Die Ausschreitungen beim Zürcher Stadtderby vom 23. Oktober beschäftigen Justiz, Fussballclubs und Fans im ganzen Land. Die StadionbesucherInnen könnten bald mit neuen Massnahmen eingeschränkt werden. Droht den Gästefans sogar auf Dauer der Platzverweis?
Über 15‘000 ZuschauerInnen sahen am 23. Oktober ein packendes Derby zwischen dem Grasshopper Club Zürich und dem FC Zürich. Die Fankurven sorgten auf beiden Seiten des Letzigrunds für gute Stimmung und jedes Anhängerlager durfte drei Tore seiner Mannschaft bejubeln.
Für die Zürcher Klubs war es erst das zweite Derby nach dem Abstieg der Grasshoppers im Jahr 2019. Doch kurz nach dem Schlusspfiff ereigneten sich unschöne Szenen im Stadion, die das Fussballfest nachhaltig trübten.
Mehrere Dutzend in Schwarz gekleidete Menschen kletterten nahe der Südkurve über den Zaun auf die Laufbahn und bewegten sich mit schnellen Schritten zur GC-Fankurve. Auf Höhe der Eckfahne begannen sie dann, Feuerwerkskörper in den gegnerischen Fanblock zu werfen.
Genauso schnell wie die Situation begonnen hatte, war sie auch schon wieder vorbei. Die vermummten StadionbesucherInnen liefen zurück Richtung Südkurve und flohen vor den Sicherheitskräften aus dem Zuschauerbereich.
Nun muss man sich leider eingestehen, dass randalierende Fans in Zürich kein seltenes Bild sind. Immer wieder wird von einer kleinen Minderheit gesprochen, von Chaoten und Gewaltfans, die sich wenig für den Sport interessieren, aber dafür umso mehr für die sogenannte dritte Halbzeit. Und diese betrifft längst nicht mehr nur das Stadion.
Auch der Weg dorthin und die öffentlichen Verkehrsmittel werden zum Schauplatz einiger SelbstdarstellerInnen. Dabei sind die Fans gerade erst zurückgekehrt in ihre Stadien. Mit dem Saisonbeginn am 24. Juli 2021 waren erstmals wieder ZuschauerInnen erlaubt seit dem Beginn der Coronapandemie im Frühjahr 2020.
Keine Gästefans mehr?
Doch anders als bei bisherigen Vorfällen waren die Fanausschreitungen nicht bereits in der nächsten Woche vergessen. Die Swiss Football League (SFL) befasst sich seit dem Stadtderby mit möglichen Massnahmen, um solche Scharmützel in Zukunft zu verhindern. Darunter auch mit einer möglichen Schliessung der Gästesektoren.
«Mit Enttäuschung müssen wir feststellen, dass sich ein Teil der Fankurven – besonders bei Auswärtsspielen – nicht an die getroffenen Abmachungen und geltenden Gesetze hält», äusserte sich Claudius Schäfer, CEO der SFL, und forderte zugleich «ein deutliches Signal aus den Fankurven».
Ein solches kam zumindest von den Fans des FC St. Gallen. Beim Auswärtsspiel in Basel machte ein Flyer die Runde, wie das «St.Galler Tagblatt» berichtete. Mit der Aktion rief die Fanszene dazu auf, die vorhandenen Privilegien der Schweizer Fussballfans nicht zu verspielen.
Auswärtsfahrten seien kein Ort für Gewalt- und Alkoholexzesse. Aus der Zürcher Fanszene war leider niemand bereit, über die aktuelle Situation und drohende Massnahmen zu sprechen.
Auch die beiden Zürcher Klubs verurteilten den Vorfall beim Derby aufs Schärfste. «Diese sogenannten Fans schaden sich, der Kurve und dem FC Zürich. Es ist enttäuschend, dass ein spannendes Derby so enden musste», äusserte sich FCZ-Präsident Ancillo Canepa. Auch in einem Statement von GC Zürich fand eine Ausgrenzung der «Chaoten» statt.
In dem Aufruf an die eigenen Fans heisst es: «Diejenigen, die im Namen des Clubs Gewalttaten oder Vandalismus ausüben, sind nicht würdig, unser Logo zu tragen und gehören nicht in unseren Club.»
Wenige Wochen nach dem Derby zeigten sich die SFL und die Zürcher Klubs bereits wieder ziemlich zugeknöpft. Die SFL berief sich auf Anfrage auf einen «laufenden Prozess zur Überprüfung von Möglichkeiten und Massnahmen» und verwies darauf, dass es «seit längerer Zeit zu keinen Ausschreitungen gekommen» war. Kein Wunder, bei leeren Stadien in der Pandemie, möchte man hinzufügen.
Einer dribbelt voraus
Bewegung ins Spiel brachte nun die Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD) am 19. November, bei der eine Diskussion zum Thema Hooliganismus auf der Agenda stand.
Das Resultat der Debatte war eine konkrete Forderung: Ab der Saison 2022/23 sollen in der Super League nur noch personalisierte Tickets ausgestellt werden. Und dies sei keine einfache Absichtserklärung mehr, bestätigte der Luzerner Sicherheitsdirektor Paul Winiker gegenüber dem «Tagesanzeiger».
Bei der SFL wurde man überrumpelt von der Herangehensweise der KKJPD, «weil bereits vor Monaten eine Task Force mit Teilnehmern aus allen Anspruchsgruppen gebildet worden war, die sich mit diesen Fragen rund um die Sicherheit in den Stadien beschäftigt». Eben jene Task Force, die sich laut Winiker um die genauen Einzelheiten der Umsetzung der personalisierten Fussballtickets kümmern soll.
Nun könnte also genau das eintreten, was die Fankurven bereits vor der aktuellen Saison aufgrund der Zertifikatspflicht befürchtet hatten: eine Deanonymisierung des Fans. Und auch der Dachverband Fanarbeit mahnt, dass personalisierte Tickets keine adäquate Lösung seien: «Sie haben keine nachhaltige präventive Wirkung und führen zu einer Verlagerung der unerwünschten Phänomene auf andere Bereiche.»
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