Die Zuger Ruderin Patricia Merz hat olympisches Edelmetall im Visier

Die Zuger Ruderin Patricia Merz hat olympisches Edelmetall im Visier
Rol und Merz wollen auch in Tokio jubeln. Bild: zVg

Patricia Merz ist in Baar aufgewachsen, wohnt in Cham und vertritt den See-Club Zug in der ganzen Welt. Mit der Qualifikation für die Olympischen Spiele 2020 in Tokio erfüllt sich die Profisportlerin und Sportstudentin einen Traum.

Am 24. Juli 2021 beginnen in Tokio die Olympischen Sommerspiele – und das mit einem Jahr Verspätung. Teil der Schweizer Delegation werden neun Ruderinnen und Ruderer sein. Zum olympischen Aufgebot gehören erstmals auch Frédérique Rol und Patrica Merz (28).

Ihr Leichtgewichts-Doppelzweier gehört zu den vier Bootsklassen, in der die Schweiz auf die Jagd nach Edelmetall gehen soll. Mit welchen Zielen die Zugerin Patricia Merz nach Tokio reist und was ihr die erstmalige Olympia-Qualifikation bedeutet, verrät sie im Interview.

Frau Merz, die grosse Frage als allererstes: Wie sehr fiebern Sie den Olympischen Spielen entgegen?

Patricia Merz: Es wird jetzt immer konkreter. Aktuell ist noch die Freude über die Qualifikation da und es ist surreal, dass die Olympischen Spiele tatsächlich anstehen. Aber je näher sie kommen, desto grösser sind die Freude und die Anspannung, was einen dort erwartet. Und natürlich die Vorfreude auf die Rennen.

Wie intensiv verfolgen Sie die medialen Diskussionen um die Spiele? Vor allem nach der Verschiebung im letzten Jahr.

Ich muss sagen, ich verfolge sie möglichst wenig. Weil je nachdem zu welchem Zeitpunkt man gerade etwas dazu liest, geht es in die unterschiedlichsten Richtungen. Dass sie stattfinden, dass sie nicht stattfinden, dass sie stattfinden, aber die japanische Bevölkerung nicht sehr erfreut darüber scheint.

Schlussendlich ist es in den letzten Monaten immer so gewesen, dass man offen sein muss für alles was und wie es kommt. Darum verfolge ich das Thema in den Medien nicht so sehr. Erst wenn etwas fix entschieden wird, kann ich darauf reagieren. Alle Spekulationen davor verunsichern einen nur.

Was auch noch nicht feststeht, ist, ob japanische Zuschauer bei den Wettbewerben erlaubt sein werden. Was machen die Zuschauer bei solchen Grossanlässen aus?

Nur auf den Wettkampf bezogen, macht es für mich als Ruderin nicht so viel aus. Denn normalerweise hat es nur auf den letzten 250 Metern Tribünen und das Rennen geht über 2000 Meter. Man hört die Zuschauer nur am Schluss und bei Siegerehrungen. Aber es ist natürlich für die ganze Veranstaltung wichtig.

Die Dynamik und Begeisterung der ganzen Bevölkerung macht einen Riesenunterschied. Wenn die Spiele ohne Zuschauer stattfinden, nähme dies auch ein bisschen die Freude am Event. Olympische Spiele sind immer etwas Spezielles. Ohne Zuschauer wären es Olympische Spiele für die Sportler und nicht für die Zuschauer, Trainer und die ganze Welt.

Frédérique Rol und Patricia Merz rudern und schauen zurück
Ein gutes Team auf dem Wasser. Bild: zVg

Sie konnten ja erst Mitte Mai bei der Regatta auf dem Luzerner Rotsee das Olympiaticket lösen. Wie gross war der Druck bei dem Wettbewerb?

Während der Vorbereitung ist der Druck gross gewesen und auch die Nervosität war da. Die Regatta ist auch unter dem Namen «Regatta of Death» bekannt. Entweder du gewinnst und bist dabei, oder du verlierst und bist ganz weg. Aber wir bereiteten uns sehr gut auf den Wettkampf vor und konzentrierten uns vor allem auf uns selbst.

Wir haben darauf vertraut, dass wenn wir unsere beste Leistung bringen, auch das Olympiaticket holen. Dabei hat uns geholfen, die Bedeutung des Wettkampfes ein bisschen runterzuspielen. Dadurch habe ich im Vorfeld nicht so viel Druck verspürt. Aber als wir es geschafft hatten, merkte ich: Es hat sich etwas angestaut und es ist eine Riesenerleichterung, dass wir es gepackt haben.

