Florence Schelling war die erste Spielerin in der Geschichte der National League B, wurde als erste Frau weltweit Sportchefin eines professionellen Männerteams und an Olympia zur wertvollsten Spielerin gewählt. Heute zeigt die ehemalige Eishockeytorhüterin ihren KundInnen, wie sie ihren Fokus finden und Ablenkung vermeiden können.
Florence Schelling, Sie konzentrieren sich explizit auf den Fokus, anstatt generell auf Mentalcoaching zu setzen. Warum?
Fakt ist, dass es schon sehr viele Angebote im Bereich Mentalcoaching gibt. Entsprechend wollte ich meine Nische finden und eine Recherche zeigte, dass sich zuvor noch niemand auf den Fokus spezialisierte. Ausserdem spürte ich über all die Jahre, wie das Fokussieren eine ausgeprägte Stärke von mir ist. Allerdings war es ein langer Prozess, bis ich realisierte, dass es der Fokus ist, der es mir ermöglichte, im entscheidenden Moment meine beste Leistung abzurufen. Anschliessend war jedoch klar: Das ist meine Welt. Denn obwohl es doch «nur» um den Fokus geht, handelt es sich um ein riesiges Feld.
Heisst das, Sie haben manche Komponenten rund um den Fokus früher automatisch angewendet und später in der Theorie bestätigt gesehen?
Genau, alles, was ich als Eishockeyprofi oder auch in der Ausbildung respektive im Beruf machte, war für mich intuitiv und logisch. Gleichzeitig zeigten sich manche Mitmenschen beeindruckt davon und so realisierte ich, dass dies gar nicht so «normal» ist.
Zum Thema Fokus gehört auch die Kunst dazu, gute Entscheidungen zu treffen. Hat Ihnen das Fokus-Wissen dabei geholfen, Entscheidungen zu treffen – auf und neben dem Eis?
Auf jeden Fall. Als Eishockey-Torhüterin muss man innerhalb von Sekundenbruchteilen Entscheidungen treffen. Wenn man zu analysieren beginnt, was die verschiedenen Komponenten im Spiel sind und wie man im Vergleich dazu im Privatleben eine Entscheidung trifft, versteht man die zeitliche Diskrepanz, weshalb dies auf dem Eis möglich ist und man sich im Alltag mit deutlich mehr Zeit zur Verfügung ungleich schwerer tut. Wenn man diese Vorgehensweise vom Sport auf den Alltag adaptiert, kann man auch hier schneller zu Entscheidungen gelangen.
Können Sie dies konkretisieren?
Es geht dabei unter anderem um die Emotion nach dem Fällen einer Entscheidung. Dass man lernt, zu seinem Entscheid zu stehen, man sich bewusst ist, weshalb man diesen damals so getroffen hat und nicht ständig mit sich hadert.
Sind Sie manchmal auch als Psychologin gefragt, um gemeinsam mit dem Klienten herauszufinden, worauf er sich überhaupt fokussieren will? Um anschliessend den Weg definieren zu können.
Ich bin keine Psychologin und bringe auch keine entsprechende Ausbildung mit. Mein Credo lautet, die Person in dem Zustand anzunehmen, in dem sie aktuell ist. Ich habe vier verschiedene Programme entwickelt, wobei jedes davon drei Module enthält. Im ersten Modul dreht sich alles um die Vorbereitung, beim zweiten steht die Konzentration im Zentrum und beim dritten geht es um die Reflektion.
Bleiben wir bei Modul eins. Worauf bereiten sich Ihre Klientinnen vor?
Zum Beispiel auf eine Entscheidung, ein wichtiges Meeting oder einen Verkaufspitch. Wichtig ist, dass man gezielt auf etwas hinarbeiten möchte. Ich gehe es mit dem Kunden so an, dass ich mit ihm das Zielbild definiere: Wo möchte ich hin? Wovon träume ich? Anschliessend gestalten wir gemeinsam den Weg dorthin und welche Gefühle er dabei empfinden möchte.
Wie oft kommen Klientinnen trotzdem bereits mit einem klar definierten Zielbild zu Ihnen, das unter Umständen angepasst werden muss?
Meine bisherigen Kunden hatten ein klares Zielbild, doch begannen wir jeweils, dieses auseinanderzunehmen und am Ende erarbeiteten wir ein neues. Ich kann dies anhand eines eigenen Beispiels konkretisieren: Ich hatte über Jahre das Ziel einer olympischen Medaille. Diese schien jedoch unglaublich weit weg und man beginnt sich mit Fragen auseinanderzusetzen wie was es einem überhaupt bringt, diese zu gewinnen. Beginnt man das Ziel runterzubrechen, versteht man, wie viele Aspekte, die einem gar nicht bewusst waren, hineinspielen. So realisierte beispielsweise ein Kunde, dass sein vermeintliches Zielbild tatsächlich eher den gesellschaftlichen Erwartungen entsprach, die er auf sich projizierte.
