Wenn Kinder nach einer Operation oder krank im Spital liegen und Trübsal blasen, ist der Moment für die Traumdoktoren gekommen. Sie lassen mit ihren Auftritten die jungen Patienten ihre Krankheit zumindest einen Moment lang vergessen. Einer von ihnen ist Antonio Morano alias Dr. Ahoi.
Sie tragen einen weissen Kittel und weibeln im Spital von Zimmer zu Zimmer. Doch sind sie nicht da, um eine Diagnose zu überbringen oder sich nach dem Gesundheitszustand der Patientinnen zu erkundigen, sondern, um Heiterkeit und Ablenkung zu bringen. Die Rede ist von den Traumdoktoren der Stiftung Theodora.
Einer von ihnen ist Antonio Morano, besser bekannt als Dr. Ahoi. Der weisse Kittel deutet zwar auf einen Doktor hin, jedoch nur auf den ersten Blick. Denn dieser ist mit verschiedenen Seefahrermotiven geschmückt, unter anderem blitzt eine Fischflosse aus der Jackentasche. Zudem zieren eine Kapitänsmütze und eine Clownnase sein Antlitz und er ist mit einer Ukulele ausgerüstet.
So ist der gebürtige Horgemer aktuell im Auftrag der Stiftung Theodora regelmässig in den Kantonsspitälern Graubünden und Luzern unterwegs. Die Stiftung Theodora wurde 1993 von den Brüdern André und Jan Poulie im Andenken an ihre Mutter Theodora gegründet und finanziert sich über Spendengelder, sprich für die Spitäler entstehen keine Kosten. Ausserdem übernimmt die Stiftung die Organisation der Spitalbesuche.
Nicht nur Kinder im Spital kommen zum Zug
Die Stiftung Theodora unterhält neben jenem der Traumdoktoren weitere Programme. Bei der Operationsbegleitung begleiten die Traumdoktoren die kleinen Patienten vor und nach chirurgischen Eingriffen, als Herr und Frau Traum besuchen professionelle Artisten Institutionen für Kinder mit Behinderung, das aus einem Artisten-Trio bestehende kleine Orchester der Sinne ist eine musikalische und interaktive Animation, die sich ebenfalls gezielt an Kinder mit Behinderung richtet und im Programm die kleinen Champs begleiten spezifisch ausgebildete Theodora-Künstlerinnen Kinder und Jugendliche mit Übergewicht in Gruppenangeboten und integrieren sich als humorvolle und motivierte Teilnehmende.
Im Gespräch mit FonTimes verriet Antonio Morano unter anderem, weshalb die Hygienemaske ihn zu Beginn zum Improvisieren zwang, warum die Kinder aktuell auf seine Modellierballone verzichten müssen und weshalb die Spitalbesuche manchmal auch für ihn eine therapeutische Wirkung haben.
Herr Morano, wie fast jeder Beruf wird auch Ihrer als Traumdoktor mittlerweile seit über einem Jahr durch die Coronapandemie beeinflusst. In welchem Umfang können Sie aktuell überhaupt Spitalbesuche durchführen?
Seit letztem Herbst können wir bei fast allen Spitälern, denen wir vor Ausbruch der Pandemie unsere Besuche abstatteten, wieder vorbeigehen. Die einzige Ausnahme bildet in meinem Fall das Stadtspital Triemli in Zürich, welches ich jeweils im Zweiwochenrhythmus besuchte.
Seit dem Lockdown im Frühjahr 2020 haben wir Traumdoktoren dort nicht mehr vorbeischauen können. Die Kinder im Triemli müssen jedoch nicht komplett auf uns verzichten. So drehen wir witzige und musikalische Videos, welche die kleinen Patientinnen auf den Tablets der Kinderklinik schauen können.
Welche zusätzlichen Hygienemassnahmen gelten für Traumdoktoren nun?
Die Stiftung hat im letzten Jahr ihr schon zuvor umfangreiches Hygienekonzept mit der Unterstützung der Vertrauensärztin Virginie Masserey, Leiterin der Sektion Infektionskontrolle beim BAG, angepasst.
Das Tragen der Maske, das Desinfizieren der Hände und des Zubehörs, die maximale Anzahl Personen in einem Zimmer sowie der Coronavirus-Check sind nur ein paar der Punkte, die in diesem Dokument aufgeführt sind. Ausserdem müsftriemlisen wir einen gewissen Mindestabstand zu den Kindern einhalten und dürfen ihnen keine Gegenstände reichen.