Sie und Ihre Partnerin Frédérique Rol sind erst die sechste und siebte Schweizer Ruderin, die an den Olympischen Spielen teilnehmen. Macht Sie das stolz?

Ja, auf jeden Fall. Ich habe die genauen Zahlen gar nicht gewusst, aber es ist klar, dass dies noch nicht so viele Schweizer Ruderinnen geschafft haben. Im Leichtgewichtsrudern gibt es nur den Doppelzweier und ist es schon etwas Spezielles: Es gibt nur wenige Qualifikationsplätze und dass wir einen davon ergattert haben, macht mich stolz.

Die Ruderwettbewerbe finden im Seaforest Waterway statt. Eine künstliche Insel in der Bucht von Tokio, 20 Kilometer vom Olympiastadion entfernt. Haben Sie sich schon mit den Dimensionen der Millionenstadt Tokio vertraut gemacht? Wissen Sie, was Sie dort erwartet?

Ganz ehrlich gesagt, noch gar nicht (lacht). Es ist definitiv etwas, was helfen könnte, wenn wir ein bisschen vorbereitet sind auf das, was uns dort erwartet. Aber mit der Coronasituation ist es aktuell schwierig, sich vorzustellen, wie die Spiele genau ablaufen werden. Momentan gibt es noch viele offene Fragen. Welche Einschränkungen wird es geben? Werden wir uns wirklich nur von unserer Unterkunft zum Wettkampf und wieder zurück bewegen?

Frédérique Rol und Patricia Merz rudern auf dem Wasser
Das Duo wird auf jeden Fall mit viel dazugewonnener Erfahrung von Tokio nach Hause reisen können. Bild: zVg

Macht es einen Unterschied, wenn Sie in Tokio auf Salzwasser rudern?

Ja, rein biomechanisch gibt es schon einen Unterschied. Wenn ich auf Salzwasser rudern und dann das nächste Training auf Süsswasser absolvieren würde, würde ich den Unterschied deutlich spüren. Es gibt einen Unterschied beim Widerstand und beim Grip im Wasser, aber auch die Bootslage ist anders.

Im Salzwasser liegt das Boot ein bisschen höher. Wir haben aber Anfang Juni einen Weltcup auf Salzwasser gehabt. Für mich ist das ein weiterer Umstand, auf den ich mich einstellen muss, genauso wie zum Beispiel den Wind.

Wir werden vorher noch auf Salzwasser trainieren und schauen, wie wir das Boot optimal für die Bedingungen anpassen können. Aber es ist kein Riesenunterschied, so dass man alles komplett umstellen müsste.

Wie funktioniert das Teamwork mit Ihrer Partnerin im Doppelzweier?

Wir sind ein Team, das nicht nur im Boot oder im Training Zeit miteinander verbringt. Momentan verbringen wir fast unser ganzes Leben zusammen, weil wir auch immer gemeinsam unterwegs sind.

Wir verstehen uns sehr gut und rudern schon seit zehn Jahren zusammen. Am Anfang mussten wir uns noch kennenlernen, aber inzwischen funktioniert alles wie von allein. Wir haben zusammen Fortschritte gemacht und die gleichen Einflüsse gehabt. Wir sind oft auf der gleichen Wellenlänge und im vergangenen Jahr haben wir gemerkt, dass dies ein Riesenvorteil ist.

Es vereinfacht auch die Synchronität im Boot, die so wichtig ist. Gleichzeitig haben wir gemerkt, dass wir unterschiedliche Stärken haben, welche wir ins Team einbringen können. Wir versuchen immer, gemeinsam das Boot noch schneller zu machen.

Wie lange sind Sie schon ein Team?

Vor zehn Jahren waren wir an der Junioren-WM im Vierer noch mit zwei anderen Ruderinnen und seitdem sind wir ein Team. Das ist jetzt die zehnte Saison im Doppelzweier. Also wir sind schon wirklich lange zusammen.

Frédérique Rol und Patrica Merz posieren mit Medaille um den Hals
Frédérique Rol und Patrica Merz (v.l.) beim Weltcup in Sabaudia, Italien. Bild: zVg

Das ist tatsächlich eine lange Zeit. Der Rudersport steht medial nicht so im Fokus wie andere Sportarten. Am meisten noch bei Olympischen Spielen. Was würden Sie sagen, zeichnet den Rudersport aus?

