Im Teich der Spendenorganisationen tummeln sich immer mehr Fische. Eine junge NPO, die sich ihren Platz trotzdem hat erkämpfen können, ist der Förderverein für Kinder mit seltenen Krankheiten. Gründerin Manuela Stier erklärt, worauf es ankommt, um sich durchsetzen zu können.
Über zwei Milliarden Franken Spenden haben die Schweizer Hilfswerke 2020 nach Angaben der Stiftung Zewo und der Universität Fribourg erhalten. Zehn Prozent mehr hat die Schweizer Bevölkerung im vergangenen Corona-Jahr gespendet als im Jahr zuvor, insgesamt war es über eine Milliarde Franken.
Nicht nur das Spendenvolumen hat sich in den letzten Jahren stetig erhöht, auch die Zahl der Hilfswerke steigt konstant an. Ende 2020 gab es in der Schweiz fast 500 Zewo-zertifizierte Non-Profit-Organisationen (NPO).
Für Spendenwillige ist es entsprechend nicht einfach, sich im Dschungel der NPO zurechtzufinden und sich zu entscheiden, welche man finanziell unterstützen möchte.
Lieber eine etablierte und weltweit agierende Institution wie WWF, Amnesty International oder Save the Children? Oder lieber eine kleinere, national agierende Organisation, beispielsweise die Brühlgut Stiftung oder den Verein Freethebees?
Wie also kann eine neue NPO sich überhaupt noch Gehör verschaffen, genügend GönnerInnen und Spenden generieren, um den betroffenen Personen, Tieren oder Pflanzen ein Angebot und Leistungen zur Verfügung zu stellen, um den eigenen Ansprüchen gerecht zu werden?
Selten, aber nicht in jeder Hinsicht
Eine Organisation, die seit ihrer Gründung 2014 einen steilen Aufstieg hinter sich hat, ist der Förderverein für Kinder mit seltenen Krankheiten, kurz KMSK. In den vergangenen rund siebeneinhalb Jahren hat der Verein circa 1.5 Millionen Franken finanzielle Direkthilfe an betroffene Familien leisten können und mehr als 6200 Familienmitglieder an kostenlose Familienevents eingeladen. Er zählt rund 615 Familien im KMSK Familien-Netzwerk.
Gegründet wurde der Förderverein von Manuela Stier, PR-Beraterin und Expertin in strategischer und integrierter Unternehmenskommunikation. «Als ich 50 war, spürte ich, dass es mehr gibt im Leben, ich helfen möchte», erklärt die Zürcherin ihre Motivation.
Stier lernte eine Familie mit einem Kind kennen, das an einer seltenen Krankheit leidet. Sie habe dann Schritt für Schritt realisiert, wie anspruchsvoll und hürdenreich der Alltag einer betroffenen Familie aussieht.
So sind Arzt-, Spital- und Therapiebesuche oft an der Tagesordnung und viele der Betroffenen benötigen lebenslang Unterstützung. «Ich begann, mich mit seltenen Krankheiten verstärkt zu beschäftigen und realisierte, wie viele Betroffene es gibt», sagt Stier.
Tatsächlich sind in der Schweiz rund 350’000 Kinder von einer seltenen Krankheit betroffen, was fast fünf Prozent aller Kinder entspricht. Hierzulande sind total um die 500’000 Menschen von den Folgen einer seltenen Krankheit betroffen, von denen es rund 8000 verschiedene gibt. Als selten gilt eine Krankheit, wenn weniger als 1 von 2000 Personen davon betroffen ist.
Nur einen Tag pro Jahr sichtbar
«So habe ich mich dazu entschieden, einen Förderverein für diese Kinder und Familien zu gründen», sagt Stier. Sie blickt auf die Anfänge zurück, wie sie den Verein Schritt für Schritt in der Welt der NPO etablierte.
«Ich war seit 2006 Verlegerin und Chefredaktorin des Wirtschaftsmagazins, wusste also, was es bedeutet, Menschen und Institutionen eine Stimme geben zu können und was es heisst, Resonanz zu generieren.»
Ihr fiel auf, dass Menschen mit einer seltenen Krankheit kaum sichtbar waren und auch nicht auf eine Lobby in ihrem Rücken zählen können. Einzig einmal jährlich zum Tag der seltenen Krankheiten Ende Februar erhielten die Betroffenen eine mediale Plattform und wurden ihre Anliegen in eine breitere Öffentlichkeit transportiert.
«Als Branding-Spezialistin wusste ich, wie ich kommunikativ vorgehen muss, damit der Förderverein wahrgenommen wird. Davor ging es jedoch darum, ein kompetentes und motiviertes Vorstandsteam zusammenzustellen.»
Unter anderem konnte Stier Thierry Carrel, Herzchirurg an der Klinik für Herzchirurgie des Unispitals Zürich, als Vereinspräsident gewinnen. Nach wie vor Vorstandsmitglied, wurde 2020 Anita Rauch, Direktorin am Institut für Medizinische Genetik an der Universität Zürich, zu Carrels Nachfolgerin ernannt. Manuela Stier selbst amtet als Geschäftsleiterin.
Wie NPO Erfolg haben können
Sie ist überzeugt davon, dass eine nachhaltige und kohärente Kommunikation ein entscheidender Erfolgsfaktor für ein NPO ist.
Sie weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die drei zentralen Ziele des KMSK seit der Gründung dieselben geblieben sind und man sich nach wie vor daran orientiert: finanzielle Direkthilfe für Betroffene, betroffene Familien verbinden sowie die Öffentlichkeit und Fachpersonen sensibilisieren und informieren.
