Der kantonale Richtplan legt in den Grundzügen fest, wie sich der Kanton und die Gemeinden langfristig räumlich entwickeln sollen. Dabei geht es um die Zukunft des Natur-, Landwirtschafts-, Siedlungs-, Wirtschafts- und Erholungsraums.
Da sich die unterschiedlichen Ansprüche an die begrenzte Ressource Boden teilweise widersprechen, ist oftmals eine Interessenabwägung erforderlich.
Im Interview spricht René Hutter, Kantonsplaner / Leiter Amt für Raum und Verkehr
René Hutter, seit 20 Jahren leiten Sie die Fachgebiete der Kantonalplanung, der Koordinationsstelle Baugesuche, des Natur- und Landschaftsschutzes und der Gesamtverkehrsplanung. Welches waren die einschneidenden Veränderungen, die Sie in den letzten Jahren wahrgenommen haben?
Vielleicht ist die spektakulärste Wahrnehmung in den letzten 20 Jahren etwas, das sich nicht verändert hat: Die Wege im Kanton Zug sind im Jahr 2040 immer noch kurz und direkt. Ein Telefon mit dem Regierungsrat: Jederzeit möglich. Eine schnelle Besprechung mit anderen Amtsleiterinnen und Amtsleitern: Immer offene Türen.
Die Probleme lösen wir gemeinsam und beachten dabei die unterschiedlichen Interessen, die es in jeder Verwaltung gibt. Die Diskussionskultur erlebe ich im Kanton Zug als sehr konstruktiv und lösungsorientiert. Auch gilt eine Abmachung – auch ohne Schriftlichkeit – uneingeschränkt. Das macht Freude, auch nach 20 Jahren.
2018 hat der Kanton Zug die Ämter Raumplanung (ARP), öffentlicher Verkehr (AöV) und Wohnungswesen (AWW) zum ARV zusammengeschlossen. Worin bestehen Ihre Herausforderungen?
Diese Zusammenlegung bietet die Chance, dass alle Fachleute, die sich mit Verkehrsfragen befassen, in der Baudirektion arbeiten. Neben dem Tiefbauamt, welches für die Strassen zuständig ist, kümmert sich die neu geschaffene Abteilung Verkehrsplanung im ARV mit dem Mobilitätskonzept, dem öffentlichen Verkehr, dem Rad- und Fusswegverkehr und weiteren verkehrlichen Fragen. Dank der tollen Verstärkung konnten verschiedene Themen auf mehr Köpfe verteilt werden.
Herausfordernder war sicherlich der Wechsel des Amtes für Wohnungswesen zu uns ins ARV. Wir erhielten die Stellenprozente, aber keine Mitarbeitenden, da Kurt Landis als langjähriger «Kopf» des Zuger Wohnungswesens in Pension ging.
Dank der tatkräftigen Unterstützung der bisherigen Mitarbeitenden des Amtes für Wohnungswesen gelang uns der Start gut. Dafür bin ich heute noch dankbar.
Auch hier bekamen bisherige Mitarbeitende neue Aufgaben, was im Sinne des «Jobenrichment» super ist. Nun läuft das Wohnungswesen gut und wir werden die Strategie für die nächsten 20 Jahre Wohnungswesen diskutieren.
Ja und dann hinterliess der Zusammenschluss auch ein tränendes Auge. Die bisherige Abteilung Statistik, welche wir im ARP gemeinsam mit dem Amt für Wirtschaft und Arbeit über Jahre aufbauten, wechselte in die Gesundheitsdirektion.
Der Kanton Zug ist im Vergleich zum schweizerischen Durchschnitt stark gewachsen. Dafür ist die hohe Standortattraktivität des Kantons verantwortlich. Auch die Einwohnerzahlen stiegen markant an. Wieviel Einfluss hat die Raumplanung auf dieses Wachstum?
Ganz ehrlich gesagt, wie stark der Kanton Zug wächst, liegt nicht im Einfluss der Raumplanung. Da spielen andere Faktoren wie Wohnungsmarkt, Erreichbarkeit, Arbeitsplätze und Steuern die wichtigere Rolle. Wir verstehen uns als diejenigen, welche dieses Wachstum haushälterisch in den Raum umsetzen.
Zentral sind dynamische, sich verdichtende Stadtlandschaften und in 5 km Entfernung ruhige Räume auf dem Zugerberg, am Zugersee-Westufer oder im Reussspitz.
Hier leisten wir einen Beitrag für den Erhalt unserer wunderschönen Kultur- und Naturlandschaften. Sei dies mit den vielen Naturschutzgebieten, der Freihaltung des Zugerseeufers oder unseren baulichen Ansprüchen an Bauten ausserhalb der Bauzone.
Auch bei der Frage, ob alle zuziehenden Einwohner*innen in Einfamilienhäusern und damit viel Fläche pro Person konsumieren, oder in verdichteten Siedlungen wohnen, spielt die Raumplanung mit dem kantonalen Richtplan eine entscheidende Rolle.
Da spricht der Zuger Kantonsrat seit 2013 eine klare Sprache: Es gibt keine grossflächigen Neueinzonungen mehr! Oder anders, die Siedlungen müssen kompakt bleiben und sich auf den bestehenden Bauzonen arrangieren.
