Das Zürcher Kino Filmpodium möchte unter der neuen Leitung von Nicole Reinhard Filmgeschichte und Moderne miteinander verbinden, um auch ein junges Publikum anzusprechen. Wir unterhielten uns mit der Zürcherin über neue Ideen, Kultur in Pandemiezeiten und die Zukunft des Kinos.
Seit 1983 hat das Filmpodium einen festen Platz in der Zürcher Kinolandschaft. In diesem Jahr wanderte das Lichtspielhaus an der Nüschelerstrasse vom Familienbesitz in die Hände der Stadt Zürich. Der Fokus des Kinos liegt heute auf der Filmgeschichte und -kunst.
In thematischen Reihen und Retrospektiven werden pro Jahr 350 verschiedene Werke gezeigt. Zudem gibt es Veranstaltungen mit Gästen und Live-Musik.
Seit dem 1. Dezember 2021 leitet Nicole Reinhard das Kino im Herzen der Stadt. Ihre Vorgängerin Corinne Siegrist-Oboussier ging nach 16 Jahren als Leiterin in Pension. Reinhard leitete zuvor seit 2005 das Stadtkino Basel. Zudem gründete sie das Bildrausch-Filmfest Basel und die Kinemathek Le Bon Film.
Mitte Februar startete im Filmpodium ihr erstes eigenes Programm. Neben einer Retrospektive über die Schauspielerin Penélope Cruz gibt es eine umfangreiche Reihe zum französischen Regisseur Georges Franju. Wenn Nicole Reinhard vom «Vater des modernen Horrorfilms» erzählt, gerät die Cineastin ins Schwärmen.
Für die Zürcherin verbindet der Regisseur das Moderne mit der Filmgeschichte wie kaum ein anderer. Eine Kombination, die Reinhard auch in Zukunft im Filmpodium fördern möchte, wie sie im Interview verrät.
Frau Nicole Reinhard, sitzen Sie im Kino lieber vorne oder hinten?
Nicole Reinhard: Das kommt auf das Kino an (lacht)! Ich bin lieber näher an der Leinwand, aber gehöre nicht zu denen, die in der ersten Reihe sitzen.
Sie sind seit dem 1. Dezember im Amt. Wie waren die ersten Monate als Leiterin des Filmpodiums für Sie?
Es sind spannende und intensive Monate gewesen. Jetzt ist das erste Programm da und ich freue mich extrem, dass ich es in diesem superschönen Kino präsentieren darf. Das Filmpodium ist ein Ort, an dem ich mir unter anderem meine filmische Bildung geholt habe. Man erwischt sich schon dabei, wie man stolz im Saal sitzt und denkt: «Hey, das ist mein Kino».
Mit «Madres Paralelas» lief ein aktueller Oscarfilm in einer Retrospektive. Ist das ein Teil der Neuausrichtung?
Es ist tatsächlich so, dass wir das Filmpodium näher an die Neuzeit anbinden. Ich bin der Meinung, das Filmpräsentieren und darüber nachdenken erst dann spannend wird, wenn man die ganze Filmgeschichte – von den Anfängen bis heute – zusammenführt. Und wenn man sich um ein junges Publikum bemüht, ist es gleichzeitig wichtig, dass sie Filme wiederfinden, mit denen sie aufgewachsen sind.
Das nächste Programm dreht sich um die Schauspielerin Tilda Swinton, die Regisseurin Joanna Hogg und Pier Paolo Pasolini. Eine Retrospektive über einen Altmeister klingt typisch nach Filmpodium.
Ich glaube, dass die Retrospektive zu Pasolini nicht typisch ist. Es gibt einen klaren Fokus: Wir zeigen, wie er sich gegen die Konsumgesellschaft und den Turbokapitalismus ausspricht. Aber wir zeigen ihn auch als grosszügigen Mentor, Werke anderer, für die er beispielsweise Drehbücher geschrieben hat.
Es ist ein ganzes Netzwerk und keine Top-10-Liste. Bei der britischen Regisseurin Joanna Hogg war die Idee, sich Filmgeschichte anders zu nähern. Wir haben sie gefragt, welche Filme aus ihrer subjektiven Perspektive Dreh- und Wendepunkte sind. Wir wollen dieses neue Format «Cinema Seen Through the Eyes of» auch mit anderen Leuten umsetzen.
