Milchchäschtli

Milchchaeschtli
Gian präsentiert stolz den Zopf, der auf seine Auslieferung wartet. Bild: zvg

Als im Frühling das öffentliche Leben durch den Lockdown zum Erliegen kam, sah die Zugerin Sara Bumbacher die Chance, ihre freigewordenen Kapazitäten sinnvoll zu nutzen. Entstanden sind mehrere Projekte, die sich der Unterstützung von Kindern mit einer Beeinträchtigung widmen. Bumbacher kann dabei auf prominente Unterstützung zählen.

Die Kinder des Heilpädagogischen Zentrums (HZ) in Hagendorn erhielten am 7. Dezember von einem ganz besonderen Samichlaus Besuch. Denn unter dem roten Gewand und dem weissen Bart verbarg sich niemand Geringeres als der mehrfache Bahnradweltmeister Franco Marvulli. Der Zürcher beglückte mit dem Schmutzli an seiner Seite die Kinder mit Chlaussäckli und warmen Worten.

So herzerwärmend die Aktion war, so traurig ist der Anlass, der dazu geführt hat, denn der HZ-Besuch war nur eine Ersatzlösung. Ursprünglich war für den 6. Dezember ein sogenannter Samichlaus Drive-in auf dem Stierenmarktareal in Zug für Kinder mit einer Beeinträchtigung geplant.

Dabei sollten berühmte Schweizer Persönlichkeiten auf der Bühne stehen und für strahlende Kinderaugen sorgen. Der Drive-in musste kurzfristig abgesagt werden, weil der Kopf hinter der Aktion Sara Bumbacher zwei Tage zuvor beim Joggen einen Schlaganfall erlitten hatte.

Bumbacher hatte Glück im Unglück, konnte im letzten Moment noch mit dem Handy ihren Lebenspartner anrufen, rasch war Hilfe zur Stelle.

Die 40-Jährige verbrachte für die Rehabilitation gut zwei Wochen in der Klinik Adelheid in Unterägeri. Bumbacher musste nicht nur schweren Herzens den Samichlaus Drive-in absagen, sondern auch ihre weiteren Projekte auf Eis legen.

Denn die Zugerin hat seit dem Ausbruch der Coronapandemie mehrere karitative Aktionen aufgegleist. Unter anderem werden mehrere hölzerne und von Schweizer Prominenten unterschriebene «Milchchäschtli» versteigert und der Erlös gespendet.

Franco Marvulli geht in seiner Rolle als Samichlaus auf. Bild: sib
Franco Marvulli geht in seiner Rolle als Samichlaus auf. Bild: sib

Zuletzt bot Bumbacher ausserdem sogenannte «Christmas-Dinner im Home-Office» an. Dabei kann ein Fondue- oder Racletteset inklusive Weisswein bestellt werden, welches dann von Bumbacher und ihrem Team geliefert wird.

Welche Projekte die gebürtige Berner Oberländerin seit Anfang März sonst noch in Angriff genommen hat und wie es Bumbacher gesundheitlich geht, verriet sie im Gespräch mit FonTimes.

Frau Bumbacher, die wichtigste Frage zuerst – wie geht es Ihnen?

Immer besser, ich hatte wirklich Glück im Unglück. Auch das Sprechen kam wie auf Knopfdruck wieder zurück. Trotzdem tat mir die Reha natürlich gut und ich konnte auch wieder Kraft tanken.

Ihr Engagement begann im März mit dem sogenannten «Milchchäschtli». Können Sie erklären, um was es sich dabei handelt und wie das Ganze seinen Anfang nahm?

Ich habe zu Beginn des Lockdowns gemerkt, dass ich zu weit weg von meinen Eltern wohne, um für sie einkaufen zu gehen – während sie im Berner Oberland wohnen, bin ich mittlerweile im Kanton Zug zuhause. Ich fragte anschliessend in den sozialen Medien herum, ob jemand hier in der Region Eltern hat, die um Unterstützung froh wären. Ein Echo blieb aus. Ich hatte aber Zeit und wollte diese sinnvoll nutzen.

Ein guter Kollege meinte dann, wie praktisch es wäre, wenn man mit dem Fahrrad durch die Quartiere fahren könnte, um die Leute direkt zu beliefern – wortwörtlich ins «Milchchäschtli». Ich fand die Idee klasse und habe mir umgehend die passende URL gesichert, am nächsten Tag die Homepage erstellt und in den Quartieren Flyer verteilt mit unserem Angebot, Produkte wie Eier, Milch, Käse und Butter direkt in den Milchkasten zu liefern.

