Interview mit Stefan Gubser

«Altersarmut ist in Kulturkreisen keine Seltenheit»

Vor dreieinhalb Jahren schlüpfte Stefan Gubser zum letzten Mal in die Rolle des Reto Flückiger und ermittelte als «Tatort»-Kommissar in Luzern. Mittlerweile widmet sich der Winterthurer kleineren Projekten, bei denen er jedoch mit umso mehr Herzblut dabei ist – und setzt auf gezielte Auszeiten.

Herr Gubser, Sie waren kürzlich in Griechenland am Segeln und sind nun wieder zurück in der Schweiz. Planen Sie solche Auszeiten von langer Hand oder geschieht dies in der Regel eher spontan?

In diesem Fall handelte es sich um eine Woche Ferien mit Freunden. Wir waren insgesamt zu sechst – entsprechend war eine etwas längere Vorbereitungszeit nötig. Normalerweise bin ich jedoch sehr spontan, was Auszeiten anbelangt.

Als Aussenstehender klingt ein Segeltörn in Griechenland recht entspannend. Dabei kann es ohne den nötigen Fokus auf dem Meer jedoch schnell gefährlich werden.

Eine gewissenhafte Vorbereitung ist auf jeden Fall essenziell. Gerade weil die See eine Komponente bildet, die man nur sehr bedingt kontrollieren kann, muss man bei der Sache sein. Umso mehr, als dass wir mit einem 25 Tonnen schweren Boot unterwegs waren und die Häfen in Griechenland ziemlich eng sind. Man muss sich bewusst sein, dass man die Verantwortung für sechs Personen trägt und sich dementsprechend verhalten.

Daneben verfolgen Sie mehrere Projekte. Picken Sie dabei mittlerweile Rosinen und engagieren sich nur noch dort, wo Sie voll dahinterstehen können?

Das ist in der Tat so. Ich bin 65 Jahre alt, wäre also eigentlich pensioniert. Entsprechend mache ich nur noch, wo ich mit Herzblut dabei bin und nichts mehr aus finanziellen Gründen.

Stefan Gubser im schwarzen Mantel

Entdeckt wurde Gubser mit 17 in Schiers auf dem Internat. Bild: zVg

Ist das auch der Lohn dafür, dass manche Dinge aus Zeitgründen jahrelang hinten anstehen mussten?

Ja, zumal ich früh Vater wurde. So musste ich mich jenen Projekten widmen, die anstanden; ohne gross aussuchen zu können. Vor 30 Jahren sagte ich mir, dass ich spätestens mit 65 finanziell unabhängig sein möchte – was ich geschafft habe. Vieler meiner Berufskollegen ist weniger Glück beschieden. So kenne ich zahlreiche Kulturschaffende, die auch mit 70 noch arbeiten müssen. Viele Künstlerinnen sind schlecht abgesichert, was die Altersvorsorge anbelangt und Altersarmut ist in Kulturkreisen keine Seltenheit. Ich bin Mitglied beim Berufsverband Schweizer Syndikat Film und Video (SSFV), der unter Filmschaffenden eine Umfrage durchführte. Die Ergebnisse waren ernüchternd bis erschreckend. Ein Problem besteht darin, dass die Produzentenverbände und das SRF die Gagen extrem drücken. Entsprechend steht der SSFV in Verhandlungen mit ihnen.

Prekäre Arbeitsbedingungen können auf Dauer das kulturelle Schaffen gefährden.

Absolut, kommt eine schlecht funktionierende Kulturförderung wie beispielsweise in Italien hinzu, ist das Resultat ein kulturelles Schaffen, bei dem einzig kommerzielle Produktionen zum Zug kommen und mit einer gesunden Finanzierung einhergehen können. Dies führt nicht selten zu einer Verrohung der Gesellschaft, weil man sich ausschliesslich mit massentauglichen Inhalten auseinandersetzt und sich das kulturelle Niveau somit nur noch im Sinkflug befindet.

Was tragen auf der anderen Seite die Kunstschaffenden für eine Verantwortung?

Natürlich liegt es auch an uns, etwas auf die Seite zu legen, doch war der Umgang mit Geld oder was ich tun muss, um im Alter nicht vom Staat abhängig zu werden, zumindest zu meiner Zeit an der Schauspielschule absolut kein Thema.

Verwirklichen Sie aktuell primär Projekte über Ihr Unternehmen Wortspektakel?

