Befindet sie sich auf dem Weg zur Grande Dame des Schweizer Films? Rachel Braunschweig ist dem Publikum unter anderem aus «Die göttliche Ordnung» und dem «Tatort» bekannt. Im Herbst erscheinen mit «In Liebe, eure Hilde» und «Friedas Fall» gleiche zwei neue Kinoproduktionen mit der Zürcher Schauspielerin. Letzterer greift dabei einen Fall auf, der sogar Justizgeschichte geschrieben hat.
Rachel Braunschweig, Sie sind seit einigen Jahren vor allem als Filmschauspielerin bekannt, im Falle von «Neumatt» auch aus einer Serie. Davor hat man Sie vor allem vom Theater gekannt. Einer der grössten Unterschiede des Schauspiels im Theater im Vergleich zum Film ist das unmittelbare Feedback, das man vom Publikum erfährt. Man spürt sogleich, wie etwas ankommt. Inwiefern beeinflusst dies das Spielen?
Im Theater kann spontan reagiert werden. Sprich, ich kann auf eine Reaktion aus dem Publikum eingehen und gerade mit einem gut eingespielten Ensemble ist es so möglich, zu improvisieren und Unerwartetes aufzufangen. Auch im Film kann von hinter der Kamera eine Reaktion erfolgen und man kann improvisieren. Doch die Reaktion erfolgt weniger unmittelbar; kann weniger in den kreativen Prozess einfliessen. Im Film resultiert eine Improvisation selten aus äusseren Einflüssen, sondern eher aus dem Spiel und dem Moment selbst.
Mögen Sie dieses unmittelbare Feedback und die Improvisation des Theaters?
Ja, sehr. Auch wenn es herausfordernd sein kann. Einmal ging beispielsweise wegen der Nebelmaschine der Feueralarm los. Nach einem Moment der Schockstarre haben wir gespürt, dass das Publikum damit umzugehen versteht und wir konnten über Improvisationen die Zeit überbrücken. Wir spielten uns verbal gegenseitig den Ball zu, was sogar Spass machte.
Sie waren über längere Zeit an verschiedenen Orten in Norddeutschland beruflich engagiert, konkret in Wilhelmshaven, Hannover und Hamburg. Haben Sie zu Beginn grosse Mentalitätsunterschiede festgestellt und realisiert, dass Sie das Publikum anders abholen müssen als in der Schweiz?
Generell ist das deutsche Publikum theatergewohnter. Ein Theaterbesuch ist Teil der Freizeitgestaltung und es hat in den meisten kleineren Städten ein Theater, welches insgesamt einen höheren Stellenwert geniesst als in der Schweiz. Dementsprechend reagiert das Publikum in Deutschland direkter, hat weniger Berührungsängste. Wobei auch das Alter des Publikums eine grosse Rolle spielt. So sind die jüngeren BesucherInnen weniger gehemmt und fühlen sich weniger Konventionen verpflichtet. Solange es ein respektvolles Feedback und eine gewisse Sensibilität gegeben ist, was auf der Bühne passiert, finde ich Reaktionen immer spannend.
Im Film kommt dies natürlich weniger zum Tragen.
Wenn, dann vor allem auf Festivals, wenn das Publikum bei Filmpremieren anwesend ist. Für uns ist dies jeweils sehr aufregend, da wir zum ersten Mal eine direkte Reaktion des Publikums auf das neue Werk erfahren. Inklusive den Gesprächen im Anschluss, was für Fragen auftauchen und welche persönlichen Bezüge die Leute herstellen. Manchmal kommen da ganz individuelle Assoziationen, was ein sehr befriedigendes Gefühl ist, denn dann funktioniert der Film offensichtlich. Der Film entsteht im Schnitt, was bedeutet, dass man als Schauspielerin seine Arbeit abgibt und nicht weiss, in welche Richtung es schlussendlich führt. Im Theater hat man es viel mehr in den eigenen Händen, denn wenn der Vorhang fällt, steht das Produkt fest. So kann auch unmittelbar darauf reagiert werden. Die Art des Applaus und ob dazwischen applaudiert wird, deutet bereits darauf hin, wie das Stück ankommt. Im Theater ist die Energie spürbar und ob eine Verbindung zwischen AkteurInnen und Publikum entsteht.
