Marquis de Sade war Franzose. Er hinterliess uns das „S“ und einschlägige Literatur. Das war im 18. Jahrhundert. Leopold Ritter zu Sacher-Masoch war Österreicher, ebenfalls ein Schriftsteller. Er schrieb sich seine Gefühle über die Liebe auf seine Art vom Leib.
Ihm wurde das „M“ gewidmet. Seitdem sind über 100 Jahre vergangen. Doch erst seit wenigen Jahren wissen wir alle, was SM wirklich ist. Wie man’s macht oder mit sich machen lässt, das zeigt uns Hollywood. Endlich!
120 Minuten SM – frei gegeben ab 16
Alles begann mit einem Roman. Oder richtiger: einer Roman-Trilogie. Die Bücher führten diverse Bestsellerlisten an, wurden millionenfach verkauft und erfreuen sich immer noch einer gewissen Verführungskunst.
Unter Freundinnen wurde das Werk als erotische Bettlektüre weiterempfohlen. Mit eindeutig-zweideutigem Augenzwinkern, dass das Lesen sehr viel Spass machen kann. Muschi-zu-Muschi-Propaganda, sozusagen.
Bei noch besseren Freundinnen wurden die Bände nach und nach weitergereicht. Mit der strengen Vorgabe, die erfolgreichen (und Erfolg versprechenden) Romane zurückzugeben – sobald man fertig wäre. Wie auch immer das gemeint war.
Für manche war bereits das Lesen bis zur letzten Seite ein zutiefst masochistischer Akt. Für die meisten jedoch die pure (Lese-)Lust. Und damit sind wir eigentlich schon längst mitten im Thema.
Es war einmal …
… eine hübsche Studentin und ein Multimillionär. Sie wusste noch nicht wie schön es sein kann, einem Mann zu gehorchen. Er wusste bereits wie erregend Macht ist – im Business und im Bett.
Natürlich lieben sie sich – irgendwie. Natürlich gibt es Probleme – von Anfang an. Natürlich gibt es Seligkeit und tiefe Trauer. Mal wollen sie sich. Dann wieder nicht. Und wie in einem richtigen Märchen gibt es sogar eine böse, böse Stiefmamma: seine dominante Ex.
Der grosse Unterschied zu den Fantasien unserer Früh-Teenie-Zeit? Damals träumten wir vom Prinzen mit weissem Pferd. Nun von einem gut gekleideten Hengst, der seine Prinzessin reiten will.
Mit Gerte. Durch ihn entdecken wir dann auch, was wir noch nicht kannten: unsere „innere Göttin“. Das ist bestimmt auch viel besser als irgendwann Königin sein. Man regiert nicht, man wird angebetet.
Fiktion ohne hohes C
Zugegeben, wir alle lieben ein gutes Finale. Im Film, im Buch, im Leben, im Bett. Das ist nicht immer ganz so einfach. Was bei den letzten beiden durchaus komplett scheitern kann, läuft im Film und im Buch perfekt: Wir sind Voyeure eines grossartigen Happy Ends.
Ein rein fiktives, versteht sich. Absolut ungewöhnlich, erstaunlich fantasievoll und viel besser als ein Orgasmus, der einfach nicht mehr aufhören will: Es ist eine Hochzeit. Nicht in S, nicht in M und nicht SM.
Dafür in XXL: mit Platin-Ehering und sündhaft teuren Schuhen, mit pinkfarbener Korsage und weissen Seidenstrümpfen. Und die Hochzeitsnacht findet in 35.000 Fuss Höhe statt. Wahrlich ein echter Höhepunkt! Für jeden Dom und jeden Sub in spe, für Christian und Anastasia, für Sie und für mich. Wow …
Das Höchste der Gefühle …
Wo bleibt der Dildo zum Buch? Oder die kleine Peitsche? Kein Grund zur Sorge. Man muss in keinen Sexshop und auch keinen Versandhandel wählen, der nicht mit der Autorin unter einer Decke steckt.
Natürlich bietet das Merchandising all die Accessoires, die man für ein erfülltes Sex-Leben in 50 Tonarten Grau braucht, um das 51. Grauen im Bett innerhalb der letzten zehn Jahre endlich zu vertreiben.
Als Einsteigermodell für die dunkelsten Fantasien seien die hübschen Augenmasken empfohlen. Natürlich für Sie und für Ihn – fast so wie im Film. Handschellen dürfen ebenfalls nicht fehlen. Klar! Auch Kondome und Wein laden uns ein, so richtig harten Sex zu haben.
Wer hätte das gedacht? Ach ja, den Kuschelteddy für danach, den gibt es natürlich auch. Im grauen Anzug und mit Krawatte als limited edition. Ist das nicht süss?
Keine 50 Grautöne.
Würde man in der Szene nachsehen, dann wäre die einzige augenfällige Farbe Schwarz. Und da Grautöne auch immer ein wenig mit Grauzonen assoziiert werden: Dort gibt es keine Grauzone, sondern ganz klare Regeln.
Bei allen SM-Praktiken oder heute eher BDSM – die Abkürzung für Bondage & Discipline, Dominance & Submission, Sadism & Masochism – werden die Beteiligten emotional nicht unter Druck gesetzt, sondern sind absolut freiwillig am Start.
Von Anfang an. Sie begeben sich für eine festgesetzte Zeitspanne aus einem Zustand der Gleichberechtigung in ein erotisches Rollenspiel: Der eine dominiert, der andere unterwirft sich.
Die Spielarten von BDSM sind so individuell wie die Teilnehmer und ihre jeweiligen Bedingungen. Wirklich gezwungen wird niemand. Zu nichts. Um etwas zu beenden, gibt es Handzeichen oder ein Codewort.
Was für wen normal ist oder was schon zu weit geht, ist bei BDSM-Praktikern genauso Geschmackssache wie die richtige Prise Salz in der Suppe. Doch wer will wirklich so genau wissen, mit welchen Gruselmasken, mit wie viel Haken und Ösen oder welchen Schlägen wohin in den entsprechenden Kreisen agiert wird.
Das bleibt nach wie vor irgendwie „Bäh-Bäh“. Eine echte Enttabuisierung von BDSM hat die Trilogie nicht bewirkt. Sonst wäre der Film auch kein Kassenschlager, sondern eine kaum bekannte Independent-Produktion.
Doch was macht den Film so fesselnd? Was zieht uns wirklich an?
Mein Wille geschehe. Oder doch lieber Deiner?
Spätestens seit dem Buch brauchen wir keine eigene Fantasie mehr. Wir wissen, was wir schon immer wollten. Spätestens seit den Verfilmungen dürfen wir alle mitreden. Wir wissen endlich Bescheid. Im Baumarkt schauen wir begierig auf Kabelbinder und Klebeband.
Beim Gemüsehändler auf saftig-schöne Melonen und kräftig wohlgeformte Möhren. Ganz schön verrucht, wer die Schlafmaske vom Langstreckenflug beim Aussteigen nur hochschiebt wie ne Sonnenbrille.
Ganz schön verdorben, wer den andren dazu zwingt, Opern zu hören statt Volksmusik. Ist es nicht herrlich erregend, dass SM so einfach in unseren grauen Alltag integriert werden kann? Oder habe ich da jetzt was missverstanden?