Was kostet ein Kilometer mit dem Auto wirklich und wann nehmen SchweizerInnen lieber das Velo? Drei Schweizer Universitäten haben in einer Studie die Auswirkungen der tatsächlichen Kosten unseres Verkehrssystems untersucht und eine ehrliche Rechnung präsentiert.
Ob wir mit dem Zug zur Arbeit fahren, das eigene Auto nehmen oder einen Teil des Weges mit dem Bus absolvieren – die Kosten unserer Mobilität machen sich am eigenen Kontostand bemerkbar. Allerdings zahlt man nie für die tatsächlichen Kosten, die durch den Verkehr entstehen.
Treibhausgase, Abnutzung der Infrastruktur, selbst die Parkplatzgebühr wird vom Staat mitfinanziert. Auch andere externe Kosten wie Lärm, Zeitverlust durch Staus und im Zusammenhang mit Mobilität entstandene Gesundheitskosten finden sich letztendlich nicht an der Zapfsäule oder dem Billettautomaten wieder.
Und es sind dies in der Schweiz jährliche Kosten im Milliardenbereich. Doch was wäre, wenn man den SchweizerInnen die tatsächlichen Kosten ihrer Mobilität vor Augen führen würde?
Zeit ist Geld
Die MOBIS-Studie der ETH Zürich, der Universität Basel und der ZHAW hat die personalisierte Bepreisung aller externer Kosten im Verkehr nun erstmals in einem grösseren Rahmen untersucht.
Die Idee dahinter hatte Ökonom Arthur Pigou bereits vor mehr als 100 Jahren, doch nun lässt sie sich auch technisch umsetzen. Das Ziel: die externen Kosten des Verkehrs auf ein volkswirtschaftliches Optimum zu reduzieren.
Über fünf Monate nahmen insgesamt 3‘700 TeilnehmerInnen aus den Ballungsräumen der Deutschschweiz und der Romandie an dem Experiment teil. Nach einer vierwöchigen Beobachtungsphase des Mobilitätsverhaltens wurden die StudienteilnehmerInnen in drei Gruppen eingeteilt.
Neben der üblichen Kontrollgruppe wurde einem Drittel die Information angezeigt, wie hoch die externen Kosten in Schweizer Franken umgerechnet sind, die sie mit ihrer Mobilität erzeugen. Dabei kostete in der Studie ein Kilometer mit dem Velo 7 Rappen, während es beim Auto bis zu 30 Rappen waren, je nach Ort und Zeit.
Der letzten Gruppe wurde zusätzlich ein Budget zur Verfügung gestellt, von dem die externen Kosten abgezogen werden. Der Anreiz: Jeder und jede in dieser Gruppe durfte das übriggebliebene Budget behalten. Das heisst also, dass sich ihr Verkehrsverhalten am Ende im eigenen Portemonnaie widerspiegelt.
Bei der Gruppe mit dem personalisierten Budget kam es zu einer signifikanten Reduktion der externen Kosten um 5,1 Prozent. Die TeilnehmerInnen änderten ihr Verhalten im Alltag durch eine andere Routenwahl, die Wahl der Abfahrtszeit oder die Wahl des Verkehrsmittels.
Sie nahmen also zum Beispiel eine Route mit weniger Stau, vermieden die Stosszeiten im öffentlichen Verkehr oder nahmen für das letzte Stück des Weges das Velo anstelle des Busses.
Ein ineffizientes Verkehrsmittel
Für den Mobilitätsforscher Thomas Sauter-Servaes von der ZHAW ist das Ergebnis der Studie keine Überraschung: «Wenn man den Leuten an den Geldbeutel geht, erzielt man Wirkung.»
Um einen Wandel in der Mobilität zu erzeugen, reiche es nicht, wenn man nur neue Angebote in die Welt setzt. Es brauche ebenfalls eine Steuerung durch neue Massnahmen.
Als Beispiel dafür nennt Sauter-Servaes das Carsharing als Alternative zum Besitzauto, während auf der anderen Seite etwa die Parkpreise steigen. In dieser Form könnte ein Steigerungsspiel aus Push- und Pullmassnahmen so lange betrieben werden, bis man tatsächlich eine echte Alternative zum Besitzauto hat.
«Es reicht nicht, allein an der Preisschraube zu drehen. Aber ohne Mobility Pricing geht es auch nicht», sagt Sauter-Servaes, der an der ZHAW den Studiengang Verkehrssysteme leitet.
In den Schweizer Städten werden 50 Prozent aller Autofahrten für eine Distanz von weniger als 5 Kilometer absolviert. Hinzu kommt noch, dass im Schnitt pro Autofahrt in der Rushhour nur 1,1 Personen befördert werden.