Ja und nach fast 200 Serien- und Filmprojekten, in denen ich mitgewirkt habe, dachte ich, hätte ich es gesehen. Doch bekam ich vor einigen Wochen ein Drehbuch in die Hände, das mich begeisterte und bei dem ich einfach zusagen musste. Es handelt sich dabei um einen historischen Film über den Landesverräter Ernst Schrämli, der während des Zweiten Weltkriegs einem Nazi-Geheimagenten Schweizer Militärinformationen verkaufte.

Wie gut tut es, bei eigenen und ausgesuchten Projekten keine oder kaum Kompromisse eingehen zu müssen? Als Filmschauspieler zum Beispiel kann es immer wieder vorkommen, dass man mit einem Drehbuch oder anderen Aspekten des Films nicht gänzlich einverstanden ist.

Das tut extrem gut und ist der Lohn für über 40 Jahre harte Arbeit. So fühle ich mich freier, nicht nur was die Arbeit anbelangt. Einen Segeltörn beispielsweise kann ich nun umso mehr geniessen, da ich gänzlich abschalten kann, ohne etwas im Hinterkopf behalten zu müssen oder von der Befürchtung begleitet zu werden, ein wichtiges Mail oder sonst etwas zu verpassen.

Unter anderem halten Sie regelmässig Lesungen mit von Ihnen ausgesuchten Werken. Was ist es, was Lesungen immer noch attraktiv macht, wo doch die Aufmerksamkeitsspanne der Menschen immer weiter abnimmt? Oder ist es eben gerade dieser Kontrast?

Ich hätte selbst nicht gedacht, dass Lesungen immer noch – oder wieder – so gut funktionieren. Auch ist es keineswegs so, dass nur ältere Leute im Publikum sitzen würden. Ich denke, dass viele heute übersättigt und überfordert sind mit der Dauerberieselung durch Social Media etc. Auch sind die vielen Informationen, die täglich auf einen einwirken und verarbeitet werden müssen, ermüdend für Körper und Geist. So geniessen es die Leute, sich einfach hinsetzen und zuhören zu können.

Wie streng sind Sie mit sich bei der Vorbereitung einer Lesung? Sind Sie diesbezüglich ein Perfektionist?

Das bin ich und bereite mich sehr intensiv vor – wie für eine Filmrolle. Mit einer schlechten Vorbereitung werde ich schnell unsicher oder nervös vor dem Auftritt. Will ich mich sicher fühlen, macht die Vorbereitung einen grossen Teil davon aus. Das Gute ist, dass mir niemand reinredet und ich die Texte selbst aussuchen kann, was hilft.

Wie leicht oder schwer tun Sie sich damit, Texte auswendig zu lernen?

Definitiv nicht mehr so leicht wie auch schon, da spüre ich natürlich das Alter. Vor 30 Jahren brauchte ich halb so lange wie heute.

Live-Lesung in Hamburg

Stefan Gubser weiss das Publikum bei Lesungen in seinen Bann zu ziehen. Wie hier in Hamburg im Rahmen der Lesung «Die Deutschlehrerin» von Judith Taschler. Bild: Bo Lahola

Was verfolgen Sie für eine Technik beim Auswendiglernen?

Erst lese ich das Theaterstück oder die Filmdialoge immer und immer wieder. Dann decke ich meinen Dialogpart ab und lese nur noch, was mein Gegenüber zu mir sagt und mache dieses Spiel so lange, bis meine Antworten genau mit dem Drehbuch übereinstimmen. So verinnerliche ich den Inhalt und lerne nicht bloss den Text auswendig. Es ist ganz wichtig, zuzuhören, denn Schauspiel ist immer eine Reaktion; verbunden mit Emotionen. Und nur wenn man genau zuhört, kann man authentisch und natürlich reagieren und somit glaubhaft sein.

Was braucht mehr Überwindung? Auf einer grossen Theaterbühne mit Hunderten von Leuten aufzutreten oder bei einer Lesung im intimen Rahmen mit 30 Zuhörerinnen?

Beim Theater verspüre ich schon mehr Adrenalin. Ausserdem habe ich bei einer Lesung den Text vor mir liegen, diesen Anker hast du auf der Theaterbühne nicht.

Auf der Bühne, ob bei einer Lesung oder im Theater, spürt man, wie das Publikum drauf ist – gebannt, unruhig, gelangweilt. Was gibt es für Stilmittel, um die Leute wieder zu packen, wenn man fühlt, sie verloren zu haben?

