Hochschule Luzern erweitert die Realität

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Die AR-Brille erlaubt auch eine Gestensteuerung. Bild: zVg

Die Hochschule Luzern investiert in die Zukunft. Mit einem neuen Center für immersive Technologien möchte man die Bildung und die Schweizer Unternehmen näher zusammenbringen. Der Technik für virtuelle Realitäten soll so endlich der Durchbruch gelingen.

Hochschule Luzern: Mit beiden Händen greift die Person nach dem Bügel und legt ihn über den Zughaken. Als nächstes wird die Spindel mit einer Hand gegen den Uhrzeigersinn gedreht. Es folgen noch weitere Kabel und Schläuche, die richtig verknüpft werden müssen, damit die beiden Zugwaggons miteinander verbunden sind.

Die agierende Person steht während der Übung allerdings nicht auf dem Gleis zwischen zwei Eisenbahnwagen, sondern befindet sich in einem Ausbildungszentrum der Bahn. Dank dem Einsatz von virtueller Realität (VR) und der passenden Ausrüstung in Form von Brille und Controllern lassen sich so potenziell gefährliche Übungen problemlos trainieren.

Die virtuellen und erweiterten Realitäten sind ihren Anfängen in der Gamingbranche entwachsen und scheinen bereit für den langersehnten Durchbruch. Ihren Teil dazu beitragen will auch die Hochschule Luzern (HSLU). Sie will mit ihrem neuen Immersive Realities Center (IRC) in Rotkreuz eine zentrale Einrichtung für Bildung auf eben jenem Gebiet der erweiterten und virtuellen Realität werden.

Das Center vereint Showroom, Forschungsprojekte und die Ausbildung der StudentInnen. Die Forschenden am Departement für Informatik sollen nicht nur am Tag der offenen Tür, wie zuletzt im Januar, eine Anlaufstelle für Schweizer KMU, Schulen und Networking werden.

Zwei Welten verschmelzen

Nathaly Tschanz ist Dozentin für Augmented Reality (AR) und Virtual Reality an der HSLU. Ausserdem leitet sie Forschungsprojekte am neuen Standort für erweiterte Realitäten (XR) und berät Firmen über mögliche Einsatzgebiete der neuen Technik. Im Gespräch erklärt die Buchautorin («Augmented und Mixed Reality für Marketing, Medien und Public Relations»), wie man das Thema XR in der Schweiz weiter vorantreiben möchte und was die Zukunft bereithält.

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Nathaly Tschanz hat als Dozentin ihren Traumberuf gefunden. Bild: zVg

«Das Spannende ist, dass fast nichts unmöglich ist mit den Technologien. Man kann neue Welten schaffen und mit dem Konzept Realität spielen», erklärt Tschanz. Bei der AR-Technik werden digitale Inhalte in unsere reale Welt eingeblendet. Zurzeit passiert das meist noch per Smartphone oder Tablet, aber die Weiterentwicklung der AR-Brillen schreitet stetig voran.

Die bekanntesten Beispiele sind etwa Google Glass und die Hololens von Microsoft. «Für ein Gerät wie die Google Glass war es einfach noch zu früh. 2014 waren die Menschen noch nicht bereit für diesen Einsatz der Technologie», begründet Tschanz den fehlenden Erfolg des Produkts.

Im AR-Bereich sieht die Expertin ein enormes Anwendungspotenzial: «Wir sind bei AR nicht komplett isoliert, sondern befinden uns immer noch in der realen Welt. Die Technik kann uns Hilfestellungen leisten und eine Verbindung zwischen Offline und Online herstellen», erläutert die Dozentin.

Ein Beispiel, das schon heute jeder und jede auf das Smartphone laden kann, ist die Place App von Ikea. Damit lässt sich ein gewünschtes Möbelstück in die eigene Wohnung einblenden. So kann man nicht nur den Platzbedarf erkennen, sondern auch die Ästhetik beurteilen.

Die Technik lässt sich auch im grösseren Masse nutzen wie etwa bei der Stadtplanung. Hier hilft das Tool nicht nur bei kollaborativen Prozessen im Architekturbüro, sondern kann quasi jeden miteinbinden. Für die Stadt Luzern hat die HSLU ein 3D-Modell der zukünftigen Bahnhofstrasse erstellt.