Solche Fahrten dann noch während der Hauptverkehrszeit mit einem 1700 Kilogramm schweren Fahrzeug zu betreiben, klingt nicht nur auf den ersten Blick fragwürdig. «Das ist ineffizient ohne Ende. Jeder Fabrikbetreiber, der so arbeiten würde, wäre morgen bankrott. Nur im Verkehr leisten wir uns solche Ineffizienzen», kritisiert der Mobilitätsforscher.
Doch was kann man gegen dieses Verhalten unternehmen? «Grundsätzlich sind Routinen im Verkehrsbereich extrem stabil. Es braucht einen sehr starken Impuls von Aussen», erzählt Sauter-Servaes.
Zu diesen Impulsen zählen typischerweise ein neuer Job, ein neuer Wohnort oder das erste Kind. Es könnte aber eben auch das Mobility Pricing sein. Ein gutes Beispiel sieht der Professor für Verkehrssysteme in der deutschen Stadt Augsburg.
Dort wird ein Abo angeboten, bei dem man den gesamten ÖV der Stadt nutzen kann und zudem noch eine Anzahl an Minuten für Bike- und Carsharingangebote bekommt. Eine Art GA für den gesamten Verkehr sozusagen. «Ich glaube, mit solchen Paketangeboten hat man tatsächlich die Chance, mit dem Besitzauto in Konkurrenz zu treten», sagt er.
Dieser Konkurrenzkampf der Verkehrsmittel würde allerdings erst funktionieren, «wenn das Auto seinen wahren Preis kostet», so Sauter-Servaes weiter. In der jetzigen Situation sei das Automobil zu günstig und vor allem zu bequem als Lösung.
Tempo 30 in der Velostadt
Nicht nur in Zürich wird aktuell die Debatte um Radwege, Parkplätze und Tempo-30-Zonen geführt. Als Argumente stehen dabei zurzeit vor allem die Umwelt und das Wohl der Menschen im Vordergrund.
«Bei Mobilitätsfragen geht es auch um unsere Gesundheit. Bei Tempo 30 ist die Frage, wie viele Tote wir uns im Strassenverkehr leisten wollen – die Bremswege sind bei reduzierter Geschwindigkeit nun mal entscheidend kürzer», kommentiert Sauter-Servaes die Situation.
Wenn Alternativen für die Mobilität entstehen, verändert sich automatisch auch der Strassenraum. Sichere Velowege und mehr Aufenthaltsqualität für FussgängerInnen würden so auch einen positiven Einfluss auf den Abgasausstoss in den Städten nehmen, da das Auto im Verhältnis an Attraktivät verlieren würde.
Allerdings braucht es auch Verständnis für den Ist-Zustand des Schweizer Verkehrssystems: «Viele Menschen haben auf der Grundlage von billigem Öl Lebensentscheide getroffen», sagt Sauter-Servaes. Diese BürgerInnen brauchen eine Planungssicherheit vom Staat in Bezug auf die Verkehrsinfrastruktur.
«Deshalb hat das Auto nach wie vor seine Berechtigung, gerade im ländlichen Raum. Da sehe ich zurzeit auch keine Alternative», so der Ausblick des Verkehrsexperten.
Die grösste Herausforderung für das Verkehrssystem sieht Thomas Sauter-Servaes in der Senkung der CO2-Emissionen hin zu Netto-Null. Dieses Ziel hat sich auch der Bundesrat in seiner Energiestrategie für 2050 gesetzt.
Man müsse den Menschen klarmachen, wo wir alle gemeinsam in 20 Jahren stehen müssen. «Ansonsten haben wir keine Chance, unseren Planeten lebensfähig zu halten. Und dann kann man sich überlegen: Wollen wir das oder wollen wir es nicht?», sagt der Mobilitätsforscher.
Einen Anfang auf dem Weg dahin könnte das Transport Pricing machen. Die MOBIS-Studie beweist nicht nur, dass es technisch in der Schweiz umsetzbar ist, sondern dass die Menschen ihr Verhalten schnell anpassen und optimieren können.
Bei den Forschern geht man davon aus, dass die Effekte langfristig sogar noch grösser ausfallen können als in den wenigen Wochen des Experiments. «Gerecht umgesetzt, könnten die Preisanreize im Verkehr ein effektives Instrument zur Brechung der Verkehrsspitzen und ein wichtiger Pfeiler einer nachhaltigen Verkehrspolitik werden», so die StudienautorInnen.
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