Mit der Metzgerei Limacher in Hünenberg haben wir ausserdem einen idealen Partner dafür gefunden. Bei den Leuten fand das Angebot auf Anhieb Anklang und die Sache wurde schnell grösser. Da wir vor allem am Wochenende ausliefern, nutzten viele das Angebot auch als Geschenk, liessen beispielsweise einen Zopf an ihre Eltern liefern, die zur Risikogruppe gehören.

Die Coronapandemie gab mir die Möglichkeit, etwas ohne hohe Kosten und Aufwand auszuprobieren. Auch mein Sohn Gian (8) begeisterte sich von Anfang an für das Projekt. So konnten wir während des Lockdowns gemeinsam Ideen entwickeln und etwas auf die Beine stellen. Entsprechend stolz ist er auf seine eigenen Visitenkarten (lacht).

Bezüglich «Milchchäschtli»-Lieferungen wird auf Ihrer Website auch die soziale Komponente erwähnt. Sprich, dass die Leute froh seien, in Zeiten des Lockdowns einen kleinen Schwatz halten zu können – natürlich inklusive Social Distancing. Haben Sie diesen Bedarf nach sozialem Austausch bei Ihren Besuchen stark gespürt?

Ja, teilweise schon. Fast alle haben durch das offene Fenster das Gespräch gesucht und mit uns diskutiert. Wir haben ausserdem ein Milchbüchlein in Umlauf gebracht, in dem die Leute uns eine Nachricht hinterlassen konnten.

Viele erwähnten, wie das Milchbüchlein Kindheitserinnerungen hervorruft. Gerade auch ältere Leute sendeten uns zudem aus Platzgründen eine Mail mit Anekdoten von früher.

Den Samichlaus Drive-in musstet ihr leider absagen. Wie seid ihr auf die Idee dafür gekommen?

Ich wollte mit Gian das Drive-in-Kino auf dem Stierenmarktareal besuchen, jedoch mangelte es an kindergerechten Filmen. So setzten wir die Drive-in-Idee auf unsere Weise um. Übrigens werden wir voraussichtlich als Ersatz einen Oster-Drive-in veranstalten.

Nur, dass es dann für die Kinder des HZ Hagendorn keine Schoggi-Samichläuse, sondern Osterhasen geben wird (lacht). Die Promis, welche am 6. Dezember aufgetreten wären, werden dann auch wieder mit dabei sein.

Ob in gleicher Funktion, wie für den Samichlaus Drive-in geplant war, werden wir sehen. So war angedacht, dass ein Springreiter mit einer Kutsche den Samichlaus und den Moderator zur Bühne gebracht hätte. Ausserdem planten wir eine Tiershow und jonglierende Sportler.

Parallel dazu läuft die «Milchchäschtli»-Aktion, bei der ihr ein von Promis unterschriebenes Milchchäschtli versteigern werdet.

Genau, inzwischen ist es sogar schon unser drittes «Milchchäschtli». Ursprünglich war der Plan, am Stierenmarkt einen Stand zu haben.

Doch der Stierenmarkt fiel bekanntlich der Pandemie zum Opfer und so werden wir die «Milchchäschtli» hoffentlich nächstes Jahr, falls der Stierenmarkt dann wieder stattfinden kann, versteigern.

Allein auf dem ersten «Milchchäschtli» sind es rund 50 Unterschriften. Die einzige Absage, welche wir bekommen haben, war übrigens aus Zeitgründen von Roger Federer.

An wen wird der aus der Versteigerung erzielte Erlös gehen?

An das Projekt einer jungen Frau namens Steffi, die auf dem Hof ihres Vaters in Birmensdorf eine private Tierauffangstation betreibt und Reitstunden für behinderte Kinder anbietet.

Ihr Problem ist, dass sie sich ihre Projekte über Reitlager finanziert – diese mussten coronabedingt jedoch abgesagt werden. Sie wurde auf unser Projekt aufmerksam und fragte an, ob wir allenfalls etwas für sie tun könnten.

Beim «Milchchäschtli kann man als Franchising-Unternehmen selbst mitmachen. Was muss man sich konkret darunter vorstellen?

