Digitale Welt – schön und gut. Aber für den mobilen Konsum gehen manchmal die wirklich wichtigen Dinge flöten. Die Redaktion von FonTimes schenkt Ihnen daher in jeder Aus gabe ein paar Minuten Offline-Modus. Dieses Mal geht es um Social Cocooning.
Der Begriff Social Cocooning beschreibt eine neue Art der Achtsamkeit. Das englische Wort Cocooning steht für „sich in einen Kokon einspinnen“ und damit für die vollständige Zurückgezogenheit in die eigene Privatsphäre. Beim Social Cocooning geschieht dies vor allem im freundschaftlichen und familiären Umkreis.
In einer immer schnelllebigeren Welt und mit der zunehmenden Digitalisierung und Globalisierung geht dieser Trend wieder einen Schritt zurück. Er beschreibt die zunehmende Sehnsucht nach ehrlicher Kommu ni ka tion und echter Empathie.
Das Gabler Wirtschaftslexikon definiert das Cocooning als Verhaltensform, welche aus dem „Rückzug von der komplexen, bedrohlichen und unkontrollierbaren Umwelt in die eigenen vier Wände besteht“. Das Zukunftsinstitut bezeichnet das Social Cocooning daher auch als neue Lagerfeuer Mentalität.
Denn früher haben sich die Menschen am Lagerfeuer zusammengefunden. Heute trifft man sich wieder zum gemeinsamen Essen, Lachen und Reden – meist im heimischen Wohnzimmer. Diesen Aspekt greift auch eine skandinavische Lebensart auf, die gerade nach Mitteleuropa schwappt und in jedem LifestyleBereich Einzug hält – Hygge.
Der Begriff stammt aus dem Altnordischen und steht heute für Gemütlichkeit, Entspannung, Wohlbefin den und die Gemeinschaft mit der Familie und den Freunden. Die skandinavische Lebensart legt dabei Wert auf die Wertschätzung der kleinen Dinge.
Dabei geht es nicht darum, wie beim Cocooning, als Einzelner zu entspannen und sich komplett zurückzuziehen, sondern darum, die Nähe zum sozialen Umfeld zu geniessen, egal ob bei einem gemeinsamen Ausflug in die Natur oder auf dem Sofa.
Die Skandinavier Haben Es Perfektioniert
Social Cocooning – insbesondere das skandinavische Hygge – ist immer auch eine Antwort auf einen politischen oder ökonomischen Wandel. Dieser macht sich in unserer heutigen Zeit durch den finanziellen Wandel in Europa und die weltweite Terrorgefahr bemerkbar.
Krisen sorgen laut Forschern meist dafür, dass der Mensch sich in „seine Höhle“, seinen persönlichen Schutzraum, zurückzieht. Das Philomag beschreibt den aktuellen HyggeTrend sogar als Phantomscherz unserer Zeit. Hinzu kommt, dass unser Alltag immer schnelllebiger wird.
Egal ob Hygge oder Social Cocooning, gemeinsam mit Freunden und Familie durch das Leben zu gehen und das Zuhause als Zufluchtsort anzusehen, der einem immer wie der Rückhalt gibt, ist heute wichtiger denn je. Denn wie einige Forscher und Wissenschaftler bereits mehrfach erläutert haben, ist DauerOnline und Erreichbarkeit purer Stress für den Körper.
Die oft erwähnte WorkLifeBalance mag den meisten inzwischen auf die Nerven gehen, aber sie hat nun einmal Recht. Wenn das Privatleben im Einklang ist, dann läuft auch der Rest und umgekehrt.
Wer sich zu Hause und in seinem sozialen Umfeld wohlfühlt, hat weniger Sorgen und ist allgemein zufriedener mit seinem Leben und bringt folglich auf dem Arbeitsmarkt mehr Leistung. Diese Zufriedenheit schafft keine WhatsApp Nachricht oder kein Like auf Facebook.
