820 NHL-Spiele und 200 Länderspiele bestritt Mark Streit während seiner Aktivzeit. Heutzutage fehlt es ihm zwar, sich mit den besten Spielern der Welt auf dem Eis zu messen, er hat aber gleichzeitig neue Passionen für sich entdeckt. Und er blickt kritisch auf das Schweizer Eishockey, vermisst ein Miteinander und bei manchen Spielern das nötige Durchhaltevermögen.
Mark Streit, Sie waren kürzlich in Toronto am All-Star Game und davor für das Alumni-Wochenende in New York, wo ehemalige Spieler der New York Islanders für ein Freundschaftsspiel gemeinsam auf dem Eis standen. Wie war es, das Eis mit ehemaligen NHL-Granden zu teilen?
Es war für mich das zweite Alumni-Wochenende und es ist immer sehr schön, wieder in diese Welt einzutauchen und ehemalige Weggefährten wiederzusehen. Über 50 ehemalige Spieler waren mit dabei. Es ist eine gute Möglichkeit, in Kontakt zu bleiben, denn viele Spieler wie ich kehren nach dem Karriereende nach Europa zurück und führen dort ihr eigenes Leben jenseits der NHL. Entsprechend versuche ich es immer irgendwie einzurichten, am Alumni-Wochenende dabei zu sein.
Wie sehr juckt es in solchen Momenten, selbst wettkampfmässig wieder aufs Eis zu gehen? Sie spielen hin und wieder zwar noch Hockey, allerdings nur zum Spass.
Das Vermissen des Sports wird wohl ewig bleiben – inklusive Teil zu sein eines Teams, des Reisens und der NHL-Welt. Dies ist wirklich einzigartig und ich bin dankbar, dass ich so lange Teil der NHL sein durfte und eine solche Karriere hinlegen konnte. Es sind also zwei Seiten: sowohl das Vermissen als auch der Stolz, solange in dieser Liga gespielt zu haben.
Kann man während des Alumni-Spiels den Ehrgeiz, den jeder Spitzensportler in sich trägt, ablegen, da es doch ausschliesslich ums Vergnügen geht?
Die letzten beiden Male ging es gegen die Rangers, wobei trotz des Derbys der Spassfaktor im Vordergrund steht, gecheckt wird beispielsweise nicht. Und doch wollen beide Teams natürlich den Sieg. Wenn du nicht ehrgeizig bist, schaffst du gar nie den Sprung in die NHL und dieser Ehrgeiz bleibt auch – ich bin da keine Ausnahme.
Das heisst, man kann es mit einem Exhibition- oder All-Star-Spiel vergleichen, bei dem zwar der Spass im Vordergrund steht, man aber trotzdem gewinnen möchte?
Absolut. Es sind jeweils rund 3000 ZuschauerInnen im Stadion und nach dem Spiel gibt es noch eine Autogrammstunde. Es ist schön, manche Fans wiederzusehen. Gerade bei den Islanders, die eine sehr treue Fanbasis haben, sind manche seit Jahrzehnten mit dabei. Ausserdem zeigt dieser Anlass die Wertschätzung, die die Organisation ihren ehemaligen Spielern entgegenbringt.
Ist es nicht bei allen NHL-Franchises so ausgeprägt?
Ich weiss nicht bei allen Organisationen, wie es aussieht. Bei den Colorado Avalanche haben sie beispielsweise ein cooles Setting mit einem Outdoor-Game. Die Philadelphia Flyers organisieren meist im Sommer einen Anlass, beispielsweise ein Golfturnier. Für ehemalige Spieler, die wieder in Europa leben, wäre es allerdings wenig sinnvoll, nur für ein Golfturnier extra nach Nordamerika zu fliegen. Für mich war es nun praktisch, weil ich es mit dem All-Star-Wochenende und Beruflichem verbinden konnte. In Zukunft wäre das Ziel, dass ich mal meine Familie mitnehmen könnte, aber dafür müsste es mit den Schulferien passen. Die Familie ist bei solchen Anlässen immer herzlich willkommen. Kommt in Bezug auf die Islanders hinzu, dass New York natürlich eine geniale Stadt ist, wo sich eine Kombination mit Sightseeing oder Shopping anbietet.