Per Tablet und AR-Technik konnten sich die Luzerner und Luzernerinnen schon einmal einen Eindruck verschaffen, wie es nach dem Umbau aussehen soll. So schafft man nicht nur ein besseres Verständnis für Grossprojekte, sondern kann auch zusätzliches Feedback sammeln.

Virtuelle Bienen

Das Thema VR spielt auch im Bereich der Bildung und Weiterbildung eine zunehmend wichtigere Rolle. Das zuvor genannte Beispiel der Zugkopplung lässt sich problemlos auf zahlreiche weitere Tätigkeiten übertragen. So kann etwa bei der Ausbildung für die Autolackierung durch den Einsatz von VR-Training viel Material eingespart und zugleich die Umwelt geschont werden.

Schon heute werden in Schweizer Kernkraftwerken auf diese Weise Instandhaltungsarbeiten trainiert, deren Durchführung kostenintensiv oder gefährlich ist. Die Technik dafür ist bereits vorhanden, es braucht nur die passende Software.

VR-Headset und Controllern
Mit VR-Headset und Controllern entsteht ein futuristischer Look. Bild: zVg

Um die Schweizer Imker- und Imkerinnenausbildung zu unterstützen, wurde an der HSLU ausserdem die Simulation «VR Bees» entwickelt. Damit sollen zukünftige Bienenhüter und -hüterinnen realitätsnah und interaktiv lernen können, ohne bei jeder Übung die echten Bienen zu stören.

Der grösste Player im VR-Bereich ist derzeit noch Facebook, nachdem der IT-Gigant 2014 den VR-Pionier Oculus aufkaufte. Der Zuckerberg-Konzern, der mit der Ankündigung der virtuellen Welt «Metaverse» voll auf VR setzt, ist aber im Bildungsbereich nicht besonders populär.

Neben der Datenschutzfrage gebe es auch Restriktionen beim Einsatz der Oculus-Headsets, erklärt Tschanz, wie etwa einen Facebook-Konto-Zwang. «Es sind spannende Konkurrenzprodukte in Entwicklung und es wird sich sehr viel verändern auf dem Markt. In Zukunft wird es verschiedene Hardware für verschiedene Anwendungsfälle geben», prognostiziert sie.

Hochschule Luzern kurz vor dem Durchbruch

Neben der eigenen Forschung möchte man im Immersive Realities Center den KMU einen niederschwelligen Zugang zur Technik ermöglichen. Durch das Ausprobieren von neuer Hardware und Software sollen offene Fragen geklärt und der Mehrwert der immersiven Technologien aufgezeigt werden.

«Die Schweizer XR-Szene ist leider bis jetzt noch ein eher loses Konstrukt. Dabei entstehen in der Schweiz viele kreative Projekte, die sich in punkto Qualität durchaus mit anderen Ländern wie Grossbritannien oder den USA messen können», erklärt Tschanz. Das Center sei eine gute Chance für die Schweiz, sich als innovativen Wirtschaftsstandort zu positionieren.

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Die Grenzen von Mixed Reality erklärt im Seminar. Bild: zVg

Nachdem die Technik in den letzten zehn Jahren viele Höhen und Tiefen durchlaufen hat, sei die Zeit nun reif für den Durchbruch. Mit fallenden Preisen und besserem Handling finden VR-Brillen immer häufiger den Weg ins heimische Wohnzimmer.

«Wir sind an einem extrem spannenden Punkt, weil sehr viele Technologiebereiche jetzt einen entsprechenden Reifegrad erreicht haben», erklärt Tschanz. Nicht nur die Hardware wird immer leistungsstärker, auch Entwicklungen im Bereich der künstlichen Intelligenz, Machine Learning und 5G-Netzwerke führen laut Tschanz zu einer gegenseitigen Befruchtung.

«Für uns wird entscheidend sein, den Umgang mit diesen neuen Möglichkeiten zu lernen und uns auch zu fragen, ob wir alles machen sollen, nur weil wir es können.» Mit der Entstehung einer digitalen Welt wie dem Metaverse stellen sich ebenso gesellschaftliche Fragen.

Ob man dann wirklich mit einer VR-Brille in den digitalen Supermarkt geht, wird die Zukunft zeigen. Die Gegenwart der virtuellen Realität lässt sich bis dahin an der Hochschule Luzern entdecken.

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