NEGATIVER GLOBALER FUSSABDRUCK

Der Begriff Nachhaltigkeit begegnet einem derzeit an jeder Ecke – egal, ob in den Medien oder im privaten Umfeld. Doch was bedeutet das eigentlich? Und was können wir dafür tun? Wir haben mit dem Nachhaltigkeitsexperten Michael Kistler gesprochen.

Michael Kistler:
Vorangehend möchte ich Nachhaltigkeit definieren. Für mich gibt es zwei Arten von Nachhaltigkeit:
Die „schwache“ Nachhaltigkeit steht für Green Economie, Smarte High Tec­Geräte, effiziente Roboter, erneuerbare Energien, Sharing, Internet of Things, etc.
Die „starke“ Nach­haltigkeit bedeutet Postwachstumskonzepte, echtes Teilen, reUse, reDesign, Low Tec, Suffizienz, etc.

Der Unterschied besteht darin, dass die „schwache“ Nach­haltigkeit vom bestehenden kapitalistischen und neolibera­len Wirtschaftssystem ausgeht, dabei Symptome lindert, jedoch nicht die Ursachen behebt. Die „starke“ Nachhaltig­keit entspricht einer Gesellschaft, bei welcher nicht Wachs­tum, sondern ein natur­ und menschenfreundliches Wirt­schaf ten im Vordergrund steht. Konzepte dazu bieten die Gemeinwohlökonomie und das Bruttonationalglück, wie es der Staat Bhutan integriert hat.

FonTimes:
Das papierlose Büro – dank Digitalisierung vieler Bereiche längst kein Wunschdenken mehr. Wie häufig wird das heutzutage im Berufsalltag gelebt?

Michael Kistler:
Durch die Einführung von Computern braucht es viel weniger Papier. Gleichzeitig hat das Auf­kommen von Druckern und die Möglichkeit, alles kurz aus­zudrucken den Papierverbrauch vervielfacht. Es gibt Leute, die drucken alle E­Mails aus und legen sie ab. Ich habe bis­her kein einziges wirklich papierfreies Büro gesehen. Dazu kommt, dass das Altpapier oft nicht getrennt, sondern in den Abfall geschmissen wird. Den meisten Büros ist auch egal, ob das Druckerpapier FSC­zertifiziert oder recycelt ist. Ich meine, in den westlichen Gesellschaften existiert ein Be­wusstsein für ein umweltfreundliches Büro. Was ist mit dem Rest der Welt?
Für das nachhaltige Büro muss von der Firmenleitung ganz klar ein Vorbild vorgelebt werden, entsprechende Anwei­sungen an die Belegschaft rausgehen und der Wille zur Auf­klärung und Schulung da sein. Sonst wird das nichts.

FT: Welche anderen (Lebens-)Bereiche können dank der Digitalisierung nachhaltig und positiv verändert werden?

Michael Kistler: Dank der Digitalisierung können viele Ab­läufe und Geräte effizienter genutzt werden, auch hinsichtlich des Energie­ und Materialverbrauchs.

FT: Welche Nachteile hat die Digitalisierung auf die Nachhaltigkeit?

Michael Kistler: Gleichzeitig entsteht eine Überwachungs­mentalität, welche die Freiheit einschränkt. Ausserdem be­deutet Elektronik immer Abhängigkeit von Elektrizität und deren Komponenten: Jedes Ding muss dann einen Chip haben, benötigt Strom und eventuell eine Batterie, sogar ein einfacher Wischbesen braucht bald einen Chip, das be­deutet mehr Elektroschrott. Die Frage ist, ob nicht neuere, sondern weniger Geräte wirksamer wären. Ausserdem ist schlecht verarbeitete Elek­tronik oft fehleranfällig und lässt sich nicht reparieren. Ein qualitativ hochwertiges Gerät lässt sich jahrelang benutzen und mit anderen teilen!

FT: Welche Ressourcen werden im Zuge der Digitalisierung am häufigsten eingespart? Welchen Nutzen hat das für unsere Umwelt und wirtschaftliche Entwicklung?

Michael Kistler: Einerseits lässt sich durch Effizienz sicher Strom sparen. Andererseits bietet die Vernetzung die Mög­lichkeit zur intelligenten (mehrfachen) Nutzung. Sharing­ Plattformen nutzen Synergien. Eine Revolution stellt der kommende 3D­Print dar. Viele Sachen können dann auf Be­darf hergestellt werden. Wichtig ist, dass die Materialien nicht auf Erdöl­/Plastik­Basis hergestellt werden, sondern ungiftig und abbaubar sind, um nicht eine weitere Plastik­schwemme zu generieren.

FT: Wie nachhaltig geht Digitalisierung mit der Arbeits-welt um?

Michael Kistler: Wird es Ihren Job in 20 Jahren so noch ge­ben? Wird dann nicht ein Programm mir diese Fragen stel­len und meine Antworten schnell und effizient in einen lesbaren Artikel umwandeln? Was machen Sie dann? Die Digitalisierung kann eine ähnliche Versprechung sein wie das papierlose Büro. Bis es soweit ist, gibt es viel zu tun. Dann werden jedoch Spezialisten gefragt sein. Was ist mit den weniger gebildeten Leuten? Und die Robotik bedrängt auch diese Arbeitsplätze. Deshalb braucht es das Bedin­gungsloses Grundeinkommen, finanziert durch die Mikro­finanzsteuern von einem Promille auf sämtlichen Finanz­transaktionen, sprich das Verbraucherprinzip. Ausserdem wird das Aufräumen von all den globalen Umweltschäden der letzten 50 Jahre extrem viel zu tun geben!

