Wenn Anatole Taubman nicht gerade vor der Kamera steht, schwärmt der Zürcher Schauspieler mit britischem Pass von König Fussball. Nach der Schweizer Komödie «Wanda, mein Wunder» kann man ihn bald auch als Teufel auf der Leinwand bewundern.
Herr Taubman, Sie haben als Kind für den FC Unterstrass in Zürich gespielt und sind Fan von Manchester United. Für wen haben Sie bei der Euro 2020 gefiebert?
Anatole Taubman: Auf Klubebene bin ich in der Tat religiös Fan von Manchester United und beim Land ist es England. Beides wurde mir sozusagen zur Geburt von meinem Papa mitgegeben. Ich war nach dem Finale am Boden zerstört. Auch am Tag danach war ich noch immer untröstlich.
Ab Dienstag kam dann langsam die Vernunft und leider muss ich objektiv betrachtet zugeben, dass Italien die Europameisterschaft verdient gewonnen hat. Ein Start-Ziel-Sieg. Jedes Spiel konstant und stark gespielt.
Ich dachte, ich erlebe es, dass wir nach 55 Jahren Wartezeit und Schmerz diesen Pott endlich nach Hause holen. Aber die englische Mannschaft hat wahnsinnig viel bewegt. Sicherlich kann man im Nachhinein Kritik üben, ob es richtig war, einen so jungen Spieler den entscheidenden Elfmeter schiessen zu lassen.
Ich war am Ende kurz vor dem Sauerstoffzelt, ein echter Thriller. Aber insgesamt war es ein sensationelles Turnier. Es hat viel Freude gemacht und man hatte das Gefühl, dass Europa wieder zusammenkommt.
Nach der Premiere am Zurich Film Festival letzten Herbst startete Ihr Film «Wanda, mein Wunder» im Juni regulär in den Schweizer Kinos. Wie wichtig ist das Kino für diese Art Film, sprich Komödien, für ein breites Publikum?
Ich glaube, dass ein Film im Kino laufen muss, egal welcher. Das gesamte Erlebnis zählt und das kann ein Fernseher zuhause nicht bieten. Man geht an einen Ort, sitzt gemeinsam in der Dunkelheit vor einer grossen Leinwand und lässt sich in eine andere Welt entführen.
Dieses verzaubert werden wird das Heimkino nie ersetzen können. Es wird aber immer schwieriger, die Filme ins Kino zu bringen. Gerade solche schwarzen Gesellschaftskomödien wie «Wanda, mein Wunder» sind natürlich herrlich im Kino.
Der Film hat einen richtigen Allstar-Cast mit Schauspielerinnen wie Marthe Keller. Gab es auch hinter der Kamera lustige Situationen?
Lustig war vor allem Cezary Pazura, der den Vater von Wanda spielt. Der ist nicht nur ein riesiger Fussballfan, sondern auch einer der bekanntesten Komödianten in Polen. Hinter der Kamera haben wir uns alle blendend verstanden. Das hat sicher sehr geholfen, weil die Dreharbeiten sehr intensiv waren.
Sie spielen im Film den Ehemann der ältesten Tochter der Familie. Was hat Sie an der Geschichte um die Familie Wegmeister-Gloor interessiert?
Ich fand es von A bis Z ein sehr amüsantes und originelles Drehbuch, ein echter «Pageturner». Es ist ein authentischer Einblick in die Luxusblase einer Zürcher Familie.
Die psychologischen Probleme, die unter den Teppich gekehrt wurden, kommen in solchen Extremsituationen wie grossen Familienfeiern immer wieder hoch. Dazu kommt noch die Thematik über die polnischen Gastarbeiter, die auch in Deutschland sehr verbreitet sind.
Wie viel Wahrheit steckt in der Geschichte um die Goldküstenfamilie?
Ich glaube schon, dass sich die Porträtierten hier wiedererkennen. Leute mit viel Geld leiden oft an Selbstüberschätzung und an einem Geltungsbedürfnis. Viel Geld kann die Persönlichkeitsentwicklung verändern. Es steckt schon sehr viel Wahrheit in diesem Film. Hintenraus hat man dann zwar ein Happy End, aber es hätte auch anders ausgehen können.
Zur Person Anatole Taubman (50) wurde 1970 in Zürich geboren. Als Schauspieler ist er bekannt für seine zahlreichen Darstellungen von Bösewichten wie in «James Bond 007: Ein Quantum Trost» (2008). Taubman ist Vater von vier Kindern, lebte in den USA und in Berlin. Heute lebt er wieder in der Schweiz und ist mit der Moderatorin Sara Taubman-Hildebrand verheiratet.
Sie sind in Zürich aufgewachsen, wie war es für Sie, für Dreharbeiten wieder zurückzukommen?
Es war herrlich. Ich habe bei «Wanda, mein Wunder» zum ersten Mal in der Schweiz erlebt, dass ich am Morgen zur Arbeit gehe und am Abend zurück nach Hause kommen kann.
Und was schätzen Sie an Zürich?
Es gibt in Zürich auf jeden Fall ein paar Orte, die ich spektakulär finde. Wie zum Beispiel den Lindenhof oder die Rote Fabrik, welche in meinen späten Teenager-Jahren mein «Wohnzimmer» war.
Anfang des Jahres konnte man Sie in der dritten Staffel der deutschen Serie «Charité» sehen. Gibt es einen Erfolgsdruck, wenn man bei einer derart populären Serie einsteigt?