Diese familiäre Atmosphäre erinnert trotz viel grösserem Rahmen fast schon an den Spengler Cup.
Diesen Aspekt schätze ich generell sehr in Nordamerika. So sind beispielsweise auch im Restaurant Kinder immer willkommen, was hierzulande nicht immer der Fall ist, wo sich teilweise daran gestört wird, wenn Kinder herumrennen. Auch in den NHL-Stadien gibt es jeweils Angebote für die Kleinen. Der Konkurrenzkampf in der NHL ist sehr hart, dafür sind die Organisationen bemüht, die Rahmenbedingungen so angenehm wie möglich zu gestalten. Es lockert diese ernste Angelegenheit, was Spitzensport meist ist, auf und wir dürfen nicht vergessen, dass die Kinder auch die Fans von morgen sind. In der Schweiz gibt es diesbezüglich sicherlich noch Potenzial.
Sie waren wie erwähnt am All-Star Game in Toronto, konnten dort die Stars der Liga beobachten. Hat sich das Eishockey in den letzten zehn bis 15 Jahren in Bezug auf Geschwindigkeit und Technik nochmals weiterentwickelt?
Und wie! Es ist eindrücklich, die Skills der aktuellen Superstars zu sehen. Das Spiel ist nochmals viel schneller und technisch versierter geworden. Der erste Schritt in diese Richtung geschah wohl nach der Lockout-Saison 2004/05, als ich anschliessend in die NHL wechselte und es manche Regelanpassungen gab, beispielsweise bezüglich Clutch-and-Grab. Dies gab auch mir die Möglichkeit, als vergleichsweise kleiner Verteidiger in der Liga Fuss zu fassen und offensiv zu wirken. Dieser Prozess der Beschleunigung des Spiels geht fortlaufend weiter und heutzutage muss jeder Spieler technisch und läuferisch sehr versiert sein, um in der NHL zu bestehen. Eindimensionale Rollenspieler sind mittlerweile praktisch ausgestorben. Das Spiel ist sehr schnell und attraktiv und doch nach wie vor physisch, wenn auch weniger. So gibt es zum Beispiel immer weniger Schlägereien.
Welche Rolle haben dabei die europäischen Spieler gespielt, die in der NHL immer zahlreicher geworden sind?
Sie haben mehr Tempo und technische Skills reingebracht, wobei auch die nordamerikanischen Spieler diesbezüglich enorm zugelegt haben. Zumal in Nordamerika hervorragende Arbeit im Nachwuchs geleistet wird, wo nicht nur finanziell viel investiert wird. Es braucht heutzutage sehr viel, um den Schritt in die NHL zu schaffen. Dies wurde mir so richtig bewusst, als ich nach meinem Karriereende in Bern mit Nachwuchsspielern auf dem Eis stand. Ich realisierte, wie komplex alles ist und wie viele Puzzleteile ineinander passen müssen, damit ein Spieler den Weg bis ganz nach oben schafft: läuferisch, technisch, physisch, bezüglich Übersicht und viele weitere Komponenten.
Wird von den jungen Spielern heute auch neben dem Eis mehr verlangt, wenn man an die Verbindung zwischen Sport und Ausbildung, Medientraining oder Social Media denkt?