Für sämtliche Bereiche kann Stier konkrete (Zwischen)ziele nennen, die seit der Gründung erreicht werden konnten.
So wird Betroffenen finanziell unter die Arme gegriffen, indem der KMSK beispielsweise die Mittel für ein E-Bike oder ein Lastenfahrrad zur Verfügung stellt, damit für die Familie Veloausflüge wieder möglich werden oder es werden Therapieangebote ermöglicht, die von der Krankenkasse und der IV nicht gedeckt sind.
Öffentlich präsent ist der Förderverein unter anderem durch Fachbeiträge in verschiedenen Medien. Dabei sollen die Betroffenen und ihre Geschichte im Vordergrund stehen, wie Stier betont.
«Von einem Grossteil der seltenen Krankheiten haben die meisten Menschen noch nie was gehört. Durch die Familien bekommen seltene Krankheiten ein Gesicht und es wird ihnen ein Teil der Abstraktheit genommen», erklärt Stier.
Facebook-Gruppe verbindet betroffene Familien
Was das Vernetzen der Familien angeht, verweist Manuela Stier unter anderem auf die vom Förderverein initiierte geschlossene Facebook-Gruppe, wo sich 520 Eltern austauschen und gegenseitig helfen können. Facebook ist auch Stiers bevorzugte Social-Media-Plattform, um Familien anzusprechen, neu Betroffenen aufzuzeigen, dass sie nicht alleine sind.
Die sozialen Medien spielen für NPO eine immer wichtigere Rolle, Präsenz zeigen ist Pflicht. Stier weiss, dass sich die verschiedenen Plattformen eignen, um unterschiedliche Interessengruppen anzusprechen. Während auf Facebook wie erwähnt der Fokus auf Familien liegt, nutzt Stier LinkedIn, um potenzielle UnterstützerInnen anzusprechen.
«Die Erfahrung hat gezeigt, dass es wesentlich einfacher ist, GönnerInnen von seiner Sache zu überzeugen, wenn man konkrete und fassbare Projekte präsentieren kann und wie man das Geld einsetzen möchte.» Ausserdem müssten die Plattformen regelmässig bespielt werden, um aufzuzeigen, dass Ideen effizient und zeitnah umgesetzt werden.
Mittlerweile mit eigener Crowdfunding-Plattform
Stier betont, dass auch «traditionelle» Kanäle für Spendenorganisationen nach wie vor wichtig sind. So setzt der Förderverein immer wieder auf Sensibilisierungskampagnen, für welche GönnerInnen gesucht werden. Und auch das klassische Mailing sei für NPO immer noch relevant.
Was Partnerschaften anbelangt, seien dieselben Kriterien entscheidend wie generell bei der Führung einer NPO: Kontinuität, Authentizität und Transparenz. Selbstredend sei es zu Beginn harte Arbeit, bis man seinen Weg gefunden, den Bekanntheitsgrad gesteigert hat und die für die Organisation passendsten Kanäle bespielt.
So habe man im ersten Jahr realisieren müssen, dass ein Stand an der Züspa (wurde gespendet) keine nachhaltig wirkende Plattform ist. «Es ist ausserdem wichtig, auf die Rückmeldungen der betroffenen Familien einzugehen.
So wurden wir darauf aufmerksam gemacht, dass es toll wäre, wenn wir eine eigene Crowdfunding-Plattform betreiben würden», erzählt Stier. Gehört und innert dreier Wochen umgesetzt. Nun findet sich auf der KMSK-Webseite eine eigene Crowdfunding-Plattform, wo für Familienprojekte gesammelt wird.
Manuela Stier ist stolz darauf, dass ein grosser Teil der Einnahmen für die Unterstützung der Familien verwendet werden kann, da Werbeaktionen oder Events meist von Gönnern finanziert werden.
Die Veranstaltungen seien sowieso jeweils ein Highlight – zu sehen, wie die betroffenen Familien die Krankheit und Herausforderungen einen Moment lang vergessen und sich pure Lebensfreude in ihren Gesichtern widerspiegelt.
Inklusionshürden sind weiter da
«Ich bin überzeugt, dass unser Förderverein etwas bewirkt und das Bewusstsein für seltene Krankheiten erhöht hat», sagt Stier. Dies zeige sich nur schon anhand dessen, dass immer mehr potenzielle Partner und Gönnerinnen auf den KMSK zukämen.
Trotzdem gebe es noch viel zu tun, um das Verständnis für seltene Krankheiten weiter zu schärfen. So komme es immer wieder vor, dass Schulen die Geschwister des kranken Kindes nicht für einen stationären Reha-Aufenthalt freigeben, obwohl dort eine schulische Ausbildung möglich wäre.
Um die Inklusion zu fördern, publizierte der Förderverein für Kinder mit seltenen Krankheiten bereits vier KMSK-Wissensbücher «Seltene Krankheiten», in denen bisher 68 betroffene Familien über das betroffene Kind und ihren Alltag berichten.
Die vierte Ausgabe «Seltene Krankheiten – Psychologische Herausforderungen für Eltern und Geschwister» kann ab Ende Oktober kostenlos bestellt oder heruntergeladen werden.
Für die betroffenen Familien seien die Wissensbücher wichtig, um sich in den Geschichten anderer Familien wiederzuerkennen und so Kraft zu tanken und um zu lernen, mit bestimmten Situationen umzugehen, so Stier.
Kürzlich besuchte übrigens Mona Vetsch im Rahmen der Sendung «Mona mittendrin» einen KMSK-Familien-Event in Romanshorn und lernte so 26 betroffene Familien kennen.
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