Kompakte Siedlungen am Beispiel des Bebauungsplanes der Papierfabrik in Cham.
Die Aufgabe aller Kantone ist es nach der neuen Gesetzgebung die kantonalen Richtpläne zu überarbeiten. Die Anpassungen im Kanton Zug wurden unter Mitwirkung der Bevölkerung vorgenommen. Welches ist derzeit der aktuelle Stand? (Anpassungen, Eingabe Kanton, Genehmigung Regierungsrat, Umsetzung?)
Der Bundesrat genehmigte den revidierten Zuger Richtplan Ende 2019. Er bildet die räumliche Grundlage für die Gemeinden, welche in ihren Revisionen der Ortsplanung stehen. Diese müssen bis 2025 abgeschlossen sein.
Kantonal erstellen wir momentan ein Mobilitätskonzept. Dieses zeigt auf, wie wir uns im Jahr 2040 bewegen.
Keine leichte Aufgabe! Auch hier setzen wir mit Workshops und Expertengespräche auf eine breite Abstützung. Die Gespräche sind hochspannend, manchmal ernüchternd: Die Meinungen gehen in zentralen Fragen meilenweit auseinander.
Es wird die hohe Kunst des Kantonsrates bedürfen, die notwendigen Strategien für unsere Mobilität im Zuger Richtplan festzuzurren. Dies wird im Jahr 2021 der Fall sein.
Der Kanton Zug möchte langsam wachsen und den Wohlstand halten. Wie wirkt sich dies auf das bestehende Siedlungsgebiet aus?
Der Kantonsrat beschloss 2019, dass er im Kanton Zug von einem mittleren Wachstumsszenario ausgeht. Konkret: Die Einwohnerzahl soll von 124’000 Einwohner*innen auf rund 148’500 im Jahr 2040 wachsen.
Bei den Beschäftigten sieht er ebenfalls ein Plus von rund 25’000 Beschäftigten im Jahr 2040.
Damit würden rund 130’000 Menschen im Kanton Zug arbeiten. Das Verhältnis der Arbeitsplätze zu den Einwohnerinnen und Einwohner zeigt, dass wir auch in Zukunft ein Arbeitsplatzmagnet bleiben.
Damit verbunden: Grosse Pendlerströme jeden Tag in den Kanton Zug. Da soll das Mobilitätskonzept neue Wege für die Bewältigung dieser Ströme aufzeigen.
Aufgrund unserer Abschätzungen kann dieses Wachstum in den heutigen rechtsgültigen Bauzonen stattfinden. Es braucht eine Verdichtung von heute bestehenden Gebieten.
Was die Berechnungen auch zeigen: Sollte der Kanton Zug stärker wachsen (z.B. ein Szenario mit 165’000 Menschen), reichen unsere Bauzonen mittelfristig nicht aus. Dann müsste die nächste Generation über Neueinzonungen oder einen weiteren «Dichtesprung» in unseren Siedlungsgebieten diskutieren.
Heisst dies Förderung der Verdichtung im bestehenden Baugebiet und an gut erschlossenen Lagen?
Ja, dies ist die Lösung für unseren Wachstumskanton. Dabei ist wichtig und vom Kantonsrat ausdrücklich festgelegt: Nicht überall soll verdichtet werden, sondern an den besten mit dem öffentlichen Verkehr und tollen Radwegen erschlossenen Gebieten.
Auch landschaftliche Aspekt sind wichtig: Gegen ein Hochhaus auf dem Siemensareal gab es keine Einsprachen, gegen ein Hochhaus auf dem ehemaligen Kantonsspitalareal lief die Bevölkerung Sturm.
Diese Beispiele zeigen, die Gemeinden müssen nun in den Ortsplanungen die gut geeigneten Gebiete festlegen. Mit den Verdichtungsgebieten im Zuger Richtplan zeigte der Kantonsrat die Stossrichtung auf.
Die Stadt Zug revidiert derzeit ihre Ortsplanung, um bis 2040 Platz für 15’000 zusätzliche Einwohner und 9000 neue Arbeitsplätze zu schaffen. Es wurde eine Online-Mitwirkungsplattform für die Bevölkerung eingerichtet. Wir kann man sich die Priorisierung vorstellen, wenn so viele Meinungen und Ansichten zusammentreffen?
Diese Fragen stehen nicht nur in der Stadt Zug an. Alle elf Gemeinden arbeiten an ihrer räumlichen Entwicklung. In einem ersten Schritt ist ein räumliches Bild der Gemeinde zu schaffen.
Darin lassen sich die strategisch zentralen Fragen grob aufzeigen: Wo und wie stark verdichten? Wo bewusst keine Verdichtung zulassen? Wie lässt sich der Verkehr mit dieser Verdichtung in Einklang bringen? Und viele weitere Fragen zur Schulraumplanung oder zum Landschaftsschutz.
Mit der breiten Mitwirkung lässt sich der Puls der Bevölkerung fühlen. Schlussendlich muss in der Stadt Zug dann der Stadtrat und der Grosse Gemeinderat politisch entscheiden, wo die Reise hingeht. In allen elf Gemeinden wird der Souverän das letzte Wort haben: JA oder NEIN zur räumlichen Zukunft ihrer Gemeinde!