Loco Escrito ist aktuell einer der angesagtesten Schweizer Musiker. Am 29. April erscheint sein neues Album «Fernando», benannt nach seinem verstorbenen Vater. Wir haben uns mit dem Zürcher über unterschiedliches Hörverhalten in der Schweiz und Kolumbien, virale Hits auf TikTok und Hupeinlagen während Konzerten unterhalten.
Nicht wenige Schweizer BranchenkennerInnen sind der Überzeugung, dass Loco Escrito der Schweizer Musiker mit den grössten Chancen auf eine Weltkarriere ist. Und der gebürtige Wetzikoner sagt selbstbewusst: «Dem würde ich so absolut zustimmen.»
Es ist unter anderem dieses grosse Denken, das Nicolas Herzig, wie Loco Escrito mit bürgerlichem Namen heisst, von seinem vor einem Jahr verstorbenen Vater Fernando gelernt hat. Nach ihm hat der Reggaeton- und Latin-Star auch sein neues Album benannt. «Fernando» erscheint am 29. April, wobei es mehrere Songs enthält, die die stetig wachsende Fangemeinde bereits kennt und feiert wie Mamacita, Bala Bala und Triste. Hinzu kommt sein neuester Sommerhit Contigo, der am 8. April erschien. Loco Escrito bezeichnet «Fernando» als «eine Ode an die Familie, die Musik, die Liebe und das Leben». Auch wenn thematisch in einzelnen Liedern mal Schmerz oder Einsamkeit vorkommen – am Ende versprühe jeder der 21 Songs Hoffnung und Lebensfreude.
Loco Escrito, es hat Sie über die Wintermonate an die Wärme gezogen. Erst verbrachten Sie zwei Wochen in Medellín, im März einige Tage auf Mallorca und dazwischen ging es mit der Tochter in die Berge. Haben Sie in Medellín Geschäftliches und Privates gleich miteinander verbunden, da Sie Ihre Karriere in Kolumbien weiter vorantreiben möchten?
Ja, so gut es ging.
Das heisst, Sie möchten «Fernando» auch in Kolumbien verstärkt promoten?
Es geht dabei eher um einzelne Songs. Zudem ist es dafür schon fast zu spät, da sich der Markt dort doch stark unterscheidet. Daher standen tatsächlich bereits Projekte für nach dem Album im Fokus.
Würden Lieder, die Sie explizit auf den kolumbianischen Markt ausrichten, somit anders klingen als solche für ein Schweizer Publikum?
Ja, diese müssen etwas kompromissloser und urbaner daherkommen. Dieses unterschiedliche Hörverhalten ist auch Teil unserer aktuellen Marktanalyse und die Reise nach Kolumbien diente als ersten Schritt dazu.
Kommt hinzu, dass in Kolumbien jedes Wort Ihrer Texte verstanden wird, hierzulande tut dies eine kleine Minderheit.
Das macht natürlich einen grossen Unterschied. Ausserdem geht es darum, immer auf dem aktuellsten Stand zu sein, was dort passiert und angesagt ist. Sei dies in popkultureller oder auch in politischer Hinsicht. Aus diesen Gründen lassen wir auch lieber etwas Vorsicht walten, wollen nicht gleich all-in gehen und uns bei einem Schnellschuss die Finger verbrennen. Erst müssen wir uns des Potenzials bewusst sein.
Früher taten Sie sich etwas schwer mit der Rolle des «Suizolombiano» in Kolumbien, sprich, dass Sie dort immer der Schweizer sein werden. Hat sich dies mittlerweile geändert?
Ich habe damit kein Problem, sondern muss es als Vorteil sehen. Es ist ein Attribut, um sich abzuheben, denn der Musikmarkt in Kolumbien ist aktuell extrem gesättigt. Tatsächlich werde ich in Zukunft diesen Aspekt der zwei Kulturen dort vermutlich vermehrt pushen. Es geht darum, die zwei Kulturen zu verbinden und es als Stärke zu sehen. Wichtig ist, zu verstehen, dass man dort immer der Schweizer und hier der Kolumbianer sein wird – so, wie es jedem Doppelbürger geht.
Zurück zu Ihrem neuen Album, das am 29. April erscheint. Würden Sie es als Ihr bislang persönlichstes bezeichnen? Beginnend mit dem Albumtitel.
Ja, obwohl der Titel mit dem Inhalt nicht wirklich viel zu tun. Aber es ging mir darum, dieses Projekt meinem Vater zu widmen. Er hat mich gelehrt, gross zu träumen. Trotzdem ist es eine sehr persönliche Platte, ich habe allem viel Platz gegeben, das mir am Herzen lag. Entsprechend repräsentiert «Fernando» sämtliche Facetten von mir.