Es ist ein guter Mix aus Dynamik und Kraft. Es braucht ein gutes Bootsgefühl und gleichzeitig die nötige Härte. Von aussen sieht es oft leicht und dynamisch aus, aber innen brennen alle Muskeln. Ausserdem ist man draussen in der Natur auf dem See. Wenn man nicht gerade im Wettkampf ist, ist es ein wirklich ruhiger, fast schon meditativer Sport (lacht).

Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie die 2000 Meter rudern? Wenn Sie sagen, es hat etwas Meditatives.

Nicht immer das Gleiche natürlich, aber man hat den klaren Rennplan im Kopf: Wo man sich gerade befindet, wie man es weiter angeht, wie man steigert. Das ganze Rennprofil ist schon ziemlich präsent. Es kommt sehr darauf an, wie man technisch fährt. Es muss sich leicht anfühlen.

Fühlt es sich die kompletten sieben Minuten hart an, verliert man definitiv zu viel Energie. Dann versuche ich wahrzunehmen, wie ich mich fühle und zu sehen, wie das Boot vorwärts geht. Das kann einen zusätzlich motivieren.

Sie absolvieren Ihr Masterstudium in Magglingen, das Kadertraining in Sarnen und sind immer unterwegs für Wettbewerbe. Fehlt Ihnen Zug manchmal?

Ja, schon. Ich merke es jeweils, wenn ich mal einen freien Tag habe. Dann freue ich mich, wenn ich in Zug wieder Kollegen treffen kann. Wir haben in Sarnen ein tolles Team und mit meinem Mitstudenten verstehe ich mich ebenfalls gut. Aber ich merke doch, dass in Zug einfach meine Leute sind.

Es ist schön, auch mal nicht über das Rudern zu reden und andere Sachen zu tun. Sarnen ist zum Glück nicht so weit weg. Da hat es meine Partnerin Frédérique Rol schwieriger, da ihre Familie in Lausanne lebt. Ich freue mich wirklich, wenn ich nach Hause kann, um dort etwas abschalten.

Frédérique Rol und Patricia Merz schauen auf dem Ruderboot zurück
Der Blick ist in Richtung Tokio gerichtet. Bild: zVg

Sie absolvieren Ihr Masterstudium im Spitzensport. Hilft das beim Training? Lernen Sie dort Aspekte, die Sie auch im Trainingsalltag umsetzen können?

Ich würde es umkehren und sagen, dass der Spitzensport mir beim Masterstudium hilft. Das Studium ist cool und hat mir auch einen anderen Blickwinkel eröffnet. Der Sport besteht nicht nur aus dem Training, sondern gibt es auch die mentale Komponente und die Ernährung.

Das Studium hat mir geholfen, alle Komponenten zu sehen. Man lernt viel nach Lehrbuch, aber in der Realität sieht es dann etwas anders aus. Man muss das Wissen immer auf den individuellen Körper anpassen.

Hatten Sie dann schon einmal einen Aha-Moment, als Ihre Trainer etwas gesagt haben und Sie dachten: Oh, das ist wie beim Studium?

Ja, das schon. Gerade was die Trainingsplanung betrifft oder wie der Körper bei einer Verletzung funktioniert. Es hängt viel zusammen.

2016 konnte das Schweizer Ruderteam in Rio eine Goldmedaille erringen. Was sind Ihre sportlichen Ziele für die Olympischen Spiele?

In unserer Bootsklasse ist es immer sehr eng und es gibt viele Boote, die an der Spitze eine Rolle spielen können. Wir wissen, wenn wir einen super Tag haben und unser bestes Rennen zeigen, ist alles möglich. Vielleicht ist es ein wenig verrückt, aber wir wollen um die Medaillen kämpfen und werden alles dafür geben.

Erfolge

2019: Schweizermeisterschaften, Seniorinnen Doppelzweier, 1. Rang

2019: Europameisterschaften in Luzern, Leichtgewichts-Doppelzweier, 3. Rang

2018: Schweizermeisterschaften, Seniorinnen-Leichtgewichts-Einer, 1. Rang

2018: Europameisterschaften in Glasgow (GBR), Leichtgewichts-Doppelzweier, 3. Rang

2017: Weltmeisterschaften in Sarasota (USA), Leichtgewichts-Einer, 4. Rang

2016: Schweizermeisterschaften, Seniorinnen-Leichtgewichts-Einer, 1. Rang

2016: Schweizermeisterschaften, Seniorinnen-Leichtgewichts-Doppelzweier, 1. Rang

Es sind mit dem Finale vier Wettbewerbe innerhalb von sechs Tagen. Hat man da Zeit für andere Wettkämpfe oder ist man komplett auf sich fokussiert?

