Leonardo Genoni kam vor gut einem Jahr nach Zug, um mit dem EV Zug Schweizer Meister zu werden. Doch die Coronapandemie machte dem Torhüter einen Strich durch die Rechnung, die Saison wurde vorzeitig abgebrochen. Nun nimmt er einen neuen Anlauf, die Meistertrophäe erstmals seit 23 Jahren wieder in die Kolinstadt zu bringen – dies unter ganz besonderen Voraussetzungen.
EVZ-Goalie Leonardo Genoni ist mit seinen 33 Jahren weit davon entfernt, als Hockey-Methusalem zu gelten. Trotzdem liest sich sein Palmarès bereits wie dasjenige eines Champions, der seit 20 Jahren übers Eis der hiesigen Hockeytempel gleitet.
Fünfmal (dreimal mit Davos, zweimal mit Bern) wurde der dreifache Familienvater bereits Schweizer Meister, viermal wurde er als bester Torhüter der Liga ausgezeichnet. 2018 wurde er in Dänemark ausserdem Vize-Weltmeister.
Vor Jahresfrist wechselte der Zürcher vom SC Bern an den Zugersee. Der Wechsel schlug hohe Wellen, die sich mittlerweile gelegt haben. Genoni lässt die Leistungen auf dem Eis für sich sprechen. Bis zum abrupten Saisonende nach der Qualifikation aufgrund der Coronapandemie zählte er die meisten Shutouts der Liga.
Ausserdem stand die Heim-WM vor der Tür, die jedoch Ende März abgesagt werden musste. Längst hat der in Kilchberg wohnhafte Genoni den Blick nach vorne gerichtet. Wir haben Leonardo Genoni zum Saisonstart im Spitzensport-Zentrum OYM zum Gespräch getroffen.
Herr Genoni, wie beurteilen Sie die bisherigen Vorbereitungsspiele? Am Lehner Cup lief es zumindest resultattechnisch nicht nach Wunsch. Gegen den HC Davos habt ihr hingegen ein anderes Gesicht gezeigt.
Am Lehner Cup wurden wir etwas überrascht, womöglich auch durch unseren Erfolg an diesem Turnier im vergangenen Jahr. Die beiden Niederlagen gegen Rapperswil-Jona und Ambrì-Piotta waren ein Weckruf. Es ist klar: 90 Prozent Einsatz reichen gegen keinen Gegner. Gegen Davos konnten wir hingegen umsetzen, was wir uns vorgenommen hatten.
In welchen Bereichen sehen Sie noch Luft nach oben?
Die Vorbereitung ist auch da, um Fehler zu machen – sie jedoch anschliessend auszumerzen. Verbesserungspotenzial gibt es bei den Special Teams sowie bei der defensiven Zuordnung. Um die Offensive werden wir uns kaum Sorgen machen müssen. Wie gefährlich die Jungs da vorn sind, wissen wohl alle.
Müsste Ihrer Meinung nach in der Defensive personell noch nachgebessert werden? Ihr habt beispielsweise durch den Abgang von Johann Morant an Wasserverdrängung eingebüsst.
Auf der anderen Seite haben wir durch Nico Gross, Dario Wüthrich und Claudio Cadenau auch Zuzüge. Ich glaube nicht, dass wir an defensiver Qualität eingebüsst haben. Als neuer Spieler brauchst du immer eine gewisse Eingewöhnungszeit, ich kenne dies aus eigener Erfahrung. Ich bin überzeugt, dass wir auf einem guten Weg sind.
Wie wichtig ist es – gerade auch weil ihr monatelang nicht spielen konntet – dass ihr auf diese Saison hin nur wenige Mutationen in der Mannschaft gehabt habt?
Es ist sicherlich ein Vorteil. Allerdings dürfen wir niemals stehen bleiben und müssen uns stetig verbessern. Aber klar: Es ist wichtig, die vergangenes Jahr verinnerlichten Basics beizubehalten. Die Basis ist da und ich glaube, wir sind weiter als vor einem Jahr. Doch auch die anderen Klubs entwickeln sich immer weiter. Deswegen gibt es keine Garantie, dass das was letzte Saison funktioniert hat, auch diese Spielzeit zum Erfolg führen wird.
