Erika Henggeler weiss aus eigener Erfahrung, wie schwierig es sein kann, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen. In ihrer Praxis in Oberägeri hilft die ausgebildete Jobcoachin nicht nur Frauen im mittleren Alter, die auf der Suche nach einer beruflichen Neuorientierung sind, sondern bietet auch autogenes Training an. Wir haben die gebürtige Kärtnerin zum Gespräch getroffen.
Unterägeri war Mitte der 1970er Jahre noch ein kleines Bauerndorf, als Erika Henggeler das erste Mal die Zuger Berggemeinde besuchte – die Österreicherin war gerade bei ihrer Tante in Hausen am Albis zu Besuch. Dabei lernte sie ihren späteren Mann kennen und sie gründeten schliesslich in Unterägeri eine Familie.
Das Familienglück war jedoch nicht von Dauer: Henggelers Mann verstarb im Alter von nur 35 Jahren an einem Hirntumor. Sie war damals erst 29-jährig und hatte zwei kleine Kinder. So musste sie sich ihre Work-Life-Balance selbst einrichten, um Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen.
Heute gibt die gebürtige Kärntnerin dieses Wissen als Jobcoachin weiter, betreibt oberhalb eines Coiffeursalons eine schmucke Praxis. Daneben bietet sie auch psychologische Beratung an, hilft bei der Bewältigung von Stress, berät im Umgang mit Arbeitslosigkeit, Burnouts oder Mobbing und bei anderen psychosozialen oder persönlichen Krisen.
Und sie bietet Kurse zu autogenem Training an. Was es damit genau auf sich hat, wie Homeoffice auf die Gesundheit schlagen kann und was man bei einem Bewerbungsgespräch auf die Frage nach den eigenen Schwächen antworten sollte, verrät Erika Henggeler im Interview mit FonTimes.
Frau Henggeler, die Coronapandemie und die damit verbundenen Einschränkungen haben auch Auswirkungen auf Ihre Arbeit. In welchem Umfang können Sie aktuell Coachings und Beratungen durchführen?
Autogenes Training führe ich im normalen Rahmen durch – natürlich mit Maske. Die Einhaltung des Abstands ist kein Problem, da ich am Pult sitze und der Klient auf der Liege Platz nimmt. Das Jobcoaching geht nun mehrheitlich online über die Bühne, ausser jemand wünscht explizit, vorbeizukommen. Das Jobcoaching hat bereits vor dem Ausbruch der Coronapandemie einen Digitalisierungsschub erfahren.
Was spüren Sie für Auswirkungen der Coronapandemie auf Ihre Klientinnen? Haben diese andere Probleme als vor einem Jahr?
Ich führe auch psychologische Beratungen durch, habe eine Ausbildung in praktischer Psychologie. Viele meiner Klienten klagen über Schlaflosigkeit und sehnen sich nach Entspannung.
Homeoffice kann die Schlaflosigkeit noch verstärken, da der Rhythmus nicht derselbe ist und oftmals Bewegung und gesunde Ernährung zu kurz kommen. Die meisten von coronabedingten oder -verstärkten psychischen Problemen Betroffenen setzen auf autogenes Training, da dadurch Stress abgebaut werden kann.
Die Coronapandemie wirkt als zusätzliche mentale Belastung. Wurde dieser Effekt durch den Winter mit der Kälte, der Dunkelheit und dem Mangel an Sonnenstunden nochmals verstärkt?
Mit Sicherheit. Das graue Wetter in Kombination mit den sehr beschränkten Möglichkeiten, dem auszuweichen, ist eine grosse psychische Belastung – auch schon für Kleinkinder. Gerade in Bezug auf Frauen fürchte ich zudem einen Anstieg an häuslicher Gewalt und dass sie diese schlucken – mit dem Hintergedanken, dass es ja wieder vorbeigehen werde.
Zumindest in der Theorie müssten Sie von der Coronapandemie profitieren können, denn simpel formuliert steigt dadurch die Zahl potenzieller Klientinnen und Klienten. Ist dies effektiv der Fall?
Nicht wirklich. Zwar nehmen psychologische Probleme zu, doch sind viele Leute durch die herrschende Ungewissheit auch gehemmt, Geld auszugeben und verzichten so oftmals auf entsprechende Angebote wie meine.
…Obwohl die eigene Gesundheit an oberster Stelle stehen sollte.
Viele Leute gehen lieber zum Arzt und lassen sich Antidepressiva oder Schmerzmittel verschreiben. Stattdessen würde man besser der Ursache auf den Grund gehen. Ähnliche Erfahrungen mache ich als Jobcoach. Viele sind in einem Job «gefangen», der ihnen nicht gefällt.
Ich beobachte dies besonders oft bei Frauen mittleren Alters, häufig Mütter mit schon etwas älteren Kindern, die beruflich gerne noch einmal ein neues Kapitel aufschlagen möchten. Doch höre ich oft, dies liege aufgrund der Familie und aus finanzieller Sicht nicht drin – die eigenen Bedürfnisse werden meist aufgrund von mangelndem Selbstvertrauen hintenangestellt.
