Die Outdoor-Reality-Show «7 vs. Wild» begeistert Kinder und Jugendliche; Bushcraft– und Survival-Videos machen auf Pausenplätzen die Runde. Was begeistert Junge daran, wenn es vermeintlich ums nackte Überleben geht?
Die aktuell vielleicht beliebteste deutschsprachige Fernsehsendung unter Kindern und Jugendlichen läuft nicht im TV, sondern – altersgerecht – auf Youtube: «7 vs. Wild» erzählt davon, wie sich aus dem Internet bekannte Persönlichkeiten nur mithilfe weniger Gegenstände in der Wildnis durchschlagen. Auch abgesehen davon boomen bei den Jungen gerade Videoformate, bei denen Survival- und Bushcrafting-Themen im Vordergrund stehen. Der Mensch im Überlebenskampf gegen die wilde Natur.
«Manche Leute, nicht nur junge, sind so fasziniert von Survival-Sendungen, dass sie das selbst einmal erleben wollen», erzählt Survival-Trainer Simon Jamnik. Als tieferen Grund für den Hype sieht er, dass die Menschen in der Natur einen Ausgleich zum schnelllebigen Alltag suchen. Jamnik muss es wissen, denn er bietet selbst solche Erlebnisse an: Der systemische Erlebnispädagoge bietet mit seinem Unternehmen Insidetours ein- bis viertägige Survivalkurse in der Natur an.
Gelernt von den Indianern
Die Motivationen der Teilnehmenden seien sehr unterschiedlich, sagt er. «Die einen wollen mehr Zeit in der Natur verbringen und sagen, dass ihnen Wandern zu wenig ist. Für andere Outdoor-Aktivitäten fehlt ihnen das Know-how.» Andere interessieren sich dafür, welche Pflanzen essbar sind, möchten Waldbaden oder sie wollen lernen, selbst eine Unterkunft zu bauen – wie in den Survival-Serien demonstriert. Naturerlebnisse können auch der Gesundheit guttun, wie Jamnik betont. «Es gibt zum Beispiel Ärzte in Japan, die das Waldbaden als Burnout-Prophylaxe verordnen.»
Während der Pandemie habe die Natur wieder stark an Bedeutung gewonnen, stellt der Survival-Experte fest. Er selbst hat viele Jahre einen Ältesten der Wampanoag-Indianer aus den USA auf Reisen begleitet, dabei sehr viel über unsere teilweise verloren gegangene Beziehung zur Natur gelernt und in der Zeit einen Lernprozess durchgemacht. «Früher sah ich Wege, Gebüsch und Bäume in der Natur. Heute erblicke ich Essbares wie Früchte und Nüsse, Naturmaterialien, aus denen sich Schnüre anfertigen lassen. Die Natur gibt dir alles. Du musst es nur sehen.»
Ein Kampf gegen die Elemente
Der Erfolg von Serien wie «7 vs. Wild» hat eine lange Vorgeschichte, sagt Erlebnispädagoge Nicolas Lätt. «Die Natur fasziniert die Menschen.» Schon in den 1980er-Jahren strahlte das Schweizer Fernsehen eine Sendung in diese Richtung aus. 2006 startete die Survival-Dokumentarfilmreihe «Man vs. Wild» (auf Deutsch «Abenteuer Survival» / «Ausgesetzt in der Wildnis») des Briten Bear Grylls. Der ehemalige Elitesoldat liess sich jeweils in einer wilden Gegend absetzen. Von da an musste er seinen Weg in die Zivilisation zurückfinden, ein Nachtlager errichten, Nahrung finden und dabei dem Wetter trotzen. «Das war damals die ganz grosse Nummer», sagt Lätt, «auf diesen Zug sind die sozialen Medien nun aufgesprungen.» Grylls erlangte grosse Bekanntheit, später nahm er Prominente wie etwa 2015 Barack Obama auf seine Touren mit. Auch in der Schweiz wird auf diese Themenlinie gesetzt wie etwa bei SRF, das letztes Jahr die Sendung «SRF bi de Lüt – Abenteuer Wildnis» lancierte.
Der Lehrer und ausgebildete Outdoor-Guide Nicolas Lätt und seine Frau Denise haben vier Buben. Mit ihnen verbringen sie viel Zeit in der Natur. «Unsere Kinder haben ‹7 vs. Wild› mit Begeisterung geschaut», erzählt er. Einer der Jungs realisierte daraufhin ein kleines Instagram-Video übers Handfischen von Forellen. Das Konzept der Survival-Videos entspreche allerdings nicht seinem persönlichen Ansatz, fügt Nicolas Lätt hinzu. «Ich will zeigen, dass es schön in der Natur ist. In den Serien ist es eher ein Kampf gegen diese.» Kinder seien begeistert von Tätigkeiten wie Erdlöcher graben für eine Feuerstelle, draussen übernachten oder Tiere beobachten. «Aber sie sollten dabei keine Angst haben müssen oder frieren», fügt er hinzu. Das vergälle ihnen das Erlebnis.
Mehr Zeit in der Natur verbringen
Den pädagogischen Wert von Survival-Sendungen sieht der Erlebnispädagoge darin, dass es Kinder vielleicht motiviert, mehr nach draussen zu gehen. «Ich bin allerdings auch skeptisch. Es ist wie bei denjenigen, die Sport am Fernsehen schauen. Sie werden deshalb nicht unbedingt sportlicher.»