Dies spürt man tatsächlich umgehend und es gibt verschiedene Mittel, beispielsweise eine lange Pause einzubauen, sodass die Leute denken, es sei etwas Unerwartetes passiert. Generell ist es sehr faszinierend, mit dem Publikum zu «spielen».

Wie unterschiedlich sieht Ihr Energiehaushalt nach einer Lesung aus im Vergleich zu wenn Sie nach einem Drehtag nach Hause kommen?

Die beiden Dinge sind nur schwer miteinander vergleichbar. Aber klar, bei einem gelungenen Auftritt vor Live-Publikum kommt Energie von den Leuten zurück und diese spürt man auch nach dem Auftritt noch. Ein langer Drehtag hingegen kann energieraubend sein und bildet nur ein kleines Puzzleteil, bis das Endprodukt steht.

Tatort Luzern

Im «Tatort» Schmutziger Donnerstag will Reto Flückiger die Fasnacht in Luzern abblasen. Bild: SRF / Zodiac Pictures

Künstler betonen immer, dass sie für das Publikum spielen und nicht für die Kritikerinnen. Hand aufs Herz: Wie wichtig waren und sind Ihnen die Rezensionen von Feuilletonisten und Kulturjournalistinnen?

Zu Beginn meiner Karriere las ich die Kritiken, doch nahm dies immer mehr ab, denn mir ist das Feedback der Besucher tatsächlich viel wichtiger. Zumal der Beruf der Kulturkritikerin vom Aussterben bedroht ist. Oftmals spielen bei Kritiken auch persönliche Befindlichkeiten eine Rolle, was viel von der Aussagekraft nimmt. Fundierte und sachliche Kritiken und Meinungen hingegen finde ich sehr spannend.

Wie gerne würde man sich bei negativen Kritiken jeweils erklären und Stellung beziehen?

Früher war dies noch ein Bedürfnis, heute überhaupt nicht mehr. Nur schon, da man mit der Zeit eine immer dickere Haut bekommt und auch realisiert, wie die Kritiken zustande kommen, dass teilweise aus Prinzip eine negative Note mitschwingen muss, um online möglichst viele Clicks zu generieren, denn eine negative Schlagzeile verkauft sich eben viel besser. So droht das Urteil entsprechend beliebig auszufallen.

Snooker

Stefan Gubser engagiert sich als freiamtlicher Stiftungsrat und Unterstützer von NGOs sowie Botschafter für Hilfswerke. Bild: zVg

Wie hat sich die Schweizer Filmlandschaft in den letzten drei Jahren seit Corona verändert?

Das Kino hat viele Besucherinnen verloren, da sich die Leute zuhause so eingerichtet haben, dass sie das Kinoerlebnis in den eigenen vier Wänden nachahmen können. Auch das Theater hat es schwer. So ist das Publikum nach wie vor nicht in vollem Umfang wieder zurückgekehrt. Die Gesellschaft hat sich seither nun mal verändert.

Was können die Kulturhäuser dagegen unternehmen?

In erster Linie auf gute Qualität setzen und auf Inhalte, die die Menschen wirklich erreichen und interessieren. Ein befreundeter Künstler sagte kürzlich zu mir, dass die Zeit, welche die Leute in den sozialen Medien verbringen, genau jene ist, die sie in der Vergangenheit zumindest teilweise der Kultur gewidmet haben. Dass dies nicht so bleiben muss, zeigte sich bei meinem London-Besuch: Die Museen und Theater waren rappelvoll. Was dort anders ist, kann ich nicht beurteilen.

Wären Sie trotzdem gerne nochmals Anfang 20 und bereit, Ihre Schauspielkarriere zu lancieren?

Nein, ich möchte nicht nochmals von vorne beginnen müssen. Zumal ich denke, dass es schwieriger geworden ist: Die Konkurrenz ist riesig und es gibt kaum noch Theater mit einem festen Ensemble. Entsprechend gross ist die Unsicherheit und man muss ständig schauen, einen Job zu haben, der ein genügend grosses Einkommen generiert. Nochmals jung wäre ich hingegen schon gerne.

Von 2011 bis 2019 ermittelten Sie als Reto Flückiger im Luzerner «Tatort». Ändert sich das eigene Empfinden gegenüber Kriminalität und Gewalt, wenn man sich jahrelang als Kommissar thematisch in einem kriminellen und gewalttätigen Milieu bewegt?

