Alles KI oder was? Das Personalmanagement und mit ihm die gesamte Arbeitswelt befindet sich aktuell im Wandel. Neben der technologischen Entwicklung hat auch der demografische Wandel einen entscheidenden Einfluss darauf, wie wir zukünftig arbeiten werden, denn: Wir werden immer weniger im Arbeitsmarkt.
Mit dem Abreissen des letzten Kalenderblatts kommt auch die Zeit der grossen Jahreshoroskope. Astrologinnen wagen den Blick in die Glaskugel respektive Sterne, was das neue Jahr wohl bringen mag. Auch in anderen Bereichen schaut man – oftmals etwas faktenbasierter – auf das kommende Jahr und versucht zu deuten, in welche Richtung es gehen wird.
Dies gilt ebenso für die HR-Branche, die sich in einer Phase des Umbruchs befindet. Neue Schlüsselbegriffe haben sich in den letzten Jahren etabliert und Aspekte wie Homeoffice und die vermehrte Kommunikation über digitale Kanäle spätestens seit der Coronapandemie stark an Bedeutung gewonnen. Generell dominierten zuletzt weiche und New-Work-Themen den HR-Bereich. Flexible Arbeitszeiten und -orte, Weiterbildungsmöglichkeiten und eine sinnstiftende Tätigkeit dienen hierbei als Beispiele.
Zurück in die Vergangenheit?
Dieser HR Trend könnte 2024 gemäss gewissen HR-Experten allerdings ein eher abruptes Ende finden. So geht beispielsweise Dominik Josten von «HR heute» davon aus, dass mancherorts konservative Unternehmensführungen das Rad der Zeit gerne zurückdrehen möchten. Die Präsenzzeit soll wieder erhöht und die Leistungskontrollen verschärft werden sowie die Richtung möglichst von oben vorgegeben werden. Ausserdem sollen Zahlen, Fakten und Effizienz wieder als oberste Maximen gelten; in Zeiten wirtschaftlichen Abschwungs bleibe halt weniger Platz für weiche Themen.
Peter Senn leitet an der Hochschule Luzern den CAS Coaching als Führungskompetenz, den CAS Change Management sowie unterschiedliche Module in Bachelorstudiengängen in den Themen Human Resource Management und Führung. Er mahnt in diesem Zusammenhang zu einem differenzierten Blick: «Harvard-Professor John P. Kotter beschrieb bereits 2002 in seinem Buch ‹The Heart of Change›, dass alleine mit Zahlen keine Veränderungen bewirkt werden können. Da neben rationaler auch emotionale Akzeptanz notwendig ist, um Veränderungsziele zu erreichen, wird es immer auch weiche Themen brauchen.»
Arbeitgeber in der Defensive
Dass der Fokus auf den Menschen auch in Zukunft nicht an Bedeutung verlieren wird, liege auch an einem Megatrend, dem demografischen Wandel, welcher den Fachkräftemangel in den kommenden Jahren weiter beschleunigen wird. Aktuelle Zahlen des Bundesamts für Statistik deuten darauf hin, dass das Arbeitskräftedefizit, verursacht durch mehr Austritte aus dem Arbeitsmarkt als Eintritte, in den nächsten Jahren stark zunehmen wird.
Alleine schon deswegen könnten es sich Unternehmen gar nicht leisten, Mitarbeitende unbeabsichtigt zu verlieren und so den Rekrutierungsbedarf zu steigern. Um erfolgreich Mitarbeitende zu binden, müssen Arbeitgeber attraktiv sein. Laut Senn gibt es hierbei bestimmte Faktoren, wobei die Arbeitsbedingungen einen davon bilden. Hinzu kommen die offerierten Perspektiven im Betrieb (Fach- und Führungslaufbahnen), Mitwirkung wird gewünscht, Beziehungen z.B. zu Vorgesetzten – man möchte sozial eingebunden sein –, Anwendung, sprich, die eigenen Stärken und Kompetenzen sollen genutzt werden, und das Interesse soll geweckt werden. Was bedeutet, dass man innovative Aufgaben übernehmen möchte in einem Unternehmen, das auf der Höhe der Zeit ist.
Keine leichte Aufgabe
Arbeitgeber stehen also vor einer herausfordernden Zeit mit ressourcenorientierten Investitionen, doch können sich diese gerade längerfristig bezahlt machen, wohingegen kurzfristiges, rein profitorientiertes Denken nicht zielführend ist. Peter Senn zieht in diesem Zusammenhang den Vergleich zu einem Fussballverein, der nicht bloss vom Transfermarkt leben kann, sondern in den eigenen Nachwuchs investieren muss.
«Auch für Unternehmen gilt es, eigene Talente zu fördern, ihnen Weiterbildungen zu ermöglichen und Perspektiven aufzuzeigen, um sie längerfristig halten und unerwünschte Fluktuationen verhindern zu können.» Dies ist umso wichtiger, als dass sich die junge Generation mittlerweile weniger mit einem Betrieb identifiziert, sondern vielmehr mit einer Idee oder einer Vision.
