Michael Elsener ist aktuell mit seinem neuen Programm «Alles wird gut» unterwegs. Dabei stellt er unter anderem die Frage, wie man die Abstimmungs- und Wahlbeteiligung in der Schweiz erhöhen könnte – und ob sich Zofingen einen See zulegen sollte.
Michael Elsener, mangelt es in der Schweizer Politik an Humor?
Wenn ich mir die Arena anschaue, definitiv ja. Wenn ich mir eine Parlamentsdebatte anschaue, sehe ich hingegen den Humor. Mir scheint, dass beim Transport via Medien die Zwischentöne verlorengehen. Was übrig bleibt, ist häufig nur noch ein «Ich bin voll dafür» und «Ich bin voll dagegen». Das, was einzelne Politikerinnen verbinden könnte, wird ausgeblendet. Das bringt uns als Gemeinschaft nicht wirklich weiter.
Was gilt es zu beachten, wenn man Politik und Humor verbindet – zwei Bereiche, die auf den ersten Blick abgesehen von klassischer politischer Satire wenig Überschneidung aufweisen?
Bei Humor sind der Überraschungseffekt und Timing natürlich zentral. Das unfassbar Geniale an Humor ist: Ich kann eine Pointe über einen Politiker machen. Ich diffamiere ihn wegen einer Sache, die er angestellt hat. Aber wenn er zusammen mit dem Publikum darüber lachen kann, entsteht durch das Lachen gleichzeitig etwas unglaublich Verbindendes.
Ihr aktuelles Programm heisst «Alles wird gut». Wie viel Sarkasmus und Zynismus schwingt beim Blick auf die Schweizer Politlandschaft unter anderem in Anbetracht der seit jeher überwältigenden bürgerlichen Mehrheit in National- und Ständerat inklusive Rechtsrutsch im Oktober dabei mit?
Ich plädiere für einen ausgeprägten Grundoptimismus. Positive Energie bringt einen zum Handeln. Pessimistischer Zynismus lähmt. Wenn wir auf die Geschichte der Schweiz zurückschauen, haben wir die Tendenz, diese als klar ablaufende Fortschrittsgeschichte zu beurteilen. In Realität ist es aber ein Auf und Ab. Es ist nicht immer klar erklärbar, warum sich grosse Gruppen von Menschen für etwas entschieden haben. Was geht bspw. Autoherstellern durch den Kopf, ausgerechnet in Zeiten der Klimakrise tonnenschwere Geländewagen für den Strassenverkehr zu entwickeln? Da passt das Abwählen von Grünen-Politikerinnen ins Bild.
Auch das Plakat von «Alles wird gut» zeigt es: Die Welt brennt. Doch herrscht aktuell vielerorts Konsens, dass der Klimaschutz angesichts von Kriegen, steigenden Lebenshaltungskosten etc. nicht höchste Priorität geniesst. Kann man dies als Comedian/Satiriker überhaupt auf nichtzynische Art für sein Bühnenprogramm aufgreifen?
Ich versuche meinen Pointen jeweils einen positiven Dreh zu geben. Wenn ich in Zynismus verfalle, lähmt mich dies. Ausserdem mag ich es extrem, Bundesrat Guy Parmelin zu parodieren. Ich bin sehr selbstkritisch, aber ich habe echt noch niemanden gesehen, der nicht gelacht hat, wenn ich als Parmelin die wahren Zusammenhänge unserer Welt erkläre. Von daher: Bei «Alles wird gut» geht es auch darum, eine Zeit lang die reale Welt um uns herum zu vergessen.
Sie haben kürzlich die 278 im Rahmen von «Alles wird gut» erarbeiteten Visionen für die Schweiz Nationalratspräsident Martin Candinas übergeben. Was erhoffen Sie sich dadurch?
Ich gehe davon aus, dass wenn der höchste Schweizer seinen Kollegen im Parlament ein paar Ideen unterbreitet, dies durchaus seine Wirkung erzielt. Ich nehme nach jeder Vorstellung der Show auch Kontakt mit dem lokalen Stadtrat, Gemeinderat oder Regierungsrat auf und übermittle ihnen, was 500 Menschen unter viel Lachen an dem Abend für ihren Ort bestimmt haben.