Was hat Ihnen Ihr Vater sonst noch mit auf den Weg gegeben?
Sehr vieles. Zum Beispiel wie wichtig es ist, Liebe zu geben und dass es auch ok ist, mal eine Schraube locker zu haben. Man darf sich ruhig auch etwas getrauen, wofür die anderen nicht den Mut haben – sofern man mit den Konsequenzen umgehen kann. Er hat mich gelehrt, dass das Herz das einzige Gesetz ist, worauf man hören muss. Das heisst natürlich nicht, dass man sich ausserhalb des gesetzlichen Rahmens bewegen soll. Es geht vielmehr darum, seinen eigenen Weg zu gehen und nicht jenem zu folgen, den die Leute einem vorschreiben wollen. Auch wenn man in der Schule eher bescheidene Noten schreibt oder nicht den besten Abschluss hat – unter dem Strich bestimmt man selbst, was man in seinem Leben erreicht.
Inwiefern haben Sie sich auf «Fernando» musikalisch weiterzuentwickeln versucht?
Indem ich mir auf diesem Album keine Schranken gesetzt habe. Jeder Song, der mir wichtig war und mir gefiel, kam auf die Platte. Ohne zu sagen, dass das eine Lied zu urban sei oder das andere zu poppig. Es ist auch nicht so – wie mir schon viele Leute aus dem Musikgeschäft weismachen wollten – dass ich mich für eine spezifische Sparte entscheiden müsste. Das Wichtigste ist, sich selbst zu sein. Während mir dieses Album auch zeigt, was ich alles kann, ist es jedoch durchaus möglich, dass ich mich auf dem nächsten auf einen Aspekt meines musikalischen Schaffens fokussiere.
Trotzdem ist es jeweils ein Prozess von der ersten Songidee bis zum «Endprodukt», auch in Rücksprache mit den Produzenten. Wie viel basteln Sie jeweils während dieses Prozesses an den Stücken herum?
Die Veränderungen sind meist eher klein. Denn ein Song lebt schlussendlich von seinem Vibe. Ist dieser bereits da, hat man schon sehr viel. Oftmals steht auch die Struktur des Songs relativ rasch. Wichtig ist, sich dem Vibe voll hinzugeben und die Anpassungen um diesen herum vorzunehmen. Diesbezüglich kann ich mich wirklich glücklich schätzen, denn mein Produzent HSA (Henrik Amschler, Anm. d. Red.) ist auf derselben Wellenlänge wie ich und wir sprechen musikalisch dieselbe Sprache.
Das vergangene Jahr war für Sie eines mit Aufs und Abs. Auch auf «Fernando» verarbeiten Sie Schönes wie schwierige Momente. Gehen Sie anders an einen neuen Song heran, wenn Sie wissen, darin etwas Persönliches verarbeiten zu wollen?
Grundsätzlich nicht, doch kann es sein, dass es beim Songwriting bei persönlichen Liedern besser fliesst. Wenn man den Schmerz während des Schreibens fühlt, bringt sich dieser manchmal fast selbst auf Papier. Man muss nicht nachdenken, sondern fühlt den Song einfach.
Mit El Ayer ist auf dem neuen Album auch ein Song mit Stefanie Heinzmann zu finden. Ihr kennt und schätzt euch schon länger, unter anderem durch eure gemeinsame Zeit bei «Sing meinen Song». Musstet ihr nur auf den richtigen Zeitpunkt für ein gemeinsames Lied warten?
Es hat nun tatsächlich wunderbar gepasst, doch war klar, dass es früher oder später einen gemeinsamen Song von uns geben würde. Das voluminöse Songgewand von El Ayer wär nur für mich vielleicht sogar etwas zu gross gewesen, doch so funktioniert der Song perfekt. Geschrieben habe ich ihn während eines Songroulettes im Tessin. Ich fand, er würde inhaltlich super zu Stefanie passen und fragte sie an. Sie war sogleich begeistert von der Idee. Meiner Meinung nach steht ihr der Song extrem. Obwohl ich generell ein riesiger Fan von ihr bin, hat sie mir selten so gut gefallen wie auf El Ayer.
Stefanie Heinzmann ist in Deutschland sehr bekannt und beliebt, auch Sie möchten in Deutschland verstärkt durchstarten. War dies bei der Zusammenarbeit ein Hintergedanke, dass es diesbezüglich ganz gut passen würde?
In diesem Falle ging es mir um das Menschliche und darum, sie auf meinem Album zu haben. Wäre es mir um den kommerziellen Aspekt gegangen, hätten wir es anders angegangen und den Song als Single gepusht. Aber klar: Wenn El Ayer auch in Deutschland ankommt, hätte ich nichts dagegen.