Über was für einen Zeitraum coachen Sie die Leute?
Natürlich ist es sehr individuell, wobei die ersten beiden Module mindestens je einen Tag dauern. Dies ist sehr herausfordernd und man muss stets konzentriert sein, damit man konstruktiv bleibt und sich nicht gemeinsam in eine Sackgasse manövriert. Das dritte Modul umfasst eine längere Zeitspanne, die ich gemeinsam mit der Klientin definiere. Bei Sportlern ist dies in der Regel eine Saison, ansonsten kann dies von drei Monaten bis zu einem Jahr sein.
Sie arbeiten mit Leuten zusammen, die beruflich sehr eingespannt sind. Wie flexibel müssen entsprechend Sie beim Gestalten Ihrer Arbeitszeiten sein?
Das Gute ist, dass ich sehr flexibel bin, gerade bei den nicht ganztägigen Modulen. So empfange ich durchaus auch Kundinnen am Wochenende. Wenn ich einen Vortrag oder Firmenworkshop halte, variiert die Tageszeit sowieso, da ist tatsächlich viel Flexibilität gefragt.
Zumindest in der Theorie haben Sie das Wissen, wie es funktioniert, nach einer harten Arbeitswoche alles hinter sich zu lassen und befreit ins Wochenende zu starten. Wie sieht es in der Praxis aus? Gelingt Ihnen dies immer?
Im Grossen und Ganzen schon, doch nicht jeden Tag. Denn jeder hat mal einen Durchhänger, wobei dies auch Teil meines Coachings ist: Wichtig dabei ist, spätestens am nächsten Tag bereits wieder einen Schritt in die richtige Richtung zu gehen. Dafür braucht es jedoch ein klares Zielbild.
Wann haben Sie am meisten zu kämpfen damit?
Jeweils am Sonntagabend, wenn es darum geht, einzuschlafen und mit dem Wissen im Hinterkopf, eine Woche mit vielen Programmpunkten vor sich zu haben. Mittlerweile bin ich so weit, dass ich mir diesen Stress nicht mehr oft mache, doch kann es immer noch vorkommen, dass ich in dieses Muster reinrutsche. Wichtig ist, sich dessen bewusst zu sein, um es beim nächsten Mal vermeiden zu können.
Zur Person Florence Schelling (34) wuchs in Oberengstringen bei Zürich auf und kam durch ihre älteren Brüder zum Eishockey. Da diese sie ins Tor stellten, führte dies zum Wunsch, Torhüterin zu werden. Sie begann ihre Karriere bei den GCK Lions und spielte zwischen 2003 und 2005 für deren Elite-A-Junioren. Zudem lief sie in einem Testspiel für die National-League-B-Mannschaft der Lions auf, womit sie die erste Frau wurde, die in dieser Liga auf dem Eis stand. Während der WM 2008 wurde der Trainer der Bostoner Northeastern University auf Schelling aufmerksam und überzeugte sie, dort zu studieren. Sie absolvierte ein Studium in Wirtschaftswissenschaften und spielte parallel für die Huskies, das Eishockeyteam der Universität. In der Saison 2012/13 spielte sie für Brampton Thunder in der Canadian Women’s Hockey League. 2013 beendete sie ihr Studium mit einem Bachelor of Science in Business Administration. Ab Juni 2013 arbeitete sie für die IIHF als EDV-Koordinatorin und Assistentin der Geschäftsführung. Parallel dazu spielte sie für den EHC Bülach in der 1. Liga. Nach der Saison 2014/15 wechselte Schelling nach Schweden zum Linköpings HC und machte dort währenddessen ihren Master. Sie absolvierte 190 Länderspiele und beendete ihre Laufbahn im Mai 2018. Schelling nahm an 11 Weltmeisterschaften und 4 Olympischen Spielen teil, gewann jeweils die Bronze-Medaille an der WM 2012 und Olympia 2014, wobei sie in Sotschi auch zur wertvollsten Spielerin des Turniers gewählt wurde. Die passionierte Golferin studierte Sportmanagement an der Universität St. Gallen und war von April 2020 bis April 2021 Sportchefin des SC Bern – als erste Frau weltweit eines professionellen Männerteams. Ausserdem ist sie Initiantin der Girls Hockey Days Switzerland, Ochsner Hockey Academy Coach, Verwaltungsrätin der Crowdfundingplattform I Believe in You und kann als Keynote Speaker gebucht werden. 2022 machte sie sich mit ihrem Unternehmen Focus Finder selbstständig.
