Michelle Kalt hat als Stand-up-Comedian und «TV-Anwältin» bei «Deville» ihren Namen auf der Schweizer Comedy-Landkarte eingetragen. Wir haben die Zugerin zum Gespräch getroffen.
Marcello Weber bespielte an der Seite von Marco Rima als «Cabaret Marcocello» vor rund 30 Jahren die Bühnen der Schweiz, erlangte national Bekanntheit. Müsste man den heute 62-Jährigen mit drei Attributen beschreiben, würde man vermutlich bei Comedian, Anwalt und Zuger landen.
Eine ungewöhnliche Kombination. Aber keine einzigartige. Denn auch Michelle Kalt beansprucht dieses Trio an Begriffen für sich. Die 31-Jährige ist als Stand-up-Comedian unterwegs, ordnet als «TV-Anwältin» in der SRF-Satiresendung «Deville» auf humorvolle Art juristische Fragen ein, arbeitet in einer Zürcher Anwaltskanzlei und schreibt nebenbei ihre Doktorarbeit.
Frau Kalt, Ihre Auftritte bei «Deville» sind nicht ohne. Denn als «TV-Anwältin» verbreiten Sie Informationen.
Sie sprechen unsere Folge vor der Abstimmung zur Konzernverantwortungsinitiative an und die anschliessende Rüge der Ombudsstelle. Naja, normalerweise schlägt es weniger hohe Wellen, wenn wir in unserer Sendung Informationen einfliessen lassen. Was mich als TV-Anwältin anbelangt, ist es tatsächlich so, dass meine Beiträge inhaltlich korrekt sein müssen – natürlich erhöht und simplifiziert.
Ihre Auftritte bei «Deville» dauern jeweils knapp drei Minuten. Wie viel Zeit nimmt die Vorbereitung in Anspruch?
Dies ist sehr unterschiedlich. In der Frühlingsstaffel erfuhr ich jeweils am Dienstagabend das Thema, zu welchem ich einen Beitrag verfassen muss. Am Mittwoch schrieb ich den ersten Entwurf und am Donnerstagabend stand die Nummer schlussendlich. Alles in allem nahm die Vorbereitung rund eineinhalb bis zwei Arbeitstage in Anspruch.
In der vergangenen Staffel war ich auch Teil des Autorenteams. Von Dienstagnachmittag bis Mittwochabend oder sogar Donnerstagmittag war ich entsprechend mit anderen Themen beschäftigt, weswegen ich mich der Rolle als TV-Anwältin erst ab Donnerstagnachmittag widmen konnte.
So war es teilweise gar nicht mehr möglich, mehr als einen Arbeitstag dafür zu investieren. Die Vorbereitungsdauer hängt natürlich auch von der Komplexität des Themas ab.
Gibt Dominic Deville immer selbst ein Feedback zu Ihrem ersten Entwurf?
Absolut. Dieses kann von «fast nichts ändern» bis «bitte eine etwas andere Richtung einschlagen» reichen. Mit anderen Worten, sein Input variiert recht stark, ist aber immer sehr konstruktiv.
Sie sitzen für «Deville» nicht nur im Studio, sondern haben im September auch eine Corona-Demo besucht. Wie viel Überwindung hat es Sie gekostet, auf die Demonstrierenden zuzugehen?
Ich musste meine Komfortzone für diese Aktion definitiv verlassen. Das Gute war, dass ich nicht allein die Demo besuchen musste. Neben dem Kameramann waren auch zwei Autoren dabei. Während der eine für die Regie zuständig war, widmete sich der zweite der moralischen Unterstützung. Zuerst galt es, vorzufühlen, welche Demonstrierenden überhaupt mit uns reden wollen.
Wie viel Spontaneität und Konterstärke waren bei den Unterhaltungen gefragt?
Weniger als man vielleicht denkt. Wir haben uns beispielsweise auf mögliche Antworten vorbereitet und waren so in der Position, gleich mit einer Rückfrage zu reagieren.
Wird man Sie in nächster Zeit bald wieder mit Mikro in der Hand auf der Strasse Leute ansprechen sehen?
