125 Kerzen stehen auf dem Geburtstagskuchen des Orchesters Cham-Hünenberg. Das grosse Jubiläumsprojekt «Flashback» musste der Verein coronabedingt allerdings um ein Jahr verschieben. Wir haben uns deswegen mit Vereinspräsidentin Michèle Willimann zum Gespräch getroffen.
Vereine, die für 2020 grosse Veranstaltungen auf der Agenda stehen hatten, wurden fast durchgehend ausgebremst. Ein zwischen die Beine geworfener Knüppel namens Covid-19 machte so manchen Strich durch die Rechnung. Noch bitterer ist es, wenn eine grosse Jubiläumsfeier angestanden hätte.
So geschehen beim Orchester Cham-Hünenberg (OCH): 125 Jahre alt wird der Verein heuer. Entsprechend war für den September eine grosse Jubiläumskomposition namens «Flaschback» geplant. Doch zu Beginn des Sommers fällte der Vorstand den definitiven Entscheid: Dieses Jahr wird es kein Jubiläumsprojekt geben, zu gross sind die Unsicherheiten.
Stattdessen entschied sich das OCH um Präsidentin Michèle Willimann, die Aufführung um ein Jahr auf den 10. bis 12. September 2021 im Chamer Lorzensaal zu verschieben. Dabei wird sowohl musikalisch als auch visuell mit der grossen Kelle angerührt.
Im Interview mit FonTimes verrät Michèle Willimann, weshalb gleich um zwölf Monate verschoben wird, worauf sich die Besucher in knapp einem Jahr freuen dürfen und weshalb ihr Orchester die Zuger Geschichte mitgeprägt hat.
Frau Willimann, die Vorbereitungen des Orchesters Cham-Hünenberg für das Jubiläumsprojekt «Flashback – eine bebilderte Jubiläumskomposition» begannen vor über einem Jahr. Wann war klar, dass es nicht wie geplant stattfinden kann?
Im Juni haben wir uns definitiv für eine Verschiebung entschieden, doch zeichnete sich dies relativ früh ab. Wir warteten noch ab, ob wir allenfalls vor den Sommerferien proben können. Dies war jedoch nicht der Fall. Im Februar begannen wir mit den Proben, die Mitte März ein abruptes Ende fanden.
Das wichtigste Ziel war natürlich, dass wir es musikalisch hinkriegen. Das konnten wir mit fast drei Monaten Probeausfall auch mit Zusatzproben leider nicht gewährleisten und entschieden uns deshalb für die Verschiebung.
Weshalb habt ihr euch entschieden, den Auftritt gleich um ein Jahr zu verschieben? Erhofft ihr euch dadurch mehr Planungssicherheit?
Ja, da wir nicht wussten, wann wir wieder zu proben beginnen können. Ausserdem war die Verfügbarkeit der Räume ein Thema. Durch die Verschiebung um ein Jahr haben wir nun die Kapazitäten, im Dezember zusätzlich ein Weihnachtskonzert zu veranstalten – sofern es stattfinden kann (lacht). So können wir uns im neuen Jahr voll auf «Flashback» konzentrieren.
Was ändert sich für euch durch die Verschiebung? Erfährt das Projekt Anpassungen?
Wir passten zum Beispiel unser Jubiläumslogo an, haben es mit einem «+1-Virus» ergänzt. Zudem möchten wir beim Auftritt ein Bild zum Coronavirus einbauen, da dieses für alle sehr prägend ist. Eventuell wird Sandra Stadler auch kompositorisch noch etwas einfliessen lassen. Ansonsten sind keine grossen Änderungen geplant.
Erleidet ihr durch die Verschiebung einen finanziellen Schaden?
Wir haben das Glück, dass unsere Sponsoren die Gelder für das Projekt gesprochen haben. Sprich, sie bleiben trotz Verschiebung an Board. Allerdings begannen wir wie erwähnt bereits mit den Proben. Die drei bis vier Musikerinnen und Musiker, welche bei uns angestellt sind, bezahlten wir bis zu den Sommerferien weiter – trotz Probestop.