Ich glaube, es ist schon wichtig, dass man auf sich und seinen eigenen Wettkampf fokussiert ist. Am Renntag ist Fokus gefragt, aber es ist wichtig, nach einem Rennen wieder runterzufahren und gedanklich nicht gleich beim nächsten Wettkampf zu sein. Weil sonst macht man sich mental kaputt.

Insofern kann es helfen, sich auch mal einen anderen Wettbewerb anzuschauen und einfach mal ein bisschen abzuschalten. Was ich persönlich nicht gern mache, ist, zu aufmerksam andere Ruderrennen zu verfolgen.

Weil dann kommt man schnell ins Grübeln, wer noch alles zum Favoritenkreis zählt. Aber ein komplett anderer Wettkampf kann eine gute Abwechslung sein und alles ein wenig auflockern.

Sie gehören zu den ersten Sportlerinnen, die bei den Olympischen Spielen im Einsatz stehen werden. Haben Sie Zeit für die Eröffnungsfeier?

Ich glaube nicht. Das Rudern gehört zu den ersten Wettbewerben und der Zeitplan ist ziemlich eng. Die Eröffnungsfeier ist am Tag vor unserem ersten Rennen und den Abend vor einem Wettbewerb gehen wir eher früh ins Bett.

Es ist eigentlich schade, dass einige Sportler die Feiern verpassen.

Was ich von Teilnehmern in Rio gehört habe, war, dass sie auch nach dem Wettkampf noch das Olympische Feeling erleben konnten – auch wenn sie die Eröffnungsfeier verpasst hatten. Ich weiss wirklich nicht, was uns aufgrund der Pandemie erwarten wird, aber es wäre grossartig, wenn auch wir in Tokio etwas ausserhalb unseres Wettkampfes erleben könnten.

In Rio vor fünf Jahren gab es viel Kritik in Bezug auf die Nachhaltigkeit, die Kosten und die Organisation solcher Events. Zudem mussten Bewerbungsorte in den letzten Jahren richtiggehend um die Zustimmung der einheimischen Bevölkerung kämpfen. Sind die Olympischen Spiele in dieser Dimension noch zeitgemäss?

Ich denke, man muss es nicht immer noch grösser und exklusiver machen. Ich finde auch, dass die Spiele inzwischen enorme Ausmasse angenommen haben. Für mich sind die Olympischen Spiele ein Event, bei dem alle Sportler aus der ganzen Welt versuchen, ihre Bestleistung zu zeigen.

Und wenn man dann seine eigene Leistung bringt, weiss man, dass man zu den besten der Welt gehört. Dazu kommen noch die vielen Menschen, die zusehen – das macht das Event für mich aus. Aber dazu gehört nicht, dass man so viele Wettkampfstätten neu bauen muss und der Anlass immer grösser und grösser wird.

Das nimmt für mich Dimensionen an, wo man überlegen muss, ob man es nicht auch etwas zurückschrauben kann. Die Hauptbotschaft des Wettkampfs kann man in meinen Augen anders erreichen als mit immer grösserem Umfang.

Es gibt ja auch neue Organisationsformen wie die Finals in Deutschland. Eine Zusammenlegung der Meisterschaften in verschiedenen Sportarten.

Oder seit 2015 auch die European Games. Das sind quasi Europameisterschaften für mehrere Sportarten an einem Ort. Wir waren damals in Glasgow und es war ein spezielles Erlebnis. Vielleicht ist das ein Konzept für die Zukunft, dass man ungefähr am gleichen Ort ist, aber auf bestehende Wettkampfstätten zurückgreift.

Nehmen Sie einen Glücksbringer mit nach Japan?

Ich und meine Partnerin haben beide ein Glücksbändeli. Aber das ist nicht speziell für die Olympischen Spiele. Es hat uns bereits auf dem Weg an die Olympischen Spiele geholfen. Mal schauen, was es in Tokio für uns bereithält.

Viele weitere Geschichten findest du in unseren E-Papers.