Aufgrund der Coronasituation haben wir uns entschlossen, es bis auf Weiteres bei dieser Vox pop (Zusammenschnitt von Meinungsäusserungen, Anm. d. Red.) zu belassen. Zumal wir uns bei den weiteren Vox-pop-Themen nicht sicher waren, wie gut diese funktionieren würden. Da war es uns das Risiko nicht wert, uns allfälliger Kritik auszusetzen, uns während der Coronapandemie in einer belebten Fussgängerzone unter die Leute zu mischen.
Haben Sie sich per Videostudium von Vox-pop-Auftritten von Ralf Kabelka oder Fabian Köster auf die Aktion vorbereitet?
Ich habe mir einige Videos angeschaut, doch ist das meiste meiner Meinung nach «learning by doing». Ausserdem war der Demobesuch eine ziemliche Hauruckaktion, die wir erst zwei Tage zuvor beschlossen hatten.
Insgesamt blieb nur ein halber Tag für die Vorbereitung und das Schreiben einiger Gags. Ein umfangreiches Videostudium war so natürlich nicht möglich.
Die aktuelle Staffel ist Ende Dezember zu Ende gegangen. Ist Dominic Deville schon auf Sie zugekommen, ob Sie bei einer nächsten Staffel wiederum an Bord wären?
Ja, Produzentin Marike Löhr hat mich bereits angefragt. Noch ist nichts unterschrieben, doch ich gehe davon aus, dass ich wieder mit dabei sein werde.
Sie haben via angelsächsischer Stand-up den Weg zur Comedy gefunden. Dies entspricht hierzulande nicht unbedingt dem klassischen Weg in die Comedy.
Als ich mich für Comedy zu interessieren begann, war ich mit Lernen für die Anwaltsprüfung beschäftigt. Ich sehnte mich nach Ablenkung und landete auf Youtube-Videos von Late-Night-Shows wie «The Daily Show» und «Last Week Tonight» sowie angelsächsischer Stand-up-Comedy.
Jeder kennt es: Es bleibt auf Youtube selten bei einem Video und schon findet man sich in einem Comedy-Marathon wieder. Davor war mir Stand-up kaum ein Begriff, besuchte mit meinen Eltern vielleicht alle zwei Jahre eine solche Show. In Grossbritannien geniesst Comedy auch einen ganz anderen Stellenwert.
In der Schweiz ist es in den allermeisten Firmen undenkbar, mit seinen Arbeitskollegen im Rahmen des Weihnachtsessens eine Comedy-Show zu besuchen. Auch traditionelle Comedy-Clubs gibt es hierzulande kaum. Entsprechend war die Möglichkeit, zu Beginn der Comedy-Karriere in kleinerem Rahmen nur für einige Minuten aufzutreten, bis vor Kurzem so gut wie nicht vorhanden.
Sind Ihnen durch die kulturelle und politische Nähe deutsche Late-Night-Shows respektive Satiresendungen nicht näher als amerikanische?
Was meine Stand-up-Auftritte anbelangt, spielt dies keine grosse Rolle, da ich bei meinen Auftritten viele Alltagssituationen einfliessen lasse, welche sich recht leicht von einem Sprachraum in einen anderen übertragen lassen. Ich komme nicht wirklich von einer politischen Seite her, andere beherrschen das Kommentieren des Weltgeschehens auf der Bühne definitiv besser als ich.
Bei «Deville» sind Sie politischer unterwegs. Ist dies eine Richtung, die Sie künftig grundsätzlich verstärkter verfolgen möchten bei Ihren Auftritten?
Einerseits schon. Auf der anderen Seite zielen politische Gags hierzulande immer wieder auf dieselben Akteure: Andreas Glarner, Ueli Maurer oder die FDP. Irgendwann hast du entsprechend das Gefühl, sämtliche lustigen Gedanken dazu schon einmal gehabt zu haben und bist es leid, diese Gags zu machen.
