Same same but different: Die Winterthurer Musikfestwochen verabschieden sich für dieses Jahr aus der Altstadt. Stattdessen werden die treuen Musikfans heuer in den Rychenberg- und den Büelpark pilgern, um musikalische Perlen zu entdecken.
Trotz des Standortwechsels wollen die VeranstalterInnen den Vibe des Festivals so gut wie möglich beibehalten. Parallel dazu überlegen sie bereits, wie sie die Musikfestwochen (noch) nachhaltiger gestalten können.
Man stelle sich vor, das Gurtenfestival findet plötzlich nicht mehr auf dem Berner Hausberg statt, sondern in verschiedenen Parks der Stadt wie beispielsweise der Grossen Schanze.
Ein Standortwechsel, der undenkbar scheint, sind die allermeisten Festivals doch eng mit ihrem Gelände verbunden. Dies gilt auch für die Winterthurer Musikfestwochen, die seit ihren Anfangstagen (erste Austragung 1976) fest in der Altstadt verankert sind.
Doch auch hier gilt: Not macht erfinderisch. Nach der coronabedingten Absage der Ausgabe 2020 wollten die OrganisatorInnen die Musikfestwochen (11. bis 22. August) heuer keinesfalls erneut ausfallen lassen.
Lotta Widmer ist innerhalb der Festivalleitung für den Bereich Partnerschaften und Events zuständig. Sie sagt, der Verein habe sich intensiv mit der Standortfrage auseinandergesetzt, sei schliesslich zum Schluss gekommen, dass das Festival in diesem Jahr aus der Altstadt rausmüsse.
«Mit den Corona-Schutzmassnahmen wäre eine Durchführung in der Altstadt nicht möglich gewesen. Nur schon deswegen, weil ein Covid-Zertifikat für die BesucherInnen verpflichtend ist und dies mit den AnwohnerInnen auf dem Festivalgelände kaum vereinbar gewesen wäre», erklärt sie.
In der Altstadt bleibt es heuer ruhig
Bei der Suche nach alternativen Standorten war schliesslich Dezentralisierung das Zauberwort. Denn der Grossteil der Konzerte findet nun im Rychenberg- und im Büelpark statt.
Auch die anderen Standorte sind für treue Musikfestwochen-GängerInnen (fast) Neuland: Die Roulotte ist heuer «auf dem Viehmarkt», nicht «am Graben» und die Stadtkirche sowie das Gewerbemuseum sind nach 2019 erst zum zweiten Mal Teil der Musikfestwochen.
Man wolle den Musikfestwochen-Vibe trotz ungewohnter Standorte so gut wie möglich erhalten, erklärt der Co-Geschäftsleiter und Kommunikationsverantwortliche David Egg. Dazu gehört auch, dass neun von zwölf Festivaltagen weiterhin kostenlos sind.
Spontan nach dem Feierabend kurz reinhören, geht in diesem Jahr jedoch nicht. Stattdessen müssen die Tickets am Tag vorher reserviert werden. Damit möglichst niemand wegen seines Berufs benachteiligt wird, sind die jeweils 1500 Tickets für den Rychenberg- und Büelpark in zwei Slots ab 8 und 20 Uhr verfügbar.
Durch die kurzfristige Reservation erhoffen sich die Verantwortlichen laut Egg, dass die Verbindlichkeit höher ist und die Leute tatsächlich auch auftauchen. Da sämtliche BesucherInnen ein Covid-Zertifikat vorweisen müssen, kann auf eine Maskenpflicht verzichtet werden.
Widmer ist überzeugt, dass das Konzept aufgehen kann: «Die Reaktion der Leute inklusive PartnerInnen ist bislang extrem positiv.» Dies, obwohl bei der Planung aufgrund der Kurzfristigkeit viel Flexibilität vorausgesetzt wird.
Erst am 28. Mai gab der Winterthurer Stadtrat definitiv grünes Licht und legte dabei auch die Kapazitätsobergrenzen für die Konzerte in den Parks fest. Ausserdem wurden die Lockerungen der Schutzmassnahmen vom Bundesrat ebenfalls Ende Mai beschlossen.
Eine Oase in der Festivalwüste 2021
Die kurzfristige Planung hatte auch Auswirkungen auf die Zusammenstellung des Line-ups. Dass einige Bands und MusikerInnen bereits im Vorjahr aufgetreten wären, half dabei kaum, da lange Zeit nichts fixiert werden konnte.
Dadurch, dass der Festivalsommer heuer in äusserst abgespeckter Form daherkommt – unter anderem wurden die Open Airs in St. Gallen und Frauenfeld sowie das Gurtenfestival abgesagt – konnte Booker Matthias Schlemmermeyer dafür einige Acts gewinnen, die ansonsten vielleicht grössere Festivals bevorzugt hätten, so David Egg.
«Im Zweifelsfall hat Matthias ausserdem auf Bands und MusikerInnen gesetzt, die einen kürzeren Anreiseweg haben, so ist der Anteil an Schweizer Acts in diesem Jahr auch etwas höher als sonst.»
Generell versuchen die OrganisatorInnen der Musikfestwochen auf Bands zu setzen, deren Auftritte wenn möglich einen geringen CO2-Fussabruck hinterlassen, sprich Bands, die entweder von nicht allzu fern kommen oder sowieso auf Tour sind.
In diesem Jahr ist dies nicht einfach, da viele MusikerInnen ihre Touren absagen mussten, die OrganisatorInnen den BesucherInnen jedoch trotzdem höchste musikalische Qualität bieten möchten.