Die Zukunft bleibt ungewiss, ob die Saison nach Plan durchgeführt werden kann, ist offen. Deswegen schauen wir nochmals zurück. Wie enttäuschend war das abrupte Saisonende? Als Sportler arbeitet man ja auch mental auf einen Saisonhöhepunkt hin und dann fällt alles weg – Playoffs und Heim-WM.
Es war tatsächlich sehr speziell. Die Verarbeitung nahm einige Zeit in Anspruch, da man sich über Monate auf den Saisonhöhepunkt vorbereitet und dieser dann ersatzlos wegfällt. Insbesondere auch, da im Hinblick auf die Heim-WM bereits eine Euphorie spürbar war. Da blutete das Sportlerherz. Trotzdem: Am Ende des Tages ist es bloss ein Spiel. Auf der Welt geschahen in dieser Zeit weitaus wichtigere Dinge. Dies relativiert alles wieder.
Im Eishockey wird dieses Gefühl der Leere durch den Modus noch verstärkt: Nach 50 kräftezehrenden Qualifikationsspielen beginnt bei den Playoffs alles wieder bei null. Bei einem vorzeitigen Saisonabbruch kann man sich entsprechend nichts vom geleisteten Effort kaufen.
Wir haben uns immerhin für die Champions Hockey League qualifiziert. Dies sollte man nicht kleinreden. Wir Spieler schätzen diesen Wettbewerb sehr, können uns gegen europäische Topteams messen. Zudem schweissen die Reisen die Mannschaft zusätzlich zusammen. Für den Verein ist die CHL finanziell leider noch nicht ganz so lohnenswert.
Waren Sie überrascht, wie rasch zahlreiche Sportvereine in finanzielle Schieflage geraten sind, da ein Spielbetrieb – mit Publikum – über Monate nicht möglich war?
Es wurden ja nicht bloss die Sportvereine hart getroffen, sondern die gesamte Wirtschaft geriet in Schieflage. Aber ich war tatsächlich etwas überrascht, wie eng alles miteinander verknüpft ist, obwohl man dies in der Theorie natürlich weiss (Leonardo Genoni besitzt einen Masterabschluss in Betriebswirtschaftslehre, Anm. d. Red.). Bezogen auf den Schweizer Sport hoffe ich, dass sich die Schäden im Rahmen halten werden. Abschätzen kann man dies aktuell noch nicht.
«Ich wechselte nach Zug, weil ich eine neue Herausforderung suchte – und habe diese definitiv gefunden»
Könnte sich dadurch im Schweizer Eishockey strukturell etwas ändern, was Einnahmen und Ausgaben der Vereine anbelangt? Beispielsweise wird das Thema Salary Cap nun intensiv diskutiert.
Ich denke schon, denn ein finanziell gesunder Sport ist im Interesse aller. Sollten Veränderungen nötig werden, würde ich dies absolut mittragen. Meine Hoffnung ist, dass der Schweizer Sport keine langfristigen Schäden davontragen wird und, bezogen auf das Hockey, dass die hohe Qualität erhalten bleibt. Gewisse Dinge müssen angesprochen werden, um das Premiumprodukt Schweizer Eishockey stärken zu können.
Nach aktuellem Stand dürfen die Stadien zu zwei Dritteln gefüllt werden. Dies ist ein Fortschritt zu den Geisterspielen zum Ende der Qualifikation. Doch ist klar, dass beispielsweise ohne Stehplätze die Stimmung nicht dieselbe sein wird. Wie sehr nimmt man als Spieler auf dem Eis die Fans wahr?
Ich dachte immer, ich nehme den Unterschied, ob ich in einem vollen oder einem (fast) leeren Stadion spiele, nicht gross wahr. Doch dann folgten die letzten beiden Qualispiele vor leeren Rängen und es war echt krass – im negativen Sinne. Die Freude am Spiel war nicht die gleiche. Unter diesem Gesichtspunkt war ich fast froh, wurden die Playoffs abgesagt, denn ohne die Emotionen von den Rängen hätte ein wichtiges Element gefehlt.