Sind unter diesen Visionen welche dabei, von denen Sie sich vorstellen können, dass sie in dieser Form tatsächlich umgesetzt werden könnten?
Unter anderem wegen «Alles wird gut» soll das Dorf Biglen teilweise autofrei werden. Es fährt eine Tramlinie wieder, die Gemeinde Wetzikon debattiert, wie sie für mehr Austausch mit der Bevölkerung ein wiederkehrendes Pizzaessen mit Bürgerinnen organisieren kann und Zofingen bespricht, ob es sich einen See zulegen soll. In jeder Vorstellung wird deutlich: Wir können fast alle Dinge um uns herum verändern, wenn wir dies wirklich wollen. Und es macht sogar noch Spass dabei.
Sie greifen im Rahmen des Programms die Frage auf, weshalb die Wahlbeteiligung in der Schweiz so niedrig ist. Zu welchen Erkenntnissen sind Sie dabei gelangt?
Da gibt es natürlich zig Gründe. Ein zentraler Grund ist: Offiziell hat uns nie jemand beigebracht, wie das funktioniert mit dem Abstimmen und Wählen. Viele Eltern führen ihre Teenies ins Wählen ein, aber in den Schulen geht es vielerorts unter oder wird mal am Freitagnachmittag in der Stunde kurz vor Schulschluss abgehandelt. Wir lernen, wie man Brüche kürzt und lesen Shakespeare, aber wie wir zusammen über unsere gemeinsame Zukunft debattieren können, lernen wir nicht. Das klingt für mich nach einem Riesendrama und zwar zu neun Fünfteln.
Wie wichtig ist entsprechend politische Bildung und dass diese nicht nur Grundfakten, bspw. wie unser Wahlsystem funktioniert, beinhaltet, sondern auch die Meinungsbildung gefördert wird, welche gerade im jungen Alter oftmals noch weniger ausgereift ist, um die Wahlbeteiligung zu erhöhen?
Debattieren ist etwas, was man zuerst lernen muss. Es bringt einem auch etwas für Beziehungen. Akzeptieren, dass andere eine andere Meinung haben können, aber als Mensch trotzdem ganz okay sein können.
Wie stehen Sie zum Argument, dass eine tiefere Abstimmungs- und Wahlbeteiligung gar nicht schlecht sein muss, da so weniger Menschen abstimmen/wählen, die nicht oder zu wenig informiert sind?
Das ist für mich kein stimmiges Argument. Logisch informieren sich weniger Menschen über Politik, wenn ihnen Politik nie offiziell und auf ansprechende Art rübergebracht wurde. Das heisst, in allen Schulen müsste fundiert vermittelt werden, dass wir in der Politik darüber debattieren, wie wir alle in Zukunft zusammenleben wollen. Es müsste rüberkommen, dass Politik nicht einfach ein Schulfach ist, sondern unser Leben.
Welche Rezepte gibt es, um Politik in der Schweiz attraktiver zu machen?
Mein Rezept ist: Ich nutze Humor, um komplexe Polit-Vorlagen auf überraschende, neue Art rüberzubringen. Sowohl auf der Bühne als auch in meinen Online-Clips von «Elsener erklärt’s» auf Social Media. Wenn ich dann deswegen um Mitternacht mit zwei Teenagern im Zug bei einem Bier über die Legalisierung von gewissen Stoffen debattieren kann, dann hat das einerseits etwas Nerdiges, weil wir im Ausgang über Politik reden; aber es zeigt gleichzeitig, dass solche Debatten doch eigentlich voll in unseren Alltag gehören.
Politikerinnen wollen wiedergewählt werden, weswegen sie ein entsprechendes Publikum adressieren. Was wiederum bedeutet, dass bestimmte Bevölkerungsgruppen, oftmals Minderheiten, kaum je explizit angesprochen werden. Ein Umstand, den eine direkte Demokratie einfach mit sich bringt oder gäbe es dafür Lösungen?
