Die Stadt Zug erneuert aktuell ihre Kulturstrategie, wozu sie unter anderem Umfragen durchgeführt hat. Auch die Meinung der Jugend wird miteinbezogen. Der Verein Zuger Jugendtreffpunkte mit den beiden Bereichen Jugend Animation Zug und Industrie 45 gestaltete dazu einen Projektnachmittag, um die Inputs der Jugendlichen festzuhalten.
In gleich sieben Räumen zerbrachen sich Schülerinnen und Schüler der Fachmittelschule Zug am Freitag, 7. Mai, die Köpfe über Kunst und Kultur. Im Jugendzentrum Industrie 45 wurde zudem eine Wand bemalt, ein Stop-Motion-Cartoon gestaltet und ein Plan für den perfekten Aufenthaltsraum auf Papier entworfen. Weitere Kulturlabore fanden in der Jugend Animation Zug (Jaz), im FabLab der V-Zug und im öffentlichen Raum der Stadt Zug statt.
Während die volljährigen Zugerinnen und Zuger eine Umfrage zum Thema Kunst und Kultur ausfüllen konnten, wollte die Kulturabteilung Zug auch die Stimmen der Jugendlichen hören. Mit dem Anliegen, die Jugendlichen tiefgründig zu diesem Thema zu befragen, wurde der Verein Zuger Jugendtreffpunkte (ZJT) kontaktiert.
Dieser entwickelte daraufhin eine Laboridee mit mehreren kleinen Workshops, wie sie auch zukünftig angewendet werden soll. So konnten sich mehrere Klassen auf kreative Art mit dem Thema Kultur auseinandersetzen und ihre Bedürfnisse äussern.
Dieser Freitagnachmittag unter der Gesamtleitung von Patrick Leemann, Bereichsleiter der Industrie 45, bildete den Abschluss einer Projektwoche zum Thema Surrealismus, während der sich die Jugendlichen kreativ ausgetobt und inspiriert haben.
Worum es beim Surrealismus geht
Im Rahmen der Projektwoche besuchten die Schüler und Schülerinnen der Fachmittelschule das Kunsthaus Zürich, schauten surrealistische Filme und erforschten die Geschichte und die Philosophie des Surrealismus.
Anschliessend konnten sie ihre Ideen in verschiedensten Kunstprojekten umsetzen. Zum Abschluss der Woche lag es schliesslich an den Jugendlichen, ihre Meinung künstlerisch zu vermitteln und Ideen für das kulturelle Leben in Zug zu liefern.
Diese waren mit der Wahl des Themas für ihre Projektwoche zufrieden, denn schliesslich sei Surrealismus «mal was anderes». Eine Schülerin erzählt: «Beim Surrealismus geht es darum, nicht viel zu planen und die Welt wie ein Kind ohne Vorwissen zu entdecken und zu interpretieren.»
Beim Fotografieren zum Beispiel solle man nicht zuerst überlegen, ob die Pose stimmt und ob das Foto gut aussehen wird, sondern einfach drauflosschiessen.
So lasse man Raum für Neues und Spontanes. «Während der Projektwoche haben wir selbstständig gearbeitet und viele künstlerische Entscheidungen getroffen, was eine wichtige Kompetenz ist», bemerkt die Schülerin.
Zuger Stadtplan unter der Lupe
Zum Wochenabschluss übernahmen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des ZJT mit der Unterstützung von Kulturschaffenden den Lead und forderten die Jugendlichen dazu auf, sich konkrete Veränderungen für Zug zu wünschen.
Zuerst setzten sich die Schüler und Schülerinnen damit auseinander, was Kunst und Kultur genau ist und wie eng verwoben diese Begriffe mit dem gesamten Leben sind. In einem der Workshops durften die Jugendlichen die Zuger Stadtkarte ergänzen.
Unter der Leitung des Grafikers Baran Şanli, der sich in der Industrie 45 engagiert, und mit Lisa Palak-Otzoup, Bereichsleiterin des Jaz, besprachen fünf Jugendliche ihre Wünsche für die Kunst- und Kulturszene der Stadt Zug.
Für jede Idee zeichneten sie ein Symbol auf ein Stück durchsichtiger Plastikfolie und platzierten diese Folien anschliessend auf der Zuger Stadtkarte.
So wünschen sich die Jugendlichen unter anderem, dass in der Stadt eine Wand bestimmt wird, die von jedermann bemalt werden darf und dass ein öffentlicher Garten sowie eine Hundepension, in der sich Freiwillige engagieren können, organisiert werden.
Zudem ist es ihnen ein Anliegen, dass eine Jobbörse nur für Jugendliche auf die Beine gestellt wird. Es sei nämlich schwierig, Ferien- und Nebenjobs zu kriegen, da diese oft durch Bekanntschaft vergeben werden.
«Mit diesem Projekt der Kulturstrategie soll das kulturelle Wohlbefinden der Gesellschaft gesteigert werden. Dazu müssen wir auch die Meinungen der jungen Leute einholen», erklärt Baran Şanli.
«Die Jugendlichen haben ein sehr gutes Gespür dafür, was ihnen in der Stadt fehlt, denn sie beschäftigen sich viel mit Kunst und Kultur», meint Lisa Palak-Otzoup. In den verschiedenen Workshops wurden nicht einfach Inputs, sondern auch utopische Ideen der Jugendlichen gesammelt, was auch zum Thema ihrer Projektwoche passt.
«Vielleicht scheint die eine oder andere Idee auf den ersten Blick unrealistisch, bis man sich genauer überlegt, wie sie verwirklicht werden könnte», erklärt Palak-Otzoup.
