Wenn Ende Juli die ersten Zug Open über die Bühne gehen, wird mit Martina Hingis ein sehr bekanntes Gesicht auf dem Turniergelände anzutreffen sein. Die Wahl-Zugerin spricht im grossen Interview über den Zustand des Schweizer Tennis, ob sie einmal eine Spielerin als Coach auf der Tour begleiten wird und weshalb es extrovertierte Charaktere auf der Tour braucht.
Sie war der erste Schweizer Sport-Weltstar und ist bis heute die jüngste Weltnummer eins: Martina Hingis. Insgesamt 25 Grand-Slam-Titel zieren ihr Palmarès. 209 Wochen war sie an der Spitze der Weltrangliste im Einzel. Nachdem sie 2017 ihre Karriere (zum letzten Mal) beendete, nimmt Tennis bei der heute 41-Jährigen nach wie vor einen grossen Platz im Leben ein. Unter anderem ist sie als Coach tätig und sie spielt für den TC Zug Interclub NLB.
Schon bald kommt der Tennissport noch in einer weiteren Form in Hingis’ Wohnort Zug. Denn vom 24. bis 31. Juli finden auf dem Gelände des TC Zug die ersten Zug Open statt. Das Challenger-Turnier der Kategorie 125 steigt sogleich als viertgrösstes Tennisturnier der Schweiz ein hinter den Swiss Indoors Basel, den Swiss Open Gstaad sowie dem Geneva Open.
Was Martina Hingis vom neuen Tennisturnier in Zug hält, wie Social Media die AthletInnen beeinflusst und wie ehrgeizig sie auf dem Platz immer noch ist, verrät sie im Interview mit FonTimes.
Martina Hingis, Ende Juli ist es so weit und die ersten Zug Open gehen über die Bühne. Ich bin mir sicher, Zug ist mittlerweile zu einem Stück Heimat für Sie geworden. Wie speziell ist es da, dass Zug ein 125er Challenger-Turnier bekommt?
Für den Schweizer Nachwuchs bietet sich durch die Zug Open eine hervorragende Gelegenheit, sich auf diesem Niveau mit internationaler Konkurrenz zu messen. Gerade auch für Spieler aus dem Juniorenbereich, die mit einer Wildcard dabei sind und normalerweise nicht die Möglichkeit haben, auf diesem Level zu spielen, ist es ein wichtiger Gradmesser. Dass es in Zug stattfindet, freut mich natürlich umso mehr. Zumal Zug eine Sportstadt ist und ich hoffe, die Bevölkerung kann mitgezogen werden. Dass es auf der Anlage des TC Zug echt stimmungsvoll werden kann, habe ich nur schon bei einigen Interclub-Spielen von mir erlebt.
Sie sind als Testimonial am Turnier beteiligt. Ich nehme an, Sie werden den ein oder anderen Turniertag auch vor Ort sein. Wenn Sie Tennisturniere besuchen und die Spiele verfolgen. Inwiefern können Sie einfach nur geniessen und wie sehr schaut man automatisch mit den Augen einer Tennisspielerin? Welche jungen SpielerInnen das Potenzial haben, mal den Weg nach oben zu gehen beispielsweise.
Ich werde auf jeden Fall an den Zug Open anzutreffen sein. Es lässt sich gar nicht verhindern, dass ich die Spiele mit den Augen einer Ex-Spielern und Coachin mitverfolge. Es dauert jeweils nicht lange, bis mir bei den Spielerinnen und Spielern gewisse Dinge in ihrem Spiel auffallen. Sei dies in Bezug auf die Körpersprache, was die Schläge anbelangt oder wie sie taktisch agieren.
Das Turnier ist nicht nur für die Region Zug wertvoll, sondern auch für das Schweizer Tennis. Haben Sie das Gefühl, dass aktuell eine gewisse Zäsur im Schweizer Tennis im Gange ist? Die ältere und etablierte Generation, die das Tennis hierzulande über Jahre geprägt hat, ist mit Ausnahme von Timea Bacsinszky zwar noch da, doch nicht mehr mit der Selbstverständlichkeit von einst.