FT: Gibt es einen Unterschied in der Energiebilanz zwi-schen digitalisierten und analogen Aufgabengebieten? Ist diese merklich hoch oder sind kaum Unterschiede festzustellen?

Michael Kistler: Wenn wir weiter wachsen, wird die Digitali­sierung effizienter sein. Wenn wir uns vom Dauerwachstum verabschieden, ist Analog das neue Bio. Denn in der Lang­samkeit liegt die Aufmerksamkeit.

Positiver Rebound-Effekt: Wer anfängt seine Geräte im Standby auszuschalten, wird das bald überall tun.

FT: Wie nachhaltig kann Digitalisierung sein, wenn dafür mehr Energie für das Betreiben der Geräte benötigt wird?

Michael Kistler: Wie schon gesagt, die „schwache“ Nach­haltigkeit löst das Grundproblem nicht: unendliches Wachstum mit begrenzten Ressourcen. Wenn alle Men­schen auf dem Planeten digitalisierte Geräte nutzen sollen, woher kommen die Ressourcen? Es gibt im Übrigen auch die kinetische Energie, welche genutzt wer­den kann (zum Beispiel die Taschenlampe, die man mit Handbewegungen aufladen kann).

FT: Können smarte Geräte, wie beispielsweise Haushaltsroboter und programmierbare Thermostate, langfristig unsere Zukunft nachhaltig beeinflussen?

Michael Kistler: Die Frage ist, wer kann sich das leisten? Wir im Westen können uns einen solchen Stil leisten, jedoch längst nicht alle. Ich bin überzeugt, nicht alleine die Digitalisierung ist nachhaltig, sondern die Kombination.
Und: Wo ist sie wirklich notwendig und wo ein Nice­to­have?

FT: Wie kann der Rebound-Effekt zugunsten der Nachhaltigkeit genutzt werden?

Michael Kistler: Ein positiver Rebound­Effekt ent­steht durch Verhaltensänderung. Wenn ich an­fange, Standby­Strom an einem Gerät regelmässig auszustellen, werde ich bald andere Geräte auch aus­stellen und anfangen, meine Kollegen darauf aufmerk­sam zu machen.

FT: Wie nachhaltig ist die Schweiz heute?

Michael Kistler: Wer in der Schweiz auf die Welt kommt, hat bereits einen negativen globalen Fussabdruck – ohne irgendetwas zu tun. Das hat mit der hohen Lebensqualität und dem damit verbundenen grossen Konsumdruck zu tun. Die Schweiz hat ihre umwelttechnischen und sozialen Probleme ins Ausland verlagert und man hat das Gefühl, alles sei gut: aus dem Auge – aus dem Sinn.

FT: Welche Ziele müssen in puncto Nachhaltigkeit noch gesteckt werden?

Michael Kistler: Wenn wir schauen, was alleine in der Schweiz ansteht: Bodenversiegelung und Vergiftung durch Pestizide, neue Wasserproblematik durch Hormone und Mikroplastik, Luft, Klima, Energiewende, rasanter Schwund der Biodiversität – es müssten endlich viel klarere Ziele ge­steckt und auch verfolgt werden.

FT: Kann ich als Konsument die Nachhaltigkeit von Unternehmen beeinflussen?

Michael Kistler: Ich konsumiere bewusster, weniger und von Produzenten, welche ökologisch, biologisch und re­gional verankert sind. Das sind vor allem die kleinen und mittelständischen Unternehmen, die sogenannten KMUs.

FT: Bedeutet Nachhaltigkeit automatisch Verzicht?

Michael Kistler: Ja. Sind wir ehrlich. Wir leben total über aller Masse hinaus. Verzicht bedeutet jedoch auch mehr Qualität. Denn wenn ich nur noch einmal Fleisch die Woche esse, dann geniesse ich es viel mehr. Weniger Geld bedeu­tet mehr Zeit und damit mehr Lebensqualität.

FT: Wie nachhaltig sind moderne Computer oder Smartphones? Viele seltene Ressourcen kommen beim Bau hierfür zum Einsatz. Ist das in der Zukunft noch tragbar?

Michael Kistler: Der Branche fehlt das Bewusstsein, was ihre Produkte für einen Fussabdruck haben. Was passiert, wenn ein kaputtes Smartphone in Indien neben die Strasse geworfen wird und 1‘000 Jahre braucht, um zu verrotten? Die soziale Verantwortung, welche eine Ressourcenherstellung und Produkti­on bedeutet, der Druck, sich um diese Verantwortungen zu kümmern, wer­den steigen. Immer mehr Konsumen­ten wollen das nicht mehr. Deshalb haben wir den Impuls­Indikator ge­gründet, welcher hilft, ab zuschätzen, was eine neue Idee oder ein neues Produkt bewirken kann.

 

Das ganze Interview finden Sie in der FonTimes 1/18

Weitere Informationen über die Arbeit von Michael Kistler unter: www.kistlerholistic.ch

 

 

 

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