Mit Spraydose und Pinsel
Grosse farbenfrohe Motive schmückten im Anschluss an Projektwoche die Industrie 45. Die politische Botschaft war dabei nicht zu übersehen. So war auf einer Aussenwand ein weiblicher Kopf abgebildet, dessen linke Hälfte typisch europäische Eigenschaften aufwies: Rot-braunes Haar, blaue Augen und helle Hautfarbe.
Die rechte Gesichtshälfte besass ein braunes Auge, dunkle Haut und schwarze Locken. Daneben war ein Porträt einer Frau, die in einen Niqab gehüllt war und dem Betrachter den Mittelfinger zeigte. Den Blick richtete sie genervt nach oben.
«Schön, dass ihr Mädchen so starke Meinungen habt», bemerkte der Künstler Andrew Moncur Brady gegenüber den zwei Schülerinnen in Englisch, während sie diese Motive entwarfen.
Der Südafrikaner, der sein Studio in Zug hat, gestaltete die Graffitiwand mit einigen Jugendlichen im Rahmen des Kulturlabors «Kultur illustrieren». «Ich bin froh, dass die jungen Leute mit dem aktuellen Stand der Dinge nicht zufrieden sind und direkt sagen, was sie als ungerecht empfinden», so der Künstler.
«Es ist falsch, wenn sie sich nicht wehren und alles annehmen, was man ihnen auftischt. Die Jugendlichen wollen Veränderung und sie wissen genau, wie sie die Welt sehen wollen.»
Es sei schön, zuzusehen, wie sich die Schülerinnen und Schüler gewaltig darüber freuen, mit grellen Farben auf einer grossen Fläche malen zu dürfen, so Moncur Brady.
«Als Künstler tendiert man oft dazu, kleine Formate zu wählen und winzige Designs perfektionistisch zu gestalten. Die Jugendlichen gehen aber ‹all in› und malen grossflächig, ohne zu zögern.»
Für den Künstler sei das eine gute Erinnerung daran, dass in der Kunst nicht immer alles perfekt sein muss. Es gehe nämlich auch um den Ausdruck selbst, darum, aus sich herauszukommen.
Inzwischen sind die eindrücklichen Motive bereits übermalt und -sprayt. Denn handelt es sich bei der betroffenen Wand um eine der Freiflächen, die in der Industrie 45 für Streetart wie Graffiti zur Verfügung stehen.
In der Streetart-Szene ist es ein ungeschriebenes Gesetz, dass die Werke nach einer gewissen Zeit übermalt werden und das Kunstwerk der Jugendlichen war da keine Ausnahme.
Bevor das Bild anderen Kunstwerken Platz machen musste, wurde es fotografisch festgehalten und wird demnächst in der Industrie 45 in Form eines Plakates ausgestellt.
Austausch und Diskussion
Die Schülerinnen und Schüler befassten sich nicht nur mit Bildern, sondern auch mit anderen Ausdrucksformen wie Theater, Tanz und Skulptur.
Damit der Fokus nicht nur auf den visuellen Medien liegt, sondern auch die Bewegung und der zwischenmenschliche Austausch Raum bekommen, fanden in Zug eine Schreibwerkstatt und ein Generationentalk statt.
An diesem Gespräch nahmen sieben Jugendliche sowie zwei ältere Gäste, die von ihren Erfahrungen als Jugendliche erzählten, teil.
In dieser Diskussionsrunde wurde über Jugendkultur und Freiraum debattiert. Die Gesprächspartner waren sich einig, dass Jugendliche heute genauso wie früher auf frei zugängliche, kostenlose Freiräume angewiesen sind.
Es sei wichtig, in jungen Jahren vieles auszuprobieren und sich in unterschiedlichen Formen und Mitteln auszudrücken versuchen. Die älteren Gesprächsteilnehmer erzählten, dass es für sie in ihrer Jugend wichtig gewesen sei, sich von den Erwachsenen abzugrenzen.
Die jungen Schülerinnen und Schüler betrachten dies hingegen nicht als zentral. Sie sehen sich vielmehr als Teil der Gesellschaft und wollen auch als solcher wahrgenommen werden.
Wenn die Angebote bereits existieren
Nachdem sich die Jugendlichen auf den Heimweg gemacht hatten, trafen sich die Workshopleiter und besprachen ihre Eindrücke.
Die Jugendlichen seien zu Beginn noch etwas träge gewesen, doch nach einer Weile kam der Stein ins Rollen und konnten gute Ideen gesammelt werden. Besonders aufgefallen sei, dass zu vielen der Vorschläge bereits ein Angebot existiert, was die Jugendlichen überrascht habe.
So kann zum Beispiel eine öffentliche Küche in der Industrie 45 genutzt werden, genauso wie die Räumlichkeiten generell allen zur Verfügung stehen. Entsprechend wäre es unter Umständen sinnvoll, online eine Kulturtafel zu gestalten, auf der man sich über die Angebote informieren kann.
Die fertigen Projekte der Kulturlabore wurden am 2. Juni den Kulturbeauftragten der Stadt Zug, darunter Abteilungsleiterin Iris Weder, vorgestellt. Als lockerer Einstieg gab es ein gemeinsames Abendessen und anschliessend fand ein Austausch auf Augenhöhe statt.
Die Jugendlichen sowie die Leiter der Workshops erzählten auf einem kleinen Podest, was ihnen an diesem Freitagnachmittag aufgefallen ist, präsentierten ihre Ideen und schilderten ihre Anliegen. Auf dem Podest standen ein paar leere Stühle, auf denen Zuhörer Platz nehmen konnten, wenn sie zum Geschilderten etwas ergänzen wollten.
Auf diese Weise wurden allfällige Rückfragen beantwortet und alle Anwesenden waren zu Wort gekommen. Zum Abschluss liess die junge Schwyzer Künstlerin Laura Nucha den Abend mit einem Konzert ausklingen.