Beim Film oder bei einer Serie kann man mit einer Szene abhaken, wenn sie abgedreht ist. Im Theater präsentiert man sie mehrfach auf der Bühne, kann von einer Vorstellung zur nächsten an Stellschrauben drehen. Was von beidem bevorzugen Sie?
Abschliessen kann ich mit einer Filmszene, wenn ich das Gefühl habe, wirklich auf den Punkt gewesen zu sein. Oftmals gibt es jedoch Zeitdruck oder andere Umstände, die einen weiteren Take verunmöglichen, was es mir schwermacht, abzuschliessen. Dafür kann man im Film verschiedene Varianten drehen. Die Regie, respektive der Cutter oder die Cutterin, entscheidet dann, welche Version verwendet wird. Sprich, beiderorts ist der Prozess nach dem Spiel nicht abgeschlossen – mit dem Unterschied, dass wir beim Film im Nachgang nicht mehr involviert sind. Hat man einen eigenen Gestaltungswillen wie ich, ist das Abgeben nicht immer einfach. Klar ist auch: Es braucht jemanden, der am Ende entscheidet. Es gibt nichts Schlimmeres, als wenn diese Position unbesetzt ist, weil man sich dann in den Details verliert.
Stichwort Loslassen. Während der Drehzeit bildet man eine Art Familie auf begrenzte Zeit und im Anschluss gehen alle wieder ihres Weges. Muss man zu Beginn lernen, mit diesem Abschied nehmen umzugehen, um anschliessend nicht in ein Loch zu fallen?
Absolut. Und zwar im Theater wie im Film. Ich kann mich noch gut an eines meiner ersten Engagements in Wilhelmshaven erinnern, als viele ältere Schauspielkollegen diese Intensität gar nicht mehr gesucht haben. Sie wollten sich schützen und liessen sich nicht mehr auf dieselbe Weise darauf ein. Ich konnte das nicht verstehen: Warum gibt man sich diesem tollen Beruf nicht mit Haut und Haar hin? Diese Distanz aufzubauen ist ein Prozess, mit dem ich immer noch Mühe habe. Auch wenn ich weiss, dass es nicht möglich ist, mit all diesen tollen Menschen, denen man in seiner Karriere begegnet, in Kontakt zu bleiben. Es entstehen zwar Freundschaften, aber es ist eher so, dass man sich punktuell hört und sieht. Gerade in der Schweiz ist es dafür so, dass man sich immer mal wieder begegnet.
Haben Sie etwas, um nach einem harten Drehtag abschalten zu können?
Hilfreich ist für mich ein persönlicher Rückzugsort. So kann ich in der Konzentration bleiben. Entsprechend nehme ich mir auch ein Hotelzimmer, wenn ich in Zürich drehe. Ich habe dann meine Ruhe und kann mich ideal auf den nächsten Drehtag vorbereiten.
Was haben Sie für eine Vorgehensweise beim Lernen des Textes? Ist es ein reines Auswendiglernen oder visualisieren Sie die Szenen auch?
Beides, ich lerne den Text als Text und spüre dabei meist schon, wie gut er «verhebt» und wo er für eine möglichst natürliche Aussprache noch etwas überarbeitet werden muss. Den Text lerne ich meist bei mir auf dem Bett liegend. Parallel dazu erarbeite ich mir die Szenen inhaltlich. Aus diesem Prozess entstehen dann die Angebote an die Regie, wo etwas optimiert werden könnte. Wenn es inhaltlich geklärt ist, lernt sich auch der Text viel leichter.