Mit den sozialen Medien sind die Spieler quasi ihr eigener Journalist, weswegen es tatsächlich noch wichtiger ist, die Jungs entsprechend zu schulen. Wir alle wissen, wie schnell ein Medieninhalt viral gehen kann. Gleichwohl gilt es, ein gesundes Gleichgewicht zu wahren. Denn manchmal kommen in Interviews standardisierte, vorgefertigte Antwortsätze, weil niemand etwas Falsches sagen möchte. So droht der persönliche Charakter unterzugehen und diese Monotonie ist auch nicht im Sinne der Fans. Diese wünschen sich Nahbarkeit und Menschlichkeit für mehr Identifikation. Auf der anderen Seite habe ich für diese Vorsicht auch Verständnis – wer löst schon gerne einen Shitstorm aus und verärgert damit Verein und Sponsoren? Und doch wird es immer starke Charaktere geben, die hinstehen, um sich zu positionieren und ihre Meinung zu vertreten. Diese Leader kommen meist auch in der Öffentlichkeit gut an.
Wie eng verfolgen Sie die NHL noch? Stehen Sie manchmal in der Nacht für ein Spiel auf?
Mit zwei Kindern und beruflichen Aufgaben liegt dies nicht wirklich drin. Ich verfolge die Resultate und wenn an einem Sonntag ein früheres Spiel ansteht, schaue ich gerne mal rein. Und ich pflege immer noch Kontakt mit dem einen oder anderen ehemaligen oder auch aktiven Spieler. Bei meinem Nordamerikatrip schaute ich mir zwei Spiele im Stadion an: Ich war zum ersten Mal als Zuschauer im Bell Centre in Montréal, konnte kaum glauben, dass ich jahrelang selbst als Spieler in dieser riesigen Arena auflief.
Und Sie konnten dabei ein Canadiens-Spiel ohne den Druck verfolgen, den jeder Habs-Spieler in dieser hockeyverrückten Stadt auf sich trägt.
Ja, dieser Druck ist nicht immer einfach. Auf der anderen Seite ist es Teil des Sports, in gewissen Situationen liefern zu müssen. Montréal ist eine schwierige Stadt zum Performen, aber wenn du gute Arbeit leistest und Erfolg hast, ist die Wertschätzung und der Respekt gegenüber den Spielern umso grösser. Für eine solch renommierte Organisation mit dieser reichen Geschichte zu spielen, ist etwas Besonderes.
Sie haben in Nordamerika mit Montréal, New York, Philadelphia und kurzzeitig Pittsburgh in sehr unterschiedlichen Städten gespielt. Wie wichtig ist es einem als Sportler, wie viel Lebensqualität die Stadt inklusive Klima bieten kann, wo man doch primär auf seinen Job konzentriert und ständig auf Reisen ist?
Man ist tatsächlich nicht sehr oft zuhause. Es kommt auf die Situation an: Wenn du Teil eines Tauschgeschäfts bist, hast du keine Wahl, wo du spielst. Als Free Agent kannst du dir hingegen theoretisch aussuchen, wo du unterschreiben willst. Als ich mich für die New York Islanders entschied, war die Lebensqualität, die diese Stadt bietet, schon ein Faktor, jedoch nicht der gewichtigste. Ich schaute, wo ich mich weiterentwickeln kann und wie das Potenzial der Mannschaft einzuschätzen ist. Die Islanders befanden sich damals in einem Wiederaufbau und ich konnte dort eine Führungsposition einnehmen, wurde sogar Captain.
Philadelphia hatte einen guten Mannschaftskern und zudem ist es eine coole Sportstadt, in der ich schon immer gerne spielen wollte. Ich habe mich bei all meinen Stationen wohlgefühlt, doch schlussendlich bist du zu 99 Prozent mit Hockey und Reisen absorbiert. Am Ende nützt dir die Lebensqualität nicht viel, wenn du in einem erfolglosen Team spielst. Die sportlichen Aspekte sind sicherlich am höchsten zu gewichten. Wobei gerade in der NHL Erfolg wahrlich nicht immer planbar ist. Auch mit einem eher schwächeren Kader kannst du weit kommen, wenn du einen Lauf hast.