Von einer Zäsur zu sprechen, wäre zu hart. Das Schweizer Tennis befindet sich wie alles in stetiger Bewegung und sind wir in den letzten 25 Jahren durch die Erfolge von mir, Roger Federer und Stan Wawrinka auch wahrlich verwöhnt worden. Natürlich darf man sich nicht auf den Lorbeeren ausruhen, doch ist dies auch keineswegs der Fall. Während wir auf der Damenseite mit Belinda Bencic, Jil Teichmann und Viktorija Golubic schon jetzt sehr gut aufgestellt sind, sind es bei den Herren vor allem die Nachwuchstalente, die hoffen lassen. Mit Spielern wie Dominic Stricker, Leandro Riedi und Jérôme Kym, die alle sehr viel Potenzial mitbringen.
Um die Nachwuchsförderung im Schweizer Tennis muss man sich also keine allzu grossen Sorgen machen. Wie sehen Sie Ihre Rolle dabei?
Ich habe immer meine Unterstützung als Coach im Fed-Cup-Team angeboten und dies ist natürlich weiterhin der Fall. Nur durch die Coronapandemie wurde das Engagement zeitweise etwas erschwert.
Wenn man die Weltspitze des Herren- und Damen-Tennis vergleicht, zeigen sich zwei konträre Bilder: Bei den Herren dominieren seit über einem Jahrzehnt dieselben drei bis vier Namen. Bei den Damen hat es in den letzten 15 Jahren ausser Serena Williams keine geschafft, konstant um Grand-Slam-Titel zu spielen. Immer wenn man gedacht hat, eine der Anwärterinnen wird es schaffen, konnte sie es doch nicht über längere Zeit durchziehen: Simona Halep, Naomi Osaka, Ashleigh Barty, um nur ein paar Namen zu nennen. Nun versucht es Iga Swiatek. Welche Variante ist Ihrer Meinung nach besser für den Sport?
Das ist schwer zu sagen, da es sich tatsächlich beidseits um Extreme handelt. In Bezug auf die Damenseite: Ashleigh Barty hätte auf jeden Fall das Potenzial gehabt, noch einige weitere Grand-Slam-Turniere zu gewinnen und auch an der Spitze der Weltrangliste zu bleiben. Doch sind es verschiedene Gründe, die bei den einzelnen Spielerinnen dafür gesorgt haben, dass ihr Weg nach ganz oben ins Stocken geraten ist. Bei Naomi Osaka beispielsweise ging der Fokus auf den Sport zu einem Teil verloren.
Ein Umstand, der nicht nur die 24-Jährige begleitet.
Absolut. Das Problem ist, dass die Ablenkung immer stärker zunimmt. Gerade auch durch Social Media. Kaum ist das Spiel zu Ende, wird das Handy gezückt und der nächste Post abgesetzt. In den sozialen Medien möchte man es möglichst allen recht machen, doch kostet dies Zeit und Energie, die anderswo fehlt.
Was kann man als SportlerIn dagegen tun?
Da gibt es nur eins: Man braucht ein gutes Umfeld um sich herum, das einen dabei unterstützt, die Balance zu wahren. Beispielsweise auch, was Termine mit Sponsoren und Medien anbelangt, um da ein gesundes Gleichgewicht zu schaffen.
Sie arbeiten mit Lux Tennis zusammen, einem Anbieter von professionellen privaten Tennistrainer in Luxusresorts. Wie regelmässig sind Sie in diesem Zusammenhang unterwegs?
Dies ist sehr unterschiedlich und erfolgt nach Absprache. Ich bin erst seit relativ Kurzem dabei und wir befinden uns quasi noch etwas in der Abtastphase. Es kommen auch immer wieder neue Destinationen hinzu. Bislang stimmt die Zusammenarbeit jedoch für beide Parteien und ein neues Projekt ist immer aufregend.
Wenn Sie Tennisunterricht geben. Kann es vorkommen, dass Sie manchmal ungeduldig werden, wenn Sie als ehemalige Nummer eins bei den Basics beginnen müssen?