Eine Möglichkeit wäre ein Dreikammer-System: Wir führen ein zusätzliches Parlament ein. Hier werden die Mitglieder ausgelost. Es gibt nur eine vierjährige Amtszeit. Keine Wiederwahlmöglichkeit. So könnte zumindest in dieser Kammer eine Politik gemacht werden, die frei ist von der stetigen Angst einer Abwahl. Das macht einen freier beim Entscheiden. Und wir müssten am Strassenrand weniger seltsam gequält lachende Menschen auf Pappwänden anschauen. Ich frage mich beim Anschauen immer, wie diese Person wohl tanzen würde.
Viele Menschen hierzulande sind wahlberechtigt, nehmen dieses Privileg jedoch nicht wahr. Auf der anderen Seite leben viele Menschen in der Schweiz, die gerne wählen und abstimmen gehen würden, jedoch nicht dazu berechtigt sind. Würde zum Beispiel ein Wahlrecht für Ausländerinnen oder ein tieferes Stimmrechtsalter dazu beitragen, dass die Volksabstimmungen breiter abgestützt und so demokratischer sind?
In der aktuellen Situation mit 45 Prozent Stimmbeteiligung sollten wir für unser Wohlergehen alles daransetzen, dass mehr Menschen, die motiviert sind mitzumachen, dies auch tun können. Wenn man von den 9 Millionen Menschen in der Schweiz alle ohne Schweizer Pass und unter 18 Jahren abzieht, plus jene 55 Prozent, die nicht abstimmen gehen, dann kommt man am Ende auf eine mickrig kleine Prozentzahl von Menschen, die darüber bestimmen, wohin die Schweiz steuert. Aktuell sind 15 Prozent der Bevölkerung für unsere Entscheide verantwortlich. Das ist gerade mal ein Siebtel der Bevölkerung. Das klingt für mich jetzt nicht nach breit abgestützter Demokratie, sondern hat eher die Tendenz zur Aristokratie.
Mit der SVP setzt in der Schweiz eine Partei immer konsequenter und schamloser auf Populismus – ein Rezept, das sich in anderen Ländern längst etabliert hat. Kann dieser Ansatz zu einer höheren Abstimmungs- und Wahlbeteiligung führen?
Kurzfristig vielleicht schon. Doch Populismus ist keine Politik. Es ist reines Theater. Theatermachen sollte man den Profis aus der Kulturbranche überlassen.
Als unpolitischer Comedian, der auf einen Humor setzt, der nicht aneckt, kann man es sich viel leichter machen und ein grösseres Publikum erreichen. Warum ist es Ihnen ein Anliegen, auf politische Inhalte zu setzen, bspw. auch mit den Erklärvideos?
Es ist mir einfach ein grosses Anliegen, über gesellschaftlich relevante Themen zu reden und das zu sagen, was ich wichtig finde. Natürlich könnte ich mit Alltags-Comedy mehr Leute erreichen. Aber wenn ich irgendwo auf humorvolle Art einen kleinen Beitrag für eine progressive Gesellschaft leisten kann, die möglichst vielen ein möglichst glückliches Leben ermöglicht, dann möchte ich das gerne versuchen.
Sie sind studierter Politologe. Doch dies bewahrt nicht davor, dass Sie sich bei komplexen Abstimmungsvorlagen tief in die Materie reinknien müssen, um für die Erklärvideos Widersprüche und Scheinargumente aufzudecken. Ziehen Sie je nach Vorlage externe Unterstützung herbei, um die Videos vorzubereiten?
Natürlich. Ich unterhalte mich mit Menschen, die sich mit der Materie auskennen: Ich besuche einen Betrieb mit Massentierhaltung. Ich gehe ins Spital zu Pflegefachleuten. Ich frage bei Universitäten nach Statistiken und ihrer Forschung. Bei mir im Team gibt es Rechercheurinnen, Faktenchecker usw. Es ist jedes Mal unglaublich spannend.
Die Themen werden Ihnen in Zukunft nicht ausgehen, wenn man an Aspekte wie Fake News denkt oder dass die vergangenen Eidgenössischen Wahlen womöglich von Seiten Russlands durch Fake-Videos beeinflusst werden sollten. Wünschten Sie, Sie müssten gar nicht auf politische Inhalte setzen, sondern könnten sich auf «seichte» Comedy fokussieren?