Diskutiert ihr innerhalb der Mannschaft die aktuellsten Entwicklungen, beispielsweise wenn der Bundesrat einen Entscheid zur erlaubten Stadionauslastung fällt?
Auf jeden Fall. Ich frage mich, ob wir die Saison überhaupt in Angriff genommen hätten, wenn die Stadien hätten leer bleiben müssen. Die Klubs hätten sich die Frage stellen müssen, ob es sich rechnen würde. Wir Spieler hingegen haben nicht wirklich etwas zu sagen diesbezüglich. Während des Wartens auf den Bundesratsentscheid war eine gewisse Hilflosigkeit spürbar. Alles was wir tun konnten, war, normal zu trainieren.
Wie schauen Sie auf Ihre erste Saison mit dem EV Zug zurück?
Durch den vorzeitigen Saisonabbruch fällt eine Beurteilung nicht leicht. Ich wechselte nach Zug, weil ich eine neue Herausforderung suchte – und habe diese definitiv gefunden. Ich konnte mich weiterentwickeln und freue mich auf jedes Spiel mit dem Klub, was mich bestärkt, den richtigen Entscheid getroffen zu haben.
Persönlicher Tiefpunkt war die Adduktorenverletzung, die ich im November erlitten hatte. Ich war zuvor in meiner Karriere erst einmal verletzt, weswegen ich daran entsprechend zu beissen hatte. Auf der anderen Seite konnten wir die Qualifikation auf dem zweiten Rang abschliessen – das Soll haben wir damit erreicht.
Ihr könnt seit Mai hier im Spitzensport-Zentrum OYM in Cham trainieren. Wie ist das Training in diesem riesigen Komplex?
Das Training auf dem Eis hat sich nicht gross verändert. Der grosse Vorteil ist, alles unter einem Dach zu haben. Die Wege sind dadurch kürzer und die Kommunikation direkter. Der Komplex ist sehr beeindruckend. Gefühlt entdecke ich immer noch jeden Tag einen neuen Raum. Ausserdem hat bei unserem ersten Training am 11. Mai bereits jedes Detail funktioniert.
Während des Lockdowns hingegen mussten Sie zuhause trainieren. Die Einheiten konnten Sie wohl kaum gleich intensiv gestalten. Wie lange hat es gedauert, bis Sie physisch wieder Ihr absolutes Topniveau erreicht haben?
Zu Beginn des Lockdowns war die Weltmeisterschaft noch nicht abgesagt. Deswegen fiel ich gar nicht erst in eine Erholungsphase wie es nach dem Saisonende für ein bis zwei Wochen üblich ist. Ich setzte mein Training zuhause fort, mit weniger Material muss man bloss ein bisschen kreativer sein.
Einzig das spezifische Training für bestimmte Muskelgruppen war nicht möglich. Durch den verspäteten Saisonstart ist ein Trainingsrückstand mittlerweile sowieso kein Thema mehr. Ausserdem erlaubte uns die verlängerte Vorbereitung ein intensiveres Training in taktischer und technischer Hinsicht.
Während des Lockdowns konnten Sie mehr Zeit zuhause mit Ihrer Familie verbringen. Wie sehr könnten Sie sich an ein solches Leben gewöhnen oder ist es nichts für Sie, nur zuhause zu sitzen?
Es gibt beide Seiten. Natürlich geniesse ich die Zeit zuhause mit meiner Familie sehr. Auf der anderen Seite liebe ich das Hockeyspielen. Es ist klar: Irgendwann ist man froh, wenn wieder ein gewisser Alltag einkehrt.
Gibt es Projekte, für die Sie als Hockeyprofi noch keine Zeit haben, die Sie allerdings gerne in Angriff nehmen würden, sobald Sie den Helm an den Nagel gehängt haben?
(Überlegt). Meist nehme ich mir die Zeit für die Umsetzung, wenn ich mir für neben dem Eis etwas vornehme. Ein konkreter Plan für nach der Karriere existiert hingegen noch nicht. Ich hoffe doch, noch ein paar Jahre als Spieler vor mir zu haben. Ich bin nach wie vor enorm motiviert und suche stets die Herausforderung.