Bringen Nachahmer von Survival-Serien auch Schattenseiten mit sich und kann es gar gefährlich sein? Kritisch sieht Lätt, dass die Natur darunter leiden kann. «Beispielsweise, wenn man für ein weiches Lager grossflächig Moos sammelt oder viele Äste von den Bäumen abbricht.» Beim Umgang mit Feuer sei wegen der Waldbrandgefahr ebenfalls Vorsicht geboten. Kinder könnten sich mit einem Sackmesser verletzen. Lätt, der selbst viele Outdooraktivitäten mit seiner Schulklasse unternimmt, plädiert aber für ein gewisses Risiko, wenn es in einem vernünftigen Rahmen bleibe. «Die Kinder müssen lernen können, mit Gefahren umzugehen.» Wenn die Eltern mit Rat zur Seite stehen, stelle das in der Regel auch kein Problem dar.
Der 48-jährige Schwyzer aus Gross am Sihlsee hat auch ein Buch mit Tipps geschrieben. «Outdoor Kids» inspiriert Familien für Bushcraft-Projekte und Freiluftabenteuer. Es liefert Theorie für die Praxis und zeigt beispielsweise, wie man einen Unterschlupf baut, auf dem Feuer kocht oder Hütten konstruiert. Der Buchautor empfiehlt als einfache Aktivitäten zum Einstieg, einmal mit seinen Kindern an einen schönen wilden Bach zu gehen. «Im Wasser ‹herumpflotschen›, Steine sammeln, den Bach stauen, das macht allen Spass.» Oder mit dem Nachwuchs ein Feuer zu entzünden und etwas zu bräteln. «Es braucht klare Regeln dabei», sagt Lätt, «aber ein Kind wird garantiert Freude haben an solchen Outdoor-Aktivitäten.»
Survival vs. Pädagogik
Und was halten Jugendorganisationen, welche traditionell die Natur als grossen Spiel- und Lernplatz nutzen, von den Überlebens-Shows im TV und in den sozialen Medien? Offenbar nicht so viel. Felix Furrer, Kommunikationsverantwortlicher bei Cevi Schweiz, sagt, er schaue solche Formate nicht und könne sich deshalb nicht dazu äussern. «Das Thema Survival-Fernsehen ist mir persönlich, aber ich glaube auch uns als Verband, generell nicht wirklich nahe.»
Die Kommunikationsleiterin der Pfadibewegung Schweiz, Annina Reusser, kennt Bear Grylls. Dieser sei zwar auch ein Pfader. Aber: «Was er im TV macht, ist in keiner Weise mit einer Pfadi-Aktivität in der Schweiz für Kinder und Jugendliche vergleichbar.» Die Pfadi habe ein pädagogisches Modell für sämtliche Aktivitäten und Altersgruppen entwickelt, um eine ganzheitliche Entwicklung zu fördern. «Entsprechend distanzieren wir uns vom Vergleich von Pfadi und Survival-Shows, wie sie im TV zu sehen sind.» Wobei die gezeigten Techniken in den Sendungen und in den Jugendorganisationen ähnlich sind. «Beim Cevi erlernen Kinder und Jugendliche viele unterschiedliche, hilfreiche Survival-Fähigkeiten», sagt Felix Furrer. «Feuer machen, Seilkunde, Erste Hilfe, Biwak bauen, das Wissen über Flora und Fauna sowie Kartenkunde und die Orientierung in der Natur.» Annina Reusser betont, dass die Jugendlichen neben Fertigkeiten wie Blachenzelte bauen vieles anderes erlernen, das ebenso wichtig ist. «Dazu gehören Sozialkompetenzen wie Selbstsicherheit, Teamfähigkeit und Innovation.» Leitpersonen sammelten zusätzlich Führungserfahrung und verbesserten ihre Organisationsfähigkeit – wie beispielsweise eine Lagerplanung.
Dass Kinder im Cevi gefährliche Techniken ausprobieren würden, die sie in Survival-Sendungen gesehen haben, sei ihnen nicht bekannt, erklärt Furrer. Sicherheit wird grossgeschrieben. «Der Cevi verfügt über funktionierende Sicherheitskonzepte mit entsprechenden Aus- und Weiterbildungen für anspruchsvolle Tätigkeiten im Wald und um höchstmögliche Sicherheit zu garantieren.» Sicherheit ist auch bei den Pfadern das höchste Gebot. «Unsere Leitenden werden auch in den Ausbildungskursen, beispielsweise in J+S-Kursen, entsprechend geschult, sodass sie Risiken einzuschätzen und mit ihnen umzugehen lernen», sagt die Sprecherin.
Was ist «7 vs. Wild»?
Sieben Youtuber, die mehr oder weniger Erfahrung mit Heimwerken, Camping und Outdoor-Aktivitäten haben, werden in der ersten Staffel von «7 vs. Wild» in einen nicht näher bezeichneten See in Schweden geworfen. Ausgesetzt in der Wildnis, kämpfen die 7 Kandidaten 7 Tage ums Überleben. Jeder muss mit 7 vorher ausgewählten Gegenständen und der Kleidung am Körper auskommen. Wer nach 7 Tagen noch übrig ist und die meisten Punkte in den Tages-Challenges gesammelt hat, ist der Gewinner. Es gibt keine Kamerateams (die Teilnehmer filmen sich selbst) und keinen Kontakt zur Aussenwelt. Die Teilnehmer sind vollkommen auf sich gestellt und mit der Natur konfrontiert. Was sie erleben, wird auf Youtube veröffentlicht. Es gab bisher drei Staffeln an verschiedenen Orten. Die Fans von «7 vs. Wild» warten gespannt auf eine mögliche Fortsetzung der Serie im Herbst 2024. Der Kopf dahinter, Fritz Meinecke, bezeichnet seine Serie als «Reality-Spielshow» und beteuert, dass alles echt und kein Fake ist. In anderen Survival-Serien wie «Man vs. Wild» gab es Kritik, dass vieles gestellt sei und Bear Grylls im Hotel und nicht draussen übernachtete.