Einige Leser fragen sich bestimmt, ob die Redaktion der FonTimes nun auch ins Action- Genre eintaucht. Als Experte für unterbewusst ablaufende Handlungsmuster ist Leo Martin der Fachmann für die Entschlüsselung der Geheimwaffen der Kommunikation.
Was auf den ersten Blick niemand für möglich hält, ist, dass sich gerade die psychologischen Kenntnisse der Geheimdienste optimal auf den Alltag, das Business und menschliche Beziehungen übertragen lassen.
Erfahren Sie im grossen FonTimes-Interview, wie Leo Martin als Geheimagent des Inlandsnachrichtendienstes zehn Jahre lang als Experte für organisierte Kriminalität an operativen Geheimdienstaktionen arbeitete.
FonTimes: Herr Martin, als ehemaliger Geheimagent haben Sie natürlich einen grossen Einblick in Entwicklungen geniessen dürfen, die nur wenigen „vergönnt“ sind. Sie haben zehn Jahre lang für einen deutschen Inlandsnachrichtendienst gearbeitet. Ihr Pseudonym gibt Auskunft darüber, dass aufgrund Ihrer Tätigkeit die Identität geheim bleiben muss. Irgendwie umweht Sie doch auch ein Hauch von Geheimnis. Wie dürfen sich denn unsere Leser den Arbeitsalltag eines Agenten vorstellen? Und wie kommt man zu diesem Beruf?
Leo Martin: In der Tat fühlt es sich nicht mehr ungewohnt an, einen fremden Namen unter Fotoaufnahmen von mir zu lesen: auf Pässen, Personalausweisen, Kreditkarten und Führerscheinen. Mit diesen Namen melde ich mich am Telefon, buche Hotelzimmer und Mietwagen – was immer auch notwendig ist.
Mein Job war es, Vertrauensmänner im Milieu der Organisierten Kriminalität anzuwerben. Das heisst, einen wildfremden Typen, der im Milieu lebt, der davon abhängt, dessen wirtschaftliche Existenzgrundlage darin besteht, dazu zu bringen, mit dem Geheimdienst zu kooperieren. Und zwar langfristig.
Unter den denkbar schwierigsten Ausgangsbedingungen und in einem Minimum an Zeit. Meine Tarnnamen und Legenden dienten dabei nicht nur meinem Schutz, sondern auch dem Schutz des V-Mannes. Wenn sein Umfeld davon mitbekommt, dass er für den Nachrichtendienst arbeitet, dann hat er einiges zu verlieren. In diesem Geschäft wird mit harten Bandagen gekämpft. Worte wie „eine zweite Chance“ fallen selten.
FonTimes: Erinnern Sie sich noch an Ihren ersten Einsatz und was hat sich alles verändert im Vergleich zu damals?
Leo Martin: Die Technik hat sich rasend schnell entwickelt. Als ich angefangen habe, bedurfte es einigen Aufwand, um beispielsweise an ein einfaches Satellitenbild zu kommen. Heute hat jeder von uns Google Earth auf seinem Smartphone in der Hosentasche.
Über dem Hauptsitz des Bundesnachrichtendienstes befand sich damals übrigens immer „zufällig“ eine grosse weisse Wolke auf jedem Satellitenbild. Diese Zeiten sind vorbei. Mein Spezialgebiet, das Gewinnen von Vertrauensmännern und Informanten, hat sich vergleichsweise wenig verändert. Hier zählt noch die gute alte Schule.
Um mit Menschen in Kontakt zu kommen, Vertrauen aufzubauen und auf der Beziehungsebene zu punkten, werden auch in tausend Jahren noch dieselben Regeln gelten. Hier geht es nämlich immer um die Befriedigung von Grundbedürfnissen. Und die haben sich in Millionen von Jahren der Evolution kaum verändert
FonTimes: Gibt es für Geheimdienste heute im Zeitalter der digitalen Vernetzung überhaupt noch Neuigkeiten oder sind nur noch die Normalbürger überrascht von Trends, Entwicklungen und Techniken?
Leo Martin: Unliebsame Überraschungen sind der Alltag des Agenten. Nach wie vor. Die digitale Vernetzung birgt so viele Vorteile wie Nachteile. Grundsätzlich glaube ich, dass die Möglichkeiten der Geheimdienste, auch der NSA, in der Öffentlichkeit überschätzt werden.
Daten zu sammeln ist die eine Sache, sie auszuwerten eine ganz andere. Wir sind weit entfernt davon, Menschen auf Knopfdruck gläsern zu machen.
Dazu ist nach wie vor jede Menge Manpower und Zeit erforderlich. Beides kann nur in herausragenden Fällen im erforderlichen Umfang investiert werden. Die Analyse ist die eigentliche Intelligence-Arbeit.
FonTimes: Herr Martin, wenn man Begriffe wie Mafia, Organisiertes Verbrechen und Geheimdienst hört, stellt sich sicherlich bei vielen im ersten Moment die Frage, warum ein Geheimdienst mit jemand aus dem kriminellen Milieu kooperiert?
Leo Martin: Westliche Geheimdienste kooperieren nicht mit Kriminellen. Die Information ist immer eine Einbahnstrasse. Wir suchen uns die Mitläufer, die Typen am Rand, die selbst nicht zu tief mit drin stecken, die aber sehr wohl einen guten Blick hinter die Kulissen haben, in die Struktur nach oben – dorthin, wo die Entscheidungen getroffen werden, die Aufträge erteilt werden und wo die kriminellen Gewinne hinfliessen.
