Deswegen leiden die Zuger Wälder unter der Coronapandemie

Deswegen leiden die Zuger Waelder unter der Coronapandemie
Deswegen leiden die Zuger Waelder unter der Coronapandemie

Die Zuger Wälder haben es aktuell nicht leicht. 2018 setzte ihnen die enorme Hitze und Trockenheit zu, nun bekommen sie die Auswirkungen der Coronapandemie zu spüren: In den vergangenen Monaten haben sich deutlich mehr Leute in den Wäldern getummelt, auf der Suche nach Erholung und Ersatz für abgesagte Veranstaltungen und über den Haufen geworfene Ferienpläne.

FonTimes hat sich deswegen mit Martin Ziegler, Co-Leiter des Amts für Wald und Wild im Kanton Zug, unterhalten.

Herr Ziegler, wir haben einen weiteren warmen und teilweise trockenen Sommer hinter uns. Was sind nun die Herausforderungen für den Zuger Wald?

Die Wälder haben unter der Jahrhunderttrockenheit im Jahr 2018 stark gelitten. Die Erholung wird noch Jahre dauern. Dieses Jahr erlebten wir einen trockenen Frühling, was kaum zur Entspannung beigetragen hat. Denn gerade im Frühling brauchen die Pflanzen wegen des Blattaustriebs viel Energie.

Dank den Sommerniederschlägen haben sich die Wälder mittlerweile erholen können. Ein niederschlagsarmer September führt zu keinem Trockenstress mehr für den Wald. Denn im Herbst werden die Nächte wieder feuchter und der Wasserbedarf der Bäume ist geringer. Die Situation hat sich also entspannt.

2020 ist nicht bloss wegen der wochenlangen Trockenheit im Frühjahr ein sehr besonderes Jahr. Die Zahl der Waldbesucher ist – besonders im Frühjahr – deutlich höher ausgefallen als sonst. Was bedeutete dies für die Zuger Wälder?

Allgemein wurde der Wald mehr als in anderen Jahren von Erholungssuchenden genutzt. Die damit einhergehenden Störungen für die Natur bezogen sich nicht nur auf die üblichen Gebiete, sondern auch auf normalerweise ruhige, abgelegenere Gebiete. Dies hatte vor allem Auswirkungen auf den Lebensraum der Tiere.

Dies ist umso problematischer, da viele Tierarten im Frühjahr Nachwuchs bekommen und in dieser Zeit besonders störungsanfällig sind. Ich denke da an sämtliche Wildarten oder auch an brütende Vögel. Auf der anderen Seite freut uns auch das Interesse am Wald. Zudem ist das Bedürfnis der Leute nach Erholung in den Wäldern absolut verständlich.

Martin Ziegler leitet gemeinsam mit Priska Mueller das Amt fuer Wald und Wild.
Martin Ziegler leitet gemeinsam mit Priska Müller das Amt für Wald und Wild. Bild: zvg

Glauben Sie, dass dieses Jahr durch die besonderen Umstände eine Ausnahme bleiben wird oder dient der Wald generell immer mehr Leuten als Erholungsoase?

Der Trend geht auf jeden Fall in diese Richtung. Unsere Aufgabe ist es, die Leute zu lenken, damit in den Wäldern Dichtestress möglichst vermieden werden kann und die Besucher tatsächlich Erholung erfahren können.

Möglicher Dichtestress in den Wäldern ist also nicht erst seit gestern ein Thema. Was hat sich diesbezüglich in den letzten Jahren verändert? Beispielsweise durch das Aufkommen von E-Mountainbikes.

E-Mountainbikes haben tatsächlich zu einer Veränderung geführt, da die Leute so schneller an abgelegeneren Orten sind. Zudem werden neue Gebiete erschlossen und es kommt zu Störungen an sensibleren Stellen. Mehr Leute auf den Wegen bedeuten zudem Mehraufwendungen für die Waldbewirtschaftenden punkto Sicherheitsmassnahmen bei Holzschlägen.