Wagen wir den Sprung von Nordamerika über den grossen Teich. Gilt die erwähnte Weiterentwicklung auch für das Schweizer Eishockey?
Wir haben in der NHL einige Schweizer Spieler, die in ihrem Team eine tragende Rolle innehaben und wir können enorm stolz auf diese Jungs sein. Und doch fehlt mir das Nachkommen von jungen Akteuren und dass sich die Zahl der NHL-Schweizer vergrössert. Ein Grund dafür, dass es nicht mehr sind, ist, dass wir eine sehr gute Liga mit vollen Stadien haben, wo sich auch gutes Geld verdienen lässt. Dadurch droht die Gefahr, dass manche Spieler ihre Zelte in Nordamerika zu früh abbrechen und in die Schweiz zurückkehren. Da fehlt mir teilweise schon etwas der Biss.
Meiner Meinung nach lohnt sich jeder Effort, den man investiert und manchmal bringen einen Geduld und Ausharren ans Ziel. Es mag teilweise eine harte Zeit sein in Nordamerika, doch es ist auch eine Lebensschule. Für das Schweizer Eishockey geht es zudem darum, möglichst viele Junge an diesen teuren und zeitaufwendigen Sport zu führen und ihn zugänglich zu machen. Die Umstände schrecken nicht wenige Eltern ab, weswegen es wichtig ist, im Nachwuchs möglichst lange regional unterwegs zu sein, um den Reiseaufwand in Grenzen zu halten.
Wo stehen wir im internationalen Vergleich da?
Wir sind besser geworden, aber das sind andere Ligen und Nationalmannschaften auch, beispielsweise Deutschland. Wir müssen auf jeden Fall aufpassen, da ich teilweise das Miteinander zwischen Liga, Verband und Klubs vermisse. Man ist zu wenig zielorientiert im Sinne des Schweizer Eishockeys unterwegs, sondern fokussiert sich zu sehr auf die eigenen Interessen. Natürlich muss jeder Verein schauen, dass er überleben kann, aber es gibt auch noch das Eishockey als Produkt, den Nachwuchs sowie die Nationalmannschaft. Spielt unsere Nati an den Turnieren gross auf, erreicht dies ein grosses Publikum und die Jungen werden inspiriert, einmal in diese Fussstapfen zu treten. Da ist es doch kontraproduktiv, wenn es junge Schweizer Talente immer schwerer haben, in der Liga Fuss zu fassen, weil das Ausländerkontingent erhöht wird. Auch dass die Swiss League geschwächt worden ist, hilft unserem Eishockey nicht, da diese Liga für Nachwuchsspieler sehr wichtig ist.
Jeder Sportler kommt irgendwann an den Punkt, sich damit zu beschäftigen, was nach der aktiven Laufbahn folgen soll. Bei einigen stellt sich diese Frage sehr plötzlich, wenn sie ihre Karriere aufgrund von Verletzungen von jetzt auf gleich beenden müssen, andere können sich über längere Zeit darauf vorbereiten. Wann haben Sie begonnen, sich Gedanken dazu zu machen, wie es nach der aktiven Karriere weitergehen könnte? Der Zeitpunkt des Karriereendes in Montréal war so ja nicht geplant und kam sehr plötzlich.
Mein Ziel war es, so lange wie möglich in der NHL zu spielen und mir war immer klar, dass ich im Anschluss in die Schweiz zurückkehren würde. Einen klaren Plan hatte ich jedoch nicht. Ursprünglich hatte ich mir vorgenommen, die ersten zwei Jahre nichts zu tun und mich in dieser Pause voll meiner Familie zu widmen, Hobbys nachzugehen, auf die ich verzichten musste und das Leben zu geniessen. Doch schon bald kamen Anfragen rein, es ergaben sich Möglichkeiten und wer weiss, wie schnell sich diese Fenster wieder geschlossen hätten.
