur zwei Kontorsionisten, die älter sind als ich. Wenn man schon sehr jung damit beginnt, möchte man vielleicht irgendwann noch etwas anderes kennenlernen, bei Frauen stellt sich zudem die Kinderfrage. Bei mir war dies durch meinen späten Beginn gar nie ein Faktor.

Zur Person Nina Burri

Nina Burri (44) wuchs im bernischen Wabern auf. Sie ist die älteste noch aktive Schlangenfrau der Welt. Begonnen hat alles im Alter von sechs Jahren, als sie begann, Ballettunterricht zu nehmen. Als Kind genoss sie ausserdem eine Musicalausbildung, später kamen viele Theaterkurse und privater Schauspielunterricht und Workshops dazu.

Von 1995 bis 1998 besuchte sie die staatliche Ballettschule in Berlin und wurde «staatlich geprüfte Bühnentänzerin». Mit 30 Jahren entschied sie sich, in China eine Ausbildung zur Kontorsionistin (Schlangenfrau) zu absolvieren. Dafür trainierte sie sechs Monate lang acht Stunden pro Tag. 

Neben Kontorsionistin ist die Bernerin als Schauspielerin, Musicaldarstellerin, Model und Moderatorin tätig. Ihre Kostüme werden jeweils von ihrer Schwester Claudia genäht. Internationale Anerkennung erlangte sie als Finalistin in TV-Talentshows in der Schweiz, Frankreich, den USA, Deutschland und in Italien und 2013 tourte sie mit dem Zirkus Knie.

Am internationalen Artistik-Festival «Artistika Hope» wurde sie für ihr Lebenswerk ausgezeichnet. Nina Burri ist geschieden. Sie lebt mit ihrem Partner Marco Desimoni seit Anfang Jahr in Lachen SZ.

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