Für die externen Musikerinnen und Musiker, die nun für die Proben hinzugekommen wären, beantragen wir Kurzarbeit. Es sieht so aus, als würden wir nur einen leichten Verlust verbuchen müssen und sozusagen mit einem blauen Auge davonkommen. Wir hoffen aber, dass das Weihnachtskonzert zustande kommt.
Werden für «Flashback» externe Musikerinnen mit dabei sein?
Ja, denn wir sind ein reines Streichorchester. Bei grösseren Projekten verpflichten wir jeweils Bläser und Schlagwerke. Manche sind Profis, manche Studenten und manche gute Amateure.
Bei «Flashback» werden wir auch ergänzende Streicherinnen und Streicher dabeihaben. Noch steht die Besetzung für nächstes Jahr nicht ganz, da viele Musikerinnen 2021 bereits zahlreiche Verpflichtungen haben.
Wenn ihr das Projekt ins Verhältnis zu anderen Grossprojekten des OCH wie Däumelinchen 2017 oder Peter und der Wolf 2013 setzt – ist «Flashback» nochmals eine Nummer grösser?
Es ist schon etwas anderes, da wir uns bei «Flashback» auch mit der Historie des Kantons befassen. Wir möchten die Zuger Geschichte der letzten 125 Jahre musikalisch erzählen. Aus diesem Anlass suchten wir gemeinsam mit dem bekannten Zuger Historiker Michael von Orsouw 125 Bilder heraus, die auf einer Leinwand zu sehen sein werden.
Zudem haben wir den Auftritt in fünf Sätze unterteilt: Den Aufbruch in die Moderne, die Kriegszeit, den Wirtschaftsboom, die Grenzen des Wachstums mit Ölkrise und kaltem Krieg sowie die Gegensätze Schnelllebigkeit und Entschleunigung der letzten rund 25 Jahre.
Pro Satz sind es jeweils fünf Hauptbilder, die länger auf der Leinwand zu sehen sein werden. Sandra Stadler komponierte die Musik zu diesen Hauptbildern.
«Wir sind im Vergleich zu anderen Orchestern wohl jünger und dynamischer»
Wie ist die Zusammenarbeit mit Sandra Stadler zustande gekommen?
Wir fragten sie an, bereits anlässlich von Däumelinchen standen wir 2016 in Kontakt mit ihr. Wir wissen, dass sie eine sehr gute Komponistin ist. Zudem ist es ein angenehmer Nebeneffekt, dass wir eine junge Komponistin auf diese Weise unterstützen können.
Aus welchem Grund habt ihr euch dazu entschieden, nicht bloss euch als Verein beim Jubiläumsprojekt zu feiern, sondern eine historische Brücke zu schlagen?
Weil unser Orchester für die Zuger Geschichte nicht ganz unwichtig war (siehe Box). Unser Bratschist Richard Meier hat sich in den letzten eineinhalb Jahre intensiv mit der Geschichte des OCH befasst und dazu ein über hundertseitiges Buch verfasst, in dem aufgearbeitet ist, wie das OCH die bewegte Geschichte des Kantons Zug seit Ende des 19. Jahrhunderts miterlebt hat.
Dazu wird es im August 2021 einen Anlass geben, an dem Richard Meier auch die eine oder andere spannende und witzige Anekdote des Orchesters erzählen kann. Beispielsweise wies das OCH teilweise eine beindruckende Effizienz auf, so probte es einst für weltliche Auftritte dreimal und für Kirchenauftritte ein einziges Mal – entsprechend war teilweise das musikalische Niveau (lacht).
