Einst mussten die Leute die strengen Fastenregeln durch kreative Interpretationen zu umgehen versuchen, um trotzdem genug Energie für die tägliche Arbeit zu haben. Heute steht das Fasten vielerorts in einem grösseren Kontext aktueller Bewegungen und Trends.
Wenn es darum ging, ihr Bier trinken zu können, zeigten sich die mittelalterlichen Mönche von ihrer kreativen Seite. Denn eigentlich war der Alkoholkonsum während der vorösterlichen Fastenzeit damals verboten. Doch wollten die Ordensmänner auch während der 40-tägigen Zeit der Abstinenz nicht auf ihren geliebten Gerstensaft verzichten.
Zumal sie zumindest einen Energiespender für die Arbeit benötigten. So kamen bayerische Mönche Mitte des 17. Jahrhunderts auf die Idee, ein Starkbier zu brauen, das umso nahrhafter war und so den Kalorienbedarf decken sollte, um die körperlichen Arbeiten überhaupt verrichten zu können.
Um das Alkoholverbot zu umgehen, erinnerten sie an die Regel «Liquida non frangunt ieunum», zu Deutsch «Flüssiges bricht das Fasten nicht». Das Fastenbier sollte jedoch erst vom Papst genehmigt werden. So sendeten die Mönche eine Kostprobe des Starkbiers nach Rom. Bis zum Ankommen im Vatikan war das Bier jedoch bereits verdorben und der Heilige Vater befand es für passend für die Fastenzeit.
Den Erzählungen nach war es den Mönchen erlaubt, bis zu fünf Liter Bier pro Tag zu konsumieren. Genauso wie auch heute noch beim klassischen christlichen Fasten oftmals auf Alkohol verzichtet wird, haben auch die Fastenbiere bis heute überlebt wie das Salvator-Starkbräu, das Paulaner-Mönche bereits 1751 brauten.
Das Ferkel als Wassertier
Die Fastenzeit in der Westkirche dauert jeweils 40 Tage, von Aschermittwoch bis Gründonnerstag. Diese Zeit der Busse und Umkehr soll an das vierzigtägige Fasten Jesu in der Wüste erinnern, bevor dieser sein öffentliches Wirken begann.
Heuer dauert die Fastenzeit noch bis zum 15. April, wobei der Karfreitag bereits nicht mehr dazuzählt, sondern Teil der «österlichen drei Tage» ist. An diesem Tag steht traditionell Fisch mit viel Gemüse auf dem Speiseplan.
Auch die Fastenzeit definiert sich historisch vor allem über das Essen. So wird klassisch auf Fleisch verzichtet und nur eine volle Mahlzeit mit zwei kleineren Stärkungen gegessen.
Die Regeln, Ge- und Verbote für das Fasten haben sich mit der Zeit stetig weiterentwickelt. So legte Papst Gregor I. im Jahre 590 beispielsweise fest, dass der Verzehr von warmblütigen Tieren während der Fastenzeit nicht mehr erlaubt sei.
Andere tierische Produkte wie Käse, Milch, Butter und Eier standen ebenfalls auf der schwarzen Liste. Mehr als eine Mahlzeit pro Tag war ausserdem verpönt. Gelockert wurden diese Regeln erst Mitte des 16. Jahrhunderts durch Papst Julius III., der den Schwerpunkt auf einen Verzicht von Fleisch legte.
Zur Lockerung der Fastenregeln mag auch dazu beigetragen haben, dass die Tage vor Ostern in dieser Zeit längst nicht die einzigen Fastentage waren. Tatsächlich standen jährlich bis zu 130 Fastentage im Kalender.
Um die Zeit des Verzichts mit der schweren körperlichen Arbeit in Einklang bringen zu können, wurde – parallel zum Bierpassus der Mönche – gerade in den Klöstern eine Vielzahl Ausnahmen und Schlupflöcher gesucht, die teilweise absurde Ausmasse annahmen.
Beispielsweise fielen Vögel und Geflügel nicht mehr unter das Fleischverbot, sondern deklarierte man sie kurzerhand zu Wassertieren um, um sie mit Fischen gleichzusetzen. Selbiges tat man mit dem Biber aufgrund seines schuppigen Schwanzes. Und sogar in den Brunnen geworfene und dort ertrunkene Ferkel galten nach Meinung der Klosterbrüder als Wassertiere.
Fasten als Teil eines globalen Trends
Auch in der jüngeren Zeit hat sich der Fasten-Menüplan verändert. Viele traditionelle Fastenspeisen wie zum Beispiel Mehl- und Süssspeisen, Schmalzgebäck sowie Suppen mit deftigen Einlagen gelten heute als zu gehaltvoll und kalorienreich und widersprechen der modernen Intention des Fastens.
Dies ist ein Spiegelbild des Fastens in der heutigen Zeit, das bei immer mehr Menschen im Kontext aktueller Ernährungstrends steht: Der Körper soll entschlackt werden, eine gesunde und nachhaltige Ernährung steht im Zentrum.
Davon zeugen auch die Bestseller-Listen, die unterstreichen, wie beliebt Ernährungskompasse und Ratgeber zu Themen wie Intervallfasten oder bewusster Verzicht sind. Da der religiöse Aspekt in den Hintergrund tritt, muss die persönliche Fastenzeit dabei auch keineswegs die ursprünglichen 40 Tage andauern.
Vielmehr wird sie bei immer mehr Menschen Teil eines kollektiven Verständnisses hin zu einem bewussten Verzicht, ähnlich wie beim Veganuary und Dry January oder – ohne zeitliche Begrenzung – der Zero-Waste-Bewegung. Dies gerade im Kontext und als Gegenreaktion auf eine Konsumgesellschaft, die ungezügelten Hedonismus zu einem seiner Ideale werden liess.
Der Vorteil einer gemeinsamen Zeit des Verzichts ist die Möglichkeit, sich über Erfahrungen und Erleben in diesem konkreten temporären Rahmen austauschen zu können. Sei dies mit Freunden und Bekannten oder beispielsweise via Social Media.
Doch nehmen sich auf der anderen Seite viele Leute für die Fastenzeit vor, nicht nur die Ernährung anzupassen, sondern die Möglichkeiten des Verzichts auszuweiten, beispielsweise eben was die Präsenzzeit in den sozialen Medien anbelangt: Wenn üblicherweise mindestens zwei Stunden täglich durch die Timeline gescrollt wird, soll diese Zeit zumindest für eine festgelegte Zeitspanne geviertelt werden.
Gerne wird dieser Vorsatz auch generell auf die Bildschirmzeit angewandt. Manch einer möchte ergänzend beispielsweise auch seinen Zigarettenkonsum reduzieren. Entsprechend hat die Fastenzeit vor Ostern einen ähnlichen Effekt wie das Fassen von Vorsätzen zum Jahresstart: Sie bietet durch ihr fixiertes Start- (und End)datum eine höhere Verbindlichkeit, um die eigenen Vorsätze in die Tat umzusetzen.