Ängste nicht ignorieren
Ein zweiter wichtiger Megatrend dreht sich rund um die technologische Entwicklung, wobei die Digitalisierung hierbei eines der zentralen Schlagworte ist. Der Prozess steht hierzulande in vielen Unternehmen noch am Anfang, wie auch eine aktuelle Umfrage des KMU- und Gewerbeverbands Kanton Luzern unter KMU zeigt. Man sei sich zwar der Vorteile durchaus bewusst, doch hätten bislang schlicht die Ressourcen gefehlt, um sich tiefergehend mit der Digitalisierung von Prozessen oder beispielsweise mit KI-Tools zu befassen.
Letztere können eine Effizienzsteigerung bewirken, wodurch die freiwerdenden personellen Ressourcen anderweitig investiert werden können. So in die strategische Ausrichtung des Unternehmens sowie in die persönliche Beziehungspflege: «Wenn zum Beispiel ein Chatbot Standardfragen beantworten kann und man dafür individuell auf Anliegen von Kunden mit weiterführenden Anliegen eingehen kann, ist dies ein grosser Gewinn», führt Senn aus.
Auf der anderen Seite können gerade auch durch KI-Tools gleichzeitig Ängste entstehen. Mitarbeitende können sich abgehängt fühlen oder sich fürchten, dass ihr Job dadurch bald obsolet wird. In diesem Zusammenhang ist es essenziell, dass Unternehmen sämtliche Teammitgliederinnen einbezieht und informiert hält. Zudem müsse man solche Ängste ernst nehmen, dürfe Widerstände nicht ignorieren, sondern sich fragen, wie diese genutzt werden können, um aus ihnen zu lernen, so Senn. «Eine Möglichkeit stellt Reverse Mentoring dar, wobei sich die verschiedenen Generationen gegenseitig unterstützen. In diesem Rahmen können die jüngeren die älteren Mitarbeitenden technisch auf den aktuellsten Stand bringen.»
Spontan war gestern
Die Digitalisierung bringt ausserdem den Nebeneffekt mit sich, dass Führung auf Distanz stark an Bedeutung gewinnt. Da mittlerweile viele Angestellte nicht mehr ihre gesamte Arbeitszeit im Büro verbringen, müssen neue Kommunikationsweisen und -formen erlernt und gerade informelle Aspekte vermehrt institutionalisiert werden, da beispielsweise der klassische kurze Austausch an der Kaffeemaschine zu Geschäftlichem und Privatem wegzufallen droht.
So gilt es, explizit gemeinsame Bürotage festzulegen oder es wird eine Doodle-Umfrage erstellt, um einen Termin für ein Feierabendbier zu finden, wo der Entschluss dazu in der Vergangenheit auch spontan gefällt werden konnte.
Ein anderer Schlüsselbegriff, dem nicht nur im HR in den vergangenen Jahren immer grössere Bedeutung zugekommen ist, ist jener der Mental Health. Und doch ist es nach wie vor vielerorts ein Tabu, offen über seine psychische Gesundheit zu sprechen – zumal am Arbeitsort umso mehr als im privaten Umfeld.
Gemäss Peter Senn liegt dies unter anderem daran, dass in vielen Betrieben immer noch traditionelle Führungshaltungen gelebt werden. «Konkret heisst dies, dass Führungskräfte das Gefühl haben, alles können zu müssen. Fehler zuzugeben oder Fragen zu stellen, wird teils noch als Zeichen von Schwäche gesehen.» Dadurch würde jedoch ein unmenschlicher Druck entstehen, an dem eine Führungskraft zerbrechen kann.
Stattdessen gelte es, eine gesunde Fehler- und Lernkultur im Unternehmen zu entwickeln, wobei Vorgesetzte dies vorleben sollen und so eine neue Vorbildfunktion einnehmen – jenseits von Heldenhaftigkeit und ungesunder Angstkultur. Dies nach dem Motto: von «Command and Control» vermehrt hin zu «Question and Trust». Grundsätzlich liege es auch an den Mitarbeitenden, eine persönliche mentale Widerstandsfähigkeit aufzubauen, doch müssten dafür wiederum vom Unternehmen die passenden Rahmenbedingungen geschaffen werden.
Hinsichtlich der weiteren Zukunft ist der Experte für Unternehmensentwicklung, Führung und Personal überzeugt davon, dass es eine Transformation vom Line Management zum People Management geben wird, wie es manche Betriebe wie Roche bereits vorleben.
Dies bedeutet, dass Vorgesetzte eher zu Coaches werden, die Hilfe zur Selbsthilfe ermöglichen und auf eine vertrauensvolle Zusammenarbeit auf Augenhöhe setzen, was wiederum das Gemeinschaftsgefühl innerhalb des Unternehmens stärkt.