Transparenz wird grossgeschrieben
«Aus ökologischer Sicht müssen wir aber stets Kompromisse eingehen», gibt sich Egg selbstkritisch. Mit Selbstkritik halten sich die OrganisatorInnen auch sonst nicht zurück. Auf der Musikfestwochen-Webseite machen sie transparent, wo sie bei ihrem Festival aus ökologischer Sicht noch Luft nach oben hätten.
Ein Punkt: Der Fleischkonsum. Obwohl nur Gastroanbieter ein Essenshäuschen bekommen, die mit Schweizer Fleisch kochen, vegetarische Mahlzeiten im Angebot haben und komplett vegetarische Stände und nachhaltige Konzepte bei der Auswahl bevorzugt werden, sei der Verkauf von Wurst und Hamburgern keineswegs eingebrochen.
Ausserdem weisen die OrganisatorInnen darauf hin, dass nach wie vor Teile der Bühnentechnik durch die ganze Schweiz gefahren werden – und dass sie die zahlreichen Geländeblachen in Deutschland produzieren lassen, weil der Preisunterschied schlicht zu gross sei.
Auf der anderen Seite sind die Musikfestwochen sehr darauf bedacht, den Anlass ökologisch in möglichst verträglicher Form durchzuführen. Über die Jahre wurden zahlreiche Massnahmen umgesetzt, um ein klimafreundliches Festival präsentieren zu können.
So wird unter anderem auf Mehrweggeschirr, regionale LieferantInnen und Partnerschaften, Öko-Tex-Standard bei Merch-Artikeln und Solarstrom gesetzt. Seit letztem Jahr funktioniert die Buchhaltung ausserdem papierlos.
Warum also die ganze Selbstkritik, wäre es doch viel einfacher, sich ausschliesslich für seine Bemühungen zu loben? «Wir wollen den Leuten zu verstehen geben, dass wir es ernst meinen.
Nachhaltigkeit ist ein Prozess, bei dem man sich selbst reflektieren muss. Deswegen ist es uns wichtig, zu kommunizieren, wo wir noch Verbesserungspotenzial haben», erläutert Widmer. Da in der Festivalbranche ausserdem viel Greenwashing betrieben werde, sei es umso wichtiger, transparent zu sein.
Bald steht es schwarz auf weiss
Diese Transparenz erstreckt sich nicht nur gegen aussen, sondern wollen es die OrganisatorInnen auch intern genau wissen, wie die Musikfestwochen punkto Nachhaltigkeit abschneiden.
Aus diesem Grunde sind sie daran, den CO2-Fussabdruck der Festivalausgabe 2019 zu berechnen. Man will wissen, wo sich die grossen Hebel verstecken und darauf basierend einen Massnahmenkatalog erstellen, um Schritt für Schritt nachhaltiger zu werden.
Egg und Widmer sind zuversichtlich, dass das Publikum allfällige Massnahmen mittragen würde, auch wenn dafür unter Umständen die Bequemlichkeit darunter leiden würde. «Bislang haben unsere BesucherInnen Änderungen immer sehr gut angenommen», erzählt Widmer.
Sie bemerkt, dass allfällige Schwierigkeiten in der Organisationskette sowieso vielmehr vorher auftreten können, wenn Prozesse, Logistik und Umsetzung mit den Partnern diskutiert werden müssen.
Chance und Risiko
Dass es sich nicht nur um Lippenbekenntnisse handelt, bei den genannten Kritikpunkten den Hebel anzusetzen, zeigt sich auch daran, dass die OrganisatorInnen am 14. August mit «Vert le Futur», dem Verband für eine nachhaltige Kultur- und Veranstaltungsbranche, eine Panelveranstaltung zum Thema «nachhaltiges Booking» veranstalten.
An der Diskussion teilnehmen werden BookerInnen, KünstlerInnen und Personen aus dem Agentur- und Umweltbereich.
Klar ist: Kurze Wege sind dabei von Vorteil. Dies gilt auch für die Winterthurer Musikfestwochen an sich. Deswegen glaubt Egg auch nicht, dass die Standorte im Rychenberg- und Büelpark eine längerfristige Zukunft haben.
«Es wird wohl eine Ausnahme bleiben», sagt er. «Wir gehören in die Altstadt und möchten künftig auch wieder mit kürzeren Wegen und höherer Kapazität arbeiten.» Das neue Konzept biete jedoch die Chance, festgefahrene Strukturen zu hinterfragen und gewisse Änderungen allenfalls für 2022 zu berücksichtigen. Im Herbst werde man analysieren, welche Elemente man beibehalten könnte.
So bietet das neue Konzept zwar Chancen, birgt jedoch auch ein finanzielles Risiko. «Dieses ist da», gibt Egg zu. Aus finanzieller Sicht wäre es vermutlich sogar einfacher gewesen, auf eine Austragung 2021 zu verzichten, sagt er. «Doch ist dies nicht das einzige Kriterium. Wir möchten der Stadt etwas zurückgeben.»
Ausserdem dürfe man nicht vergessen, was für ein grosser ökonomischer Rattenschwanz die Musikfestwochen mit sich bringen: KünstlerInnen, Agenturen, TechnikerInnen, Event-Gastronomie. «Es hängen berufliche Existenzen daran, dass Festivals wie unseres durchgeführt werden.
Entsprechend haben wir auch eine Verantwortung, die wir wahrnehmen möchten», sagt Egg. Dass man vermutlich ein Minus schreiben wird, welches vom Vereinsvermögen gedeckt werden muss, nimmt man dafür in Kauf. «Für Winterthur und unsere treuen Fans ist es uns dies definitiv wert.»
Alle Informationen zum Programm und zu Tickets findest du unter musikfestwochen.ch
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