Wie stark haben Sie durch die zusätzlichen Hygienemassnahmen Ihre Auftritte anpassen müssen?
Auf einige Komponenten wie Modellierballone, Gadgets und kleine Geschenke muss ich nun verzichten. Händeschütteln ist natürlich auch kein Thema, genauso wenig das Pusten von Seifenblasen. In solchen Fällen muss man improvisieren können.
So umgehe ich das Pusten mit einem kleinen Handventilator. Den grössten Einschnitt bildet jedoch tatsächlich das Tragen der Maske, da Clowns und generell Künstler viel mit der Mimik arbeiten. Erst mit der Zeit realisierte ich, wie ich trotz Maske mit meinem Gesichtsausdruck spielen kann. Dafür ist der Augenkontakt sehr wichtig.
Ausserdem konzentriere ich mich nun verstärkt darauf, meine Stimme und deren Lautstärke zu variieren. Es lässt sich auch nonverbal über die Körpersprache mit verschiedenen Posen gut kommunizieren. Inzwischen funktioniert es bestens und den Kindern fällt die Maske kaum mehr auf. Zumal die rote Nase nun eben auf der Maske prangt (lacht).
Wie sehr haben Ihnen die Spitalbesuche im vergangenen Jahr gefehlt?
Es war sehr ungewohnt, darauf verzichten zu müssen. Die Besuche dienen nicht nur dem Kind zur Erheiterung und Ablenkung, sondern bilden auch für die Angehörigen eine willkommene Abwechslung – wir sind gewissermassen Seelendoktoren, die positive Energie versprühen. Ich habe das Gefühl, die Freude über unsere Besuche ist nun sogar noch grösser, was für uns wiederum enorm motivierend wirkt.
Wie muss man sich die Ausbildung zum Traumdoktoren vorstellen?
Die Stiftung Theodora bildet grundsätzlich nur Traumdoktoren aus, wenn Bedarf besteht, was nicht jedes Jahr der Fall ist. Ist die Stelle ausgeschrieben, können sich ausgebildete Künstlerinnen bewerben. Die Stiftung führt anschliessend Gespräche mit den Bewerbern und entscheidet, welche als Kandidatinnen aufgenommen werden.
Anschliessend folgt eine einjährige Ausbildung. Diese ist in verschiedene Blöcke unterteilt, die eine ganze Woche oder auch nur ein Wochenende dauern können und theoretische Teile genauso beinhaltet wie künstlerische, technische und psychologische.
Auch das Erscheinungsbild wird thematisiert. Später kommt der Ausbildungspart im Spital hinzu. Bei den ersten vier bis sechs Besuchen geht der Kandidat als Zuschauer mit einer Traumdoktorin mit. Im nächsten Schritt darf der Kandidat sich selbst einen Traumdoktorenkittel überstreifen und als Praktikant mitgehen. Wir haben erfahrene Ausbildnerinnen, die den Kandidaten über die Schulter schauen und ihnen Feedbacks zu den Auftritten geben.
Wenn die Ausbildner und der Kandidat die Ziele erreicht sehen und es beidseits stimmt – meist nach rund einem Jahr – kann der Kandidat seine Karriere als Traumdoktor offiziell beginnen. Im ersten Jahr ist er dabei nie alleine unterwegs, sondern stets mit einem Traumdoktor, der bereits mehr Erfahrung aufweist.
Früher wart ihr als Spitalclowns bekannt, nun seid ihr als Traumdoktoren unterwegs. Der Namenswechsel ist kein Zufall, denn sind die Besuche bei den Kindern beileibe nicht nur leichte Unterhaltung. Ernste Gespräche sind keine Seltenheit.
Absolut. Wir Traumdoktoren sind professionelle Improvisationskünstler. Entsprechend breit ist unsere Palette an Fähigkeiten und Talenten: Clowndarbietungen, Comedy, zaubern, Geschichten erzählen, musizieren. Die Kunst besteht darin, sich beim Kind für jenes Auftreten zu entscheiden, welches unter den gegebenen Umständen am passendsten ist.
Dies bedeutet auch, dass ich vor dem Betreten des Spitalzimmers nie genau weiss, was ich tun werde. Sobald ich die Tür öffne und mich als Dr. Ahoi vorstelle, muss ich analysieren, wie die Anwesenden auf meinen Besuch reagieren, was viel Improvisationstalent und Einfühlungsvermögen erfordert – jedoch nicht bedeutet, dass ich mich nicht vorbereite.
Wie sieht für Sie ein typischer Tag als Traumdoktor aus?
