Kein Hebel ist wirkungsvoller beim Kampf gegen die Klimakatastrophe wie jener im Zusammenhang mit dem Essen. Sich dessen bewusst, hat sich das Zürcher Unternehmen Eaternity zum Ziel gesetzt, allen Menschen Zugang zu klimafreundlichen Lebensmitteln zu verschaffen. Dies, indem es den CO2-Fussabdruck von Lebensmittelprodukten und Menüs berechnet.
Wollen wir die Klimaerwärmung in einem Mass halten, das weiterhin einen lebenswerten Planeten für Mensch und Natur erlaubt, müssen wir die CO2-Emissionen global signifikant senken. Um dieses Ziel zu erreichen, gibt es verschiedene Ansätze; unter anderem gilt es, den Flugverkehr sowie die Abholzung von Wäldern zu reduzieren. Der grösste Hebel findet sich allerdings bei den Lebensmitteln: Die Wahl unserer Nahrungsmittel ist für einen Drittel der von Menschen verursachten Treibhausgasemissionen verantwortlich. In Europa und den USA beläuft sich dies auf rund 2.2 Tonnen CO2 pro Person und Jahr. Über 80 Prozent der Emissionen entstehen dabei bei der Lebensmittelproduktion, konkret vor allem durch Waldrodungen (38 Prozent), Torfabbau (11 Prozent) sowie in der Landwirtschaft selbst (50 Prozent), wo die Nutztierhaltung, das Düngen und die Reisproduktion den Grossteil ausmachen.
Die grosse Frage in diesem Zusammenhang lautet nun, wie die Bevölkerung dafür sensibilisiert werden kann, dass sie durch kluge Ernährungsentscheidungen mehr bewirken kann als durch jeden technischen Fortschritt. Konkret besteht dadurch das Potenzial, mindestens 50 Prozent der Emissionen im Zusammenhang mit Lebensmitteln zu reduzieren.
Ein globaler Effort
Einen faktenbasierten und wertefreien Ansatz jenseits von populistischen Forderungen verfolgt hierbei das Zürcher Unternehmen Eaternity. Bestehend aus rund 25 MitarbeiterInnen, hat es sich Eaternity zum Ziel gemacht, auf seine Weise dazu beizutragen, die menschgemachten Treibhausgasemissionen zu reduzieren. So berechnet das 2014 gegründete Unternehmen für Restaurants und Lebensmittelhersteller den CO2-Ausstoss ihrer Menüs respektive Produkte.
Dafür hat Eaternity eine Umweltbilanz-Lebensmittel-Datenbank erstellt – nach eigenen Angaben die aktuell grösste und umfassendste Datenbank zur Berechnung von Menüs und Lebensmittelprodukten. Gemeinsam mit Partnern konnten bislang über 1’000’000 Menüs berechnet werden und knapp 650 Restaurants arbeiten mit Eaternity zusammen. Das Unternehmen ist mittlerweile global tätig, arbeitet mit Restaurants und Lebensmittelherstellern unter anderem aus der Schweiz, Deutschland, Brasilien, Australien, Grossbritannien und den USA zusammen.
Eine Vielzahl an Parametern
Zur Berechnung der verschiedenen Umwelt-Scores, die am Ende auf der Verpackung oder auf der Menükarte abgedruckt werden können, darunter Klima (CO2-Ausstoss), Wasserverbrauch, Tierwohl und Regenwald, werden zahlreiche Parameter hinzugezogen. Co-Gründer und Geschäftsführer Manuel Klarmann erklärt dazu: «Manche sind recht leicht zu berechnen, zum Beispiel wie viel Wasser oder Gewächshausenergie etwas benötigt.»
Generell sei der CO2-Ausstoss hingegen sehr anspruchsvoll in seiner Berechnung. «Weil es von der Regenwaldabholzung bis zu den verwendeten Düngemitteln geht. Es sind unglaublich viele kleine Parameter, die reinspielen», so Klarmann. Er nennt als Beispiel die Stickstoffbelastung durch Düngemittel. So werde es schwierig, wenn es eine Konzentrierung dieser Stickstoffe gibt, weil dies zu einer Versäuerung von Böden, Wäldern und Gewässern führt und wiederum in einem Aussterben von Tieren in diesem Gebiet münden kann. «Für die Messung der Versäuerung muss man die geografische Beschaffenheit dort genau kennen. Aktuell kann man dazu erst generelle Aussagen treffen.»
Knacknuss Biodiversität
Die schwierigste Dimension, die nicht metrisch messbar ist in Bezug auf Lebensmittel, ist allerdings die Biodiversität, wobei es hierbei zwei Dimensionen gibt: Den Artenverlust und die Resilienz des Gesamtsystems. «Bei der ersten Dimension ist schwierig zu beurteilen, wie sehr dies in Zusammenhang mit der Landwirtschaft steht. Aber noch komplexer ist die Resilienz des Systems», sagt Klarmann. Er erinnert daran, dass in jeder Vorhersage, ob die Menschheit ausstirbt, Punkt eins ist, dass der Klimawandel und Unwetterkatastrophen eine Veränderung im Ökosystem verursachen werden und dieses schliesslich kollabieren wird. Das Bienensterben und somit die fehlende Bestäubung dient hierbei zur Veranschaulichung.
