Wenn es um Klima- und Nachhaltigkeitsfragen geht, geniesst die Milchproduktion keinen besonders guten Ruf. Das grossangelegte Projekt Klimastar Milch mit rund 230 teilnehmenden Betrieben soll nun dabei helfen, Emissionen zu reduzieren und die Effizienz zu steigern. Ein Bauernhof in Rothenburg zeigt, wie es gelingen kann, die hochgesteckten Ziele zu erreichen.
Es ist idyllisch-ruhig an diesem sonnigen Donnerstagvormittag auf dem Hof Lügisingen in Rothenburg LU. Die rund 60 Kühe lässt Pascal Bühlmann, der den Hof im vergangenen Jahr von seinem Vater übernahm, weiter unten auf der Wiese weiden. Es ist ein Bild mit Symbolcharakter, denn Bühlmanns – seine Eltern unterstützen ihn immer noch tatkräftig – setzen auf ein Vollweidesystem. Das heisst, die Kühe verbringen während der Vegetationsperiode zwischen März und November, nachdem sie im Februar und März gekalbt haben, so viel Zeit wie möglich auf den insgesamt 30 Hektaren Land, wo sie sich von Gras ernähren.
Damit der Eiweiss- und Energiebedarf des Viehs im optimalen Verhältnis sind, werden Futterzusätze benötigt. Auf Kraftfutter, das Getreide oder Soja enthält, verzichtet Pascal Bühlmann dabei. Stattdessen setzt er auf Zuckerrübenschnitzel und Kraftfutter, wobei letzteres primär aus Nebenprodukten der Lebensmittelproduktion besteht, sprich Brotwürfel, Kakaoreste und Rapsschrot. Alles Produkte, die anderweitig nicht mehr hätten verwendet werden können.
Teil eines grossen Projekts
Auf diese Weise kann unter anderem die Nahrungsmittelkonkurrenz reduziert werden. Davon spricht man, wenn bei Tieren Futtermittel zum Einsatz kommen, die auch für die menschliche Ernährung geeignet wären. Die Nahrungsmittelkonkurrenz spielt auch eine entscheidende Rolle bei einem Projekt, bei dem Pascal Bühlmann mit seinem Hof Teil davon ist: Die branchenübergreifende Initiative Klimastar Milch wurde von Nestlé, Emmi, AgroCleanTech, der Aaremilch AG sowie der Genossenschaft Zentralschweizer Milchproduzenten (ZMP) initiiert und wird durch das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) unterstützt. Es handelt sich dabei um das umfangreichste und mit 16 Millionen Franken Bundesgelder teuerste von über 30 Ressourcenprojekten, mit denen das BLW die Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft verbessern will. Das Programm umfasst rund 230 Milchbetriebe schweizweit, darunter eben den Hof Lügisingen.
Klimastar Milch läuft von 2022 bis 2027 und umfasst grundsätzlich im Durchschnitt aller Betriebe folgende Wirkungsziele: Die erwähnte Nahrungsmittelkonkurrenz der Milchviehration soll um 20 Prozent reduziert werden, ebenso die Treibhausgas-Emissionen pro Kilogramm Milch und absolut. Für jene Betriebe, die sich auch im freiwilligen Vertiefungsmodul engagieren, gilt es ausserdem, die Flächenkonkurrenz um 20 Prozent zu reduzieren. Flächenkonkurrenz entsteht, wenn die Futtermittel von Flächen stammen, auf denen auch Nahrungsmittel für den direkten Konsum angebaut werden könnten.
Fast wie die Quadratur des Kreises
André Bernet ist Leiter Milchvermarktung und Dienstleistungen bei der ZMP und Klimastar-Verantwortlicher. Er weist darauf hin, wie die beiden Wirkungsziele Treibhausgas- und Nahrungsmittelkonkurrenz-Reduktion miteinander korrelieren: «Wenn ich mich als Milchproduzent darauf fokussiere, dass die Milchmenge pro Kuh maximal gesteigert wird, um so die CO2-Emissionen zu reduzieren, erfordert dies einen gesteigerten Kraftfuttereinsatz, was wiederum in einer grösseren Nahrungsmittelkonkurrenz resultiert.»
Die teilnehmenden Betriebe müssen also den Spagat schaffen, beide Parameter in die gewünschte Richtung zu leiten – dafür bieten sich durch eine Teilnahme am Projekt gleich mehrere Vorteile. So besteht ein finanzieller Anreiz in Form einer Prämie: Für die Verkleinerung des CO2-Fussabdrucks erhalten sie maximal fünf Rappen pro Kilogramm Milch, wobei die maximale jährliche Abgeltung 30‘000 Franken pro Betrieb beträgt. Zum anderen kriegen sie einen Anhaltspunkt, wo sie mit ihrem Hof rund um Nachhaltigkeitsfragen überhaupt stehen. So werden einmal jährlich sämtliche Betriebsdaten in ein Tool eingetragen. Dazu zählt unter anderem die Jahresmilchmenge, die Tierzahl sowie die Art des Futtermittels, womit auch der Fortschritt über die Projektdauer verfolgt werden kann. So konnten bis 2023 die Treibhausgasemissionen pro Kilogramm Milch auf dem Betrieb von Pascal Bühlmann um 5.4 Prozent reduziert werden.