Nein, höchstens wenn ich gewisse Dinge mehrmals wiederholen muss. Es macht mir jedoch grossen Spass, die Entwicklung von Spielerinnen und Spielern mitzuverfolgen, wie sie ihr Spiel immer weiter verbessern und schnell dazulernen. Ein sehr gutes Beispiel dafür ist Julia Stusek, die sehr viel Potenzial mitbringt, um es mal auf die grosse Bühne zu schaffen.
Könnten Sie sich vorstellen, eine Spielerin, ob nun Ihre Tochter Lia oder jemand anderes, als Coach eng und über längere Zeit zu begleiten? So, wie es Ihre Mutter mit Ihnen tat und tut.
Das ist in Bezug auf Lia im Moment noch so weit weg, dass ich mir noch keine Gedanken dazu mache. Was eine andere Spielerin anbelangt, würde sich das Engagement im Moment auf die Schweiz konzentrieren. Sprich, mit auf die Tour würde ich nicht kommen, da die ständige Reiserei mit einer dreijährigen Tochter wirklich nicht das Richtige wäre. Tatsache ist jedoch auch, dass mit der Sport ein soziales Umfeld gegeben hat, in dem ich mich immer wohlgefühlt habe und es immer noch tue.
Wie ehrgeizig sind Sie immer noch auf dem Court als Spielerin?
Verlieren tut glaube ich niemand gerne. Natürlich gehe ich auf den Platz, um zu gewinnen. Jedoch mit einem gesunden Ehrgeiz. Ich kenne meine Grenzen und kann vor allem auf dem Tenniscourt sehr gut einschätzen, wo diese liegen.
Seit Sie den Sprung an die Weltspitze geschafft haben, sind gut 25 Jahre vergangen. Wie in vielen anderen Sportarten auch, hat das Tennis seither eine sehr stark Professionalisierung erlebt. Unter anderem werden die jungen Spielerinnen und Spieler viel besser und enger betreut. Wie sehen Sie die Entwicklung in diesem Zeitraum?
Es ist unglaublich viel passiert in dieser Zeit, keine Frage. Nur schon, wenn man sich die Entwicklung der Preisgelder vor Augen führt. Während es zu meiner Zeit bei den US Open noch rund eine Million US-Dollar für die Siegerin waren, ist es nun mehr als das Dreifache. Mit mehr finanziellen Ressourcen kann man auch ein grösseres und professionelleres Team um sich scharen, das einen auf der Tour begleitet. Die Entourage, die manche SpielerInnen teilweise mit an die Turniere bringen, ist gewaltig. Wir reisten damals teilweise zu dritt: Ich, meine Mutter sowie mein Stiefvater und damaliger Manager Mario Widmer.
Viel ist damals wie heute geschrieben worden über Ihre Beziehung zu den SchweizerInnen. Dass diese teilweise gelitten habe. Aus heutiger Sicht hat sich da allerdings auch viel verschoben. Dinge, die damals für Schlagzeilen gesorgt haben, würden nun weitaus weniger hohe Wellen schlagen. Beispielsweise auf der gegnerischen Platzhälfte einen Abdruck nachzuschauen. Wenn das Nick Kyrgios täte, wäre dies kaum eine Erwähnung wert. Hilft Ihnen das auch, gewisse Anekdoten von damals heute richtig einzuordnen?
Es war eine andere Zeit, so lässt es sich wohl am besten zusammenfassen. Dass sich die Standards freilich verschoben haben, ist schon richtig. Wenn ich sehe, wie manche SpielerInnen heute mit den Kopfhörern auf ins Stadion einlaufen und diese praktisch erst ablegen, bevor sie den Schläger in die Hand nehmen, finde ich das schon befremdlich. Es ist eine Frage des Respekts – auch gegenüber dem Tennis. Auf der anderen Seite…
…Braucht es extrovertierte Typen?
Ganz genau. Ohne Paradiesvögel wäre es doch langweilig. Besondere Charaktere sorgen für Unterhaltung und fordern das Establishment heraus. So schaue ich beispielsweise auch Nick Kyrgios sehr gerne zu. Er garantiert Spektakel und bringt eigentlich ein unglaubliches Talent mit. Schade, steht er sich allzu oft selbst im Weg.