Die Figur, die man spielt, begleitet einen über längere Zeit. Können Sie diese jeweils am Set lassen oder tragen Sie die Figur teilweise auch im Alltag mit sich rum?
Man stellt sich manchmal vor, wie sich die Figur in dieser Situation wohl verhalten würde. So kann die Figur zusätzlich angereichert werden. Aber sonst im Alltag nicht, ich verhalte mich nicht wie die Figur, wie es vielleicht in der Schauspielschule noch geschieht. Ich bereite mich je nach Figur verschieden vor, denn je nach Inhalt und Figur braucht es eine unterschiedliche Herangehensweise: Steht die physische Komponente im Vordergrund oder geht es primär über die Sprache, das Unterbewusstsein, innere Bilder, Musik? Oftmals kombiniere ich zwei Methoden, fühle mich hinein, warum die Figur sich so verhält und so aussieht, wie sie es tut. Ich schreibe manchmal auch eine Biografie zur Figur, stelle mir vor, wie sie als Kind war.
Beispielsweise beim «Tatort» und für «Neumatt» schlüpfen Sie nach einiger Zeit zurück in Ihre Rolle. Wie lange brauchen Sie jeweils, bis Sie wieder in die Figur zurückfinden?
Dies hängt von den Drehbüchern ab, wohin sich die Figur entwickelt und ob ich dies mit der Figur, wie ich sie entwickelt habe, zusammenbringen kann. Wenn wie beim «Tatort» die AutorInnen wechseln, ist dies nicht immer einfach. Je mehr man sich im Vorfeld einig über die Figur ist, desto leichter fällt es, diese wieder zu finden. Bei Bedarf füge ich auch gewisse Elemente hinzu, damit es wieder jene Figur ist, wie sie die ZuschauerInnen kennen. Es ist auch da wieder ein Improvisieren und ein Angebot an die Regie.
Es ist also mehr als ein Anzug, in den man einfach wieder reinschlüpfen könnte.
Das ist so. Wäre es immer derselbe Autor, fiele es leichter, weil er die Figur kennt und entsprechend schreibt. Ein Serienformat ist sehr anspruchsvoll, weil man zahlreiche Erzählstränge und Figuren bedienen muss. Oftmals ist noch nicht alles ausgereift, wenn wir die Drehbücher erhalten. Das Mitgestalten ist genauso spannend wie mit viel Arbeit verbunden.
In «In Liebe, eure Hilde» spielen Sie mit Ella Karma eine jüdische Schauspielerin. Es gibt in Berlin auch einen Stolperstein für sie. Fühlen Sie eine grössere Verantwortung gegenüber der Rolle, wenn es sich um eine historische Person handelt?
Zu Ella Karma könnte man sogar einen eigenen Film drehen. In «In Liebe, eure Hilde» lernt man die Figur nur über Andeutungen kennen, was zumindest dazu anregen sollte, sich weiter über sie zu informieren. Man kann es vielleicht mit Katharina von Zimmern vergleichen, die ich in «Zwingli» verkörperte. Auf der einen Seite entsteht eine Neugier, wer diese Person wirklich war und auf der anderen Seite gab es in beiden Fällen, wie so oft, wenn es um historische Frauen geht, bis vor kurzem sehr wenige Informationen zu ihnen. Dies gewährt einem zwar eine grosse Freiheit, aber es ist auch mit Wehmut verbunden und unbefriedigend, dass diese Frauen nicht mehr Aufmerksamkeit erfahren haben.
Hat man bei historischen Figuren als Schauspielerin den Anspruch, der Figur eine eigene, persönliche Note zu verpassen oder möchte man die historische Vorlage möglichst exakt umsetzen?
Aufgrund des Drehbuches kommt man gar nicht darum herum, seine eigene Interpretation zu finden. Zumal man bei einer historischen Figur auch keine Möglichkeit hat, sie persönlich kennenzulernen. Eine Eins-zu-eins-Kopie finde ich auch nicht sehr spannend, weil man sowieso nie das Original sein wird. Es ist auch interessanter, die Person im Kern und in der Tonalität zu erfassen, um dann eine eigene Interpretation einzubringen.
