Wir werden in der Politik, im Beruf und auch in unserem Alltag viel öfter mit ethischen Fragen konfrontiert, als wir es uns bewusst sind. Deren Relevanz wird nicht nur durch die fortschreitende Digitalisierung und Robotisierung weiter zunehmen. Die Universität Luzern trägt dem mit ihrem neuen Masterstudiengang Ethik Rechnung – dieser ist in seiner Form schweizweit einzigartig.
Das Schweizer Stimmvolk hat im vergangenen Jahr unter anderem über den Schutz der Kinder und Jugendlichen vor Tabakwerbung, ein Tier- und Menschenversuchsverbot sowie eine Änderung des Transplantationsgesetz abgestimmt. Was diese und die allermeisten eidgenössischen Volksabstimmungen verbindet: Im Grunde genommen sind es ethische Fragen, die im Zentrum stehen.
Oftmals werden die Debatten hochemotional geführt, wobei eine faktenbasierte Argumentation dabei häufig auf der Strecke bleibt. Tatsächlich wird ein gewisses Rüstzeug vorausgesetzt, um ethische Fragen sachlich diskutieren zu können. Diese begleiten einen nicht nur bei politischen Debatten, sondern auch im Privat- und Berufsleben. Manche der brennendsten grossen und kleineren Fragen unserer Zeit sind im Kern ethischer Natur: Ist es als Unternehmen legitim, konsequente Steuervermeidung zu betreiben? Sollte bei einer Pandemie eine Impfpflicht eingeführt werden dürfen? Soll ich automatisierte Kassensysteme verwenden oder gefährde ich damit Arbeitsplätze?
Schweizweit einzigartig
Doch während es eine Vielzahl von Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten gibt, wenn es beispielsweise darum geht, ein Unternehmen zu gründen respektive erfolgreich zu führen, ist das Angebot für ethische Wissenserweiterung sehr begrenzt – insbesondere was angewandte Ethik anbelangt. Dieses Bild spiegelt sich auch im Schweizer Hochschul- und Universitätsangebot wider. So konnte man bislang Ethik lediglich als Nebenfach an einigen wenigen schweizerischen Universitäten studieren.
Mit dem Start des Herbstsemesters 2023 am 18. September ändert sich dies nun, wenn an der Universität Luzern der Masterstudiengang Ethik startet, der in seiner Form schweizweit einzigartig ist. 30 Studierende haben sich dafür eingeschrieben, darunter solche mit einem Bachelor in Wirtschaft, Geschichte und soziale Arbeit. Dies zeigt bereits, dass sich der Studiengang an sämtliche BachelorabsolventInnen von Universitäten, Fachhochschulen und Pädagogischen Hochschulen aller Fachrichtungen richtet.
Ausserdem geht dies automatisch mit einem interdisziplinären Ansatz einher – ein Umstand, den Jürg Kühnis, Koordinator des Masterstudiengangs Ethik, nicht als Herausforderung, sondern als Chance versteht. «Wenn die Studierenden durch ihre verschiedenen Hintergründe ethische Fragen von unterschiedlichen Seiten betrachten, wirkt dies enorm bereichernd und es können gemeinsam die verschiedenen Argumente gegeneinander abgewogen werden – ein zentrales Element der Ethik.» Zur Veranschaulichung nennt er die Coronapandemie, bei der der Studierende aus dem Gesundheitsbereich den Schutz der Bevölkerung in den Vordergrund stellt, wohingegen jene aus der Ökonomie kommend sich stärker an den wirtschaftlichen Interessen orientiert und einen Lockdown eher kategorisch ausschliessen würde.