Ist ein möglicher Lösungsansatz, dass man es an mehreren Orten handhabt wie am Zugerberg mit dem Mountainbike-Trail? Sozusagen klar absteckt, welches Gebiet für wen ist?

Ich hoffe eher, dass ein Miteinander möglich ist. Denn ein Nebeneinander benötigt entweder mehr Infrastruktur wie Wege oder Einschränkungen einzelner Nutzergruppen. Die Wegdichte in den Zuger Wäldern ist bereits jetzt sehr hoch. Ein Nebeneinander mit neuen Wegen können wir uns somit nicht leisten, da ansonsten wiederum in sensible Gebiete eingegriffen werden müsste.

Die Auerhaehne haben es nicht leicht im Gutschwald.
Die Auerhaehne haben es nicht leicht im Gutschwald.

Muss bei den Leuten auch vermehrt wieder das Bewusstsein geweckt werden, dass der Wald nicht primär existiert, um dem Menschen in der Freizeit zu dienen? Dass nach wie vor die Natur selbst Priorität geniessen müsste und nicht der Mensch in der Natur.

In der Tat ist man Gast in der Natur – und das auf fremdem Eigentum. Dementsprechend rücksichtsvoll sollte man sich auch verhalten. Nur dann kann das freie Betretungsrecht der Wälder weitgehend erhalten bleiben. Lenkungsmassnahmen sind unausweichlich. Dazu gehört auch die Sensibilisierung vor Ort.

Wissen die Leute überhaupt, wem die Wälder gehören?

Viele sind sich nicht bewusst, dass der Wald nicht Eigentum der allgemeinen Öffentlichkeit ist. Rund zwei Drittel des Zuger Waldes gehören verschiedenen Korporationen, 30 Prozent privaten Waldeigentümern und nur fünf Prozent dem Kanton Zug.

«Die Wegdichte in den Zuger Wäldern ist bereits jetzt sehr hoch»

Haben Sie das Gefühl, dass das aufeinander Rücksicht nehmen in den Wäldern in den letzten Jahren eher zu- oder abgenommen hat?

Es gibt verschiedene Tendenzen. Bezüglich Littering konnten wir eine Verbesserung feststellen –dieses Jahr während dem Lockdown ausgenommen. Zu dieser Zeit waren Leute in den Wäldern unterwegs, die dort normalerweise nicht anzutreffen sind. Die gegenseitige Akzeptanz zwischen Biker und Wanderer wird jedoch immer öfter auf die Probe gestellt.

Bräuchte es strengere Regeln für das Miteinander in den Wäldern – wie vermehrte Weggebote? Oder würde dies nicht viel bringen, da sich die Kontrolle in den Wäldern schwierig gestaltet?

Die Durchsetzung wäre schon möglich. Allerdings möchten wir so lange wie möglich so wenig wie möglich einschränken. Weg- und Betretungsverbote sollen ein letztes Mittel bleiben. Die Leute sollen sich im Wald wohl und möglichst frei fühlen.

Könnte es irgendwann zu einer Option werden, dass bestimmte Wälder nicht mehr 24 Stunden am Tag offenstehen? Dass es beispielsweise ab 22 Uhr wie bei gewissen Parks eine Zugangsbeschränkung gibt?

Es gibt bereits gewisse Zugangsbeschränkungen in Waldnaturschutzgebieten, allerdings nur punktuell. Aktuell beispielsweise im Gebiet Rüss-Spitz oder zukünftig vermutlich im Auerwildgebiet Gutschwald, wo balzende Auerhähne teilweise massiv gestört wurden.

Es ist aber nicht das Ziel, in sämtlichen Waldnaturschutzgebieten, das heisst auf 25 Prozent der Zuger Waldfläche, das Betreten einzuschränken. Es wird nur gehandelt, wenn dies für das Schutzziel nötig ist – und  auch nur dann, wenn weniger einschränkende Massnahmen wie Empfehlungen nicht gegriffen haben. Zur Lenkung gehört auch, die intensivere Erholungsnutzung auf die Wälder mit besonderer Erholungsfunktion zu lenken.