Viele sorgen sich auch um ihr Aussenbild, dass die Mitmenschen in ihnen egoistische Karrierefrauen sehen, die Familie und Haushalt dadurch nicht genügend Beachtung schenken würden. Diese klassischen Rollenbilder sind tief verankert und heute nach wie vor leider sehr präsent.
Wie versuchen Sie, das angeknackste Selbstbewusstsein wieder zu stärken?
Ein Mittel ist, der betroffenen Person ihre Stärken und Talente bewusst zu machen und aufzuzeigen, wie und wo diese am effizientesten eingesetzt werden können. Ausserdem müssen sich die Klientinnen bewusst werden, dass sie aus vergangenen schwierigen Zeiten oftmals Positives herausziehen können und viel dazugelernt haben.
Erlebt dieses neugewonnene Selbstvertrauen nicht gleich wieder einen herben Dämpfer, sollten sich bei den Bewerbungen die Absagen häufen?
Dann muss man die Bewerbungsstrategie, den Lebenslauf und die Arbeitszeugnisse genau unter die Lupe nehmen. Auch der erste Eindruck beim Vorstellungsgespräch nimmt eine zentrale Rolle ein. Ich bereite die Klientin auf mögliche Szenarien und Fragen vor und filme ihr Verhalten. So können wir ihr Auftreten inklusive Körpersprache gemeinsam analysieren.
Während eine gewisse Nervosität vor dem Vorstellungsgespräch normal ist und sogar konzentrationssteigernd wirkt, erlebe ich immer wieder Klienten, die Angst davor haben. In diesem Fall kann das Jobcoaching mit autogenem Training verbunden werden, um Stress und Ängste abzubauen.
Ein Klassiker unter den Fragen während des Vorstellungsgesprächs ist jene nach den eigenen Schwächen. In welche Richtung sollte hierbei die Antwort gehen?
Viele Leute erwähnen an dieser Stelle ihre Ungeduld. Dies ist jedoch nicht ideal. Stattdessen sollte man eine Schwäche nennen, die beispielsweise durch einen (Sprach)kurs behoben werden kann. So kann man sogleich aufzeigen, wie man sich weiterbilden könnte. Und man unterstreicht seine Bereitschaft, an dieser Schwäche durch eine Weiterbildung etwas zu ändern.
Haben Sie Tipps, was den Bewerbungsbrief anbelangt?
Dabei sollte unbedingt auf die Punkte aus dem Stelleninserat eingegangen werden. Heutzutage arbeiten viele Unternehmen mit einer Software, die über Algorithmen nach Stichworten sucht und die Bewerbungen auf diese Weise selektioniert. Nur so ist es möglich, dass manchmal bereits eine halbe Stunde nach der Bewerbung eine Absage zurückkommt.
Denken wir einen Schritt weiter und gehen davon aus, dass es mit der Stelle geklappt hat. Was gilt es während der Probezeit zu beachten?
In der Anfangszeit gilt es, Mitarbeiter, Prozesse und den Betrieb kennenzulernen. Entsprechend sollte man nicht vom ersten Tag an versuchen, durch Aktionismus zu glänzen und das anderswo angeeignete Wissen im neuen Betrieb eins zu eins umzusetzen versuchen. Etwas Zurückhaltung ist durchaus angebracht. Platz für Anregungen bleibt natürlich trotzdem.
Sie haben zuvor das autogene Training angesprochen. Welche Möglichkeiten gibt es hierbei?
Es gibt dabei drei Stufen: untere, mittlere und obere Stufe. Bei mir machen die meisten Klientinnen die Unterstufe, welche sechs Grundübungen enthält. Durch diese wird eine Basis geschaffen, um sich tiefenentspannen zu können und gegen Stress gut gewappnet zu sein. Es gibt auch eine Kurzform davon, die dauert nur fünf bis sechs Minuten.
Am besten absolviert man die Übungen am Abend vor dem Schlafengehen oder morgens nach dem Aufstehen – wenn möglich täglich. Die mittlere Stufe geht in Richtung Mentaltraining. Dabei wird mit Suggestionen gearbeitet.
Diese Stufe eignet sich beispielsweise für Kunstschaffende, die sich ihr Werk wie das geschriebene Buch vor Augen führen. Es ist im Kopf quasi bereits geschrieben. Bei der Oberstufe arbeitet man hauptsächlich mit inneren Bildern. Diese Stufe ist primär für Menschen, die Grosses vorhaben, jedoch ein sehr geringes Selbstbewusstsein haben.
Wie lange dauert es, bis die oberen beiden Stufen zu «wirken» beginnen?
Für die Suggestionen werden drei Wochen einkalkuliert, damit die Bilder im Unterbewusstsein ankommen. Begonnen wird jedoch mit Muskel- und Atemübungen zur Entspannung. Viele Leute atmen sehr oberflächlich, wenn sie gestresst sind. Da gilt es, die korrekte Bauchatmung zu verinnerlichen.
Autogenes Training kann bei einer Vielzahl von Problemen wie psychosomatischen Erkrankungen, Schlaflosigkeit, Migräne, Verspannungen, Rückenschmerzen oder hohem Blutdruck helfen. Und es hat den Vorteil, dass es keine Altersfrage ist und keine Nebenwirkungen hervorruft.
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