Unsere Sinnesorgane sind nicht nur für das tägliche Leben enorm wertvoll, sondern haben einen direkten Einfluss auf die Leistungsfähigkeit des Gehirns. Besonders deutlich wird das am Beispiel unseres Gehörs.
Zwei Studien, eine aus den USA und eine aus Frankreich, ergaben, dass ein Hörverlust den kognitiven Verfall beschleunigt und Schwerhörige bis zu fünfmal häufiger eine Demenz entwickeln.
Lässt das Hörvermögen nach, merken das die Menschen im Umfeld meist vor dem Betroffenen selbst, der gewöhnt sich an den schleichenden Verlust oder will ihn oft nicht wahrhaben. Im Regelfall warten sie etwa sieben Jahre, bis sie gegen ihren Hörverlust aktiv vorgehen.
Mehr Gehirnmasse geht verloren
Der Forscher Frank Lin (M.D., Ph. D.) an der amerikanischen Johns Hopkins Medicine begleitete bei einer Studie 126 Teilnehmer über zehn Jahre mit regelmässigen MRTs, um Veränderungen im Gehirn sichtbar zu machen. Zu Beginn der Studie hatten bereits 51 Personen eine leichte Schwerhörigkeit.
Durch den Vergleich der regelmässigen MRTs konnte festgestellt werden, dass die schwerhörigen Teilnehmer einen sich schneller entwickelnden Gehirnschwund aufweisen als die Normalhörenden.
Die von Hörverlust betroffenen Teilnehmer verloren mehr als einen zusätzlichen Kubikzentimeter des Hirngewebes pro Jahr, insbesondere in Bereichen, die für die Verarbeitung von Klang und Sprache verantwortlich sind.
Weitere Studienergebnisse zeigten auch einen Zusammenhang zwischen Demenz und Schwerhörigkeit auf. So entwickelten die Menschen je nach Grad der Schwerhörigkeit zwei- bis fünfmal so häufig eine Demenz im direkten Vergleich mit Gesundhörenden.
Lin erklärte, die Studienergebnisse zeigen die Wichtigkeit einer Behandlung von Schwerhörigkeit auf – Ignorieren sei keine Lösung. Wichtig sei zudem, dass ein Hörverlust frühzeitig angegangen wird, bevor es überhaupt zu den strukturellen Veränderungen im Gehirn kommt.
Die Verbesserung der Hörfähigkeit hilft
Eine andere Langzeitstudie in Frankreich mit über 3’600 Teilnehmenden scheint die Vermutungen von Lin bereits zu bestätigen. Die Paquid-Studie begann bereits im Jahr 1990 und wurde während 25 Jahren kontinuierlich ausgewertet. Die Teilnehmenden führten regelmässig in ihrem Alltag kleine kognitive Aufgaben durch.
Die Ergebnisse zeigten, dass die schwerhörigen Personen, die ein Hörgerät nutzen, auf derselben kognitiven Leistungsstufe standen wie die Gesundhörenden. Es zeigte sich zudem, dass bei den Schwerhörigen ohne Hörgeräte der kognitive Verfall nicht durch das schlechte Hören an sich verursacht wurde, sondern durch die psychischen und sozialen Auswirkungen der Schwerhörigkeit.
Auch wurde erkannt, dass unser Gehör ein komplexes Sinnesorgan ist und die Behandlung eines schlechten Hörens nicht ausschliesslich aus der Nutzung eines Hörgerätes besteht, da sich der kognitive Verfall in erster Linie im Gehirn abspielt.
Training wirkt positiv auf das Gehör
Eine grosse Anzahl an Studien der letzten Jahre haben gezeigt, dass ein strukturiertes, audiologisches Training grosse Effekte erzielt und dass Übungen zum Sprachverstehen im Hintergrundgeräusch die selektive Wahrnehmung und demnach das Sprachverständnis von Wörtern oder Sätzen signifikant verbessern.
Wichtige Elemente des Gehörs wie das Gedächtnis, die Verarbeitungsgeschwindigkeit und sogar das logische Denken konnten nachweislich über längere Zeit verbessert werden.
Reto Meier