Müssen Sie den Leuten in den Workshops und Coachings oftmals erst vor Augen führen, wie vielen Ablenkungen sie jeden Tag ausgesetzt sind, bevor Sie sich der Reduzierung dieser widmen können?
Ich spreche in diesem Zusammenhang von Fokuskillern. Hierbei muss man bedenken, dass ein Fokuskiller bei einer Person nicht automatisch bei der nächsten auch einer ist. Ich lasse die Klienten selbst definieren, was ihre Fokuskiller sind. Anhand dieser gehen wir anschliessend ins Entscheidungsverhalten und es soll das Bewusstsein geschärft werden, dass man die Entscheidungsgewalt hat, wie mit einem Fokuskiller umzugehen: Lasse ich ihn zu? Blocke ich ihn ab? Verschiebe ich ihn?
Das heisst, ein Fokuskiller muss nicht immer negativ sein?
So ist es, Fokuskiller können aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet werden. Nehmen wir Social Media als Beispiel: Für manche der ultimative Fokuskiller, für andere gleichzeitig auch eine Möglichkeit, sich inspirieren zu lassen. Dann gilt es zu klären, wie man diesen Fokuskiller auf eine Weise oder in diesen Momenten nutzen kann, damit er inspirierend wirkt.
Sind die sozialen Medien einer der meistgenannten Fokuskiller?
Bei der jüngeren Generation schon. Bei den Ü40-Kundinnen ist dies weniger ein Thema.
Welche Fokuskiller werden sonst noch genannt?
Online-Medien und Handy-Benachrichtigungen, wobei dies wiederum sehr individuell ist. So kann zum Beispiel ein gefragter Geschäftsführer nicht den ganzen Tag sein Handy ignorieren, um seine Ruhe zu haben und sich fokussieren zu können. Vielmehr steht dann die Frage im Raum, ob es während des Tages Phasen gibt, in denen das Mobiltelefon auf die Seite gelegt werden kann.
Gab es während Ihrer Zeit als Goalie Momente, in denen Sie realisierten, zu vielen Fokuskillern ausgesetzt zu sein?
Ich hatte schon immer ein ausgeprägtes Bewusstsein dafür, was ich zulasse und worauf ich mich einlasse. Deswegen richtete ich mir jeden Tag einen Puffer ein, den ich nutzen konnte, falls ich aufgrund eines Fokuskillers irgendwo Zeit verliere. Also ja, ich hatte Fokuskiller, doch war ich mir derer bewusst. So konnte ich aktiv entscheiden, ob ich sie zulassen möchte.
Hätten Sie sich während Ihrer Aktivzeit mehr mentale Unterstützung gewünscht?
Ich hatte immer das Gefühl, mental auf einem guten Weg zu sein. 2014 begann ich, mit einem Sportpsychologen zusammenzuarbeiten. Dabei realisierte ich, wie viel man eigentlich noch rausholen könnte, wenn man mental in die Tiefe geht. Entsprechend viel konnte ich von dieser Zusammenarbeit profitieren. Als Sportlerin hast du eine ganze Entourage mit verschiedensten Coaches um dich herum. Folgt dann der Schritt in die «echte» Arbeitswelt, bist du plötzlich auf dich gestellt. Diese Lücke versuche ich mit Focus Finder zu füllen, indem ich quasi als externe Person im Team meiner Kundinnen bin.
Braucht es Mut, ein Angebot wie das Ihrige anzunehmen?
Für manche ist die Hemmschwelle ziemlich hoch und auch mit unserer Kultur verbunden, dass es weniger selbstverständlich ist, Unterstützung von aussen anzunehmen. In Nordamerika ist dies viel etablierter.
Wie eng ist der Fokus mit Mental Health verbunden?
Diese Verbindung ist ziemlich stark. Oftmals wird meinen Klienten während der Zusammenarbeit bewusst, ob sie überhaupt auf dem richtigen Weg sind und was sie tatsächlich wollen. Ist man an diesem Punkt angelangt, ist die Motivation eine ganz andere, weil dann oftmals materialistische Ziele einem tiefen, inneren Wunsch weichen. Dies wirkt sich wiederum auf die mentale Gesundheit einer Person aus. Klares Denken und Handeln kann glücklicher machen.
Ob im Sport oder woanders. Nicht nur gehören Erfolge dazu, sondern auch das Scheitern und wie man damit umgeht. Was hat Ihnen in schwierigen Momenten geholfen, mentale Stärke zu finden und sich durchzukämpfen?
