Ein sozialer Ausweg für die Überproduktion

Zürcher Start-up MateriaBona

«Versorgen statt entsorgen» lautet das Motto von MateriaBona. Das Zürcher Unternehmen sagt der Wegwerfgesellschaft den Kampf an und möchte als Vermittler zwischen Grossunternehmen und sozialen Organisationen agieren, um Konsumgüter zu retten.

Ob beim Food Waste, bei der Wegwerfkleidung oder der rigorosen Vernichtung von Rücksendungen durch grosse Elektronikhändler – in den letzten Jahren dürfte den meisten bewusst geworden sein, dass wir nicht nur in einer Überflussgesellschaft leben, sondern auch in einer der Überproduktion. Wenn alles stets verfügbar und möglichst günstig sein soll, bleibt am Ende garantiert etwas Unverkauftes übrig.

Ein Unternehmen aus Zürich möchte den gesellschaftlichen Fokus noch stärker auf den Detailhandel richten und dabei selbst Waren wieder zurück in die Kreislaufwirtschaft bringen. Eingeordnet zwischen Start-up und gemeinnütziger Organisation, vermittelt MateriaBona Konsumgüter an soziale Organisationen, die von den Herstellern aus verschiedenen Gründen nicht mehr verkauft werden können. Anstatt sie also zu vernichten oder zurück ins Herstellerland zu schicken, sollen die Produkte des Alltags hier in der Schweiz bleiben und denjenigen zugutekommen, die es am nötigsten haben.

MateriaBona Girl

Die Gründerin und Geschäftsführerin von MateriaBona, Beatriz Schreib, wurde erstmals 2020 auf das Problem der Verschwendung von Konsumgütern in Milliardenhöhe aufmerksam. Schreib arbeitete insgesamt sieben Jahre bei der Schweizer Tafel und kennt dadurch den Umgang mit Armut und die Bedürfnisse von Personen, die auf solche sozialen Organisationen angewiesen sind. Als Vorbild für MateriaBona diente die britische Organisation In Kind Direct, die 1996 vom heutigen König Charles III. ins Leben gerufen wurde und deren Netzwerk man mit der Gründung von MateriaBona beitrat. «So etwas braucht es auch in der Schweiz», erklärt Schreib ihre damalige Motivation.

Beatriz Schreib und Bjarne Bäth-Albertini. MarteriaBona

Beatriz Schreib (59) und Bjarne Bäth-Albertini (53) sind die Gründer von MateriaBona. Bild: AEI/Milde

Bei ihrer Suche nach einer passenden Lösung und einem Standort entstand der Kontakt zu Bjarne Bäth-Albertini, der sich heute als Mitgründer um die finanziellen und operativen Aspekte der Organisation kümmert. Die Gründung des Zwei-Personen-Start-ups erfolgte anschliessend bereits im Dezember 2021, und im Februar 2022 ging der Produktkatalog auf der Website online. «Bei uns funktioniert alles digital. Die Sozialorganisationen können sich registrieren und wir prüfen dann, ob sie wirklich gemeinnützig sind und bedürftige Menschen unterstützen», sagt Schreib.

So kann zum Beispiel ein angemeldetes Zürcher Frauenhaus einen Blick auf die Produktpalette werfen und schauen, was sie gerade davon benötigen. Die Waren werden nach der Bestellung aus dem St. Galler Logistikzentrum der Firma Holenstein verschickt und das Frauenhaus erhält die angeforderten Hygieneartikel. Die Produkte aus dem MateriaBona-Katalog sind allerdings nicht gratis. «Wir nehmen eine kleine Nutzungsgebühr, die den administrativen Aufwand zumindest in Teilen deckt», erläutert Bäth-Albertini. Diese Gebühr beläuft sich auf maximal 20 Prozent des Verkaufspreises der Ware – der Transport ist dabei inklusive.

Neben der Deckung der Fixkosten möchte man bei MateriaBona damit auch signalisieren, dass die Ware einen Wert hat und kein Wegwerfprodukt ist. Auf der einen Seite möchte man die Unternehmen beim Thema Nachhaltigkeit unterstützen, andererseits will man aber auch nicht der verlängerte Recyclingarm der Konzerne sein. «Wir sind nicht gewinnorientiert, aber alles gratis abgeben widerspricht dem Nachhaltigkeitsgedanken», bekräftigt Bäth-Albertini. Der Preis kann dabei durchaus in einigen Fällen vergleichsweise tief ausfallen. Da man sich immer am Verkaufspreis eines gleichwertigen Produktes orientiert, können so auch Markenwaren zum Discountpreis weitergegeben werden. Ein konkretes Beispiel hierfür waren Glasschalen des deutschen Herstellers Rosenthal, bei denen man sich am günstigeren IKEA-Preis orientierte.