Das nicht, jedoch die Einstellung gegenüber der Polizei. Durch die Einblicke in ihr Berufsfeld stieg mein Respekt gegenüber ihrer Arbeit, denn müssen Beamte teilweise viel aushalten und dürfen dabei nicht die Beherrschung verlieren.

Stefan Gubser und Tatort-Partnerin Delia Mayer

Bis 2019 ermittelte er als Reto Flückiger an der Seite von Liz Ritschard (Delia Mayer). Bild: SRF / Daniel Winkler

Unter anderem Fotojournalisten, die aus Kriegsgebieten, von Not und Elend, berichten, müssen schauen, wie sie sich gegen einen einsetzenden Zynismus wehren können. Für Sie entsprechend kein Thema?

Nein, Zynismus liegt mir fern, damit macht man sich nur selber miese Laune.

Gehört der «Tatort» am Sonntagabend für Sie immer noch zum Pflichtprogramm?

Gar nicht, ich bevorzuge Dokumentationen und Informationssendungen im TV. Wenn ich Lust auf Fiktionales habe, setze ich eher auf Streaming, da die Anbieter mehr finanzielle Mittel zur Verfügung haben, was sich wiederum in der Qualität niederschlägt. In der Schweiz fehlen die Mittel, um da mithalten zu können. Jedoch mangelt es manchmal auch etwas an Mut. Dabei kommen freche Inhalte und Formate beim Publikum durchaus an, «Tschugger» ist das beste Beispiel dafür.

Wie schwer kann es Ihnen fallen, eine Film- oder Theaterrolle loszulassen und sie so gewissermassen sterben zu lassen?

Nicht sonderlich, wobei es vorkommen kann, dass man sich runterziehen lässt, wenn man über Wochen eine depressive oder kranke Figur verkörpert. Vielmehr als die Rolle vermisse ich jeweils das Team; durch die enge und intensive Zusammenarbeit entsteht oft eine sehr emotionale Bubble, in der man sich pudelwohl fühlt. Mit der Zeit lernt man jedoch, damit umzugehen.

Zur Person

Stefan Gubser (65) absolvierte seine schauspielerische Ausbildung am Max Reinhardt Seminar in Wien. Anschliessend war er an verschiedenen Theatern engagiert; darunter am Burgtheater Wien und am Residenztheater in München. Es folgte ein Zwischenjahr in New York mit Susan Batson vom Actor Studio. Seine erste Filmrolle erhielt der gebürtige Winterthurer 1986 in «El río de oro» und schon bald schlüpfte er für die Serie «Eurocops» ein erstes Mal in die Rolle eines Kommissars: Als Miguel Bernauer wurde er einem grösseren Publikum bekannt. Daneben spielte er in verschiedenen TV- und Kinoproduktionen mit, darunter «Anna Göldin – Letzte Hexe» (1991) und «Justiz» (1993), die Verfilmung des gleichnamigen Romans von Friedrich Dürrenmatt. Später wirkte er in Filmen wie «Mein Name ist Eugen» (2005) und «Grounding – Die letzten Tage der Swissair» (2006) mit.

Von 2011 bis 2019 ermittelte er als Kommissar Reto Flückiger im Luzerner «Tatort». In seiner Schauspielkarriere hat er in 25 Kinofilmen, 70 TV-Filmproduktionen und rund 150 Folgen in verschiedenen TV-Serien mitgewirkt. Hinzu kommen mit «Hello Goodbye» (2007) und «Horizon Beautiful» (2013) zwei Kinofilme, in denen er sowohl die Hauptrolle spielte als auch als Produzent tätig war und am Drehbuch mitarbeitete.

Gubser begann nicht nur seine Schauspielkarriere auf der Theaterbühne, er produzierte mit «alte Freunde» und «Rockerbuben» auch selbst zwei Theateraufführungen. 2017 veröffentlichte er gemeinsam mit seiner Tochter Stefanie das Märchenbuch «Di gschtifleti Gans – Grimm-Märli und Schlafliedli zum Läse und Lose». Aktuell ist er vor allem mit Lesungen unterwegs, die er über den von ihm und Schauspielerin Regula Grauwiller gegründeten Kulturverein Wortspektakel realisiert.  

2005 erhielt er den Schweizer Fernsehpreis «TV Star» in der Kategorie Film und 2018 den Prix Walo in der Kategorie Publikumsliebling. Stefan Gubser ist verheiratet und Vater einer erwachsenen Tochter. Zu seinen Leidenschaften abseits des Beruflichen gehören Segeln, Wandern und Golf.

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