Am Vormittag bereite ich mich jeweils vor, bevor ab etwa 13 Uhr die Besuche beginnen. An einem Nachmittag besuche ich 20 bis 35 Kinder, gehe von Zimmer zu Zimmer, von Stockwerk zu Stockwerk.
Gerade bei etwas älteren Kindern und Teenagern ist es durchaus möglich, dass wir bloss miteinander reden – sei dies über Fussball oder häufig auch über Musik, da ich eine Ukulele dabeihabe. Ich muss herausspüren, wie viel Komik es in diesen Gesprächen verträgt und womit ich bei welchem Kind punkten und Freude bereiten kann.
Wie viel medizinisches Wissen brauchen Traumdoktoren?
Tatsächlich fast keines. Das nötige Wissen eigne ich mir an, indem ich im Spital vor den Patientenbesuchen bei den verschiedenen Abteilungen vorbeischaue und mir dabei Informationen zu den Kindern einhole.
Ich bekomme eine Patientenliste und bespreche diese mit einer verantwortlichen Person der Station. So erfahre ich, ob ich bei meinen Besuchen bestimmte Dinge beachten muss – beispielsweise, was allfällige Infektionen und damit verbundene Isolationen angeht oder ob ein Kind gerade eine Chemotherapie hinter sich hat und so dessen Abwehrkräfte reduziert sind.
Dann erhöhe ich den hygienischen Aufwand, ziehe Handschuhe und allenfalls einen Schutzüberzug an und achte darauf, nichts mitzubringen, was das Ansteckungsrisiko erhöhen könnte. Ausserdem beginne ich meine Tour bei diesen Patientinnen. Bei den Besprechungen erfahre ich zudem, ob ein Kind frisch operiert wurde und entsprechend unter Schmerzen leidet oder ob es vor Kurzem eine niederschmetternde Diagnose erhalten hat.
Sie arbeiten bereits seit 20 Jahren als Traumdoktor. Kosten Sie je nach Leiden des Kindes die Besuche auch heute noch hin und wieder Überwindung?
Zu Beginn meiner Karriere war dies auf jeden Fall ausgeprägter. Gerade auf der Onkologie erfahre ich immer wieder von tragischen Schicksalen und lerne Kinder kennen, die nicht mehr lange leben werden. In solchen Fällen kommt es vor, dass ich vor dem Zimmer stehe und mir bewusst bin, dass dieser Besuch eine Herausforderung werden könnte.
Allerdings darf ich mich von solchen Informationen und Diagnosen nicht zu sehr beeinflussen lassen. Meine Aufgabe ist es, den Kindern einen glücklichen Moment zu schenken, in dem es die Krankheit vergessen kann. Entsprechend wollen sie mit mir auch nicht über ihre Krankheit sprechen – das müssen sie schon mit allen anderen. Wir gehen auch nicht zu den Patienten rein und fragen, wie es ihnen geht.
Nicht auf die Diagnose einzugehen, hilft sowohl dem Kind als auch mir. Wir Traumdoktoren müssen uns bis zu einem gewissen Grad abgrenzen können. Wenn ich ein Kind besuche und nur noch Mitleid empfinde, falle ich aus meiner Rolle. Damit wäre niemandem gedient. Im Anschluss habe ich immer noch die Möglichkeit, mich mit anderen anwesenden Traumdoktorinnen über das Erlebte kurz auszutauschen und es so zu verarbeiten.
Wie lernt man dieses Abgrenzen?
In diesem Zusammenhang ist es wichtig, die Weiterbildungen der Stiftung Theodora zu erwähnen, die wir regelmässig besuchen. Diese betreffen nicht nur die künstlerischen Tätigkeiten, sondern auch den psychologischen Aspekt und das Spitalwesen.
Dabei besprechen wir anhand von Fallbeispielen gewisse Situationen und wie wir uns hierbei distanzieren und schützen können. Ich selbst hatte zu Beginn meiner Karriere natürlich mehr Mühe damit als heute, doch habe ich es relativ bald verstanden, gewisse Dinge richtig einzuordnen.
Ich verstand, dass Leid und Schmerzen im Spital Teil des Alltags sind und ich dafür nicht die Verantwortung übernehmen darf. Mein Auftrag ist es einzig, einen schönen Moment zu zaubern. Dieses Bewusstsein erleichterte mir die Distanzierung. Die Stiftung Theodora gibt uns ausserdem die Möglichkeit, uns bei Bedarf an einen Psychologen zu wenden.