Zur Person
Martina Hingis (41) wuchs in der damaligen Tschechoslowakei auf und kam im Alter von acht Jahren mit ihrer Mutter in der Schweiz. Bereits als kleines Mädchen verbrachte sie die meiste Zeit auf dem Tennisplatz und wurde von ihrer Mutter Melanie Molitor trainiert und gefördert. Schon früh zeigte sich das Talent von Hingis. So gewann sie beispielsweise mit nur zwölf Jahren das Juniorinnenturnier der French Open. Bis heute hat es keine jüngere Juniorinnen-Grand-Slam-Siegerin gegeben. Ein Jahr später gab sie ihr Debut auf der Profitour.
Ihren ersten Grand-Slam-Titel gewann sie 1996 im Alter von bloss 15 Jahren in Wimbledon im Doppel. Ihr erfolgreichstes Jahr folgte 1997. Sie gewann die Australian Open, Wimbledon sowie die US Open. Bei den French Open schaffte sie es ebenfalls ins Endspiel. Im selben Jahr stieg sie zur jüngsten Nummer eins der Geschichte auf. 1998 und 1999 jeweils in Melbourne gewann sie zwei weitere Grand-Slam-Titel.
Zu Beginn der 2000er Jahre hatte Hingis vermehrt mit Verletzungsproblemen zu kämpfen, unter anderem musste sie sich 2002 einer Fussoperation unterziehen. Im Februar 2003 verkündete sie schliesslich ihren Rücktritt – im Alter von 22 Jahren. Nach einem Comeback Anfang 2006, das sie bis auf Platz sechs der Weltrangliste führte, trat sie im November 2007 erneut zurück. An einer Pressekonferenz gab sie bekannt, dass ihr aufgrund einer positiven Dopingprobe die Einnahme von Kokain vorgeworfen werde. Hingis bestritt die Vorwürfe, wurde jedoch für zwei Jahre gesperrt.
2013 erfolgte das erneute Comeback, das sie im Doppel und Mixed zurück an die Spitze führte. Unter anderem gewann die passionierte Skifahrerin und Reiterin 2014 an der Seite von Timea Bacsinszky in Rio de Janeiro Olympia-Silber. Ende 2017 beendete sie schliesslich ihre Karriere endgültig – an der Spitze der Doppel-Weltrangliste. Insgesamt gewann sie 25 Grand-Slam-Titel: fünf im Einzel, 13 im Doppel sowie sieben im Mixed.
Europas Sportlerin des Jahres 1997 ist seit 2018 mit dem früheren Sportarzt Harald Leemann verheiratet und ist Mutter einer dreijährigen Tochter. Die Familie lebt in Zug. Davor war Hingis unter anderem mit dem tschechischen Tennisspieler Radek Štěpánek verlobt und mit dem französischen Springreiter Thibault Hutin verheiratet.
Anfang Jahr ist in einer Doku auf SRF Ihre ganze Geschichte aufgerollt worden. Hinzu kommen der Artikel im Magazin des «Tages-Anzeigers» sowie Ihr Auftritt bei «Gredig direkt». Haben Sie damit mit einigen Dingen auch ein Stück weit abschliessen können? Da die Geschichte endlich aus Ihrer Perspektive erzählt wurde.
Genau so ist es. Da gibt es eigentlich gar nicht viel mehr hinzuzufügen.
Von aussen hat man das Gefühl, Sie sind so richtig angekommen und können sich voll und ganz den Dingen widmen, die Ihnen Spass machen. Ist das auch so, oder wäre das etwas unfair gegenüber Ihrem «früheren Ich»?
Nein, das kann man zweifellos so sagen. Ich bin extrem happy mit meinem jetzigen Leben.
Wie oft werden Sie auf der Strasse immer noch angesprochen?
Ab und zu. Seit dem Artikel im «Tagi-Magi» und der SRF-Doku wieder öfter.
Wenn die Leute das Gespräch mit Ihnen suchen, geht es dabei meist um aktuelle Themen oder eher à la «ja damals, ich weiss schon noch, als ich vor dem Fernseher mitfieberte…»
Mehrheitlich zweiteres. Es ist schön zu sehen, dass sich die Leute auch über 20 Jahre später noch an diese Momente erinnern und sogar die Emotionen wieder abrufen können.
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