So war ich Teil des Gründungsteams der Uhrenmarke Norqain, wurde Verwaltungsrat im Schweizer Eishockeyverband sowie in der SCB Eishockey AG und ich war Experte beim SRF. Es ging also Schlag auf Schlag. Es gilt abzuwägen, in welchen Bereichen man sich selbst sieht und wo man mit Leuten zusammenarbeiten kann, die ähnlich ticken. Für sich das Richtige zu finden, kann etwas dauern. Umso hilfreicher war es, dass ich damals nicht den wirtschaftlichen Druck hatte, mich sogleich an bestimmte Projekte zu binden. Mir war wichtig, dass ich mir eine gewisse Freiheit bewahre, gerade im Hinblick auf die Familie.
Tauscht man sich mit den Teamkollegen über die Zeit nach der aktiven Karriere aus?
Es ist ein Thema und es gibt Spieler, die sich dazu austauschen. Heutzutage erhält man bei Bedarf auch Unterstützung von der Spieler-Gewerkschaft NHLPA. Es soll verhindert werden, dass ein Spieler nach der Karriere in ein tiefes Loch fällt, gerade wenn noch Kinder betroffen wären. Wenn die Lebenskosten hoch bleiben, aber die Gehaltschecks einfach nicht mehr kommen, kann dies für Probleme sorgen. Es ist ein bisschen anders, wenn man als Spieler wie in meinem Fall anschliessend nach Europa zurückkehrt. Da muss man sich primär selbst Gedanken machen, wie die eigene Zukunft aussehen soll. Es ist generell eine schwierige Thematik, weil man sein Hobby zum Beruf gemacht und seinen Traum gelebt hat, der nun ein Ende findet.
Es gilt, eine zweite Passion zu finden, was bei vielen Ex-Spielern nichts mit Eishockey zu tun hat. In den meisten Fällen hat niemand auf einen gewartet und es ist alles ganz anders als zur Aktivzeit, wo du überall der NHL-Spieler warst und entsprechend im Mittelpunkt standest. Der Status geht verloren und es braucht den eigenen Antrieb, um aktiv eine neue Aufgabe zu finden, die einen bereichert. Bei manchen Akteuren eilt dies aus finanziellen Gründen, andere können sich mehr Zeit lassen. Doch zu lange darf die Auszeit nicht dauern, ansonsten wird es irgendwann schwierig, den Anschluss wieder zu finden.
Muss man nicht nur eine neue Passion finden, sondern sogar gewissermassen seine Identität neu entdecken? Immerhin hat man sich seit Kindesbeinen an übers Hockey definiert.
Ja, du warst im Prinzip dein Leben lang der Hockeyspieler. Während der Karriere hat man die grosse Möglichkeit, sich ein breites Netzwerk aufzubauen, steht in Kontakt mit Personen aus der Wirtschaft, Sponsoren, Donatoren, Fans. Pflegt man gute Beziehungen, wird man immer jemanden finden, der einem eine Chance gibt. Ich glaube, dieser Möglichkeiten sind sich manche Spieler nicht bewusst. Wie wichtig der Aufbau eines Netzwerks ist, muss auch den Jungen weitergegeben werden, weil wenn du dich nicht darum kümmerst, ruft dich nach Karriereende auch niemand an. Man darf zudem nicht vergessen, dass es nur ein kleiner Anteil an Spielern ist, die eine längere Karriere in der NHL verbracht haben und sich so ein hübsches finanzielles Polster aufbauen konnten. Andere spielten einen mehrheitlich in der AHL oder einer anderen kleineren Liga, wo die Löhne ungleich tiefer sind.
Es gibt nicht wenige SportlerInnen, die nach dem Karriereende etwas Abstand brauchen. Wenn sie gleich wieder ins Stadion oder an die Strecke zurückkehren würden, wäre dies zu Beginn noch zu schmerzhaft. War das bei Ihnen auch so?
