Die Temporärbranche befindet sich seit Monaten im Würgegriff der Coronapandemie. Entsprechend gefordert ist der Branchenverband Swissstaffing. Dessen Direktorin Myra Fischer-Rosinger schätzt im Interview mit FonTimes die Lage für die Flexworker ein und wagt einen Blick in die Glaskugel, wann sich die Situation normalisieren könnte.
Brechen schwierige Zeiten an und muss der Gürtel entsprechend enger geschnallt werden, sind es jeweils die schwachen Glieder, welche zuerst darunter leiden müssen. Schaut man sich die Auswirkungen der Coronaviruspandemie den Schweizer Arbeitsmarkt an, bildet dieser keine Ausnahme. So ist beispielsweise der Markt für Temporärarbeitende seit Anfang März dramatisch eingebrochen.
Temporärarbeitende sind meist befristet angestellt. Immer jedoch besteht ein Dreiecksverhältnis zwischen Einsatzbetrieb, Arbeitnehmer und einem Temporärbüro, welches der Arbeitgeber ist. Es stellt Arbeitnehmer an und leiht diese an Einsatzbetriebe aus. Temporärarbeit ist somit eine Form von Personalverleih.
In dieser für die Temporärbranche schwierigen Zeit ist unter anderem Swissstaffing gefragt. Dieser ist ein nationaler Unternehmensverband für Personaldienstleister. Als Arbeitgeberverband vertritt Swissstaffing die Anliegen seiner Mitglieder gegenüber Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.
Nach eigenen Angaben «fördert er die Interessen der Personaldienstleistungsbranche und setzt sich aktiv für das Image der Temporärarbeit ein» (weitere Infos: siehe unten). Myra Fischer-Rosinger ist seit 2014 Direktorin bei Swissstaffing, seit 2006 ist sie beim Verband tätig. Davor arbeitete die gelernte Politologin und Volkswirtin unter anderem für Avenir Suisse.
Im Interview mit FonTimes gewährt Fischer-Rosinger Einblick in die aktuell schwierigen Zeiten für die Temporärbranche, ob die Coronaviruspandemie langfristig ein Umdenken im Arbeitsmarkt bewirken kann und weshalb sie kein Fan eines stark ausgebauten Kündigungsschutzes ist.
Frau Fischer-Rosinger, die Notverordnung des Bundesrates ist Ende August ausgelaufen. Ohne Anschlusslösung bezüglich Kurzarbeit droht zahlreichen Temporärarbeitenden ein Ende des Arbeitsverhältnisses. Spüren Sie bei Swissstaffing bereits erste Auswirkungen diesbezüglich?
Zahlen für den September liegen uns natürlich noch nicht vor. Tatsächlich sind jedoch viele unserer Mitglieder enttäuscht, dass die ausserordentlichen Massnahmen bezüglich Kurzarbeit wie die Ausweitung der Anspruchsgruppen nun entfällt und die Rückkehr zum ursprünglichen System der Kurzarbeitsentschädigung erfolgt ist.
Unser Anliegen ist, dass die gesetzliche Grundlage geschaffen wird, um die Kurzarbeit für Temporärarbeitende wieder einführen zu können – eine zweite Welle und damit einhergehend ein erneuter Lockdown sind keinesfalls auszuschliessen.
Die Coronaviruspandemie hatte und hat einen starken Einfluss auf den Arbeitsmarkt. Inwiefern hat sich seit dem Ausbruch der Pandemie in der Schweiz die Situation für Swissstaffing verändert?
Die Personaldienstleister sind seither auf andere Weise gefordert als bei «normalen» wirtschaftlichen Krisen. Die Temporärbranche ist sehr volatil, was auch hilft, Konjunkturschwankungen abzufedern.
Wir sind Krisen gewohnt, doch hier kam der Einbruch schneller und stärker. Wir waren als Verband gefordert, unseren Mitgliedern zu kommunizieren, welche Regeln nun gelten. Die Kurzarbeit war für unsere Branche ein neues Instrument, weswegen sowohl wir als auch die Behörden, viel lernen mussten.
