Das Fleisch des Waldrapps galt einst als Delikatesse, bis der Vogel im 17. Jahrhundert in Mitteleuropa ausstarb. Nun ist der Waldrapp durch Auswilderungsprojekte, denen der Zoo Zürich regelmässig Jungvögel zuschickt, in der Schweiz wieder wild anzutreffen.
Einst war der Waldrapp in Zentraleuropa, Nordafrika und im Nahen Osten weit verbreitet, im Alten Ägypten wurde er sogar als «Sinnbild der Seele» verehrt. Da er leicht zu fangen war und sein Fleisch als Delikatesse galt, war er ein beliebtes Jagdobjekt. Als sein Anblick immer mehr zur Seltenheit wurde, nahmen Trophäenjäger den schwarzen Vogel ins Visier.
«So galt der Waldrapp in Zentraleuropa für 400 Jahre als ausgestorben, wurde sogar für ein mystisches Geschöpf gehalten, bis in Marokko seine letzte Kolonie gefunden wurde», erzählt Pascal Marty, Kurator im Zoo Zürich. Dank einiger Auswilderungsprojekte ist der schwarze Vogel heute wieder in der freien Natur Europas anzutreffen.
Die Mission, den Waldrapp zu retten, erstreckt sich bereits über ein ganzes Jahrhundert, denn die Zucht und Auswilderung des Vogels gestaltet sich gleich aus mehreren Gründen schwierig. Waldrappen leben während der Fortpflanzungszeit monogam und brüten nur, wenn sie in einer Kolonie leben. Jährlich legt ein Waldrapppaar zwei bis vier Eier, im Durchschnitt überlebt nur ungefähr die Hälfte der Jungtiere. Die Jungvögel hängen stark von ihren Eltern ab und erlernen von ihnen die Nahrungsbeschaffung, wenn sie fliegen gelernt haben.
Ab in den Süden
Der Waldrapp ist ein Zugvogel, doch junge Waldrappe erlernen die Route gen Süden nicht von ihrer Kolonie, sondern von ihren Eltern, auf die sie geprägt sind. Ohne ihre Elternvögel fliegen die Jungen im August ebenfalls weg, doch unkoordiniert, auf eigene Faust und in verschiedene Richtungen.
Die letzte wild lebende Kolonie des Vogels hielt sich deswegen in Marokko auf, wo sie genug Futter fand und nicht weiter gen Süden fliegen musste, um den Winter zu überleben. «Für die ersten europäischen Züchter war es also eine grosse Überraschung, als die Vögel im Herbst plötzlich ihr Zuhause verliessen», so Pascal Marty. Um den Jungvögeln eine erfolgreiche Reise Richtung Süden zu gestalten, mussten sich die Organisatoren der Auswilderungsprojekte also eine gute Lösung ausdenken.
Ähnlich wie Gänse prägen sich Waldrappen auf die Menschen, die sie von Geburt auf pflegen. Deswegen müssen die Tierpfleger, welche für die Waldrappen gesorgt haben, in ein Leichtflugzeug oder in ein ähnliches Flugobjekt steigen und den jungen Vögeln den Weg gen Süden zeigen. Da die Vögel den Geruch ihrer Pfleger gut erkennen, folgen sie ihnen bis zum Ziel.
Aber nicht zu schnell fliegen – der Waldrapp mag es bei Langstreckenflügen gemütlich, mit einer maximalen Geschwindigkeit von nur 40 km/h. Das ist nicht mal halb so schnell wie Tauben und Enten, die auf kurzen Strecken eine Geschwindigkeit von 110 bis 120 km/h erreichen. Das macht die Wahl des Flugzeugs schwierig und den Flug mühsam.
Die Vögel wollen nämlich nicht einfach geradeaus fliegen, sondern sparen Energie und folgen der Windrichtung, wenn sie können. Deswegen reisen die Waldrappe unorganisiert und ohne schöne Formation. Am Ziel angekommen, werden die Vögel jedoch schnell selbstständig und finden im Frühling ohne weitere Hilfe wieder nach Hause zurück.
Tödliche Begegnungen
Im Sinne der Biodiversität ist es wichtig, den Waldrapp zurückzubringen. So ist er ein wichtiger Jäger von Insekten, Amphibien und Kleintieren und hat einen festen Platz in der Nahrungskette. Denn der Waldrapp hat ebenfalls natürliche Feinde wie Eulen und andere Raubvögel, die Jagd auf seine Jungvögel machen.
Sein grösster Feind bleibt jedoch der Mensch, wenn auch indirekt. «Eine der grössten Gefahren für den Waldrapp stellen die Stromleitungen dar, von denen die Vögel tödliche Stromschläge abbekommen können», erzählt Marty.
Für kleine Vögel sind die Stromleitungen eine geringere Gefahr als für die grossen Störche und Waldrappe, die öfter versehentlich den Strommast und die Leitung gleichzeitig berühren. Wenn ein Vogel auf dem Strommast sitzt, reicht es für einen Stromschlag, wenn sein Flügel die Leitung streift. Doch damit wird es bald vorbei sein. Bis Ende 2030 sollen gemäss Bundesverordnung alle Stromleitungen in der Schweiz so saniert werden, dass sie vogelsicher sind.
Auswilderungsprojekte unterstützen
Der Zoo Zürich unterstützt zwei Wiederansiedlungsprojekte, das «Waldrappteam» in Österreich sowie ein spanisches Team in Andalusien, welches die Vögel in La Janda auswildert. Dort, in der Nähe von Gibraltar, ist es warm und die Vögel finden das ganze Jahr über genügend Futter. Der Zoo Zürich hat laut eigenen Angaben bereits 16 Vögel zum Auswildern zur Verfügung gestellt.
Seit 1971 hatte der Zoo über 220 Jungvögel dieser Art in seiner Obhut. «Es kann gut sein, dass zukünftig auch in der Schweiz in Zusammenarbeit mit einigen Grenzländern ein Auswilderungsprojekt zustande kommt. Der Zoo Zürich würde sich jedenfalls gerne daran beteiligen», so Marty.
Wer mitverfolgen will, wie die schwarzen Vögel die Reise in Angriff nehmen und in den Süden fliegen, kann dies mit der kostenlosen Tracking-App tun. Die Sender auf dem Rücken der Waldrappe teilen dem Programm ihren Standort in Echtzeit mit.
Das «Waldrappteam» fordert Interessierte dazu auf, bei Gelegenheit Fotos von den besenderten Waldrappen zu schiessen und mit allfälliger Information zu den Vögeln auf die Movebank des Projekts hochzuladen. Auf diese Weise ermöglichen sie eine wertvolle Analyse der Daten zu den Vögeln.
«Manchmal bekommt der Zoo Zürich Anrufe von Personen, denen ein Waldrapp zugeflogen ist», erzählt Pascal Marty. «Die Leute fragen sich stets, was das für ein komischer Vogel sei und erzählen, dass er sehr zutraulich ist. An seinem Fussring erkennen sie, dass er nicht wild ist und fragen im Zoo nach. Dann rufe ich dem Waldrappteam am Bodensee an und höre, dass ihnen tatsächlich ein Vogel fehlt», lacht Marty.
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