Nur dann verfügen sie über Informationen, die für uns wichtig sind. Verfassungsfeinde, Extremisten und Organisierte Kriminalität schotten sich ganz bewusst nach aussen ab. Sie tarnen und täuschen, um ihre Ziele, Netzwerke und Vorgehensweisen zu schützen.
Hier helfen auch oft technische Überwachungsmassnahmen wenig. Hier braucht man den richtigen V-Mann, zur richtigen Zeit, an der richtigen Stelle. Und manchmal ist dessen Weste nicht blütenweiss. Ohne Informant keine Information. Die Alternative wäre, auf diesem Auge blind zu sein.
FonTimes: Wie lange brauchen Sie denn, um sich in neue Identitäten einzuleben? Wie gelingt es, die Identität von Berufs wegen häufig zu wechseln?
Leo Martin: Eine der wichtigsten Geheimdienstregeln lautet: „Die beste Legende ist die, die am dichtesten an der Wahrheit ist.“ Genau aus diesem Grund. Es geht darum, immer so authentisch wie möglich zu sein. Wer eine Rolle spielt, weil er sich nicht mit seiner Legende identifiziert, fliegt auf und ist raus.
Die Kunst war, ganz genau festzulegen: Welchen Teil meiner Persönlichkeit rücke ich ins Licht und welchen halte ich im Dunklen? Und immer ging es um echt erlebte Geschichten, nie um erfundene Storys.
FonTimes: Herr Martin, Sie haben einmal gesagt, dass eine gelungene Kontaktaufnahme darin besteht, auf der Beziehungsebene zu punkten und dort dann auch das Vertrauen der anderen Person zu gewinnen. Das klingt, als wäre das auf jede andere Branche übertragbar. Worin stecken denn die Tücken?
Leo Martin: Überall, wo Menschen mit Menschen zu tun haben, herrschen die gleichen Gesetze. Und immer geht es darum, die beiden Grundbedürfnisse auf Sicherheit und Anerkennung zu befriedigen. Der Andere muss wissen, woran er ist.
Er braucht ein klares Bild von mir, meinen Werten und meinen Entscheidungsgrundlagen in seinem Kopf: Für was stehe ich und für was nicht? Was geht mit mir und was nicht? Das ist die Basis für jede Beziehung.
Wer hier nicht Position bezieht oder nach dem Prinzip „heute hü – morgen hott“ verfährt, der scheidet als starker Partner spätestens dann aus, wenn es einmal hart auf hart kommt. Das bedeutet, eine gewisse Härte in der Sache ist manchmal sogar wichtig.
Die Kunst ist, den schmalen Grat zu treffen: hart in der Sache zu sein, aber weich zum Menschen zu bleiben. So gewinne ich den anderen für meine Ziele.
Die Antworten zu den folgenden Fragen, finden Sie in der aktuellen Ausgabe vom FonTimes Magazin.
- Sie mussten als Geheimagent wildfremde Menschen dazu bringen, Ihnen in kürzester Zeit zu vertrauen. Ist Ihnen das von Anfang an leicht gefallen und kann das jeder erlernen?
- Wie können Menschen gezielt andere Menschen für sich gewinnen? Wie gelangt man zur Erfüllung von Wertschätzung und Sicherheit?
- In Ihrem Buch „Ich krieg dich! Menschen für sich gewinnen – Ein Ex-Agent verrät die besten Strategien“ vermitteln Sie den Lesern Wege, wie sie zu mehr Menschenkenntnis gelangen können. Kommunikation verläuft in Ihren Darstellungen besser, wenn eine solide Menschenkenntnis vorhanden ist. Sie beschreiben, dass Wertschätzung und eine Begegnung auf Augenhöhe der goldene Schlüssel sind. Können Sie diese Ansätze etwas für unsere Leser ausführen?
- Ihr Ansatz, dass Sie zuerst Sympathie für jemanden empfinden müssen, damit Ihr Gegenüber im nächsten Schritt Vertrauen zu Ihnen aufbauen kann, klingt natürlich sehr positiv. Wie bekommen denn die Menschen im Alltag den schmalen Grat hin, wenn sie erfolgreich sein wollen, aber ihren Chef zum Beispiel für eine Niete halten? Sind die Karriereträume dann gleich ausgeträumt?
- Viele träumen davon, häufiger im Leben Herr der Lage zu sein, das heisst Stress mit Kollegen, Vorgesetzten und dem Partner besser handhaben zu können. Gibt es wirklich kurze und prägnante Ansätze, mit denen wir kleine und grosse Lügen durchschauen können? Sind die sprachlichen oder die körperlichen Anzeichen für Unwahrheiten relativ einfach zu entlarven?
- Als Agent haben Sie zehn Jahre lang für den Nachrichtendienst gearbeitet. Um an brisante Informationen zu kommen, mussten Sie unter anderem Vertrauensleute gewinnen. Zugegeben, das klingt schon etwas nach James Bond, oder? War das Leben als Agent eher wie 007 oder wurde es irgendwann 08/15, wenn man alles kennt und von nichts mehr erschüttert werden kann?