Der gelernte Landwirt erklärt dazu: «Bei uns geht es vor allem darum, möglichst viel Milch pro Hektare zu erzielen. Dafür ist in erster Linie ein gutes Weidemanagement entscheidend, das wir seit Projektbeginn verfeinert haben.» Unter anderem habe man darauf geachtet, die Kühe den Sommer über etwas höher weiden zu lassen, damit die Tiere aufgrund der Trockenperiode nicht im Stall verweilen müssen. Generell habe man an vielen kleinen Stellschrauben gedreht, um die CO2-Emissionen zu senken. Oft hilft es in diesem Zusammenhang, die Effizienz zu steigern – mit wenig Input soll eine höhere Produktion erzielt werden, unter anderem durch möglichst langlebige und gesunde Tiere; dazu gutes Futter. «Was die Nahrungsmittelkonkurrenz anbelangt, so haben wir schon in der Vergangenheit mit Nebenprodukten gearbeitet, und setzen dies nun noch konsequenter um», erläutert Bühlmann.
Positive erste Ergebnisse
Er betont, dass Klimastar Milch dazu beigetragen hat, das Bewusstsein für Effizienz- und Nachhaltigkeitsfragen zu schärfen sowie wo noch Optimierungspotenzial besteht. «Gewisse Massnahmen sind mit einem finanziellen oder zeitlichen Aufwand verbunden. Da ist es für die Motivation natürlich schon förderlich, wenn man anschliessend schwarz auf weiss den hoffentlich positiven Effekt sieht.»
Die teilnehmenden Betriebe sind bei ihren Bemühungen nicht auf sich gestellt, sondern erfahren bei Bedarf Unterstützung und Beratung durch die Projektpartner wie das Berufsbildungszentrum Natur & Ernährung Luzern in Hohenrain. Gleichwohl gibt es keine Patentlösung, um die gesteckten Ziele zu erreichen, denn «jeder Betrieb hat seine eigene Geschichte und eigene Voraussetzungen und es wäre nicht sinnvoll, wenn ein Hof sein ganzes Konzept komplett umstellen müsste», erklärt Bernet. Ziel sei es vielmehr, dass alle in dem System, in dem sie sich bewegen, besser werden.
Diese Bemühungen schlagen sich positiv in den Zahlen für die ersten beiden Projektjahre nieder. Eine optimierte Fütterung, das Herdenmanagement sowie die Hofdüngerlagerung kristallisierten sich als drei entscheidende Faktoren zur Reduktion des Klima-Fussabdrucks heraus. Mit deren Optimierung konnten die Betriebe ihre Treibhausgasemissionen 2022 und 2023 um 4.9 Prozent pro Kilogramm Milch reduzieren. Trotz des um 8.6 Prozent geringeren Einsatzes von Kraftfutter pro Kuh blieb die Jahresmilchleistung dabei gleich. Was die Nahrungsmittelkonkurrenz anbelangt, so konnten die Betriebe im selben Zeitraum mit einer Reduktion von 19.7 Prozent das gesteckte Ziel fast vollständig erreichen. Für die Flächenkonkurrenz werden in den kommenden Wochen und Monaten erste Zahlen erwartet.
Für eine Debatte auf Augenhöhe
André Bernet warnt jedoch davor, davon auszugehen, dass die Reduktion einer linearen Kurve folgt, denn die Betriebe sind stark von äusseren Einflüssen, insbesondere vom Wetter, abhängig. Dieses wirkt sich beispielsweise auf die Futterqualität aus. «Es gibt diverse Faktoren, die der Landwirt nicht beeinflussen kann, was die Zielerreichung erschweren kann.» Doch seien die meisten Betriebe mit dem bisherigen Projektverlauf sowie der finanziellen Entschädigung zufrieden. Auch sein Zwischenfazit fällt positiv aus. So zeige sich, dass man auf dem richtigen Weg sei und es möglich sei, besser, nachhaltiger und effizienter zu werden. Damit die Landwirtschaft helfen kann, einen Beitrag gegen den Klimawandel zu leisten.
Er hat den Blick zudem bereits nach vorne gerichtet und ist sich bewusst, wie wertvoll dieses gemeinsame Projekt von Bund, Branchenverbänden und Milchproduzenten sein kann. «So ist die Wissensbasis breit abgestützt, was eine Diskussion rund um Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion auf Augenhöhe ermöglicht.» Zumal es immer das Ziel war, das Thema auf eine nationale Ebene zu heben und ein erster Entscheid diesbezüglich ist bereits gefallen: Die Branchenorganisation (BO) Milch hat entschieden, den Rechner, der bei Klimastar Milch für die Berechnung der Treibhausgasemissionen und Nahrungsmittelkonkurrenz eingesetzt wird, zu übernehmen. Die BO Milch hat zum Ziel, mit dem Rechner schweizweit möglichst viele Betriebe zu erfassen. Mitte 2025 soll der Startschuss dafür fallen.
Auch Pascal Bühlmann blickt optimistisch auf jene Zeit, die nach 2027 folgen wird. «Das System steht und unser Anspruch ist natürlich, dass wir dieses auch nach Projektabschluss immer weiter verfeinern.» Dies betrifft unter anderem die Hofdüngung, die effizienter und emissionsärmer werden soll, genauso wie die Fütterung.