Unendliche Möglichkeiten in der digitalen Welt: Ein Zuger Lehrer setzt in seinem Unterricht auf die Anziehungskraft und Immersion von Computerspielen. Die virtuellen Klassenräume versprechen neue Unterrichtsmöglichkeiten und neue Arten der Interaktion mit den Schülern.
Pädagogisch wertvoll gamen. Für viele mag das wie ein Widerspruch klingen, für den Lehrer Stefan Huber gehört es zum Arbeitsalltag. Der 34-jährige Zuger unterrichtet an der Sek eins Höfe Schule in Weid, Pfäffikon SZ. In seinem Unterricht nutzt er nicht nur Arbeitsblätter und den Hellraumprojektor, sondern auch Computerspiele.
Dabei spielen die Games nicht nur im Fach Medien und Informatik eine Rolle, sondern kommen auch in Hubers anderen Fächern Natur und Technik, Deutsch sowie Räume, Zeiten, Gesellschaften zum Zuge.
Eine zentrale Rolle spielt dabei das Computerspiel Minecraft. Das vom schwedischen Programmierer Markus Persson entwickelte Open-World-Game aus dem Jahr 2009 lässt den Spieler seine eigene Welt gestalten. Das Besondere daran: Alles besteht aus Blöcken. Von der Spielfigur, über den Boden bis zu den Bauwerken.
Der kindliche Look des Spiels, seine Verfügbarkeit und seine enormen Freiheiten machten Minecraft zu einem der populärsten Spiele der Computergeschichte. Heute gehört das Spiel Microsoft und es gibt eine spezielle «Education Edition» für den Einsatz im Unterricht.
Mittendrin statt nur dabei
Für Huber ist einer der Vorteile der Computerspiele deren Immersion: «Man ist in einer Welt drin. Games haben die Eigenschaft, dass sie sehr absorbierend sind.» Als Spieler ist man dabei immer aktiv, nie passiv wie zum Beispiel bei einem Film. Für die Schüler ist es zudem auch ein Erlebnis und eine Abwechslung zum normalen Schulalltag.
Ausserdem bieten Games laut Huber «eine bewusste Auseinandersetzung mit Virtualität». Die Kinder lernen ebenso, dass es auch im virtuellen Raum Regeln gibt. In der Spielwelt werden für die Schülerinnen die Unterschiede zwischen einem Modell und der Realität greifbarer, ist Huber überzeugt.
Für den Einsatz von Minecraft im Unterricht spricht nicht nur die einfache Verfügbarkeit, sondern auch die Offenheit des Spiels. «Je nachdem, wie ich die Welt programmiere und gestalte, kann ich ganz unterschiedliche Unterrichtsziele verfolgen», erklärt er.
Das bedeutet aber auch, dass man die Spiele richtig einsetzen muss. «Das Werkzeug an sich bietet keinen pädagogischen Mehrwert. Es ist wie ein Hellraumprojektor oder das Programm PowerPoint», sagt Huber.
Spielerisch Biodiversität verstehen
Aber wie funktioniert ein solches Werkzeug im Unterricht konkret? Auf dem Lehrplan der Oberstufe steht unter anderem das Thema Biodiversität. Dabei sollen die Schülerinnen die Zusammenhänge zwischen den Lebewesen begreifen.
Die Schüler treten jeweils der programmierten Spielwelt bei, bekommen vom digitalen Herrn Huber eine Aufgabe erteilt und schon geht es los.
Zuerst sollen die Kinder die Tierwelt dokumentieren, es geht darum, Strategien zu entwickeln, um einen Überblick über die digitale Fauna zu bekommen. Anschliessend wird die Klasse in zwei Gruppen aufgeteilt: JägerInnen und WissenschaftlerInnen. Die einen versuchen nun, eine der Tierarten aus der Spielwelt zu entfernen, die anderen dokumentieren die Veränderung.
Wenn es nun in der Spielwelt keine Wölfe mehr gibt, vermehren sich die Schafe plötzlich exponentiell. Oder es wachsen neue Blumen und Pilze in der Minecraft-Welt, wenn das Ökosystem verändert wird. Die Regeln der Simulation orientieren sich dabei an denen unserer Welt. Am Ende wird diskutiert, wie realistisch die Simulation ist und wie sie sich von der Realität unterscheidet.
Ebenso unternimmt Huber in der Spielwelt digitale Exkursionen zu Schweizer Gletschern oder lässt seine Schüler zu Städteplanern werden. «Diese kreative Ausdrucksfähigkeit der Games ist eine enorme Möglichkeit, die die SchülerInnen im Klassenzimmer sonst nicht haben», sagt der Lehrer.
Und selbst abstrakte Themen können so für die SchülerInnen greifbar gemacht werden. «Was mich überrascht hat, war, mit welcher Ernsthaftigkeit die Schüler die Herausforderungen in den Spielen angehen», so Huber. Wenn es um die Zusammenarbeit in der digitalen Welt geht, diskutierten seine Schüler schon wie Erwachsene miteinander.
Inspiration auf Youtube
Während die Schüler und Schülerinnen am Anfang zwischen Überraschung und Begeisterung für die Games im Unterricht schwankten, ist Huber inzwischen an seiner Schule bekannt für seine digitalen Werkzeuge. Von Eltern und Kollegen gab es vor allem interessierte Nachfragen.
«Ich erfahre grundsätzlich eine sehr grosse Offenheit», sagt Huber. Ausserdem gewann der Lehrer aus Zug im November 2020 einen Förderpreis der Stiftung Educreators. Diese zeichnet innovative Schulprojekte im Bereich Kreativität und Digitalisierung aus.
Mit seiner Arbeit möchte Stefan Huber auch andere inspirieren. Seine selbstgebauten Minecraft-Welten und Unterrichtsideen teilt er auf Youtube. Damit die Leute sehen, auf welche verschiedenen Arten sich das Spiel einsetzen lässt. Im Internet informiert sich der Medien- und Technik-Lehrer auch über andere Projekte.
Dabei stiess er auch schon auf negative Beispiele, als die digitale Welt zur 1:1-Kopie eines Arbeitsblattes verkam oder als virtuelles Museum funktionierte. Eine schöne Verpackung allein reicht für Huber nicht: «Der Einsatz von Videospielen muss wirklich einen Mehrwert haben.»
Die Pandemie als Digitalisierungstreiber
Die Coronapandemie zwingt inzwischen alle Lehrer zu notwendigen Digitalisierungsschritten. «Vorher man hat sehr viel in die Digitalisierung der Schulen investiert, aber es den Lehrern dann völlig freigelassen, ob sie die Technik überhaupt einsetzen», sagt Huber. Für ihn gibt es heute kein Fach mehr, welches man nicht auch im Homeschooling unterrichten kann.
Während er in Minecraft die nächste Welt für den Deutschunterricht entwirft, denkt Stefan Huber schon an die Unterrichtskonzepte der Zukunft. «In fünf, sechs Jahren wird es so sein, dass jede Schule einen Klassensatz Virtual-Reality-Brillen besitzt.
Und vielleicht in zehn bis 15 Jahren hat man keine Tablets mehr vor sich, sondern trägt eine Augmented-Reality-Brille», sagt er. Aus diesem Grund hat er sich von seinem gewonnen Preisgeld eine Virtual-Reality-Brille gekauft, um die Möglichkeiten der neuen Technik für den Unterricht auszutesten. «Denn egal, wie man das Blatt wendet, früher oder später wird das immersive Lernen, also virtuelle Realität, in die Schule kommen», ist Huber überzeugt.
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