Der positive Effekt dieser Interaktion hält immer nur kurzfristig an. Das ist auch einer der Grundsätze der skandinavischen Lebensart: Arbeite an den Verbindungen zu Menschen, nicht an den Verbindungstechnologien.
Und die Statistik gibt ihnen Recht: 78 Prozent der Dänen treffen sich mindestens einmal wöchentlich mit Freunden, Bekannten oder Verwandten. Im restlichen Europa sind es nicht einmal 60 Prozent.
In der neuen Weltordnung gehen zwischenmenschliche Beziehungen oft baden, obwohl man ständig über Smartphone und Co. in Kontakt steht.
Aber es ist nicht der zwischenmenschliche Kontakt, der die aktive Resonanz mit sich bringt, und den Menschen zum (Über)Leben brauchen. Der Soziologe Hartmut Rosa hat bereits beleuchtet, wie wichtig die Resonanz anderer Menschen für unsere Entwicklung ist.
Dabei ist ein Like nicht ausreichend. Man kann diesen Trend auch als die Suche nach dem Glück bezeichnen. Seit jeher versucht die Menschheit die ultimative Glückformel zu finden.
Die Skandinavier scheinen mit dem HyggePrinzip auf dem richtigen Weg zu sein. Im jährlichen Happiness Report der UNO liegen sie immer auf den vorderen Plätzen, wobei die Schweiz inzwischen den vierten Platz für sich beanspruchen konnte.
HyggeForscher Carsten Levisen fand heraus, dass Mitglieder einer Gruppe soziale Intimität und grundlegendes Vertrauen in der Gemeinschaft aufgrund der guten Absichten der anderen Anwesenden empfinden.
Ein Gefühl von Miss trauen oder andere Arten von Konflikten können laut dem Forscher dazu führen, dass kein Hygge entstehen kann. Unsere Welt ist inzwischen voll von einem derartigen Wandel.
Daher nimmt der Trend immer weiter überhand – sei es die Neuentdecker Leidenschaft fürs Stricken oder das gemeinsame Kochen und Backen. Die Menschen versuchen derzeit wieder zurück in die Gemeinschaft und das nähere, soziale Umfeld zu finden.
Und das nicht über Facebook, WhatsApp und Co. Dabei verteufelt Social Cocooning die Technik nicht generell. Denerst durch die Entwicklung der neuen Technologien hat das Social Cocooning wieder an Fahrt aufgenommen. Forscher sehen auch, dass die Entwicklung einer solchen Mikrogemeinschaft wichtig ist für die Zukunft der Gesellschaft.
Diese Art der Gesellschaft ermöglicht es Individuen die eigene Lebensbatterie wieder aufzuladen. Hinzu kommt, dass neue Technologien, wie etwa OnlineShopping, zum Trend beitragen. Man verkriecht sich zum Einkaufen nach Hause. Und Social Cocooning befeuert die Entwicklung von Smart Home.
Denn laut den Forschern von iHomeLab der Universität Luzern sorgen smarte Technologien dafür, dass unsere eigenen vier Wände besser auf uns reagieren und der Wohlfühlfaktor somit noch einmal steigt. Inzwischen zählt auch das Thema Nachhaltigkeit zum Social Cocooning.
Denn die Menschen, die sich zu den alten Wurzeln bekennen, legen ebenso Wert auf Genuss und nachhaltigen Konsum. Das kann vor allem im UpcyclingTrend festgemacht werden. Dabei wird alten Gegenständen oder Materialen eine neue Aufgabe zuteil.
Auch die Rettung vonLebensmitteln nimmt einen immer grösseren Platz ein – auf FoodsharingPlattformen kann man noch gute Lebensmittel einfach mit anderen tauschen, ehe sie in der Tonne landen (zum Beispiel, wenn man in den Urlaub fährt).
Und Hygge hält immer mehr Einzug in die Möbelhäuser und DekoGeschäfte: Kerzen, kuschelige Decken, fluffige Kissen oder Kochutensilien – der Einzelhandel hat den Trend aufgeschnappt und kommerzialisiert.