Wie schwierig ist es, mit guter Laune ins Zimmer reinzukommen, obwohl Sie wissen, dass dem Kind momentan überhaupt nicht zu Lachen zumute ist – und Ihnen unter Umständen auch nicht?
Dies stellt insbesondere im ersten Jahr nach der Ausbildung für alle Traumdoktorinnen eine grosse Herausforderung dar. Zieht man selbst einen schlechten Tag ein, kann man zwar trotzdem als Traumdoktor funktionieren, doch kostet es mehr Energie. So war ich zu Beginn meiner Karriere nach meinen Besuchen teilweise fix und fertig.
Mittlerweile kann ich problemlos den Schalter von Antonio Morano zu Dr. Ahoi umlegen, sobald ich mir die rote Nase anziehe. Zudem hilft mir die Energie der Kinder, mich in diesem Moment von meinem Alltag zu lösen.
Sie haben die Onkologie angesprochen. Gerade in dieser Abteilung blieben die Patienten oftmals über längere Zeit. Kommt es entsprechend vor, dass Sie als Traumdoktor bestimmte Kinder über Monate bis gar Jahre begleiten?
Dies kommt tatsächlich vor. Es gibt Kinder, die ich über zwei Jahre regelmässig besuche. Damit verbunden, lernt man diese Patienten auch besser kennen und die Besuche gestalten sich anders.
Inwiefern?
Ich kann dann episodenhaft Geschichten erzählen, die ich Woche für Woche weiterspinnen kann. Viele Kinder erinnern sich jeweils genau, wo ich beim letzten Mal mit meiner Geschichte stehen geblieben bin. Mit der Zeit können auf diese Weise richtige Traumdoktor-Kinder-Freundschaften entstehen.
Wie zeitintensiv ist das Vorbereiten solcher Geschichten?
Die Geschichten entwickle ich im Spital selbst, wenn ich mich auf die Besuche vorbereite, mich schminke und umziehe. So schlüpfe ich in meine Rolle und sauge den Groove von Dr. Ahoi auf. Zuhause kümmere ich mich in erster Linie um technische Angelegenheiten, achte, dass sämtliche Zauberartikel, Instrumente und Gadgets einwandfrei funktionieren und immer gereinigt und desinfiziert sind.
Wie würden Sie Dr. Ahoi charakterisieren?
Er ist ein sehr liebenswürdiger Seefahrer, ein Tollpatsch und ein bisschen ein Angsthase, obwohl er behauptet, sich vor Piraten und Seeungeheuern nicht zu fürchten. Ausserdem gehen seine meisten Zaubertricks in die Hose. Wenn er seine Zaubersprüche oder den Liedtext vergisst, helfen ihm jeweils die Kinder auf die Sprünge.
Diesen Ansatz von Empowerment, sprich dem Kind zu ermöglichen, mir zu helfen, verfolge ich bewusst, damit es sich besser fühlen kann. Bei älteren Kindern kann Dr. Ahoi durchaus auch bei aktuellen Themen und Trends mitreden.
Wie haben Sie den Weg zur Stiftung Theodora gefunden?
Ich bin eigentlich ausgebildeter Elektroniker. Gleichzeitig war das Theaterspiel schon seit jeher meine Leidenschaft. So bewarb ich mich bei der Mimenschule Ilg in Zürich, um eine Theaterausbildung zu absolvieren. Während der zweijährigen Ausbildung arbeitete ich nur noch nebenbei als Elektroniker. Ende der 1990er Jahre erfuhr ich dann von einer Kollegin von der Stiftung Theodora und den Spitalclowns.
Mich faszinierte deren Schaffen und ich bewarb mich dort. Zu Beginn arbeitete ich daneben immer noch als Elektroniker, denn kann man nicht Vollzeit als Traumdoktor arbeiten. Meist handelt es sich um ein bis drei Spitalbesuche pro Woche. Dass wir nicht täglich vorbeigehen, hilft uns, nicht auszubrennen und Abstand zu gewinnen.
Welcher Tätigkeit gehen Sie heute neben Ihrem Job als Traumdoktor nach?
Mittlerweile bin ich auch dann als Clown unterwegs. In der Vergangenheit waren private Auftritte an Kindergeburtstagen und Partys die Regel. Vor knapp elf Jahren gründete ich dann mit einer Kollegin die Stiftung Lebensfreude, im Rahmen derer ich als Clown Alters- und Pflegeheime besuche. Dort bin ich weniger clownesque, sondern poetischer und musikalischer unterwegs.
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