Können Sie mehrere Rollen parallel spielen oder hätten Sie dann das Gefühl, der Rolle nicht gerecht werden zu können?
Es geht schon und ich hatte nun diese Situation, als wir zu «Friedas Fall» sowie zur dritten Staffel von «Neumatt» drehten. Aber es ist schon nicht ideal. Beim «Tatort» haben wir bislang immer zwei Fälle gleichzeitig gedreht. Sprich, man spielt dann dieselbe Figur in zwei unterschiedlichen Geschichten. Dies ist etwas einfacher, da ich voll in die Figur eintauchen kann.
«Friedas Fall» spielt vor 120 Jahren. Trotzdem haben viele der Themen aus dem Film bis heute nicht an Dringlichkeit verloren, wie zum Beispiel Frauenrechte, Abtreibung, Gerechtigkeit, die Täter-Opfer-Frage. Befassen Sie sich jeweils auch ausserhalb des Films verstärkt mit Themen, die im Film aufgegriffen werden?
Absolut, gerade bei diesem Film. Aspekte wie die Selbstbestimmung der Frau über ihren Körper sind auch heute noch absolut aktuell. Es ist frustrierend und ermüdend, wie nach wie vor über Frauen verfügt wird. Mich hat in «Friedas Fall» insbesondere die Frage fasziniert, wie eine Mutter an den Punkt gelangen kann, ihr eigenes Kind umzubringen. Dies ist das Geniale an meinem Beruf: Man wird mit immer wieder neuen Lebensrealitäten und gesellschaftlichen Fragen konfrontiert und darf sich mit diesen auseinandersetzen. Theater und Film sollen ein Abbild unserer Gesellschaft sein, Fragen aufwerfen, anregen und kritisch hinterfragen. Sie sollen durchaus auch einen Einfluss auf das Verhalten von Entscheidungsträgern haben.
Wofür «Friedas Fall» das perfekte Beispiel ist.
Ja, dieser Fall ging in die Justizgeschichte ein als Präzedenzfall für die Unterscheidung zwischen Mord und Totschlag. Er ist auch ein Zeugnis davon, wie die Gesetzgebung durch patriarchale Strukturen geprägt ist.
Fragen nach (sozialer) Gerechtigkeit werden auch im Theaterstück «This is a Robbery!» aufgegriffen, in dem Sie mitwirken. Plus geht es um die Verteilung von Gütern. Ein Aspekt mit grosser Dringlichkeit wenn man bedenkt, dass Themen wie bezahlbarer Wohnraum, die Nutzung von öffentlichem Raum und die Finanzierung der Altersvorsorge aktuell intensiv diskutiert werden. Haben Sie den Anspruch an sich selbst, in Stücken mitzuwirken, die eine gewisse Dringlichkeit aufweisen?
Sie sollten schon eine Relevanz haben. Ich würde auch in einer gut geschriebenen Komödie mitspielen, denn Humor ist ein geeignetes Stilmittel, um die Menschen mit relevanten Themen zu erreichen. Gute, spannende und vielschichtige Geschichten haben immer eine Relevanz. Eindimensionale Inhalte und das Spiel mit Klischees reizen mich hingegen weniger.
Sie haben sich mittlerweile ein Profil geschaffen, indem Sie in zahlreichen historischen Filmen mit geschichtlich relevanten Inhalten mitgewirkt haben wie die beiden aktuellen Filme, «Zwingli» sowie «Die göttliche Ordnung». Ist dies bewusst?
Es hat sich über die Angebote ergeben. Es macht mir auch viel Spass, weil es ein geschenkter Pinselstrich ist für die Figur mit dem Kostüm und der Maske.