Zur Person Michèle Willimann ist seit neun Jahren Mitglied des OCH, seit 2016 präsidiert sie den Chor. Die Zugerin (ALG) wurde vergangenes Jahr in den Grossen Gemeinderat Zug gewählt. Beruflich ist Willimann als Raumplanerin in Luzern tätig. Die 29-Jährige amtet ausserdem als Präsidentin des Vereins Waldstock, der das gleichnamige Festival in Steinhausen veranstaltet.
Bei den fünf Epochen, die Sie erwähnt haben, wechseln sich Höhen und Tiefen ab. Lässt sich dies auch auf das Orchester Cham-Hünenberg übertragen?
Ja, das OCH erlebte zweifellos auch schwierige Zeiten. Während den Kriegen sank die Mitgliederzahl beispielsweise jeweils deutlich. Vor dem Aus stand das Orchester unseres Wissens jedoch nie. In den letzten Jahren haben wir nun gar eine Verjüngung erfahren.
Der generelle Trend geht jedoch in eine andere Richtung: Immer weniger Junge engagieren sich in Vereinen. Worin besteht die Anziehungskraft des OCH?
Wir sind im Vergleich zu anderen Orchestern wohl jünger und dynamischer, allerdings alterstechnisch nach wie vor erfreulicherweise wild durchmischt. Wir haben ein abwechslungsreiches Programm, spielen nicht ausschliesslich klassisch. Das scheint unseren Mitgliedern zu gefallen.
Wie sieht es bezüglich Einzugsgebiet aus? Spielen ausschliesslich Zugerinnen und Zuger im OCH?
Hinzu kommen nicht wenige Heimwehzuger, die mittlerweile in Zürich leben sowie Mitgliederinnen aus nahegelegenen Gemeinden wie Zug, Rotkreuz oder Steinhausen. Früher waren es praktisch ausschliesslich Chamer und Hünenberger. Aktuell sind wir rund 35 Mitgliederinnen.
Wie haben Sie den Weg zum OCH gefunden?
Ich spiele seit vielen Jahren Geige. Früher war ich Mitglied des Jugendorchesters Zug. Als ich für dieses zu alt wurde, suchte ich nebst dem damaligen Geigenunterricht erneut ein Orchester – für mich ist das gemeinsame Musizieren das schönste. Das OCH hat mir schliesslich meine damalige Geigenlehrerin empfohlen.
Die Geschichte des Orchesters Cham-Hünenberg Der Orchesterverein Cham wird am 4. Dezember 1895 im Restaurant Schlüssel in Cham von 17 Streichern und fünf Bläsern der Musikgesellschaft Cham gegründet. Zu den Gründungsmitgliedern gehören unter anderem die beiden Neffen von George Ham Page, Generaldirektor der Anglo-Swiss Condensed Milk Company, die später mit Nestlé fusionierte. 1918 gehört das Chamer Orchester zu den acht Gründersektionen des Eidgenössischen Orchesterverbands. 1932 zieht sich Nestlé aus Cham zurück – mitten in der grossen Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre. Dies trifft auch den Orchesterverein. Zahlreiche Mitglieder müssen sich eine neue Arbeit und eine neue Wohngemeinde suchen. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs erlebt der Verein unter der Leitung des neuen Dirigenten Josef Brunner eine Renaissance. In den 1970er und 1980er Jahren finden sich in Cham immer weniger Orchestermitglieder. Die Bläser wenden sich vermehrt den Blasmusikgesellschaften zu, die jungen Streicher zieht es in die neu entstehenden Jugendorchester. An Konzerten müssen Musikanten befreundeter Orchester aushelfen. Immer wichtiger werden Spieler aus Hünenberg. 1985 stellen die Hünenberger mehr als die Hälfte des Orchesters. Der «Orchesterverein Cham» wird in «Orchester Cham-Hünenberg» umgetauft. 1987 übernimmt die Musikgesellschaft Cham von der Gemeinde das Spritzenhaus am Rigiplatz und baut es in einen Übungssaal um. Jeweils am Mittwochabend darf auch das Orchester Cham-Hünenberg hier proben – und tut dies bis heute.
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