Zur Filmreihe über Joanna Hogg gibt es eine Kooperation mit dem Kino Xenix. Wie passt das zusammen?
Ich glaube, wir sind Partner in Crime. Wir stehen beide für das Gleiche: ein handverlesenes, augenöffnendes Programm. Es kann für beide nur gut sein, wenn wir uns gemeinsam für die Art von Kino stark machen, welche wir wichtig finden. Und Joanna Hogg ist eine Filmemacherin, die viele erst kennenlernen müssen. Deshalb macht die Verbindung mit der Retrospektive über sie im Xenix viel Sinn.
Braucht es mehr Events abseits der Leinwand im Arthousebereich?
Das Zentrale ist das Erleben auf der Leinwand. Aber Kino ist auch Begegnung. Gerade heutzutage, wo alle das Gefühl haben, Filme sind jederzeit erhältlich. Im April gibt es bei uns etwa eine Lesung von übersetzten Pasolini-Gedichten.
Und Tilda Swinton und Joanna Hogg werden selbst als Gäste im Filmpodium sein. Es muss aber auch niederschwellige Angebote geben, die Spass machen. Das Kino als lebendiger Begegnungsort ist etwas, was mir sehr am Herzen liegt.
Wie wichtig ist das gemeinsame Erleben im Kino?
Ich glaube, es ist sehr wichtig. Ganz bei sich sein, in sich versunken und doch miteinander etwas zu schauen, ist ein unglaublich schöner Zustand. Das kann dem Kinobesuch eine zusätzliche Dynamik geben. Ein Horrorfilm oder eine Komödie allein im Kino – das macht keinen Spass.
Filme sind so leicht verfügbar wie noch nie. Wie wichtig ist die Kuration der Filme an Orten wie dem Filmpodium? Auch als Gegensatz zu den Algorithmen der Streamingdienste.
Ich glaube, dass das Filmerbe gar nicht so gut erhältlich ist, wie man denkt. Man will nicht stundenlang suchen, bis man endlich den einen Film gefunden hat. Zudem bestätigen die ganzen Streamingdienste nur den eigenen Geschmack. Und ich denke, spannend wird es erst, wenn man Zusammenhänge zwischen Filmen aufzeigt – auch unerwartete.
Wie schwierig war die Pandemie bisher für die Schweizer Kinos?
Es ist für alle anstrengend gewesen, da sind wir keine Ausnahme. Man musste sich schon vorher sehr engagieren, um das eigene Publikum zu halten. Das hat sich jetzt noch einmal verschärft. Wer vorher noch nicht wusste, wie es geht, hat spätestens jetzt das Streaming entdeckt. Wir hatten Einbussen von 30 Prozent bei den ZuschauerInnen.
Im Mainstreamkino waren es zwischen 60 und 70 Prozent. Für ganz viele Leute, die sich für unsere Art von Kino entscheiden, ist der Kinobesuch wie ein Grundnahrungsmittel und das hilft uns sicher.
Kommen die ZuschauerInnen wieder?
Alle (lacht)! Ich bin von Grund auf ein optimistischer Mensch. Ich weiss nicht, ob die gleichen wiederkommen. Aber ich habe schon das Gefühl, dass es ein Bedürfnis nach einem physischen Erlebnis gibt.
Wir erleben beispielsweise gerade, dass viele junge Menschen zum ersten Mal ins Filmpodium kommen. Richtiges Kino als Alternative zur omnipräsenten, flüchtigen Welt auf dem eigenen Handy. Das macht Freude und Hoffnung.
In den USA lief in einigen Kinos fast ausschliesslich der neue «Spider-Man». Auch in der Schweiz war er einer der erfolgreichsten Streifen. Gibt es in fünf Jahren nur noch Superhelden im Kino?
Nein, wenn man sich die Zürcher Kinoszene anguckt, dann habe ich keine Angst, dass es so kommen wird. Man kann sich eher fragen, wie viele Mainstreamkinosäle es in Zukunft noch geben wird. Der Druck der Streamingplattformen auf sie ist gross.
Die Situation für die Arthouse-Kinos ist sicher auch nicht einfach, aber es gibt viele spannende Initiativen von Seiten der KinomacherInnen. Und dass unsere besondere Art Kino zu machen, Zukunft hat, bin ich überzeugt von.