Ist noch Waschpulver da?

Die Konsumgüter, die MateriaBona erhält, müssen neuwertig sein. Ganz nach den Regeln des Vorbilds In Kind Direct International ist Secondhand keine Option. Die Ware muss dafür aber nicht zwangsweise aus einer Überproduktion stammen. Kleinere Mängel wie eine falsche Etikettierung oder Unsauberkeiten beim Farbdesign sind erlaubt. «Die Produkte für den Katalog von den Unternehmen zu bekommen, ist allerdings eine Knacknuss», erzählt Schreib. Es kommen oft Anfragen, bei denen man erst schauen müsse, ob es auch wirklich gebraucht wird und entsprechend eine Aufnahme in den Katalog sinnvoll ist. Als Nicht-EU-Land gestaltet sich der Austausch von Gütern mit anderen europäischen Ländern zudem schwierig.

Frau packt Karton mit Waren aus

Auch im Flüchtlingsheim braucht es Pflegeprodukte. Bild: zVg

Aktuell besteht das Sortiment noch zu 95 Prozent aus Konsumgütern: Hygieneartikel, Waschmittel, aber auch Büroartikel finden sich im MateriaBona-Katalog wieder. Regelmässige Lieferungen und ein gleichbleibendes Angebot sind dabei die grössten Herausforderungen für das Start-up. Denn wenn ein Asylheim regelmässig eine bestimmte Menge Waschmittel bestellt, braucht es im nächsten Monat nicht plötzlich Handseife. Dann heisst es Ersatz finden für die schnell verbrauchbaren Artikel. Dabei schicken einige Grossunternehmen regelmässig ihre Produktanfragen an die Zürcher Gesellschaft, bei anderen muss dagegen oft nachgehakt werden.

Angemeldet bei MateriaBona sind, Stand Mitte Februar, 70 soziale Organisationen. Hochgerechnet erreicht man damit nach eigenen Angaben über 17‘000 bedürftige Menschen in der Schweiz. Schreib sieht MateriaBona auch als eine Art Weiterentwicklung nach ihrer Tätigkeit bei der Schweizer Tafel. «Sie können sich nicht vorstellen, wie viele Kaffeemaschinen oder Geschirr aufgrund von Sortimentswechseln oder kleinen Fehlern entsorgt werden müssen», sagt sie. Und es gebe immer genug soziale Organisationen, die die Produkte mit offenen Armen empfangen würden.

Eine Milliarde Franken

Eine Studie von McKinsey ermittelte, dass in der Schweiz jährlich fabrikneue Konsumgüter mit einem Wert von einer Milliarde Franken überschüssig sind. Genau an diese Güter möchte man bei MateriaBona herankommen und sucht dafür intensiv nach neuen Sachspendern. «Wir wollen die wesentlichen Produktkategorien abdecken, sowohl in der Breite als auch in der Tiefe», nennt Bäth-Albertini als eines der Ziele für 2024. Zudem möchte man sich bis Jahresende mit insgesamt 100 sozialen Organisationen zusammenarbeiten.

Bäth-Albertini vor dem Lager

«Wir verknüpfen den Nachhaltigkeitsgedanken mit der Unterstützung von Bedürftigen», betont Bäth-Albertini. Bild: zVg

Von Bern bis St. Gallen sieht man sich in der Deutschschweiz schon gut aufgestellt. Mit zunehmender Bekanntheit möchte man zukünftig aber in der ganzen Schweiz vertreten sein. Zum ersten Februar konnte man für eine Teilzeitstelle auch die erste Angestellte für sich gewinnen. Finanziell möglich wird das nur durch Geldspenden und die Unterstützung von Stiftungen. Ein eigenes Gehalt war bisher finanziell nicht im Rahmen des Möglichen für die beiden Geschäftsführenden. Wobei Schreib für den Aufbau des Unternehmens sogar Eigenkapital investierte. Auch Büroräume gibt es noch keine für das Zürcher Start-up, welches in Erlenbach registriert ist. Während Schreib ihre gesamte Zeit in MateriaBona steckt, ist es für Bäth-Albertini eine unbezahlte Teilzeitbeschäftigung, bei der immerhin das Gefühl bleibt, etwas Gutes zu tun.

Und um das Thema Nachhaltigkeit in der eigenen Arbeit noch stärker zu betonen, plant man mittelfristig eine Verifizierung des eingesparten CO2. Damit für alle sichtbar wird, warum es besser ist, Konsumgüter zu verbrauchen, anstatt sie heimlich zu entsorgen.

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