«Wir haben allerdings keine Ahnung, wie nah wir an diesem Kollaps sind. Wir wissen, dass die Landwirtschaft Faktor Nummer eins ist bei der Zerstörung von Biodiversität», so Klarmann. Das Beste, was man bei der Messung machen könne, seien qualitative Beurteilungen, keine wirklichen Messungen: Sind noch andere Pflanzen auf der Wiese? Gibt es dort viele Tierarten? Werden unterschiedliche Arten angepflanzt? Eine weitere Frage in diesem Zusammenhang lautet, was höher zu gewichten ist: die Anzahl oder die Masse, sprich wie viele oder wie viele verschiedene Tiere es dort gibt.
Pioniere zeigen, wie es geht
Obwohl es unglaublich viele Daten sind, die eingespiesen werden, sind diese ziemlich genau. Dies zeigt sich auch daran, dass bislang zweimal ein komplettes Update für sämtliche Daten vorgenommen wurde und die Werte mit 1,5 respektive 2 Prozent Differenz ausfielen. Es gab allerdings kürzlich eine Publikation, wie viel CO2 dadurch versursacht wird, dass Fischernetze über den Meeresgrund entlangschleifen und so das Ökosystem aufwühlen und Treibhausgase freisetzen, was eine veränderte Berechnung bewirken würde. «Schätzungsweise handelt es sich dabei um eine Gigatonne jährlich. Dies würde bedeuten, dass der Fischfang 10 bis 15 Prozent schlechter abschneiden würde», so Klarmann. Der Fischfang sei generell der Bereich der Lebensmittelindustrie, der noch am meisten Fragezeichen aufweist, was den CO2-Ausstoss anbelangt.
Die Berechnungen bedeuten also einen grossen Aufwand, der mit der Frage verbunden ist, ob sich dieser auch lohnt, ob die KonsumentInnen tatsächlich ihr Verhalten anpassen. Klarmann erwähnt in diesem Zusammenhang gastronomische Musterbeispiele wie das Studierendenwerk Berlin. «Sie haben 510 Standardmenüs, die an ihren Mensen abgewechselt werden. Davon enthalten noch 18 Menüs Fleisch. Sie haben es konsequent durchgezogen und sind bei 50 oder 60 Prozent Reduktion des CO2-Ausstosses.»
Schwieriger sei die Beurteilung von Lebensmittelprodukten. «Es spielen viele Faktoren rein, ob ein Produkt mit Score hinten drauf funktioniert.» Ob der Absatz steigt, hänge meist nicht von der CO2-Bilanz ab, sondern ob das Produkt schmeckt und wie teuer es ist. Die CO2-Bilanz unterstütze die Produkte darin, faktisch kommunizieren zu können, Vertrauen aufzubauen und Aufmerksamkeit zu generieren, dass es nicht nur darum geht, dass es schmeckt. «So hat man es schwarz auf weiss, dass es ein umweltfreundliches Produkt ist. Das hilft, diese Produkte in den Fokus zu rücken. Im Absatz spielt es vermutlich eine kleine Rolle, vielleicht 10 Prozent», schätzt Klarmann.
Der lange Weg zur CO2-Steuer
Dass niemals alle mitziehen werden, ist er sich bewusst. Er erwähnt in diesem Zusammenhang die finanziellen Wirkungsmechanismen: CO2 hat einen Preis. Beispielsweise entstand alleine diesen Sommer durch Umweltkatastrophen weltweit ein Schaden in Milliardenhöhe, versursacht durch den Klimawandel. «Der CO2-Preis hat eine Obergrenze. Bei der teuersten Möglichkeit sind es 1000 Euro pro Tonne CO2. Das bedeutet, dass selbst das edelste Filetstück mit einer CO2-Steuer nur einen oder zwei Euro teurer wäre.»
Klarmann ist sich der Kausalität bewusst, um zu einer CO2-Steuer zu gelangen. «Dafür muss eine kritische Masse der Bevölkerung dahinter stehen. Hierfür muss ein Bewusstsein geschaffen werden, dass es möglich ist, eine Lösung für das Problem zu finden. Das heisst, wir brauchen eine CO2-Kennzeichnung.» Voraussetzung dafür sei, eine CO2-Kennzeichnung in einem Supermarkt zu etablieren, damit die Politik sieht, dass eine solche umsetzbar ist. Um dort hinzukommen, dass ein Supermarkt seine 10’000 Produkte akkurat und transparent berechnen kann, brauche es eine Infrastruktur, die das macht, die Daten automatisch bearbeitet, dass es eine komplette Open-Source-Infrastruktur gibt, die Standards setzt, welche Werte zu verwenden sind. «Bei diesem kleinen Eckstein können wir mit Eaternity etwas bewirken. Indem wir zurzeit diese Open-Source-Infrastruktur bauen und über jene mit den Retailern arbeiten.»
Eine CO2-Steuer und ein CO2-Label sind aus Sicht von Eaternity nicht nur zwingend, sondern auch möglich. Deswegen haben sie sich dazu entschieden, sich in die Politik einzumischen: Mit der Initiative AYCE.earth haben sie eine NGO gegründet, die sich auf Open Source, Open Data und offene Kampagnenarbeit konzentriert. Die nicht-kommerzielle Plattform soll eine Grundlage bilden, auf der die Politik aufbauen kann.