Wie stark ist der Markt für Temporärarbeitende seit Anfang März eingebrochen?
Das Minus betrug im ersten Quartal im Vergleich zum Vorjahr sechs Prozent. Zu Beginn dachten wir an eine langsame Konjunkturabkühlung, da die Branche bereits vergangenes Jahr rückläufig war. Im zweiten Quartal kam mit minus 23 Prozent dann der Coronaeffekt zum Tragen. Alleine im Juli waren es minus 19 Prozent.
Welche Branchen waren und sind besonders betroffen?
Unter anderem natürlich die Event- und Gastrobranche – doch es war ein breiter Einbruch. Die Dienstleistungs- und exportorientierte Industriebranche waren generell betroffen. Ausserdem waren die Auswirkungen des Lockdowns in der Romandie und dem Tessin stärker spürbar, da die Massnahmen dort rigoroser waren.
Was schätzen Sie wie lange es dauern wird, bis die Temporärbranche wieder ihr Vor-Corona-Niveau erreichen wird?
Das ist schwierig einzuschätzen, da es sich nicht nur um eine Wirtschaftskrise handelt. Allerdings gibt es im Moment wenig Anhaltspunkte dafür, optimistisch zu sein. Die Minuszahlen werden vermutlich noch längere Zeit anhalten, zumal die wirtschaftliche Unsicherheit gross ist.
Ausserdem werden die Firmen erst ihre Mitarbeiter aus der Kurzarbeit holen und wieder in den normalen Betrieb integrieren, bevor Temporäre eingestellt werden.
Was wird die Coronapandemie Ihrer Meinung nach längerfristig für Auswirkungen auf die Temporärbranche haben?
Es kann sein, dass ein Umdenken stattfindet. Es war schon zuvor ein Trend zu mehr Flexibilität festzustellen. Es findet aktuell ein individueller Wertewandel statt – und auch ein Umdenken bei den Unternehmen. Corona könnte diesen Trend nun verstärken. Wir gehen jedoch davon aus, dass Festangestellte die Regel bleiben werden.
«Eine tiefe Eintrittsschwelle ist eine Win-Win-Situation und mit ein Grund für die tiefe Arbeitslosenquote in der Schweiz»
Entstehen durch die Förderung der Temporärbranche nicht auch negative Begleiterscheinungen? Beispielsweise abnehmende Loyalität sowohl aus Arbeitgeber- als auch aus Arbeitnehmersicht. Zudem eine verminderte Identifikation mit dem Unternehmen sowie ein geringeres unternehmensspezifisches Wissen.
Diese Punkte sind berechtigte Argumente. Aus diesem Grund braucht es auch beides – Festangestellte und Flexworker. Für die Unternehmen gilt es, die Balance zu finden.
Die Vorteile von Flexwork wie Unabhängigkeit und Flexibilität sind klar. Doch was sind die Schwierigkeiten, denen sich Flexworker stellen müssen?
Die Herausforderungen liegen vor allem im Systemumfeld, sprich was die Sozialversicherungen anbelangt. Es braucht bessere Lösungen für Flexworker bezüglich AHV, Pensionskasse und Arbeitslosenkasse.
Alles muss jedoch sicherlich nicht auf den Kopf gestellt werden. So hat die Temporärbranche Lösungen entwickelt, wie Flexworker von Anfang an Zugang zur Pensionskasse erhalten.
Stichwort sich zuspitzender Fachkräftemangel: Was ist aus Ihrer Sicht das Rezept, um diesem möglichst effizient entgegenwirken zu können? Ist der «Import» von Fachkräften aus dem Ausland längerfristig effizienter oder die entsprechende Ausbildung inländischer Fachkräfte?
Das Rezept hier lautet das eine tun und das andere nicht lassen. Der Fachkräftemangel ist eine logische Konsequenz des technologischen Wandels, wobei das Bildungssystem hier eine zentrale Rolle einnimmt.