Nur in eine bestimmte Ecke möchte man nicht gedrängt werden, oder?
Kürzlich sagte eine Regisseurin zu mir, dass ich immer so dramatisch besetzt werde, doch sei ich eigentlich ein Clown. Dies freute mich sehr, da ich früher immer der Meinung war, ich sei ein komisches Talent. Idealerweise darf man beides abdecken, um nicht in eine Schublade gesteckt zu werden. Mich als Schauspielerin macht die Vielfalt an Rollen glücklich. Es bräuchte manchmal mehr Mut der CasterInnen, RegisseurInnen und Produktionsfirmen. Das Publikum ist offener dafür, gewisse SchauspielerInnen in einer ungewohnten Rolle zu sehen, als es ihm zugetraut wird.
Viele junge SchauspielerInnen wollen sich etablieren, um einen Status zu erreichen, nicht mehr um jede kleine Rolle kämpfen zu müssen, sondern dass das Über-Wasser-Halten etwas leichter fällt. Sie haben im deutschsprachigen Raum ein gewisses Standing und Bekanntheitsgrad. Ist es irgendwann wirklich einfacher?
Es spielen extrem viele Faktoren rein und es unterscheidet sich auch je nach Karriere. Ich bin relativ spät ins Filmgeschäft eingestiegen, was Vor- und Nachteile hat. Auf Männerseite ist es üblicher, dass sie mit 40 oder 50 Jahren ihre erste Hauptrolle erhalten und von da an im Fokus stehen. Auf der anderen Seite ist es schwierig, wenn man früh entdeckt wird, sich ständig im Geschäft zu halten. Dies hat mit Talent und einem gelernten Handwerk zu tun. Aber auch damit, in welcher Agentur man ist, wie gut vernetzt diese ist und wie sehr man von ihr gepusht wird. Plus was visuell gerade angesagt ist. Im Moment bildet Diversität ein wichtiges Thema, dem man gerecht werden möchte. Gerade im Theater kann es sogar eine Rolle spielen, welche Schauspielschule man besucht hat. Und es hat mit Glück zu tun, in welches Projekt man in einem bestimmten Lebensabschnitt involviert war, wie erfolgreich dieses Projekt wird plus wie man in dieser Rolle war.
Wie viel Eigenwerbung ist Teil des Jobs?
Es ist wichtig, aktiv zu sein. Etwas, was ich früher vernachlässigte. So ging ich nie an Premieren. Es gehört dazu, sich an Filmfestivals zu zeigen und sich auf dem neuesten Stand zu halten.
Wie oft lehnen Sie Rollen ab, weil Sie sich entweder mit der Geschichte oder mit der Figur nicht identifizieren können?
Nicht oft, aber es kommt vor. Meist weil ich der Meinung bin, das Drehbuch sei nicht ausgereift oder es handle sich um ein Format, bei dem ich nicht mehr mitwirken möchte. Es kann auch vorkommen, dass Aufwand und Ertrag in einem zu krassen Missverhältnis stehen.
Haben Sie in der Vergangenheit zu zu vielem Ja gesagt?
Vielleicht schon, gerade im Theater. Im Film würde ich eher von Erfahrungen sprechen, denn manchmal muss man auch etwas erlebt haben, um zu realisieren, dass man dies künftig nicht mehr möchte. Aber grundsätzlich bin ich absolut im Reinen mit meiner Karriere.
Etwas, was Sie auszeichnet, ist Ihre Mehrsprachigkeit. Wird dies von den ProduzentInnen, AgentInnen etc. als nice-to-have angesehen oder ist es mittlerweile eine Voraussetzung?
Die Branche setzt dies schon voraus. Viele SchauspielerInnen bringen auch mehrere Muttersprachen mit, was immer von Vorteil ist. Dies gilt generell für Fähigkeiten, die man mitbringt. Ob man nun reiten kann oder eine Kampfsporttechnik beherrscht. Dadurch können sich wiederum neue Felder öffnen. Gewisse Fertigkeiten kann man sich für eine Rolle natürlich auch aneignen. So konnte ich vor «Neumatt» nicht Traktor fahren.