Tatsächlich ist die Frage, wie man Erfolg definiert. Ob anhand der Resultate, der Entwicklung oder etwas anderen. Nehmen wir das Beispiel Eishockeytorhüterin. Wenn man Erfolg anhand von Titeln, Resultaten oder erhaltenen Toren definieren würde, wäre es ein ständiges Auf und Ab. Für mich ist dies nicht wirklich aussagekräftig, da sehr viele Faktoren reinspielen. So definierte ich Erfolg für mich nie anhand von Ergebnissen und Statistiken, sondern anhand der Entwicklung. Wenn ich ein Gegentor erhalte, muss ich es analysieren und Schlüsse daraus ziehen, wie ich es beim nächsten Mal besser machen kann. Ob bei Niederlagen oder Verletzungen: Ich habe immer die positiven Aspekte rausgezogen. Beispielsweise als ich mir vor vier Jahren bei einem Skiunfall den Halswirbel brach: Ich entdeckte für mich eine neue Art von Therapie und lernte viel über mich selbst.
Sie sind Teil der Girls Hockey Days, waren Torhüterin in der Schweiz, Nordamerika und Schweden, dazu Sportchefin beim SC Bern. Sprich, Sie kennen das Eishockey aus verschiedensten Blickwinkeln. Hat das Schweizer Eishockey Ihrer Meinung nach immer noch strukturellen Aufholbedarf, um Frauen und Mädchen in diesem Sport adäquat zu fördern?
Positiv ist, dass mittlerweile einiges in Gang gebracht worden ist, doch gibt es sicherlich noch Luft nach oben. So ist allein schon die Zahl der Eishockeyspielerinnen hierzulande sehr tief, entsprechend sollte es ein Ziel sein, mehr Mädchen für diesen Sport zu begeistern. Genau diesen Ansatz verfolgen auch die Girls Hockey Days. Mit mehr Mädchen, die Eishockey spielen, entsteht eine grössere Breite, die wichtig ist, um das Niveau an der Spitze zu erhöhen und damit sie sich gegenseitig pushen können. Schweden dient hier als Referenz, wo es schon von klein auf Mädchenmannschaften gibt.
Sind solche Verhältnisse in der Schweiz überhaupt möglich?
In der Tat müssen unsere Limitationen berücksichtigt werden. So gibt es in der Schweiz vergleichsweise sehr wenige Eisfelder, die entsprechend ausgebucht sind.
Wie wichtig sind für Mädchen, die mit dem Hockeyspielen beginnen, weibliche Vorbilder auf dem Eis?
Extrem wichtig. So haben sie auch einen Weg vorgezeichnet, was zum Beispiel die Kombination von Karriere und Studium in Nordamerika anbelangt. Dies ist mehr als bloss eine Ausbildung, sondern eine Lebensschule. Doch muss man um diese Möglichkeiten wissen.
Sie sprechen Nordamerika an. Mit was für einem Gefühl reisen Sie jeweils nach Boston zurück, wo Sie gespielt und studiert haben?
Es ist das Beste, was ich je erleben durfte. Entsprechend nehme ich jede Möglichkeit wahr, zurück nach Boston zu reisen.
Sie bezeichnen sich selbst als ehrgeizig und dass Sie sich hohe Ziele stecken. Das ist im Sport einfacher als nach der Karriere. Wie schwierig war diese Umstellung für Sie?
Ja, im Sport ist es einfacher, klare Ziele zu definieren. Trotzdem habe ich auch nach meinem Karriereende stets Ziele und Träume gehabt, zum Beispiel via Focus Finder möglichst viele Menschen zu inspirieren. Gleichzeitig bin ich mir bewusst, dass es nie dasselbe sein wird wie der Gewinn einer Olympia-Medaille und dass in der Arbeitswelt nie etwas nur schwarz oder weiss sein wird. Einen Preis gibt es meist auch nicht zu gewinnen (lacht).
Mit welchem Team oder in welcher Saison, in der Sie spielten, hatten Sie das Gefühl, mit der Mannschaft das absolute Maximum herausgeholt zu haben?
Mit der Olympia-Equipe 2014, als wir in Sotschi die Bronzemedaille gewannen. Die Chemie, die Zusammenstellung der Mannschaft – alles war perfekt und das Resultat jahrelanger Arbeit. 2006 qualifizierte sich die Schweizer Frauen-Nationalmannschaft erstmals für Olympia und es ging eher ums Erlebnis und Dabeisein. Doch dort in Turin leckten wir Blut und der Grundstein für die Medaille wurde gelegt. Man kann also von einem Acht-Jahres-Projekt sprechen. Während für mich schon immer die Olympia-Medaille das Ziel war, realisierten sämtliche Spielerinnen spätestens 2012, als wir WM-Bronze gewannen, dass wir dies wirklich schaffen können.