HyggeExperte Carsten Levisen ist aber davon überzeugt, dass man das Gefühl nicht kaufen kann. Für ihn passt der kommerzielle Gedanke nicht zum Grundglauben des Hygge: alle sind gleich, ob arm oder reich, und negative Gedanken blieben draussen. Geld und Konsum passen da nicht so recht rein.
Hygge Entstand in Einer Zeit Des Umbruchs
Wer Hygge verstehen will, muss tief in die dänische Kultur eintauchen: Nikolai Frederik Severin Grundtvig ist ein dänischer Denker, der die Kultur nachhaltig beeinflusst hat. Er galt als rastloser Leser und Schreiber.
Sein Wirken fiel in eine Zeit der Veränderungen in Dänemark. Die Aufklärung zog in das Land und die deutsche Romantik inspirierte auch in Dänemark zahlreiche Künstler zu ihren Werken.
1864 verlor Dänemark im deutschdänischen Krieg Schleswig und Holstein an Deutschland und damit fast die Hälfte der Bevölkerung. Diese drei Ereignisse veranlassten Grundtvig dazu, vermehrt über die Werte des Humanismus zu sprechen.
Das zeigte sich nicht nur in seinem Kampf für die Demokratie, sondern auch sein Einsatz für den liberalen Protestantismus. Er war einer der Gründerväter der Volkshochschulen – folkehøjskole –, die Bildung frei von Prüfungen und Noten vorsahen.
Die Schule sollte eine Ergänzung zum gängigen Schulsystem zur freien Selbstentfaltung sein. Dennoch liess Grundtvig der Gemeinschaftsgedanke nicht los. Beeinflusst von den beiden deutschen Romantikern Johann Gottfried Herder und Johann Gottlieb Fichte entwickelte er ein nationalromantisches Bewusstsein.
Er verfolgte damit auch die Idee, dass jedes Volk auserwählt ist, einer bestimmten Aufgabe zu folgen. Die Dänen waren nach seiner Ansicht „das Herzensvölkchen des lieben Gottes“, dessen Aufgabe es ist eine Einheit durch Liebe und Sanftmut zu schaffen.
Nach Grundtvigs Auffassung war das IdealHygge die himmlische Ewigkeit und das Ziel im weltlichen Leben zu versuchen, diesem möglichst nahezukommen. Dafür tun die Dänen alles. Welche Regeln für einen hyggeligen Abend gelten, erfahren Sie in unserem Kasten.
Die Fünf Hygge-Regeln Der Skandinavier
1. Kein Verstellen
Bleiben Sie immer Sie selbst. Ein Grundgedanke von Hygge ist, dass keiner an gegriffen wird und Sie selbst auch niemanden angreifen, sondern jeder so sein kann, wie er ist.
2. Keine Kontroversen
Themen wie etwa Politik sind meist ernst, führen zu unterschiedlichen Meinungen und Streitigkeiten. Solche Themen haben bei einem Hygge-Treffen nichts verloren. Es ist eine dramafreie Zeit, bei der es darum geht, gemeinsam zu essen und die Gesellschaft zu geniessen.
3. Ein Team
Jeder trägt zu einem Hygge-Treffen etwas bei. Anders als bei uns Mitteleuropäern wird bei einem gemeinsamen Abend mit Freunden zusammen gekocht, sodass sich keiner alleine um alles kümmern muss. Jeder trägt das dazu bei, was er kann.
4. Ein Zufluchtsort
Hygge-Zeit soll vor allem ein Schutz vor zu viel Karrierebestrebungen, Geld, Erreichbarkeit und Materialismus sein. Es ist ein Ort, an dem jeder entspannen kann und die Probleme vor der Türe warten lässt.
5. Begrenzte Zeit
Machen Sie sich bewusst, dass die Hygge-Zeit begrenzt ist. So fällt es leichter, Probleme, Urteile und andere schlechte Angewohnheiten für einen Moment zu vergessen und sich wirklich auf das Beisammensein zu konzentrieren und die gemeinsame Zeit zu geniessen.