Im ersten Jahr nach dem Rücktritt konnte ich NHL-Spiele wirklich kaum verfolgen. Ich brauchte eine Weile, um zu akzeptieren, dass meine Zeit in dieser Liga nun zu Ende ist. Zum hiesigen Hockey hatte ich hingegen schon eine gewisse Distanz aufgebaut, da waren Stadionbesuche eher möglich.
Welche Lektionen haben Sie im Sport gelernt, die Ihnen später im Leben geholfen haben?
Dass es wichtig ist, seinen Weg zu gehen und sich auf diesem nicht unterkriegen zu lassen. Du brauchst ein Ziel, das du entschlossen verfolgst und nicht aus den Augen verlierst. Und du brauchst ein gutes Team um dich herum, um die Ziele erreichen zu können. Dies gilt sowohl für eine Sportmannschaft als auch für ein Unternehmen. Gemeinsam soll etwas entwickelt und Erfolge gefeiert werden. Dabei darf die Demut allerdings nie verloren gehen. Das Gefühl des Erfolgs kann süchtig machen, aber auch zu Überheblichkeit führen. Stellen sich die Titel in jungen Jahren schon ein, braucht es umso mehr ein Umfeld, das einen auf dem Boden hält. Wie gut das Fundament für Erfolge ist, siehst du, wenn es mal nicht nach Wunsch läuft. Was du im Leben investierst, kommt in irgendeiner Form wieder zurück. Sprich, wenn du nichts tust, kommt auch nichts zurück.
Womit wir wieder bei den Schweizer Spielern in Nordamerika wären.
Genau, wenn du mit Mitte oder Ende 20 den Durchbruch in der NHL nach mehreren Jahren nicht geschafft hast, kannst du dir zumindest nichts vorwerfen, kannst mit dir im Reinen sein, weil du alles versucht hast. Anders sieht es aus, wenn du nach einem Jahr bereits wieder in die Schweiz zurückkehrst und dir Jahre später bewusst wird, dass du das Potenzial gehabt hättest, um dich mit mehr Geduld in der NHL durchzusetzen. Die Basis wird immer harte Arbeit sein, egal wo. Tag für Tag, jahrelang. Wie viel man opfern muss, um den Sprung in die NHL schaffen zu können, sind sich manche junge Spieler nicht bewusst. Sie haben zwar diesen Traum, wissen aber nicht, was es dafür alles braucht. Zumal du gerade im Sport auch immer wieder Niederlagen und Rückschläge erleiden wirst. Damit musst du umzugehen wissen.
Sie sind aktuell bei der Uhrenmarke Norqain und bei den Mineralquellen Adelboden operativ tätig. Norqain ist ein noch recht junges Unternehmen, das sich aber bereits einen Namen gemacht hat und weiter wächst. Wie wichtig ist dabei, auf Testimonials wie in eurem Fall Dean Schneider, Roman Josi, Tina Weirather oder Andri Ragettli zu setzen, die den Namen nach aussen tragen?
Testimonials sind ein gutes Instrument, um Sichtbarkeit und Aufmerksamkeit zu generieren, was gerade zu Beginn wichtig ist. Wir sind ein junges Unternehmen mit einem Durchschnittsalter um die 35 und haben uns bewusst als Abenteuermarke in der Sportwelt positioniert. Wir können auf einen guten Weg in einer anspruchsvollen Branche mit grosser Konkurrenz zurückblicken.
In einem gesättigten Markt wie dem Uhrenmarkt ist es umso entscheidender, eine eigene DNA zu entwickeln, um sich durchsetzen zu können.