Einblicke in die Praxis
Alleine dieses Beispiel unterstreicht den konsequenten Praxisbezug, den das Studium verfolgt. Entsprechend nennt sich eines der Lernformate auch «Praxismodul». Dieses dient dazu, Erfahrungen in Tätigkeitsbereichen zu sammeln, die für EthikerInnen offenstehen. So können auch erste Vernetzungsmöglichkeiten wahrgenommen werden und die Qualität des Studiums soll auf diese Weise gesteigert werden, «da Ethik per se eine Anwendungswissenschaft ist und vom Dialog zwischen Forschung und Praxis lebt», wie es die Verantwortlichen des Studiengangs auf ihrer Webseite formulieren.
Weitere Lernformate, die den neuen Studiengang kennzeichnen, sind das Konferenz- und das Forschungsmodul. Ersteres hat zum Ziel, die Studierenden durch die Teilnahme an einer Fachtagung frühestmöglich Kontakte zur Forschungsgemeinschaft knüpfen zu lassen. Des Weiteren erhalten sie Einblicke in die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit aktuellen ethischen Fragestellungen. Das Forschungsmodul wiederum erlaubt es, einen Einblick in ein laufendes Forschungsprojekt zu gewinnen.
Eine Form der Orientierung
Der Individualisierungsgrad des Studiengangs ist so hoch, dass wohl kaum zwei Studierende das identische Studium bestreiten werden. Teil davon ist, dass sie im zweiten Studienabschnitt «Spezialisierung» aus drei Bereichen der Angewandten Ethik einen aussuchen können: Wirtschafts-, Finanz- und Unternehmensethik, Gesundheitsethik sowie Ethik der digitalen Transformation.
Die Studiengangleitung fragte grosse und grössere Unternehmen aus der Schweiz wie aus dem nahen Ausland bezüglich einer Zusammenarbeit an, gerade im Hinblick auf das Praxismodul. «Wir stiessen auf positive Resonanz und spätestens da spürten wir, wie gross das Bedürfnis nach ausgebildeten EthikerInnen ist», erklärt Kühnis. Dies nicht nur von Seiten der Unternehmen, sondern was die gesamte Bevölkerung anbelangt, ist er überzeugt. Ethik biete eine Form der Orientierung, die aktuell wichtig sei. Kühnis denkt dabei nicht zuletzt an die junge Generation, die heutzutage mit einem viel breiteren Angebot konfrontiert ist, was wiederum mit einem konstanten Treffen von Entscheidungen verbunden ist. Ob es dabei um die Wahl des Ausbildungs- oder Berufsweges, der zu streamenden Serie oder des passenden Instagram-Filters geht. «Eine komplexere Welt verlangt nach Orientierung», sagt der ausgebildete Psychologe.
So sehr das Bedürfnis spürbar ist, genauso ist auch eine Sensibilisierung und Professionalisierung im Bereich der Ethik erforderlich. Denn ethische Fragen werden immer relevant bleiben und entsprechend auch ein Ethikstudium so schnell nicht obsolet werden. «Es braucht die Fähigkeit und das Wissen, um bei ethischen Fragen fundiert argumentieren zu können. Plus ist der Mensch als Fachperson zur Einordnung gefordert.» Kühnis denkt dabei unter anderem an den Medizinalbereich. So lassen sich Symptome zwar googeln, doch reicht dies natürlich nicht aus, um eine Diagnose zu erstellen; ist dafür immer noch ein Arzt oder eine Ärztin nötig.
Genau dafür entlässt die Universität Luzern schon bald studierte EthikerInnen, die das erworbene Wissen in ihrem Beruf einzusetzen wissen.
Informationen zum neuen Studiengang 30 Studierende werden im September den neuen Masterstudiengang Ethik in Angriff nehmen. Für die Verantwortlichen ein Erfolg, rechneten sie doch mit der Hälfte. Am Studiengang beteiligt sind fünf Dozierende aus dem Institut für Sozialethik. Hinzu kommen rund 20 weitere aus den anderen Instituten – der Studiengang kooperiert mit allen Fakultäten der Universität Luzern. So sind auch sämtliche Dekane in der Studiengangleitung respektive im Beirat vertreten.