Jedoch braucht dessen Anpassung Zeit, womit diese Säule nicht ausreichend ist. Studien zur Zuwanderung zeigen: Gut qualifizierte Arbeitskräfte aus dem Ausland schaffen Arbeitsplätze – und zwar nicht nur solche für hochqualifizierte Arbeitskräfte.
Swissstaffing setzt sich für einen möglichst liberalen Arbeitsmarkt ein. Unter anderem, damit die Eintrittsschwelle in den Arbeitsmarkt möglichst niedrig ist. Doch ist beispielsweise durch einen geschwächten Kündigungsschutz nicht auch die «Austrittsschwelle» tiefer, weswegen die Position der Arbeitnehmenden geschwächt wird?
Nein, eine tiefe Eintrittsschwelle ist eine Win-Win-Situation und mit ein Grund für die tiefe Arbeitslosenquote in der Schweiz. Bei einem starken Kündigungsschutz wären die Unternehmen gehemmter, was das Einstellen von Arbeitskräften anbelangt, da sie grössere Verpflichtungen hätten. Im nahen Ausland wie Italien oder Frankreich mit einem stärkeren Kündigungsschutz sind deswegen befristete Arbeitsverträge deutlich häufiger.
Welches waren die wichtigsten Punkte, welche sich für die Temporärbranche 2012 durch den Abschluss des Gesamtarbeitsvertrag Personalverleih geändert haben?
Auf Arbeitnehmerseite haben wir gute Lösungen für die Temporärarbeitenden bezüglich BVG und Krankentaggeld finden können. Zudem konnten wir dadurch der Weiterbildungsfonds Temptraining einrichten. Unsere Branche kann diesen Fonds selbst betreuen. Zudem haben wir als Branche durch den Vertrag mehr Selbstbestimmung erreichen können.
Der aktuelle GAV Personalverleih läuft Ende Jahr aus. Wird bis dann ein neuer GAV Personalverleih abgeschlossen werden?
Wir stehen aktuell in Verhandlungen. Es ist auf jeden Fall in unserem Interesse, einen neuen Vertrag auszuarbeiten. Und ich bin mir sicher, dasselbe gilt für die Gewerkschaften am anderen Ende des Tisches.
Apropos Gewerkschaften. Haben Sie das Gefühl, dass die Arbeitgeberposition bezüglich Sozialpartnerschaft in letzter Zeit geschwächt worden ist?
Ich bin der Meinung, es ist eine Modernisierung nötig. Die Gewerkschaften denken eher in traditionellen Modellen und vertreten heute nicht mehr den durchschnittlichen Arbeitnehmer.
Die Zusammensetzung der Erwerbstätigen hat sich verändert: Die Zahl der Dienstleistungsberufe ist heute viel höher, währenddem viele Gewerkschaften aus traditionellen Branchen wie der Baubranche stammen.
Das ist Swissstaffing Swissstaffing wurde 1968 als Schweizerischer Verband der Unternehmungen für Temporärarbeit und private Arbeitsvermittlung (SVUTA) gegründet. Der SVUTA fusionierte 1998 mit dem Verband der Personalberater der Schweiz (VPS) und wurde in VPDS umbenannt. Durch die Fusion öffnete sich der Verband für Vermittler und HR-Beratungsunternehmen. Seit 2006 heisst der Verband Swissstaffing. Er zählt mittlerweile knapp 900 Mitglieder. Seit 2012 besteht ein allgemeinverbindlich erklärter Gesamtarbeitsvertrag «GAV Personalverleih», welchen Swissstaffing mit den Gewerkschaften Unia, Syna, Angestellte Schweiz und KV Schweiz ausgehandelt hat. Der GAV regelt den Umgang mit den Temporärarbeitenden, insbesondere im Bereich der sozialen Sicherheit. Zudem wurde im Rahmen des GAV Personalverleih ein Weiterbildungsfond eingerichtet.
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