Schauen Sie, in einer Welt ohne Probleme wäre ich arbeitslos.
Ist es für Sie nie in Frage gekommen, aktiv in die Politik einzusteigen?
Polit-Comedian und Politiker sind zwei komplett unterschiedliche Berufe. Ich möchte die Menschen zum Lachen bringen. Und ich möchte sie dazu anregen, sich ihre eigenen Gedanken zu machen. Politikerinnen möchten häufig nicht, dass man über sie lacht und sie sagen einem häufig auch schon, was man zu denken hat.
Mit «Shitstorm für Anfänger*innen» und «Vier werden Eltern» haben Sie an der Seite von Roman Riklin zwei Theaterstücke geschrieben. Wie war das für Sie, ein Stück zu schreiben, das Sie nicht selbst auf der Bühne präsentieren?
Es war absolut grossartig, im Publikum sitzen zu können und zu sehen, wie die Schauspieler unsere Geschichte mit Leben füllen. Sich in der Fantasie gemeinsam etwas auszumalen und dies dann im Theater selber live anschauen zu können, ist ein unglaublich beglückendes Erlebnis.
In welchem Fall sind Sie strenger: Mit den Schauspielerinnen, die ein von Ihnen geschriebenes Stück vortragen oder wenn Sie selbst auf der Bühne stehen?
Mit mir bin ich viel strenger. Ja, ich habe eine Selbstliebe für mich. Aber wenn ich beobachte, wie ich beispielsweise nach einer Probe für mein neues Bühnenprogramm mir dann nächtliche Umschreibe-Sessions verordne und tags darauf Proben frühmorgens ansetze, da würde jede Gewerkschaft protestieren.
Zur Person Michael Elsener wuchs in Zug auf und stand mit 14 Jahren zum ersten Mal als Stand-up-Comedian auf der Bühne, als er mit einem Freund an der Kantonsschule Zug selbstgedrehte Comedy-Clips der Klasse zeigte. Später arbeitete Elsener als Journalist und studierte Politikwissenschaften an den Universitäten Zürich und Florenz. Seit 2008 tourt der 38-Jährige durch die Schweiz und Deutschland. Schweizweit Bekanntheit erlangte der Stand-up-Comedian, Kabarettist und Satiriker gerade auch durch seine Parodien unter anderem von Roger Federer, Johann Schneider-Ammann und Alain Berset. Elseners erstes Soloprogramm war 2009 «copy & paste». Es folgten 2011 «Stimmbruch» und 2015 «Mediengeil». 2020 brachte er «Fake Me Happy» auf die Bühne und seit diesem Jahr tourt er mit seinem neuen Programm «Alles wird gut». In der Polit-Comedy-Show thematisiert Elsener die Teilhabe am politischen Prozess und an der Demokratie in der Schweiz. Der Zuger hatte Auftritte in den Sendungen «Giacobbo/Müller» und «Benissimo». 2019 führte er als Host durch die Satire-Sendung «Late Update – mit Michael Elsener» auf SRF 1. Das Format «Michael im Bett mit…» startete 2013 als Late-Night-Show, wobei Elsener prominente Gäste an die Theke einlädt und danach mit ihnen unter die Bettdecke für einen Talk kriecht. Seit 2014 veröffentlicht Elsener auf seinen Social-Media-Kanälen «Michael erklärt's»-Videos zu gesellschaftlichen und politischen Themen, beispielsweise zu anstehenden Abstimmungen. Seit 2020 schreibt Elsener zusammen mit Roman Riklin Komödien fürs Theater zu gesellschaftlich aktuellen Themen. So feierten die Stücke «Vier werden Eltern» und «Shitstorm für Anfänger*innen!» in diesem Jahr Premiere. Seine nächsten Auftritte mit «Alles wird gut» hat Elsener am 14. Dezember in der Braui Hochdorf und vom 26. bis 31. Dezember im Theater am Hechtplatz in Zürich.