Sie sind auch im Ausland, gerade in Deutschland, unterwegs. Wie wird das Schweizer Filmschaffen bei unseren nördlichen Nachbarn wahrgenommen?
Ich höre da Unterschiedliches. Generell ist der Schweizer Markt nicht wahnsinnig interessant für das Ausland – einzelne Produktionen werden allerdings schon wahrgenommen. Die Schweiz ist vor allem bei Dokumentarfilmen sehr stark. Ich bedauere allerdings, dass es in der Schweiz keine Tradition gibt, das eigene kulturelle Schaffen wirklich wertzuschätzen und das Interesse fehlt, dieses hinauszutragen. Manche SchauspielerInnen müssen erst im Ausland erfolgreich sein, um dann auch in der Schweiz gefeiert zu werden. Luna Wedler ist ein gutes Beispiel dafür. Wir trauen uns dieses kulturelle Verständnis irgendwie nicht zu. Wir sollten stolz auf unser eigenes kreatives Schaffen sein. Dies würde auch in Bezug auf die Wahrnehmung im Ausland helfen, denn so halten wir uns selbst klein.
Wie läuft dies in anderen Ländern?
Als wir beispielsweise mit «Die göttliche Ordnung» in New York waren, sah ich, wie man sich gegenseitig feiert. Dies strahlt dann auf einen zurück. Es ist auch eine Mentalitätsfrage. Die Mehrsprachigkeit in der Schweiz hilft auch nicht wirklich, wenn es um nationale Identifikation mit kulturellem Schaffen geht. So spielt der «Tatort» im Welschland kaum eine Rolle. Mehr Austausch über den Röstigraben hinaus wäre wünschenswert.
Zur Person Rachel Braunschweig ist in Zürich geboren und wuchs in Horgen auf. Sie studierte Germanistik und Komparatistik an der Universität Zürich sowie an der Zürcher Hochschule der Künste mit der Fachrichtung Theater und Diplomabschlüssen in Schauspiel und Theaterpädagogik. Bis 2016 lag ihr Fokus auf dem Theater, unter anderem mit Festengagements in Wilhelmshaven und Hannover sowie als Gast am Schauspielhaus Hamburg. Mittlerweile wirkt die 56-Jährige primär in Filmproduktionen mit. Einem breiten Publikum wurde sie 2017 mit «Die göttliche Ordnung» bekannt. Für ihre Darstellung der Theresa erhielt sie den Schweizer Filmpreis. 2019 verkörperte Braunschweig im Kinofilm «Zwingli» die Fürstäbtissin Katharina von Zimmern. Seit 2020 ist sie als Staatsanwältin Anita Wegenast im Zürcher «Tatort» zu sehen. Im Jahr darauf erhielt die Zürcherin dafür den Schweizer Fernsehpreis Prix Swissperform. In den kommenden Wochen und Monaten wird Rachel Braunschweig gleich mehrfach auf der Kinoleinwand und im TV zu sehen sein. So kommt am 17. Oktober der Film «In Liebe, eure Hilde» in die Kinos, der die Widerstandskämpferin Hilde Coppi ins Zentrum rückt. Gegen Ende Jahr folgt «Friedas Fall», wo sie die Rolle der Erna Gmür spielt. Die dritte Staffel «Neumatt» mit Rachel Braunschweig als Katharina Wyss wird kommenden Herbst zu sehen sein. In der Rolle von Anita Wegenast ist die Zürcherin in der Vorweihnachtszeit im Tatort «Fährmann» in Aktion zu sehen. Rachel Braunschweig spricht Schweizerdeutsch, Deutsch, Englisch, Jiddisch und Französisch. Sie lebt in Zürich und Berlin und ist Mutter von zwei Kindern.