Da ist man froh, wenn jemand ausserhalb des Rampenlichts ins Fettnäpfchen tritt. Und: Es gibt bereits zahlreiche politische Comedians – man muss sich also irgendwie abheben können.
Sie haben Ihre Karriere als Stand-up-Comedian in der Kon-Tiki-Bar in Zürich begonnen. Wie war es zu Beginn für Sie, sich auf der Bühne zu exponieren?
Es ist nicht schlimmer, als in der Schule einen Vortrag zu halten.
Und viel mehr Leute, die zuhören, sind es auch nicht.
Überhaupt nicht. Deswegen rührt die Nervosität auch nicht vom Publikum her, sondern ob es inhaltlich taugt, was ich erzähle. In der Schule ist es nach einem Vortrag so oder so ruhig. Wenn es bei der Comedy hingegen still bleibt, spürst du sofort, dass deine Gags nicht funktionieren – das Feedback ist absolut unmittelbar. Entsprechend wird man eine gewisse Grundnervosität auch nie ablegen können.
Wenn wir schon bei der unmittelbaren Reaktion sind. Für viele junge Comedians gilt Stand-up auf kleinen Bühnen als Ochsentour, bevor man sich einen gewissen Namen gemacht hat und vor mehr Publikum auftreten kann. Immer mehr Junge, die einen komödiantischen Anspruch haben, setzen heute hingegen die Onlinekarte, beispielsweise via Youtube-Videos. Was ist Ihre Meinung dazu?
Es ist kaum miteinander vergleichbar. Nur schon dadurch, dass man bei einem Video beliebig viele Retakes machen kann. Auf der Bühne muss die Pointe beim ersten Anlauf sitzen. Meiner Meinung nach ist komödiantischer Erfolg auf Online-Plattformen allerdings genauso wertvoll wie als Stand-up-Comedian. Ich möchte an dieser Stelle nicht werten.
Wie läuft bei Ihnen das Witzeschreiben? Setzen Sie sich bewusst hin und sagen sich, nun muss ich etwas Lustiges schreiben oder warten Sie lieber, bis die Inspiration zuschlägt oder Sie im Alltag etwas erleben, das als Basis für einen Gag dienen kann?
Sowohl als auch. Manchmal kommt mir tatsächlich während des Spazierens etwas in den Sinn, das ich für eine Nummer verwenden möchte und notiere es kurz oder hinterlasse auf dem Handy eine Sprachnotiz. Bevor ich damit auftrete, formuliere ich die Gedanken jedoch jeweils aus. Gerade auch, weil ich oft auf Englisch auftrete.
Wie viel Theorie ist beim Gagschreiben für einen Stand-up-Auftritt oder für eine Late-Night-Sendung dabei? Gibt es bestimmte Bausteine, auf die man setzen kann?
Dies ist von Comedian zu Comedian unterschiedlich. Es gibt Personen, die sich maximal Stichworte notieren und sich im Vorfeld auch nicht gross überlegen, wie sie es präsentieren wollen. Andere lesen zuerst zehn Bücher und versuchen mit den gelernten Techniken Pointen zu schreiben. Ich selbst lese viele Bücher über Comedy, doch übernimmt manchmal trotzdem die Intuition.
Können Sie uns Laien ein paar Kniffe aus den Comedy-Lehrbüchern verraten?
Beispielsweise sollte man sich möglichst kurzhalten und die Pointen am Ende des Satzes platzieren. Und: Manche Konsonanten wie das K klingen von Natur aus witziger als andere. Grundsätzlich ist bei kurzen, knappen Witzen wie sie in Late-Night-Shows zur Anwendung kommen, mehr Technik dahinter als bei Stand-up-Comedy. Viele Comedians wenden gewisse Techniken auch unbewusst an – immerhin existierte zuerst die Comedy und die Theorie wurde erst als Reaktion darauf verfasst.
Apropos verfassen. Dürfen wir von Ihnen irgendwann ein Soloprogramm erwarten?