Hierzulande sind Sie bereits sehr erfolgreich, Ihre Hits laufen auf und ab. Was bedeutet es Ihnen, Ihre Songs am Radio zu hören und zu wissen, in dem Moment vermutlich gerade den Tag von Tausenden von Menschen etwas zu versüssen?
Nur schon, wenn ich daran denke, bekomme ich Gänsehaut. Es ist für mich das Schönste und der Grund, weshalb ich Musiker bin. Obwohl ich mittlerweile seit einigen Jahren diesen Beruf ausübe, kommt es mir manchmal immer noch surreal vor. Ich kann zufrieden mit mir sein, wenn zum Beispiel jemand nach einem anstrengenden und frustrierenden Arbeitstag sich auf der Heimfahrt einen Song von mir anhört und sich dadurch seine Laune zumindest etwas hebt. Dann sind für mich auch Auszeichnungen und Verkaufszahlen sekundär.
Mit diesem Ansatz nehmen Sie auch Druck von Ihren Schultern. Sie haben immer betont, dass Sie keinen Druck verspüren, dieser komme höchstens von ausserhalb.
Das ist richtig. Man muss in diesem Zusammenhang auch bedenken, dass viel und harte Arbeit meinerseits dahintersteckt. So kommt man irgendwann an einen Punkt, wo man sagen kann, alles getan zu haben, was man in den eigenen Händen hat. Ich habe in der Vergangenheit – auch dank meinem Umfeld und meiner Tochter – gelernt, viel und hart zu arbeiten. Und dies ist schlussendlich der Weg zum Erfolg. Dass nicht jeder Song zu einem Hit avancieren kann, ist logisch. Gerade bei dieser Fülle an neuer Musik, die ständig erscheint.
Heute ist das Leben als MusikerIn generell komplexer geworden. Man bringt nicht nur eine Single oder Platte heraus, die dann hoffentlich zum Hit avanciert. Sondern kann der Erfolg um ein Vielfaches gesteigert werden, wenn zum Beispiel der Song auf TikTok zum Hit wird oder der Tanz im Clip auf Social Media viral geht. Das Problem ist bloss, dass sich solche Dinge kaum planen lassen.
Das ist genau die richtige Einstellung: Entweder passiert es oder nicht. Viele Leute versuchen, solche Geschichten aktiv zu lenken, suchen beispielsweise die Zusammenarbeit mit TikTokern, doch funktioniert es nicht so. Es lässt sich nicht erzwingen. Neben viel Glück braucht es auch Flexibilität: Wenn du realisierst, dass dein Song irgendwo viral geht, solltest du ihn dann natürlich schon pushen.
Viele Leute hören nicht nur Ihre Musik, sondern verfolgen auch sonst, was Sie sagen und tun. Wann sind Sie sich der Verantwortung bewusst geworden, die Sie als Person des öffentlichen Lebens mit sich tragen?
Ich habe irgendwann realisiert, was ich für eine Plattform habe, jedoch nahm ich es nie als Verantwortung wahr. MusikerInnen müssen auch nicht zwingend Vorbilder sein. In meinen Augen ist es jedoch eine Chance, den Leuten etwas weiterzugeben und sie dazu anzuregen, über bestimmte Dinge nachzudenken.
Wie wichtig ist es Ihnen, dem Latin-Sound in der Schweiz einen zusätzlichen Boost zu verleihen, indem Sie zum Beispiel NachwuchskünstlerInnen fördern?
Teilweise tue ich dies bereits. Was ich bei vielen jungen MusikerInnen leider vermisse, ist die letzte Konsequenz. Wenn jemand täglich Vollgas gibt, um seinen Traum zu verwirklichen, sieht man, dass er es wirklich will. Wenn ich bei MusikerInnen sehe, dass sie das Talent und den Biss mitbringen, unterstütze ich sie sofort. Der unbedingte Wille zeigt sich auch daran, dass jemand am Wochenende auch mal auf das Party machen verzichtet und stattdessen mehr Zeit im Tonstudio verbringt. Es ist ausserdem wichtig, hierbei auf sich selbst zu hören. Als ich verschuldet war und Vater wurde, rieten mir ebenfalls viele, mich auf einen «richtigen» Beruf zu konzentrieren, doch habe ich an meinem Traum festgehalten.
Ein Schlüsselbegriff in diesem Zusammenhang ist Kontinuität. Sie können Ihrem Umfeld praktisch blind vertrauen, beschreiten den Weg nach oben seit jeher gemeinsam. Entsprechend wichtig ist ein funktionierendes Umfeld auch für junge MusikerInnen.