Unser Konzept kann man für eine andere Region übernehmen. Aktuell haben zwei Personen Interesse daran, das «Milchchäschtli» in Basel zu etablieren. Idealerweise setzen sie dabei ebenfalls auf einen regionalen Partner.

Auf Ihrer Website findet sich auch der Begriff «Love is Love». Was hat es damit auf sich?

Diese Idee entstand, als wir realisierten, wir hätten gerne noch etwas Unterstützung beim Ausliefern. Ich fragte mich, ob wir dafür allenfalls auch mit Flüchtlingen zusammenarbeiten könnten.

So meldete ich mich bei Andy Tschümperlin, dem damaligen Abteilungsleiter des Sozialamtes Zug. Dieser war begeistert von dieser Idee sozialer Integration. Auch Gian war Feuer und Flamme, schlug vor, dass wir uns gegenseitig unsere Ess- und Kochkultur näherbringen.

Aktuell ist das Projekt etwas auf Eis gelegt, es soll jedoch bald wieder zu neuem Leben erwachen. Unter «Love is Love» sollen dereinst sämtliche sozialen Projekte von uns laufen.

Sara und Gian Bumbacher deponieren ein Zmorge im Milchkasten
Sara und Gian Bumbacher deponieren ein Zmorge im Milchkasten. Bild: zvg

Wird es euer Angebot auch noch geben, wenn die Coronapandemie irgendwann vorüber sein wird?

Ursprünglich war die Idee, das «Milchchäschtli» sterben zu lassen, wenn die Pandemie vorbei ist. Jedoch ist es für mich und Gian mittlerweile zu einem derart grossen Lebensinhalt avanciert, dass wir uns ein Leben ohne «Milchchäschtli» gar nicht mehr vorstellen können.

Daneben führen Sie mit Primepool Ihre eigene Firma, haben sich auf «New Work» und «Feelgood-Management» spezialisiert. Wie stark wurde Ihr primäres Geschäftsfeld von der Coronapandemie getroffen?

Zu Beginn musste ich sämtliche Geschäftstätigkeiten runterfahren. Mittlerweile kann ich zwar wieder Lehrgänge anbieten, jedoch mit halbierter Teilnehmerzahl.

Haben Sie überhaupt noch genügend Zeit für das «Milchchäschtli», wenn Sie Ihr Pensum für Primepool wieder hochfahren können?

Ich werde dann wohl auf Unterstützung angewiesen sein, weswegen ich mit einem Food-Start-up daran bin, eine Kooperation aufzugleisen. Dieses wäre beim Samichlaus Drive-in bereits für die Verpflegung zuständig gewesen. Ob sie dann unsere Produkte mit ihrem Foodtruck in die Quartiere bringen würden, ist noch offen.

Ihr bleibt bis auf Weiteres bei der Variante Carvelo?

Tatsächlich sind wir damit bereits Mitte Mai an unsere Grenzen gestossen, als wir die Muttertagsbrunches auslieferten. Wir hatten derart viele Bestellungen, dass wir es mit dem Carvelo zeitlich unmöglich geschafft hätten. Ansonsten hätten die Letzten ihren Brunch um 14 Uhr bekommen.

So mussten wir an diesem Tag aufs Auto ausweichen. Ausserdem hat die Zahl der Bestellungen mittlerweile ein Ausmass angenommen, dass wir manche Produkte wie unser Fondue per Post versenden müssen. Aber grundsätzlich setzen wir natürlich weiterhin aufs Carvelo.

Was haben Sie durch das «Milchchäschtli» gelernt, das Sie auch bei Primepool einbringen können?

Das durch das «Milchchäschtli»-Projekt entstandene Netzwerk wird mir auf jeden Fall helfen. Auch den Ansatz, nicht jede Idee sieben und acht Mal durchzugehen und x-fach Rücksprache zu nehmen, sondern einfach mal zu machen, kann ich mitnehmen sowie dass das Profit-Denken wahrlich nicht immer im Vordergrund stehen muss.

Ich lasse auch viele «Milchchäschtli»-Erfahrungen in mein zweites Buch einfliessen, das ich aktuell schreibe. Während meiner Zeit in der Klinik Adelheid in Unterägeri hatte ich viel Zeit, nachzudenken. Entsprechend viele weitere Ideen für das Buch sind hinzugekommen.

Weitere Infos zu Sara Bumbachers Projekten findest du unter www.milchchaeschtli7.ch