Seit Juni hat der Kanton Zug in Absprache mit dem Verband der Zuger Waldeigentümer mittels Ranger und Revierförster die Aufsicht im Wald verstärkt. Wie fällt die Zwischenbilanz dieser Massnahme aus?

Das vermehrte vor-Ort-Informieren ist bislang sehr gut angekommen. Diese Waldaufsicht dauert noch bis Ende Oktober. Anschliessend werden wir uns mit den Waldeigentümern zusammensetzen, analysieren und das weitere Vorgehen diskutieren. Ob und wie die Massnahme fortgesetzt wird, ist schliesslich auch ein politischer Entscheid.

Sie haben zuvor die balzenden Auerhähne angesprochen. Das Amt für Wald und Wild hat im Frühling Videos auf Youtube geladen, um auf deren Störungsanfälligkeit hinzuweisen. Ist dies ein Instrument, auf das man in Zukunft für die Sensibilisierung öfters setzt, wenn sich eine visuelle Präsentation anbietet?

Die Digitalisierung spielt in unserem Amt und generell im Kanton Zug eine sehr wichtige Rolle. So überlegen wir uns beispielsweise, welche Informationen die Waldbesuchenden per QR-Code direkt auf ihr Handy übertragen können – quasi als Ersatz für die Infotafeln. Der vermehrte Einsatz der Social-Media-Kanäle ist bei der Digitalisierungsstrategie ein Punkt.

Wie stark hat im Vergleich der letzten Jahre heuer der Borkenkäfer in den Zuger Wäldern gewütet?

2018 erlebten wir Schäden bisher unbekannten Ausmasses. Seither haben wir viel in die Eindämmung des Borkenkäfers investiert, bekämpfen ihn mechanisch. Betroffene Bäume werden möglichst rasch gefällt, um die Ausbreitung zu unterbinden. Im Vorjahr fielen die Schäden bereits wesentlich geringer aus. Im aktuellen Jahr zeigt der Trend in dieselbe Richtung. Die konsequente Bekämpfung scheint sich also zu bewähren.

Die Larve eines Borkenkaefers. Ihm hat das Amt fuer Wald und Wild den Kampf angesagt.
Die Larve eines Borkenkäfers. Ihm hat das Amt für Wald und Wild den Kampf angesagt. Bild: Rebell/Depositphotos

Blicken wir zum Abschluss noch etwas in die Zukunft. Wie sehr werden die Zuger Wälder und mit ihnen die Biodiversität unter Druck geraten durch Neophyten oder die Zunahme von Monokulturen beim Ackeranbau, was sich wiederum auf das Insektenvorkommen auswirkt?

In der Tat üben invasive Arten Druck auf einheimische Arten aus. Dies gilt sowohl für das Pflanzen- als auch das Tierreich. So untersuchen wir aktuell die Auswirkungen der Kirschessigfliege auf die Wälder. Heikle Arten müssen wir bekämpfen oder zumindest auf ein ökologisch tragbares Mass reduzieren.

Es werden nicht nur Tiere und Pflanzen eingeschleppt, sondern auch Krankheiten, die für einheimische Arten sehr schädlich sind. Ich denke zum Beispiel an die Ulmenwelke oder an das Eschentriebsterben. So können ganze Baumarten unter Druck kommen. Zudem kann der steigende Erholungsdruck negative Auswirkungen auf die Biodiversität haben, sofern Lenkungsmassnahmen fehlen oder nicht greifen.

Inwiefern wird die Klimaerwärmung eine Rolle spielen?

Natürlich hat sie Auswirkungen auf unsere Wälder. So werden trockenheitsresistentere Arten zunehmen. Hier wirken wir unterstützend, indem wir die Diversifizierung des Waldes vorantreiben.

Je mehr einheimische Arten vorkommen und je strukturierter der Wald ist, desto besser kann er auf Störungen reagieren. Auch auf klimatische Veränderungen. Unter diesen Voraussetzungen ist der Wald zumindest in unseren gemässigten Zonen der Alpennordseite gerüstet.