Deswegen war es wichtig für uns, dass wir von Anfang an intern sowohl das Know-how als auch das Netzwerk hatten. Manche sind auch schon länger in der Uhrenbranche tätig, kennen das herausfordernde Umfeld. Diese Branche basiert sehr stark auf Tradition und Geschichte, was bei manchen Händlern anfänglich Skepsis verursachte, da es bereits so viele Uhrenmarken gibt. Wir konnten uns jedoch gut innerhalb des Luxussegments mit einer «bezahlbaren Preispositionierung» einfinden und sprechen so eine grosse Zielgruppe an. Es ist ähnlich wie in der NHL: Niemand hat auf einen gewartet, aber man muss sich eben dafür einsetzen, seine Träume zu verwirklichen.
Zur Person Mark Streit wurde einst als Junior beim SC Bern für nicht gut genug befunden, wechselte nach Fribourg und schaffte dort 1995 den Sprung in die Nationalliga A. 1996 folgten der Wechsel zum HC Davos und die ersten Länderspiele mit der Heim-WM 1998 als erstes Highlight. 1999 wagte der Berner den Sprung nach Nordamerika, spielte dort in kleineren Ligen und der AHL, bevor er nach einer Saison zurück in die Schweiz zu den ZSC Lions wechselte, wo er 2001 sogleich Schweizer Meister wurde. In den folgenden Jahren führte der 46-Jährige die Schweizer Nationalmannschaft als Captain an Weltmeisterschaften und Olympische Spiele. 2005 erfüllte sich der passionierte Golfer und Skifahrer seinen Traum, als er in die NHL zu den Montréal Canadiens wechselte, wo er drei Saisons blieb. 2008 unterschrieb Streit bei den New York Islanders einen Fünfjahresvertrag und 2009 wurde er als erster Schweizer für das All-Star Game nominiert. Doch es folgten auch Rückschläge. So verpasste er aufgrund einer Schulterverletzung die gesamte Saison 2010/11. Dafür wurde er in der Spielzeit darauf zum Captain ernannt – wiederum eine Schweizer Premiere in der NHL. Aufgrund des Lockouts gab der Verteidiger 2012 ein Gastspiel in der Schweiz bei seinem Stammverein SC Bern. 2013 wurde er zu den Philadelphia Flyers transferiert, wo er wiederum zum Leistungsträger avancierte. Nach knapp dreieinhalb Jahren dort wurde Streit am 1. März 2017 an die Tampa Bay Lightning abgegeben, allerdings gaben die Lightning den Schweizer umgehend an die Pittsburgh Penguins ab. Mit den Pens gewann Streit in der Folge den Stanley Cup und wurde auch auf der Trophäe verewigt, obwohl er weder die erforderlichen 41 Spiele der regulären Saison noch ein Finalspiel bestritten hatte. Im Juli 2017 kehrte er zu den Canadiens zurück und unterzeichnete dort einen Einjahresvertrag, der allerdings bereits im Oktober 2017 nach zwei absolvierten Pflichtspielen aufgelöst wurde. Wenig später verkündete Mark Streit das Ende seiner aktiven Karriere. Insgesamt bestritt der Berner 820 Spiele in der NHL, fast 500 Spiele in der Nationalliga A sowie 200 Länderspiele. Er vertrat die Schweiz an vier Olympischen Spielen und 13 Weltmeisterschaften. Neben dem Stanley Cup 2017 und dem Schweizer Meistertitel 2001 erhielt er auch persönliche Auszeichnungen, wurde unter anderem zweimal von der Schweizer Liga zum besten Verteidiger gekürt und er wurde 2020 von der internationalen Eishockey-Föderation IIHF in ihre Hall of Fame aufgenommen. Nach seiner Karriere wurde Streit Experte bei SRF, er ist Minderheitsaktionär und Verwaltungsrat beim SC Bern, Gründungsmitglied sowie Verwaltungsrat bei der Uhrenmarke Norqain und er kaufte gemeinsam mit weiteren Sportstars wie Yann Sommer, Christian Stucki und Roman Josi die Mineralquellen Adelboden. Mark Streit ist verheiratet und Vater zweier Töchter (7 und 5).