Absolut. Wobei man von seinen Mitmenschen auch nichts verlangen darf, was man selbst nicht tut oder ist. Oftmals zieht man auch an, was man selbst ist. Vor allen anderen muss man an sich selbst glauben und sich den Respekt des Umfelds mit harter Arbeit verdienen. Wenn jemand einzig wegen der Partys und der lockenden Vorzüge Musiker werden will, wird er es nie nach ganz oben schaffen.
Gehen wir zurück zu Ihren Anfängen als Musiker. Ihre ersten musikalischen Gehversuche haben Sie im Rap gemacht. Haben Sie auch dabei schon sämtliche Texte auf Spanisch geschrieben?
Ja, meine Ausdruckssprache in der Musik war schon immer Spanisch. Ich kann mich nur an einen schweizerdeutschen Text für einen Cypher erinnern, den ich mal geschrieben habe.
Können Sie sich überhaupt vorstellen, mal einen Song auf Deutsch oder Mundart zu schreiben? Einen eigenen versteht sich, für andere MusikerInnen haben Sie ja auch schon Lieder in anderen Sprachen verfasst.
Für den Moment ist nichts in diese Richtung geplant. Doch für die Zukunft würde ich es keinesfalls ausschliessen. Irgendwann wird es mich bestimmt wundernehmen, wie es funktioniert und dann versuche ich es. Es wäre auf jeden Fall spannend zu sehen, ob ich die Lebensfreude meiner Songs auf Deutsch genau gleich transportieren könnte. Oder Reggaeton auf Schweizerdeutsch – das wäre bestimmt eine Premiere. Aber wehe, die Leute mögen es dann mehr als meine spanischen Songs (lacht).
Sie hatten im vergangenen Jahr einige Live-Auftritte, jedoch manche mit verschärften Hygienevorschriften. Wie sehr brennen Sie darauf, im Sommer hoffentlich endlich wieder eine richtige Tour mit Sonne, Party und Tanzen in Angriff zu nehmen?
Extrem. Ich und meine Band lieben es, live aufzutreten und ist es auch eine meiner Stärken, dabei das Publikum voll mitzureissen. Es ist vergleichbar mit einem schnellen Auto, das auf die Rennstrecke muss, um ans Limit gebracht zu werden.
Haben Sie gespürt, dass das Publikum bei manchen Konzerten mit zusätzlichen Massnahmen gehemmter war?
Was mir vor allem auffiel, war, dass beim ersten «normalen» Konzert ein enormer Geräuschpegel herrschte. Ich bin mir nicht sicher, ob ich mich dies bloss nicht mehr gewohnt war oder die Leute so geil darauf waren. Was mir ebenfalls in Erinnerung bleiben wird, sind die Autokonzerte, wenn das Publikum teilweise zu den Songs gehupt statt mitgesungen hat. Nicht nur habe ich die Konzerte vermisst, sondern die Menschen auch das Zusammensein, für einen spezifischen Augenblick eine Gemeinschaft zu bilden.
Kehren wir zum Schluss nochmals zum Reisen zurück. Könnten Sie sich vorstellen, später einmal nach Kolumbien zu ziehen, wenn Ihre Tochter etwas älter ist?
Mit ihr im Moment nicht. Zumal ich auch immer mehr die Vorzüge der Schweiz zu schätzen weiss. Allerdings möchte ich schon einmal eine längere Zeit, vielleicht ein Jahr, in Kolumbien verbringen. Ausserdem möchte ich meiner Tochter einmal die kolumbianische Realität zeigen, dass es eben auch anders sein kann als in der Schweiz, wo wir vergleichsweise immer noch in einer heilen Welt mit sauberer Luft etc. leben – auf die wir manchmal ruhig auch etwas stolzer sein dürften.
Zur Person Nicolas Herzig, besser bekannt als Loco Escrito, ist mit vier Platin-Singles in Folge, sieben Goldawards und einem MTV EMA als «Best Swiss Act» einer der erfolgreichsten Schweizer Musiker der letzten Jahre. Ausserdem gewann er im vergangenen Jahr den Swiss Music Award für den Hit des Jahres zum dritten Mal in Folge – eine Premiere. Geboren in Medellín, wuchs der Sohn eines kolumbianischen Vaters und einer Schweizer Mutter in Wetzikon auf. In der Primarschule probierte sich der heute 32-Jährige am Schlagzeug, mit zehn Jahren begann er, spanische Texte zu schreiben und zu rappen. Seit 2013 ist der gelernte Kaufmann als Solo-Künstler unterwegs, 2014 erschien sein Debutalbum «Mi vida es mia». Den Künstlernamen «Loco Escrito» erhielt er von Samir, einem guten Freund. Als dieser vor gut elf Jahren starb, war für ihn klar, dass er diesen Namen als Hommage behalten würde. Loco Escrito wohnt mit seiner Freundin in Wetzikon. Er ist Vater einer sechsjährigen Tochter.