Unbedingt! Ursprünglich habe ich dies für 2022 geplant. Doch die Coronapandemie erschwert die Planung gleich in mehrfacher Hinsicht. Erstens was Treffen mit Leuten zum Austausch anbelangt und zweitens hinsichtlich Auftrittsmöglichkeiten.
Ausserdem sollte ich irgendwann noch meine Dissertation schreiben. Ich habe mir ursprünglich zum Ziel gesetzt, diese bis nächsten Sommer zu finalisieren, doch dürfte dies mittlerweile eng werden.
Sie können auf der Bühne sehr gut über sich selbst lachen, machen beispielsweise Scherze über Ihre geringe Oberweite. War es für Sie jemals ein Problem, vor Publikum sprichwörtlich die Hosen runterzulassen?
Eigentlich nicht. In der Comedy bist du nun mal ein Clown, darfst dich nicht über das Publikum stellen. Ich gebe mir Mühe, mich auch im Leben abseits der Bühne nicht zu ernst zu nehmen – dies wäre sowohl für mich als auch meine Mitmenschen viel zu anstrengend.
Auch über Zug und Zuger lässt sich sehr gut Witze machen. Verleiden diese irgendwann?
Ja, schon. Irgendwann sind die Gags über tiefe Steuern, Expats und Gutbetuchte recht abgehangen, zielen auf dieselben Pointen.
In welchem Kanton treffen Sie das «dankbarste» Publikum an?
In Bern sind die Leute am lockersten drauf und immer gut gelaunt. Im Gegensatz dazu sind Basler und Zürcher eher etwas zurückhaltend. Die Zentralschweizer kann ich überhaupt nicht einordnen. Wie das Publikum reagiert, ist natürlich auch immer vom Alter der Zuhörer abhängig.
Liegt es Ihnen mehr, auf Schweizerdeutsch oder Englisch aufzutreten?
Auf Englisch. Nur schon, weil es einfacher ist, kurze witzige Sätze zu formulieren. Und ich konsumiere wie erwähnt mehr Comedy auf Englisch.
Wie oft werden Sie aufgefordert, «etwas Lustiges» zu sagen, wenn Sie jemand Neues kennenlernen oder Sie erkannt werden?
Ab und an muss ich den Leuten tatsächlich erklären, dass es so nicht funktioniert. Stand-up hat mit kurzen Tischwitzen relativ wenig zu tun. Natürlich lasse ich in einem Gespräch mal einen Spruch fallen – doch nicht auf Kommando.
Waren Sie früher ein Klassenclown?
Nein, eher jene, welche aus dem Nichts einen trockenen Spruch fallen lässt.
Die Comedy-Szene in der Schweiz wird trotz ihrer überschaubaren Grösse immer lebendiger. Nur der Anteil an Frauen ist nach wie vor recht tief. Was sind Ihrer Meinung nach die Gründe dafür?
Ein möglicher Punkt ist meiner Meinung nach, dass die Frauen höhere Ansprüche an sich selbst stellen, bevor sie sich auf die Bühne trauen. Ich habe ausserdem gelesen, dass von der Sozialisierung kommend Männer beispielsweise beim Flirten darauf konditioniert werden, den ersten Schritt zu machen und sich daher Abfuhren gewohnt sind.
So nehmen sie es gelassener hin, wenn ein Witz nicht ankommt. Ob diese These stimmt, weiss ich nicht. Aber wie sagt man so schön: Innerhalb der Geschlechter gibt es grössere Unterschiede als zwischen den Geschlechtern.
Wagen wir zum Abschluss noch einen kurzen Blick in die momentan trübe Glaskugel. Wo und wann kann man Sie als nächstes live erleben? Vor Ort aktuell ja nicht…
Das müssen Sie das Virus fragen. Ich weiss es nicht, es wird wohl mindestens Februar werden. Zumal dann auch die neue «Deville»-Staffel startet. Auch bezüglich Onlineauftritt kann ich nichts Konkretes sagen.
Zwar organisiere ich mit ein paar Freunden regelmässig eine Online-Comedy-Show – doch haben wir aktuell noch kein Datum für die nächste Show, da wir jeweils von Woche zu Woche entscheiden.