Erzählerisch liegen Jahrzehnte zwischen den Staffeln von «Charité». Eine neue Staffel ist also eine komplett neue, in sich geschlossene Geschichte mit neuen Figuren. Aber das Krankenhaus bleibt natürlich das gleiche. Auch hinter der Kamera hat sich mit einem neuen kreativen Team einiges verändert.
Ich habe die Dreharbeiten sehr genossen. Und das, obwohl ich den Job zuerst nicht machen wollte, weil ich in diesem Jahr schon viel gedreht hatte und oft von zuhause weg war. Ich bin ein Method Actor. Wenn ich eine Rolle annehme, dann tauche ich da voll ein.
Ich habe viel gelesen und Recherche betrieben bezüglich Professor Mitja Rapoport und seiner Familie. Ich bin ein grosser Geschichtsfan und es war spannend, in diese Zeit einzutauchen. Mit Nina Kunzendorf hatte ich zudem eine hervorragende Partnerin am Set.
Sind Sie bereits mit den nächsten Dreharbeiten beschäftigt?
Ich habe einen Action-Thriller in Hamburg abgedreht. In «Sarah Kohr – Geister der Vergangenheit» spiele ich die Geister. Und als nächstes verkörpere ich einen Lehrer in der ersten deutschen Kinder-Serie, die Mobbing, Rassismus und soziale Ungerechtigkeit als Hauptthema hat.
Wie hat sich das Leben am Set durch die Pandemie verändert?
2020 drehte ich trotz der Pandemie viel. Am Set veränderte sich natürlich einiges, um alle Sicherheitsvorschriften einzuhalten, welche die Versicherungsfirmen vorschrieben, dass überhaupt gedreht werden konnte.
Eine riesige Herausforderung auf allen Ebenen und jeder einzelne musste noch mehr Prinzipien vor persönlichen Befindlichkeiten voranstellen. Überaus positiv für mich war, dass man dadurch noch konzentrierter und sorgfältiger arbeitete.
In «Die Schwarze Spinne» spielen Sie den Teufel (ab 13. Januar 2022 im Kino). Haben Sie überhaupt noch Lust, den Bösewicht zu spielen und was fasziniert Sie daran?
Alles! Mich fasziniert am Bösen alles, weil in jedem Menschen das Böse schlummert. In den östlichen Lebensphilosophien und Religionen sind das Gute und das Böse ein viel stärkerer Teil des täglichen Lebens.
In unserer westlichen Kultur will man das Böse eigentlich nicht sehen. Aber jeder Mensch hat auch eine andere Seite. Es gibt eine Art gut zu sein, aber 1000 Arten, böse zu sein. Deshalb ist es für mich viel spannender, einen Antagonisten zu zeichnen. Und ich versuche, den Figuren ein Gesicht zu geben.
«Joker» ist dafür ein super Beispiel. Man sympathisiert im Film mit Joaquin Phoenix und freut sich, wenn er die Banker in der U-Bahn erschiesst. Wenn das Drehbuch es hergibt, dann versuche ich den Bösewicht so zu spielen, dass der Zuschauer am Ende versteht, warum die Figur böse ist und auch Verständnis dafür hat. Beim Teufel war das herrlich. Es war eine tolle Reise, um diese Figur zu verstehen.
Sie engagieren sich schon lange für das Kinderhilfswerk UNICEF und sind seit 2018 offizieller Botschafter für die Schweiz und Liechtenstein. Was bedeutet Ihnen diese Arbeit?
Sehr viel, sie ist ein Teil von mir. Ich war seit 2009 «Spokesperson für vulnerable Kinder» und wurde dann 2018 offiziell zum Botschafter ernannt. Es ist ein Teil meines Herzens und ich bin sehr engagiert bei der Sache, weil ich es in der Kindheit und Jugend selbst nicht einfach hatte. Da etwas zurückzugeben und Teil einer Organisation zu sein, die sich bedingungslos für die Rechte der Kinder einsetzt, ist eine grosse Leidenschaft von mir.
Im vergangenen Jahr gab es verschiedene Aufrufe von Schauspielern und Schauspielerinnen zum Umgang der Politik mit der Kulturbranche. Muss man sich Sorgen machen um die Theater und Lichtspielhäuser? Wurde jemand in der Kulturbranche vergessen?
Ich glaube, man muss sich keine Sorgen um die Kinos und Theater machen, solange sie vom Bund oder vom Kanton unterstützt werden. Aber man muss umdenken, wie man die Leute ins Kino bekommt. Da war die Pandemie nicht gerade hilfreich. Wen man dabei nie vergessen darf, sind die Musiker und Stand-up-Comedians, die Kleinkunst, die in der Schweiz einen grossen Stellenwert hat.
Sie wissen es als ehemaliger Bond-Schurke vielleicht am besten, wann können wir endlich den neuen James-Bond-Film sehen?
Anfang Oktober, weltweit im Kino. Ende September findet die Weltpremiere in London statt. Ich weiss auch mit Sicherheit, dass er ins Kino kommt. Auch wenn es Überlegungen bezüglich Streamingplattformen gab.
Und welcher Teil der Reihe ist Ihr Favorit?
Mein Lieblings-Bond ist «A View to a Kill» (1985). Roger Moore, der Titelsong von Duran Duran, Grace Jones und Christopher Walken als Bösewichte – da kam für mich sehr viel zusammen. Das Interesse an James Bond kam für mich über die Musik. Duran Duran war als 16-Jähriger mein allererstes grosses Konzert.